Römische Funde in Wien

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Harald 41

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#1
Älteste römische Funde im Wiener Stadtgebiet geborgen

Die Stadtarchäologie hat im dritten Bezirk bei den Bauarbeiten zur neuen Postzentrale die bisher ältesten römischen Funde im Wiener Stadtgebiet geborgen. Unter anderem wurden Schreibgeräte, Keramik und Amphoren entdeckt.

Zum ersten Mal lasse sich durch die Funde eine Mischung zwischen der spätkeltischen und der frührömischen Kultur nachweisen, sagte Karin Fischer Ausserer, Leiterin der Stadtarchäologie: „Bisher konnten wir im Stadtgebiet immer nur entweder oder, aber nie beide gemeinsam fassen.“ Neben keltischen Grubenhäusern, Brunnen, Öfen und Gruben aus der Mitte des ersten Jahrhunderts fanden sich auf der Baustelle in der Rasumofskygasse auch römische Importgüter wie Amphoren aus dem Adriaraum, Feinkeramik und Schreibgeräte - und damit auch die frühesten Zeugnisse für Schriftlichkeit im Wiener Raum.
Keltische Siedlung mit römischem Einfluss

Noch befinde man sich im Abschluss der Grabungsarbeiten, erst danach würden die Funde auch detailliert ausgewertet, berichtete die Leiterin der Stadtarchäologie. Man gehe jedoch davon aus, dass es sich um eine Siedlung hochgestellter keltischer Eliten handle, die bereits von der römischen Kultur beeinflusst waren. Von der Stellung der Siedler zeugen etwa „Tüpfelplatten“, also Tonplatten mit kleinen Vertiefungen, in denen Münzrohlinge produziert wurden, sowie Gussformen, die vermutlich zur Bearbeitung von Bronze dienten, und Werkstattreste, die auf die Perlenherstellung aus Bernstein hindeuten.
Ausgrabungen

ORF

Insgesamt habe man rund 50 Kisten an Objekten bergen können. Nach der Auswertung könne man vielleicht „mehr über das Zusammentreffen und die gegenseitige Beeinflussung der beiden Kulturen sagen“, meinte Fischer Ausserer. Grundsätzlich seien die Gebiete links und rechts des Rennwegs „eine archäologisch wichtige Zone und ein wunderbares Gratisarchiv“, denn hier schlängelte sich der Teil der Donaulimesstraße, die von Klosterneuburg nach Hainburg führte.

Die römischen Funde in der Zivilsiedlung am Rennweg datiert die Archäologin auf die Mitte des ersten Jahrhunderts. Zum Vergleich: Die Grabungen auf dem Michaelerplatz in der Inneren Stadt stammen aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert. Denn erst nach und nach kamen mit den römischen Soldaten auch die „canabae legionis“ nach Vindobona, also die zivilen Lagerdörfer rund um das Lager der Legion, in denen sich etwa Händler und - trotz Heiratsverbots - die Familien der Soldaten ansiedelten. Die Funde auf dem Michaelerplatz stammen aus einem solchen.
7.000 Jahre Geschichte auf 3.000 Quadratmetern

Die keltisch-römische Schicht ist allerdings nur eine von vielen in der Rasumofskygasse. Die ältesten gehen weit tiefer in die Wiener Stadtgeschichte zurück und stammen aus dem Frühneolithikum (ca. 5000 vor Christus). „Wir haben hier 7.000 Jahre Geschichte auf 3.000 Quadratmetern“, schilderte die Leiterin der Stadtarchäologie. Interessant für die Archäologen sind auch die Funde aus dem Mittelalter: Hier konnte man etwa einen aus mehreren Kammern bestehenden und mit kleinen Lehmbänken ausgestatteten „Erdstall“ bergen. „Erdställe treten im 13. bis 15. Jahrhundert auf, ihre Verwendung ist noch umstritten“, so Fischer Ausserer.
Ausgrabungen

ORF

Wahrscheinlich wurden sie als Lager oder unterirdische Küchen genutzt - eine Vermutung, die auch beim Landstraßer „Erdstall“ naheliegt. Denn in diesem fanden sich große Mengen an Keramik aus dem 13. und 14. Jahrhundert, von kleinen Gewürztöpfchen bis hin zu überdimensionalen Kochtöpfen. „Es könnte sich hier also um eine Art Großküche gehandelt haben“, so die Chefin der Stadtarchäologen. Die Vermutung wird auch durch einen nahe gelegenen Brunnen unterstützt. Eventuell hätten sowohl Küche als auch Wasserstelle zu dem nahe gelegenen Kloster St. Maria gehört, meinte Fischer Ausserer.

Deutlich jünger sind hingegen die Reste des Palais Mesmer aus dem 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert thronte hier eine „Galvanische Metallpapier-Fabrik“ bevor schließlich 1920 das Post- und Telegraphenamt errichtet wurde. Die Fertigstellung der neuen Postzentrale ist für 2017 geplant - mehr dazu in Abriss als Startschuss für neue Postzentrale (wien.ORF.at; 6.2.2015).
Link:

Stadtarchäologie Wien

Publiziert am 19.03.2015



Quelle:

http://wien.orf.at/news/stories/2700404/

LG Harry
 

josef

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#2
Unerwarteter Inhalt im römischen Ziegelofen in Wien-Hernals
Von eintreffenden Prognosen und gelungenen Überraschungen. Bestattungen des 8. und 9. Jahrhunderts im Stadtgebiet
Ein Archäologe, der vor Beginn einer Ausgrabung – vor allem ohne auf technische Hilfsmittel zurückzugreifen – eifrig prognostiziert und recht behält, ist trotz vergleichbarer Trefferquote so wenig präkognitiv wie das Orakel von Delphi. Die erfolgreiche archäologische Prognose mag eine beeindruckende Kunst sein, es handelt sich aber weder um zynische Zufallstreffer noch um Hexerei oder Taschenspielertricks, und im Gegensatz zu besagtem Orakel sollte der Erfolg auch nicht in der Doppeldeutigkeit der Aussage liegen. Nichts anderes als das akribische und routinierte Sammeln, Verwalten und Verknüpfen von Informationen liegt solchen Vorhersagen zugrunde. Vor allem bei guter Datenlage kann das oft zu einer recht präzisen Vorstellung davon führen, was im Boden zu erwarten ist.

Als angesichts einer Ausgrabung in der Steinergasse im Wiener Bezirk Hernals Reste der römischen Ziegelproduktion "erwartet" wurden, stützte man sich dabei auf mehr als ein Jahrhundert Vorarbeiten und Beobachtungen. Die Lage der römischen Ziegelproduktion des 2. und 3. Jahrhunderts in dieser Gegend in der Nähe der auch in der Spätantike noch genutzten Straße von Vindobona nach Tulln/Comagenis war schon lange kein Geheimnis mehr. Dass der Boden zwischen Bartholomäusplatz und Steinergasse reich an römischem Ziegelmaterial war und ist, davon kann man sich leicht selbst überzeugen.

In die Natursteinmauer der Kalvarienbergkirche (siehe Foto) sind beachtlich viele römische Ziegelfehlbrände eingebaut. Im Verlauf der Ausgrabung ließen sich tatsächlich – erfreulich, aber eben nicht überraschend – zwei römische Ziegelöfen aus dem Erdreich schälen. Damit waren wir dann aber auch schon am Ende der selbstzufrieden prognostizierten Umstände angekommen. Was dann folgte, war eine handfeste Überraschung.

Der Tote im Ofen und weitere Bestattungen
In einem der Ziegelöfen fand sich das Skelett eines jungen Mannes, in der Bediengrube desselben Ofens die Bestattung einer Frau. Ein weiteres Grab kann aufgrund von sehr spärlichen Skelettresten angenommen werden. Bei der Frau fanden sich Ohrringe und eine Kette aus unterschiedlichen Glasperlen – sogar ein Fragment eines römischen Gefäßes war dazu gefädelt worden. Ein eher schlichter Keramiktopf vervollständigte das Ensemble. Das Skelett des jungen Mannes im Ofen selbst war in sehr schlechtem Zustand, die Knochen oberhalb des Beckens fast vergangen. Reste der Metallbeschläge eines hölzernen Eimers und wiederum ein kleiner Topf waren die einzigen Ausstattungsdetails. Zwischen den stark zerstörten Knochen des Oberkörpers wurden Reste eines ebenso schlecht erhaltenen Textilgewebes – Reste der Kleidung oder eines "Leichentuches" – festgestellt.

Die Fragen nach dem "Wer, Wann und Warum?"
Angaben über die zeitliche Einordnung dieser Bestattungen sind noch am einfachsten zu machen. Die Fundstücke weisen auf den Übergang vom 8. zum 9. Jahrhundert hin – "spätawarenzeitlich" sagt man da auch gern. Nach dem "Wer", also der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, zu fragen ist so sinnvoll wie die meisten ethnischen Anfragen dieser Art, zumal die Trachtbestandteile und Beigaben, die hier vorliegen, in unterschiedliche Himmelsrichtungen gleichzeitig und somit in gar keine zeigen. Die Frage nach dem Selbstverständnis dieser Menschen zu einer Zeit und an einem Ort, wo keinerlei schriftliche Quellen für hilfreiche Wissenserweiterung sorgen, ist ohnehin obsolet.

Funde aus dem 8. bzw. 9. Jahrhundert sind derzeit noch einigermaßen selten im Wiener Stadtgebiet. Ob es nun an der Tücke des (Siedlungs-)Objekts – einfache, sehr vergängliche Bauweise, vergleichsweise kleine Fundmengen – oder an den nachfolgenden Jahrhunderten mit zunehmender Bautätigkeit und deren Einflussnahme liegt: Befunde aus dieser Zeit fehlen zumeist vollkommen, und Funde sind eine Seltenheit. Einzelne Keramikfragmente, die immer wieder und auch in Hernals zutage treten, können nicht einmal als "Scherbenschleier" bezeichnet werden, sondern haben den Charakter von "Punktlandungen": Als mehrfach befundlose, mehrfach verlagerte Kleinstfragmente bezeugen sie nicht mehr als (flüchtige?) Anwesenheit.

Kommen wir zu dem "Warum". Bestattungsszenarien, die sich aufgrund ihrer Einzigartigkeit von der Norm abheben, werden gern in die Kategorie der "Sonderbestattungen" geschoben. Im nächsten Atemzug werden oft religiöse Gründe und vor allem der allzeit beliebte Kandidat "Aberglauben" bemüht. Immerhin hatte man der Frau vor dem Ofen einen Stein auf die Brust gelegt und einen weiteren kleinen Stein in eine Augenhöhle gedrückt – den jungen Mann könnte man aus Gründen der sicheren Verwahrung in die Ofenreste gelegt haben. Angst vor Wiedergängern? Das soll es gegeben haben. Über die Zeiten und Kulturen hinweg wurden immer wieder auffällige Bestattungsszenarien in diese Richtung interpretiert. Vorsicht ist hier aber vor allem deswegen geboten, weil wir über die generellen Glaubensvorstellungen dieser Leute nichts wissen – wie sollen wir also seriöse Thesen über deren Jenseitsvorstellungen oder gar die Angst vor unwillkommenen Wiederkehrern aufstellen?

Der Umgang mit römischen Überresten
Auch wenn es für die Bestattung im Ziegelofen keinen direkten Vergleich gibt, passt sie doch in ein größeres Schema. Bald nach Abzug der Römer im 5. Jahrhundert und dem beginnenden Ruin ihres baulichen Erbes entstand eine Tendenz, in diesen römischen Ruinen zwar nicht unbedingt zu siedeln, aber zu bestatten. Bemerkenswert daran ist zweierlei. Zum einen hielt diese Vorgehensweise im Wiener Raum vom 6. bis circa ins 10. Jahrhundert an, und zum anderen vereinte sie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit wohl auch recht unterschiedlichen Glaubensvorstellungen in zumindest einem Punkt: einer "interessanten Umgangsweise" mit den römischen Überresten.

Was auch immer man in diesen verfallenden Bauten sah – eine gewisse Anziehungskraft übten sie aus. Immerhin konnte sich die menschliche Fantasie nach dem Ende der römischen Präsenz in unseren Breiten das erste Mal mit einem bis dato noch nie dagewesenen Phänomen auseinandersetzen: Eine beachtliche Ruinenlandschaft lud zum praktischen, siedlungstechnischen Nutzen ebenso ein wie als Projektionsfläche für Schemen aus weniger logikerhellten Bereichen des menschlichen Innenlebens. Für einige Jahrhunderte hatten die Schemen dabei die Nase vorn. (Ingeborg Gaisbauer, 24.5.2018)

Ingeborg Gaisbauer studierte Urgeschichte und Historische Archäologie an der Universität Wien. Sie ist als Archäologin bei den Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie tätig.

Links

foto: stadtarchäologie wien
Kalvarienbergkirche mit römischen Ziegelfehlbränden


foto: stadtarchäologie wien
Die römischen Ziegelöfen

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https://derstandard.at/2000080166217/Unerwarteter-Inhalt-im-roemischen-Ziegelofen-in-Wien-Hernals
 

josef

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#3
PORTA DECUMANA
Reste des Südtores des Römerlagers Vindobona entdeckt
Archäologischer Fund bei Aufgrabungen für Fernkälteleitung vor Meinl am Graben in Wien

Beim Meinl am Graben in der Wiener Innenstadt kamen Reste eines Stadttors aus der Römerzeit ans Licht.
Foto: APA/WIEN MUSEUM

Archäologen ist beim Meinl am Graben in der Wiener City ein spektakulärer Fund gelungen: Die Forscher legten die Überreste eines Stadttors aus der Römerzeit frei. Die entdeckten Steine stammen vom ehemals südlichen Tor des Legionslagers Vindobona, der Porta Decumana. Sie sollen nun restauriert und untersucht werden, die Erkenntnisse werden ab 2023 in die neue Dauerausstellung des bis dahin renovierten und erweiterten Wien Museums einfließen.

Grabungen im Graben/Tuchlauben
Die Torreste wurden im Rahmen laufender Bauarbeiten für eine Fernkälteleitung im Bereich Graben/Tuchlauben gefunden, die von der Stadtarchäologie begleitet werden. Die entdeckten Steine stammen baulich vom südlichen Tor des Legionslagers und der anschließenden Lagermauer. Erste geologische Untersuchungen sowie ihre Analogie zu den Römischen Legionstorsteinen, die im Römermuseum ausgestellt sind, haben das bestätigt.

Rekonstruierter Plan des Legionslagers Vindobona. Das Südtor, die Porta Decumana, befindet sich am unteren Bildrand.
Grafik: Veleius

Umbau im Mittelalter
Gefunden wurden sie allerdings in dem mittleren der drei Legionslagergräben, die zur Verteidigung des dahinterliegenden Legionslagers dienten. Das deutet darauf hin, dass das Tor im Mittelalter, als sich die Eingangssituation in die Stadt veränderte und das Peilertor errichtet wurde, umgebaut und manche Bauteile zur Aufschüttung der Gräben verwendet wurden, gab das Wien Museum bekannt.

Erste Funde des betreffenden Tores wurden bereits vor zwei Jahren gemacht. Damals musste der Straßenbereich infolge eines Gasgebrechens aufgegraben werden.
(red, APA, 17.6.2021)

Links
Reste des Südtores des Römerlagers Vindobona entdeckt
 

josef

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#4
ZEITREISE AUF DER BAUSTELLE
Überraschungsfunde für die Archäologie dank Wiener U-Bahn-Ausbau
Nicht nur rund um das neue Linienkreuz U2/U5 stoßen Fachleute auf Masken, Käsesiebe und Öfen aus der Römerzeit, die die Stadtgeschichte umschreiben

Während die Landesgerichtsstraße für die U5 fit gemacht wird, dokumentiert die Stadtarchäologie die Spuren der Vergangenheit.
Foto: Christian Fischer

Der Presslufthammer rattert, der Kran dreht sich, Baustellenstaub legt sich über die abgesperrte Straße. Nach Lärm und Umleitungen kommt im Idealfall zumindest eine bessere Verkehrsanbindung heraus, wie beim aktuellen U-Bahn-Netzausbau in Wien. Und die massiven Baugeräte, die gerade vom Schottentor bis zum Matzleinsdorfer Platz für die künftige U5 im Einsatz sind, üben ihre Faszination nicht nur auf den Pensionisten und das kleine Mädchen aus, die auf ihrem Spaziergang durch die Streben des Bauzauns lugen. Doch bevor aufgebaut wird, ist Personal im Einsatz, das mit leichterem Werkzeug hantiert – Schaufeln, Kellen und Handbesen. Die Stadtarchäologie Wien rückt wieder aus.

Unter geschäftigen Grätzeln lauert Geschichte
Und das meist unter Druck: Für Rettungsgrabungen ist die Zeit knapp, um Baupläne nicht zu sprengen. Auf offener Baustelle ist die Archäologin wie der Rohrleitungsbauer dem Wetter ausgesetzt, bei Hausstabilisierungen – wie sie beim U-Bahn-Ausbau nötig sind – in finsteren Kellern unterwegs. Dabei trägt sie große Verantwortung: Entgeht ihrem Blick ein Indiz, das etwa auf historische Gebäudemauern oder Gräber hinweist, können wichtige Funde zerstört oder übersehen werden.

Die interaktive ArcGIS-Karte, die sich auch hier aufrufen lässt, zeigt, wo entlang der neuen U2 sowie der vorläufigen, kurzen U5-Strecke Grabungen und Hausertüchtigungen archäologisch betreut werden und wurden. Ein Klick auf den Doppelpfeil zeigt die Kartenlegende.
Ganz auf sich allein gestellt sind die Fachleute aber nicht. Seit dem 17. Jahrhundert werden für die Archäologie der Stadt Wien Archivdaten gesammelt. Auf deren Basis lässt sich abschätzen, in welcher Tiefe in den jeweiligen Bezirken und Grätzeln Überreste von der Neu- bis in die Steinzeit unter der Erde lauern könnten. Dann erst wird Hand angelegt: "Wir gehen praktisch mit unseren Werkzeugen in der Geschichte zurück", sagt Fischer Ausserer.

7000 Jahre in die Vergangenheit
Das bedeutet nicht, dass in den tiefsten Schichten auch die ältesten Spuren zu finden sind. Immerhin baute beispielsweise die Wiener Bevölkerung der Neuzeit tiefe Keller und störte damit bereits Funde aus mittelalterlicher und römischer Zeit – oder noch ältere Relikte. Die frühesten Spuren menschlicher Siedlungen auf dem Stadtgebiet reichen ungefähr 7000 Jahre zurück und wurden erst vor sieben Jahren entdeckt: Im Zuge des Baus der neuen Post am Rochusplatz stießen die Fachleute hier, mitten im dritten Bezirk, auf ein neusteinzeitliches Langhaus.

In den tiefsten Schichten, die für den U-Bahn-Tunnelbau erreicht werden, ist nicht mit menschlichen Spuren zu rechnen, weshalb die Zonen in bis zu 30 Meter Tiefe nicht von der Stadtarchäologie betreut werden. Spannender ist es dort, wo an der Oberfläche neue Stationen entstehen, für die Erde aufgegraben wird – etwa an der künftigen U5-Station Frankhplatz am Anfang der Alser Straße.


Am Frankhplatz – nur ein paar Meter von einem aktuellen Einsatzort der Stadtarchäologie entfernt – wurden in den vergangenen Jahren bereits Mauerreste und Spuren römischer Öfen ausgegraben.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Spuren im Gesicht der Stadt
Diese Straße könnte nicht nur in Neuzeit und Mittelalter eine wichtige Verkehrsader gewesen sein, wie hunderte Jahre alte Spurrillen unter dem Asphalt zeigen. Die Vermutung liegt nahe, dass ihr Vorläufer wohl schon zur Zeit des römischen Legionslagers Vindobona zu einer Ziegelei im heutigen 17. Bezirk führte. So könnte im Jahr 200 eine Karrenfahrt mit baufertigen Ziegeln in der Gegend um den Elterleinplatz begonnen haben: Ein Ochse zieht die schwere Last vorbei an einem Gräberfeld bis hin zu jenem Werkstätten- und Wohngebiet, dessen Spuren nun entdeckt wurden. Eine Straße, die wie viele andere Strukturen aus dieser Epoche bis heute in gewisser Weise "im Gesicht der Stadt erhalten geblieben ist", sagt Fischer Ausserer. Obgleich das meiste mittlerweile ganz anders aussieht.

In ganz Wien finden sich historische bis prähistorische Spuren, die teilweise in die Steinzeit zurückreichen. Auf dieser interaktiven Karte, die auch auf "Wien Kulturgut: Stadtarchäologie" zu finden ist, sind bisher identifizierte antike Areale und Straßen markiert. Das römische Legionslager (rot) ist halb von der Lagervorstadt (canabae legionis; orange) umgeben. Diese ragte weiter in Richtung Ziegelei (braun; im Westen, entlang der roten Straße) als bisher gedacht. Die Vollversion zeigt mehr Details – auch zu anderen Epochen – und einzelne Fundstätten.

An der Ecke Landesgerichtsstraße – wo übrigens vor wenigen Jahrzehnten für eine Weile die Unterpflaster-Straßenbahn fuhr – sind die archäologischen Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen. Die Grabung auf der gegenüberliegenden Seite der Alser Straße enthüllte bereits mittelalterliche Keller und Reste der Alser Kaserne, die hier bis 1912 stand. Zudem kamen Öfen aus der Römerzeit zum Vorschein, in denen man wohl Metall verarbeitete.


Zu den besonderen Funden vom Frankhplatz gehört diese Komödienmaske aus dem zweiten bis dritten Jahrhundert ...
Foto: Stadtarchäologie Wien

Karte der Römerzeit neu zeichnen
Wo genau die gefundene tönerne Theatermaske als Zierobjekt angebracht war, steht im Mittelpunkt weiterer Forschung. Auch eine Metallschließe und Siebe, in denen Frischkäse hergestellt wurde, haben als Zeugen der damals lebenden Menschen rund 1800 Jahre überdauert. "Das Sensationelle daran ist: Wir wissen dadurch, dass die 'Canabae legionis', die Vorstadt des Legionslagers, nicht bei der Votivkirche aufhörte", sagt Fischer Ausserer. "Sie ging noch ein Stück weiter als gedacht – bis zur heutigen Nationalbank."


... also aus der Römerzeit, auf die auch diese Balteusschließe zurückgeht.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Trotz der Hinweise aus dem Archiv gibt es also noch Überraschungen. Das "Wiener Geschichtepuzzle", wie die Leiterin der Stadtarchäologie die Arbeit ihres Teams nennt, ist um ein Teil reicher geworden.

Wer als Laie mitpuzzeln und nicht nur durch das Baustellengerüst zuschauen will, kann in der Werkstätte helfen: Nach einer Einschulung werden etwa Keramikscherben gesäubert, sortiert und zusammengefügt, manche der rund 500 Ehrenamtlichen sind auch für Führungen und Vorträge zuständig.
(Julia Sica, 7.5.2022)

Video zu den Grabungen am Frankhplatz – Käsesiebe inklusive.
Wien Museum
Überraschungsfunde für die Archäologie dank Wiener U-Bahn-Ausbau
 
#7
Wobei ich hier schon auch etwas Ehrenrettung für Wien betreiben möchte.
Der Graben vor dem Legionslager Vindobona ist 2000 Jahre später zwar längst zugeschüttet, heißt aber tatsächlich noch immer "Graben".
Die Legionslagerecken waren immer abgerundet, und exakt diese Rundung an der südwestlichen Ecke des Legionslagers (6 im Plan unten) ist der Grund warum das westliche Ende der Naglergasse noch immer rund ist.
Vindobona.png
Quelle: https://www.wienmuseum.at/fileadmin...rmationen_zum_Roermuseum_fuer_LehrerInnen.pdf

Die seltsam schräge Querung der Herrengasse (gelb unten) durch den 1. Bezirk (ich denke Sekante ist der korrekte geometrische Begriff) geht noch immer auf den Verlauf der Limesstraße zurück. Gleiches gilt für die Simmeringer Hauptstraße.
Herrengasse.png
Quelle: Wien Kulturgut

2000 Jahre später!!!!
Das ist alles so unglaublich schön, dass ich aus dem Staunen nicht raus komme wenn ich in Wien spazieren gehe.

Weiß eigentlich Jemand ob man diese römischen Abdrücke auch in einer anderen Stadt so prägnant sieht?
 
#9
Da bin ich mir jetzt nicht sicher wie du das meinst?
Den Graben gab es ab Vindobona bis zum Ende des 12. Jahrhunderts durchgehend, und erst dann wurde er zugeschüttet.

Auch den Tiefen Graben gab es schon zur Römerzeit und nicht erst ab dem Mittelalter. Dort war der Flußlauf des Ottakringer Baches mit einer sehr steilen Abrißkante.
 

Stoffi

Well-Known Member
#10
mir ist schon bewusst das der Graben durchgängig vorhanden war, was ich damit sagen wollte ist das die Straßenzüge eher nach dem mittelalterlichen Stadtgraben benannt wurden - da ich so meine Annahme - die Leute das vorhanden sein des Grabens sehr wohl wahrgenommen haben, allerdings nicht auf die Römer "rückdatiert" haben, also ihnen nicht bewusst war das hier schon zur Römerzeit was war.
 

josef

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#11
Römisches Massengrab entdeckt
In Simmering haben Archäologen einen „möglichen Schlüssel zur Gründungsgeschichte Wiens“ freigelegt. Wie es in einer Aussendung des Wien Museums vom Mittwoch hieß, wurde ein römisches Massengrab entdeckt.
Online seit heute, 9.34 Uhr
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Es soll ein „Sensationsfund“ sein. Wie es in einer Aussendung hieß, wurde ein römisches Massengrab vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. entdeckt, dessen Befundung auf einen militärischen Kontext schließen lässt.


Slonek Novetus
Knochenfund in Simmering

Frühe Skelettfunde aus dem Römischen Reich seien äußerst selten: „Denn die Römer praktizierten in Europa bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. die Feuerbestattung.“ Die unzeremonielle Beerdigung deutet den Angaben zufolge „auf ein katastrophales Ereignis“. Nähere Angaben sollen in einer Pressekonferenz am 2. April folgen.
19.03.2025, red, wien.ORF.at/Agenturen

Römisches Massengrab entdeckt
 

josef

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#12
150 Soldaten in Grab in Simmering
Ein archäologischer „Sensationsfund“ in Simmering könnte belegen, warum Rom das kleine Vindobona zu einem großen Legionslager umbauen ließ. Rund 150 Skelette, vermutlich von römischen Soldaten, könnten dazu beitragen, die Geschichte des heutigen Wiens neu zu schreiben.
Online seit heute, 12.00 Uhr
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Die Lage der Skelette deutet darauf hin, dass die Individuen ohne erkennbare Ordnung bestattet worden waren. Die gefundenen Knochen gehörten ausnahmslos Männern, die 20 bis 30 Jahre alt, meist größer als 170 Zentimeter und gesund waren. Sie weisen Spuren von Verletzungen durch Waffen wie Dolche, Lanzen, Schwerter und Geschoßbolzen auf, diese sind typisch für einen Kampf.

Die Archäologin Michaela Binder vom archäologischen Dienstleister Novetus schloss daher aus, dass die Funde etwa auf ein Lazarett oder eine Seuche hindeuten: „Die Verletzungen an den Knochen sind eindeutig auf Kampfhandlungen zurückzuführen.“

Fotostrecke
Slonek_Novetus
APA/Wien Museum/Reiner Riedler
APA/Wien Museum/Reiner Riedler

APA/Wien Museum/Reiner Riedler

Etliche Nägel stammten von einer römischen Militärsandale. Darüber hinaus ist wenig von der Kleidung und Ausrüstung der Soldaten erhalten geblieben.
Hilzensauer

Insgesamt 22 Schuppen eines Schuppenpanzers wurden aufgespürt.
www.leonhardhilzensauer.com

www.leonhardhilzensauer.com

Bei diesem Fundstück handelt es sich um die Wangenklappe eines Helmes
L. Hilzensauer

Strang Novetus

Dieser Lendenwirbel wurde von einem Eisenbolzen getroffen.
Strang Novetus

Mosser

Mosser

Erstes bis zweites Jahrhundert nach Christus
Dass es sich um das katastrophale Ende eines militärischen Einsatzes handelt, würden auch die im Grab gefundenen Objekte – ein Dolch, mehrere Schuppen eines Schuppenpanzers, eine Wangenklappe eines Helms, Lanzenspitzen sowie Schuhnägel – bestätigen. Der eiserne Dolch wurde zum Schlüsselfund für die Datierung und kulturhistorische Einordnung des Massengrabes.


Ein verrosteter Dolch und seine Scheide offenbaren im Röntgenbild eine beeindruckende Einlegearbeit aus Silberdraht.
L. Hilzensauer, TimTom, Wien Stadtarchäologie

In einer Röntgenaufnahme des Dolches zeigten sich charakteristische römische Verzierungen. Durch Einlegearbeiten aus Silberdraht lässt sich der Dolch „in die Zeit zwischen Mitte des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. datieren“, erklärte Christoph Öllerer, stv. Leiter der Stadtarchäologie.

Erster Nachweis für Kämpfe am Donaulimes
Der Fund ist der erste direkte Nachweis eines Schlachtgeschehens am Donaulimes, das bisher nur über historische Quellen belegt werden konnte. Diese berichten, dass es Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. an der Donaugrenze des Römischen Reiches unter Kaiser Domitian (81–96) immer wieder zu Kämpfen mit Germanen kam (Donaukriege 86 bis 96 n. Chr.). Unter Kaiser Trajan (98–117) begann deshalb wenige Jahre später der Ausbau der Befestigungslinie, des Donaulimes.

„Das Massengrab in Simmering ist der erste physische Beleg für Kampfhandlungen aus dieser Zeit und weist auf die Lokalisierung einer Schlacht im Gebiet des heutigen Wiens hin. Das hier bezeugte Ereignis könnte somit ein Anlass für den Ausbau des vormals kleinen Militärstützpunkts zum Legionslager Vindobona – keine sieben Kilometer vom Fundort entfernt – gewesen sein“, führte Stadtarchäologe Martin Mosser aus.

Untersuchungen ganz am Anfang
Das Massengrab war bereits Ende Oktober 2024 bei der Sanierung des Sportplatzes in der Hasenleitengasse 49 in Simmering von einer Baufirma entdeckt worden. Funde aus der Römerzeit in Wien sind nicht selten, dennoch ist der Fund des Massengrabs besonders. Frühe Skelettfunde aus dem europäischen Teil des Römischen Reiches sind äußerst selten. Denn die Römer hätten bis ins dritte Jahrhundert n. Chr. die Feuerbestattung praktiziert, so die Chefin der Stadtarchäologie, Kristina Adler-Wölfl.

Die Archäologen und Archäologinnen stehen mit ihren Forschungen zu dem Fund erst ganz am Anfang. Es sollen jetzt im Rahmen eines internationalen, fachübergreifenden Forschungsprojektes weitere Untersuchungen zu den menschlichen Skelettresten und den Fundgegenständen durchgeführt werden. „Besonders DNA- und Isotopenanalysen lassen auf spannende Ergebnisse zur Herkunft und den Lebensbedingungen der in der Hasenleitengasse bestatteten Soldaten hoffen“, so Michaela Kronberger, Kuratorin des Wien Museums.
02.04.2025, red, wien.ORF.at/Agenturen

Link:
Stadtarchäologie
150 Soldaten in Grab in Simmering
 
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josef

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#14
Beeindruckender Fund
Erstaunlich großer Keller aus der Römerzeit in Wien entdeckt
Ein 450 Quadratmeter großer Keller aus dem vierten Jahrhundert wurde im Zentrum Wiens bei Ausgrabungen gefunden. Es könnte sich um Reste eines Gefängnisses handeln

So sieht die vorläufige Rekonstruktion des unterkellerten römischen Gebäudes am Bauernmarkt aus.
Wien Museum

Die Archäologie in einer dichtverbauten Stadt wie Wien muss stets Stückwerk bleiben: Ausgedehnte Ausgrabungen des Untergrundes sind in den seltensten Fällen möglich, und wenn doch, so wird oft nur in bereits gestörten Schichten gegraben. Vieles wurde in den vergangenen Jahrhunderten durch den Bau von Kellern, Leitungen und Garagen zerstört, erklärt die Leiterin der Stadtarchäologie, Kristina Adler-Wölfl. Bauprojekte wie der U-Bahn-Bau oder die Verlegung von Fernkälteleitungen sind willkommene Gelegenheiten, ein "Fenster aufzumachen, wo man normalerweise nicht hineinschauen kann".

Ein solches Fenster in die römische Vergangenheit Wiens öffnete sich bauarbeitenbedingt in den Jahren 2017 und 2021/22 im Bereich des Bauernmarktes an der Ecke zur Jasomirgottstraße. Das Fenster an der Oberfläche – eine Künette für den Fernkälteleitungsbau – gab ein Fenster im Untergrund frei. Dieser unscheinbare und dennoch spektakuläre Fund bot den Auftakt für intensive Forschung und die Grundlage für eine neue Ausstellung im Römermuseum am Hohen Markt.

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Grafik: sicQuelle: Stadtarchäologie Wien

Einzigartiger Fund
In der Künette tauchte zunächst in geringer Tiefe ein 1,2 Meter langer Steinquader auf. Dieser war die Deckplatte eines schmalen, nach unten gerichteten Fensters aus Steinblöcken. Vor diesem Fenster war eine steinerne Säule platziert – Licht und Luft konnten sicherlich nur sehr begrenzt durch das Fenster dringen. Bei der Säule handelt es sich um eine Spolie – sie war offensichtlich zweitverwertet worden und erfüllte ursprünglich eine andere Funktion an einem Gebäude.


Blick auf die Grabungsstätte im ersten Bezirk: Hier stießen die Archäologinnen und Archäologen auf Strukturen eines Kellerfensters (rechts im Bild); direkt davor befand sich eigenartigerweise eine Säule.
Stadtarchäologie Wien

Zu welchem Raum im römischen Legionslager Vindobona gehörte dieses Fenster? Weitere Befundaufnahmen ermöglichten dem Team der Stadtarchäologie eine Abschätzung der Ausmaße des Raumes: Es handelt sich um einen 450 Quadratmeter großen und aus Steinen gemauerten Keller, 29 Meter lang und fünf Meter tief. Die Dimensionen sind für ein solches Bauwerk im Bereich des Donaulimes einzigartig.

Der Keller als Tatort
An den nördlichen und südlichen Längsseiten wird der Raum außerdem durch jeweils eine parallel verlaufende separate Mauer begrenzt – eine Abgrenzung des Kellers zur Außenwelt. Zwischen der eigentlichen Kellermauer und dieser äußeren zweiten Wand verliefen Korridore. Am westlichen Ende des Raumes wurde eine ebenfalls aus Spolien bestehenden Steintreppe freigelegt, die zu dem Keller geführt haben dürfte. Das säulenverstellte Fenster war jedenfalls vom Boden des Kellers unerreichbar. Welche Funktion hatte also dieser unterirdische Raum, und wann wurde er errichtet?


Über diese Steintreppe ging es vermutlich in den Keller hinunter.
Beatrix Moshammer, Geologische Bundesanstalt

Die Ausstellung über den riesigen Keller aus dem vierten Jahrhundert dokumentiert nun auf lediglich dreizehn Quadratmetern, wie die moderne Archäologie arbeitet. Hypothesen werden erstellt und auf ihre Plausibilität abgeklopft. Auf diese Weise wurden verschiedene Funktionen, die für den Keller in Betracht gezogen wurden, wieder verworfen, wenn die Kontra-Argumente die Pros ausstachen. Die Archäologin und Kuratorin Sophie Insulander spricht diesbezüglich von einem Indizienprozess, in dem die verschiedenen Hypothesen abgewogen werden. Der Keller sei in diesem Fall der Tatort, die Funde dienen als Indizien.

Bei Brand zerstört
Die Datierung gelang anhand gefundener Keramiken. Unter dem Bereich der Treppe wurden Reste entdeckt, die in etwa auf das Jahr 350 unserer Zeitrechnung datiert wurden. Der Raum dürfte etwa ein halbes Jahrhundert genutzt worden sein. Nach dem Jahrhundertwechsel vom vierten in das fünfte Jahrhundert wurde der Keller aufgelassen und gänzlich mit Schutt und Abfall verfüllt – insgesamt rund 1800 Kubikmeter. Dazu gehören große Mengen Asche und Brandschutt, ein Hinweis auf eine Brandkatastrophe, die das Gebäude zerstörte.


Heute sind an der Kreuzung Bauernmarkt/Jasomirgottstraße kaum mehr Spuren der Bau- und Grabungsarbeiten zu erkennen.
Michael Vosatka

Das Bauwerk stammt also aus einer letzten Blütephase der Stadtgeschichte, in der Rom ein letztes Mal versuchte, die Herrschaft zu stabilisieren. Um das Jahr 350 verursachte ein Erdbeben schwere Schäden in Carnuntum und wohl auch in Vindobona. Unter der Herrschaft Valentinians I. wurde zu Beginn der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts ein umfassendes Bauprogramm zur Sicherung der Donaugrenze durchgeführt. Der Limes war bereits seit geraumer Zeit immer wieder Angriffen germanischer und sarmatischer Stämme ausgesetzt.

Weder Kultraum noch Lager
Um die staatlichen Strukturen finanziell aufrechterhalten zu können, waren die Einwohner der Grenzprovinz einer hohen Steuerlast ausgesetzt. Die Situation führte zu einem rapide fortschreitenden wirtschaftlichen Verfall, der schließlich im Kollaps mündete. Nach dem Jahr 400 brach die militärische Organisation der Limes-Verteidigung zusammen, Pannonien und damit auch Vindobona wurden im Jahr 433 von den Hunnen übernommen.


Das Kellerfenster an der Fundstätte.
Stadtarchäologie Wien

Welche Funktion dem großen Kellerraum in dieser unruhigen Zeit zugedacht war, wurde von den Stadtarchäologen wie in einem Kriminalfall analysiert. Als Hypothesen wurde eine Nutzung als Hauskeller, Mithräum, "horreum" oder "aerarium" und als "carcer" überlegt. Doch für einen einfachen Hauskeller ist die Anlage zu groß, außerdem ergibt sich keine Funktion für die vorgelagerten Korridore. Als Kultraum für den zu der Zeit weitverbreiteten Mithraskult käme ein unterirdischer Raum durchaus in Betracht. Üblicherweise hatten die Mithräen keine Fenster, dafür aber an den Seitenwänden gemauerte Bänke für die Teilnehmer an den kultischen Handlungen. Außerdem hatte ein Mithräum eher Höhlencharakter, was bei einer Raumhöhe von fünf Metern nicht gegeben ist. Eine Nutzung als Getreide- und Vorratsspeicher (horreum) wurde aus architektonischen Gesichtspunkten ebenso verworfen wie eine Verwendung als Safe für die Legionskasse (aerarium).


Aus der Ausstellung im Römermuseum: Verschiedene Nutzungen des Kellerraums wurden verworfen, weil sie wenig plausibel erscheinen.
Eva Kloimstein, Wien Museum

Für die Interpretation des Raumes als Gefängnis (carcer) sprechen hingegen mehrere wichtige Argumente und die beschriebenen architektonischen Elemente – die Tiefe des Raumes und seine Abschirmung durch die gemauerten Korridore sowie die bemerkenswerte Konstruktion des Fensters unterstreichen diesen Erklärungsansatz.

Zu viele Gefangene?
Die Nutzung als Kerker passt in die damalige Zeit der Eskalation, der bewaffneten Konflikte und der hohen Steuerlast. Wenn die Gefängnisse in den Legionslagern belegt waren, könnte an dieser Stelle ein Kerker angelegt worden sein.

Leider fehlt der entscheidende Beweis, bedauert Adler-Wölfl. Dieser könnte mit einer Entdeckung von Fesseln oder deren Verankerung in den Wänden erbracht werden oder auch durch entsprechende Graffiti oder einen Weihealtar für die Rachegöttin Nemesis. Im Jahr 1900 wurde in Carnuntum ein solcher Altar entdeckt, der vom Optio custodiarum (dem Leiter der Wachmannschaft) und zwei clavicularii (den Schlüsselverwahrern) gestiftet wurde. Adler-Wölfl und Insulander hoffen daher auf die Öffnung weiterer Fenster in diesem Bereich, die vielleicht die entscheidenden Indizien preisgeben können.
(Michael Vosatka, Julia Sica, 25.6.2025)

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Auf dieser digitalen Karte lassen sich die einstigen römischen Strukturen in Wien sowie etliche Funde nachvollziehen.
Erstaunlich großer Keller aus der Römerzeit in Wien entdeckt
 
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