Im Herbst 1939 begannen die Alliierten, Ziele im Deutschen Reich zu bombardieren, ab 1943 weitete man die Luftangriffe auch auf die sogenannten Alpen-Donau-Reichsgaue aus. Am 17. August 1940 stürzte die erste alliierte Maschine – ein britischer Bomber vom Typ Armstrong Whitworth Whitley, der eigentlich nach Bayern unterwegs war – über heutigem Bundesgebiet in Vorarlberg ab. In diesem Fall ist der Verbleib der Mannschaft zumindest geklärt: Die Bewohner nahmen Kontakt mit den Angehörigen der fünf Besatzungsmitglieder auf, um ihnen mitzuteilen, dass man die Toten begraben habe.
Ein derart „wohlwollender“ Informationsfluss zwischen den verfeindeten Nationen war allerdings die Ausnahme. Oft recherchieren Angehörige und Institutionen bis heute die genauen Umstände alliierter Flugzeugabstürze. Die einen aus emotionalem Interesse. Die anderen, weil jedes Flugzeugwrack, das unentdeckt in der Landschaft liegt, Gefahrenstoffe bergen kann – bis hin zu nicht detonierten Bomben.
Privat
Zwei festgenommene Angehörige der Besatzung von 1st Lieutenant Adam J. Hrostowsky, die nahe Wien-Schwechat abstürzte. Diese Aufnahme wurde am Folgetag in den Wiener Tageszeitungen veröffentlicht.
Downed Allied Air Crew Database
Hier setzten die beiden Historiker Nicole-Melanie Goll und Georg Hoffmann vom Haus der Geschichte Österreich (hdgö) an: Mit technischer Unterstützung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erstellen die beiden gerade eine digitale Landkarte alliierter Flugzeugabstürze, die helfen soll, die Wissenslücken zu schließen. Im Herbst 2019 soll die DAACDA (Downed Allied Air Crew Database Austria) in vollem Umfang online gehen – verwenden und ergänzen kann man sie allerdings schon jetzt.
Brautkleider aus Fallschirmseide
Gut möglich, dass diese Karte gerade für ländliche Nutzer ein Augenöffner ist, der klärt, warum Weidezaun oder Kuhtränke des Nachbarn seltsam wirken. Denn, so Hoffmann im Gespräch mit ORF.at: „Manche Flugzeugteile liegen bis heute an der Absturzstelle. Sie finden Verwendung als Zaunpfähle, Viehtränken oder auch als Abdeckungen für Scheunen.“ Seine Kollegin Goll hat sogar schon historische Kerosintanks, umgearbeitet zu Kinderspielzeug, gesehen. In manchen Kleiderkästen finden sich Taufkleider oder gar Brautkleider, die im Krieg aus der begehrten weißen Fallschirmseide gefertigt wurden. Doch was geschah mit der Besatzung, die mit dem Schirm zu Boden ging?
NARA
Der schwerste Angriff auf Graz während des gesamten Krieges. Am 2. April 1945 attackierten mehrere hundert US-Flugzeuge die steirische Gauhauptstadt.
Hoffmann und Goll haben Hunderte Fälle recherchiert. Und jede Geschichte ist anders. „Wir haben nicht nur Fälle auf heute österreichischem Boden recherchiert, sondern etwa auch in Ungarn“, sagt Goll. „Von 8.236 Besatzungsangehörigen, die abstürzten, kamen 2.568 direkt beim Absturz oder an den Folgen ums Leben. 5.506 Flieger überlebten den Absturz und die Gefangenschaft. Einige konnten flüchten. Und 480 wurden Opfer von Kriegsverbrechen – das bedeutet, ihnen wurde Gewalt angetan.“ 224 Flieger, sagt Goll, gelten bis heute als vermisst. „Aber zu den meisten dieser Fälle haben wir Informationen, die die Suche nach den sterblichen Überresten erleichtern.“
NARA
Der Fliegerbefehl von August Eigruber, dem Gauleiter von Oberdonau
„Terrorbomber“ und Lynchmob
Gegen Ende des Krieges kurbelten die Nationalsozialisten ihre Propagandamaschine noch einmal an. Alliierte Bomber mussten auf Weisung von Propagandaminister Joseph Goebbels in Presse und Amtssprache als „Terrorbomber“ bezeichnet werden. Wer abgestürzten oder notgelandeten Piloten half, machte sich selbst strafbar. Laut offizieller Weisung hatte die Polizei abgeschossene Piloten und deren Mannschaft festzunehmen und sie am nächsten Luftwaffenstützpunkt abzuliefern.
Jerry Whiting
Als am 22. März 1945 mehrere US-Flugzeuge über Wien abstürzten, kam es zu tumultartigen Szenen. Notgelandete Besatzungsangehörige wurden durch die Straßen der Stadt getrieben und misshandelt.
In der Praxis hing das Schicksal der überlebenden Mannschaft allerdings davon ab, wem sie als Erstes in die Hände fiel. Gut belegt ist beispielsweise das Schicksal eines afroamerikanischen Piloten, der 1945 südlich von Linz abstürzte. „Oberösterreich war damals ein heftig bombardiertes Gebiet“, so Hoffmann. „Die aufgebrachte Menge wollte den Mann sofort lynchen. Ausgerechnet ein Wehrmachtsoffizier ‚rettete‘ ihn zunächst aus dieser Situation und übergab ihn den Behörden.“
„Wir wehren uns“
Leider ging die Geschichte wenig ruhmreich weiter. Tagelang versuchten verschiedene NS-Funktionäre, den Piloten – sein Name war Walter Manning – aus dem Gefängnis im Fliegerhorst Hörsching zu holen, um ihn zu ermorden, was ihnen schließlich auch gelang. Die Nationalsozialisten hängten Manning an einer Laterne auf, um den Hals ein Schild mit den Worten: „Wir wehren uns!“
Jerry WhitingWalter
P. Manning wurde im April 1945 am Fliegerhorst Hörsching aus seiner Zelle geholt, schwer misshandelt und schließlich erhängt
So fanden die wenig später einrückenden US-Bodentruppen die Leiche. Das Interesse der US-Behörden an dem Fall sei aber auch relativ schnell wieder erloschen, erklärt Hoffmann weiter. Denn Schwarze galten in der US-Army, die damals strenge Rassentrennung praktizierte, als Menschen zweiter Klasse. 2018 gab es schließlich in Linz einen Festakt für Manning, zu dem sein bester Freund aus den USA anreiste. Fast 80 Jahre nach seinem Tod.
Mantel des Schweigens
Hat sich in einer Ortschaft ein Fall von „Fliegerlynchjustiz“ ereignet, liegt in der Regel bis heute ein Mantel des Schweigens über dem Ereignis. Im Gau Oberdonau kam es besonders oft zu „Zwischenfällen“ mit Fliegern, denn dort lag der einzige schriftliche Niederschlag des „Fliegerlynchbefehls“ vor, den Gauleiter August Eigruber an untergebene Stellen verlautbaren ließ. Aber auch in Straßgang, einem Randbezirk von Graz, wurden 1945, kurz vor Kriegsende, sechs Besatzungsmitglieder eines alliierten Flugzeugs ermordet.
Forschungsprojekt DAACDA
Karte der Flugzeugabstürze über dem heutigen Österreich zwischen 1940 und 1945
„Der daraufhin errichtete Gedenkstein wurde bis in die 1980er Jahre immer wieder geschändet“, erzählt Goll. Dabei sei ja schon dessen Inschrift falsch. Der Täter kam direkt aus dem Ort. Auf dem Stein, so Goll, heiße es jedoch „getötet von Nazi-Faschisten“. Also im Grunde: „Wir waren es nicht.“ Die Namen der Ermordeten, so Goll, suche man auf dem Stein vergeblich.
Goll/Hoffmann
Aufnahme des Fliegermord-Denkmals von Graz-Straßgang, das seit 1945 besteht
Mitleid mit den jungen Piloten
Es gibt aber auch andere Geschichten, etwa von Polizisten, die sich in Graz einem Erschießungsbefehl widersetzten und so dem US-Kopiloten Mac D. Moore 1945 das Leben retteten. Oder Geschichten von Frauen, die gestrandete Piloten fanden und in ihnen – statt der von der Propaganda angekündigten Monster – kaum 18-jährige Burschen erkannten. Buben im Grunde, wie sie sie selbst ins Feld geschickt hatten. Und die Mitleid hatten und halfen. Aber: Die unschönen Geschichten überwiegen.
Maya McKechneay, für ORF.at