"Unter dem Südbahnhof liegt der Zweite Weltkrieg"

Soundy

† (17. Juli 2020)
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Noch viele Blindgänger am Gelände vermutet

Wie viele Fliegerbomben und Blindgänger auf dem Gelände des Wiener Hauptbahnhofs schlummern, ist völlig ungewiss. Befürchtet werden viele, was den Bau von Tiefgaragen und Kellergeschoßen riskant – und möglicherweise deutlich teurer – macht, als angenommen - Von Luise Ungerboeck

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Wien – Der vom Bundesvergabeamt für nichtig erklärte Architektenwettbewerb für den Hochhauspark der Bahnhofscity wird nicht die einzige unliebsame Überraschung für die Hauptbahnhofbauer der ÖBB bleiben. Auch unter dem 57 Hektar großen Areal des Süd- und Ostbahnhofs schlummert jede Menge Gefahrenpotenzial.

Nicht einmal vage Auskünfte

"Unter dem Südbahnhof liegt der Zweite Weltkrieg", warnt ein mit der Sache vertrauter Eisenbahner, der anonym bleiben will, im Gespräch mit dem Standard. Er meint damit: Fliegerbomben, die bei den Bombardements der Alliierten in den Kriegsjahren 1944/45 abgeworfen wurden und seither im
Untergrund des Bahnhofs lagern. Mit wie vielen Entschärfungen und Bergungen verschütteter Blindgänger konkret zu rechnen ist, darüber gibt es nicht einmal vage Auskünfte. "Jede präzise Schätzung wäre unseriös", sagt Willibald Berenda, Leiter des Entminungsdiensts im Bundeskriminalamt. Man vermute österreichweit noch immer 15.000 bis 18.000 Blindgänger im Boden.

Nicht viel weiterhelfen kann auch Hofrat Wolfgang Etschmann vom Heeresgeschichtlichen Museum im Arsenal nächst des Bahnhofsgeländes. Wohl gebe es von den Bombenabwürfen viele Luftaufnahmen von Royal Airforce und US-Streitkräften, genaue Auswertungen, die über die zwischen April 1944 und März 1945 über Wien abgeworfenen (und tatsächlich explodierten) Bomben, fehlten aber. Wie viele Blindgänger bis 1945 geborgen wurden, weiß man nicht.

ÖBB-Bombensucher erwarten nur zehn Blindgänger

Für genaue Angaben zum Bahnhofsareal verweist Berenda vom Entminungsdienst auf den ÖBB-Kampfmittelräumungsdienst. Der spüre die Bomben auf und schalte dann das Innenministerium ein. Was Historiker überrascht: Die ÖBB-Bombensucher erwarten "nach eingehender Identifizierung der Verdachtsflächen" nur zehn Blindgänger. So recht trauen dürften die ÖBB der hauseigenen Analyse der Luftbilder allerdings nicht. Bahnhof-Sprecherin Alexandra Kastner betont, dass sechs Monate vor Beginn der umfangreichen Erdbauarbeiten Tiefensondierungen vorgenommen würden.

Störfelder aufzuspüren

Dabei werden alle 1,5 Meter Löcher gebohrt und Messsonden versenkt, um elektromagnetische Störfelder aufzuspüren. Dieser Aufwand wird allerdings nur dort betrieben, wo Tiefgaragen oder Pfähle geplant sind. So sieht auch das Budget für "Dekontamination und Einbautenumlegungen" aus: Es beträgt 44 Millionen Euro und muss neben der Entsorgung von Tonnen verseuchter Erde auch die der Kriegsrelikte abdecken. Dass das Geld reicht, bezweifeln hohe Bahnfunktionäre, zumal sich der Bund kaum daran beteilige. Die neuen Bauherrn am Hauptbahnhofgelände, wie Erste Bank und Seeste, können dafür übrigens nicht zur Kassa gebeten werden, die Kosten muss die ÖBB tragen. (Luise Ungerboeck/DER STANDARD Printausgabe 6.3.2008)

Quelle: http://derstandard.at/?url=/?id=3252337

Soundy
 
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