Tüpl. Allentsteig (Döllersheim] - Oflag XVIIA Edelbach

josef

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#1
Tüpl. Allentsteig (Döllersheim] - Oflag XVIIA Edelbach

Eine Flucht, ein Film und ein Mathematik-Genie
In Allentsteig errichteten einst die Nationalsozialisten ein Lager, in dem französische Offiziere untergebracht waren. Unter ihnen der Mathematiker Jean Leray
Das Waldviertel gilt zu Recht als romantisch. Auch als unwirtlich – das geht meist Hand in Hand. Diese Unwirtlichkeit war es, die vor achtzig Jahren die deutsche Wehrmacht bewog, dort einen riesigen Truppenübungsplatz zu errichten. Vierzig Dörfer wurden – in der offiziellen Diktion des Dritten Reichs – "menschenrein" gemacht, also evakuiert. Die Felder waren noch nicht abgeerntet, da probten dort schon die Panzer den Blitzkrieg. Das geschah 1938, zwischen "Anschluss" und Münchner Konferenz.

Den Truppenübungsplatz Allentsteig gibt es noch. Viele Österreicher haben ihn kennengelernt, nicht stets zu ihrer ungetrübten Freude. Ausgesprochen gut jedoch geht es den Wölfen, die dort seit einigen Jahren siedeln und die unberührte Natur genießen. Romantischer geht es nicht.

Grenze zur Traumwelt
Wenn dort auf einem aufgelassenen Friedhof, mitten im Wald, die Klänge der Marseillaise ertönen, scheint die Grenze zur Traumwelt überschritten. Die Hymne ertönt, weil heuer – wie alle paar Jahre – eine hochrangige Delegation jenen Ort besucht, wo fünftausend französische Offiziere von 1940 bis 1945 als Kriegsgefangene lebten, zusammengepfercht auf einem halben Quadratkilometer. "Klein-Sibirien" nannten sie den Fleck.

Inzwischen interessiert sich nicht nur Frankreich für das Oflag XVIIA (Oflag steht für "Offizierslager"). Auch im österreichischen Bundesheer finden sich Fans. Sie unterstützen die Untersuchungen des Archäologen Franz Pieler. Was der freilegt, ist zwar bald wieder überwuchert, doch das Wissen über das Lager wächst. Seit Jahrzehnten arbeitet der Historiker Andreas Kusternig an einem Buch darüber. Drei Höhepunkte heißen: Flucht, Film und Genie.

Die Flucht
Sie ist Hauptaufgabe jedes kriegsgefangenen Offiziers. Sobald klar wurde, dass der Krieg noch nicht aus war, wurden erste Fluchtpläne geschmiedet. Es gab ja sonst nichts zu tun: Gemäß Genfer Konvention dürfen Offiziere nicht für Arbeitsdienste herangezogen werden.

Nun war das Lager durch zwei Stacheldrahtzäune und zahlreiche Wachttürme gesichert. Also hieß es, einen Tunnel zu bohren. Das war auch den deutschen Wachmannschaften klar, die tagtäglich die Baracken inspizierten. Sie wurden Meister im Aufspüren raffiniert versteckter Tunneleingänge. Im Lauf der Jahre entdeckten sie einunddreißig davon. Den zweiunddreißigsten übersahen sie. Er befand sich nicht in einer Baracke, sondern in einem Freilufttheater direkt unter den Augen der Bewacher.

Die Tunnelarbeiten dauerten fünf Monate. Immerhin waren neunzig Meter durch steinigen Boden zu graben. Der Schacht war so eng, dass man nur auf den Knien durchrutschen konnte. Ein Rohr aus leeren Konservenbüchsen diente zur Entlüftung. Die Erde, die man so mühselig ausgebuddelt hatte, wurde unauffällig im Lager verteilt.

Lagerinsassen abgezählt
Die Lagerinsassen wurden beim täglichen Appell abgezählt, außer sonntags. Daher fand die Flucht in der Nacht vom Samstag, dem 18. September 1943, statt. Sie wurde in der folgenden Nacht prolongiert, gewissermaßen wegen des großen Erfolgs: Die Lagerwache hatte noch nichts bemerkt. 132 Offiziere durchkrochen das enge Loch. Im Zweiten Weltkrieg gab es keine größere Massenflucht aus einem Kriegsgefangenenlager.

Nach dem Tunnel befand man sich natürlich längst nicht in Freiheit, sondern auf einem der größten Truppenübungsplätze der Wehrmacht, also in der Höhle des Löwen. Die Siedlungen waren verlassen, die Kirchenglocken stumm, der Wald voll Uniformierter. Bald wurden die ersten Flüchtlinge ins Lager zurückgebracht; und im Lauf der Wochen die meisten anderen. Insgesamt entkamen nur vierzehn Männer.

Blamierte Wehrmacht
Die Wehrmacht sah sich durch den Ausbruch blamiert. Sie affichierte in den Baracken: "Ausbrechen ist kein Sport mehr." Entflohene würden ohne Anruf erschossen. Als ein halbes Jahr darauf 76 britische Flieger aus dem Oflag III bei Sagan ausbrachen, kamen 50 von ihnen um.

Im Oflag XVIIA gab es neben dem Theater auch ein Kino für die Gefangenen. Das Programm war natürlich von der deutschen Lagerleitung ausgewählt. Was die nicht wusste: Die Lagerinsassen konsumierten nicht nur Filme, sondern sie produzierten auch einen. Das musste natürlich unter strikter Geheimhaltung geschehen. Fotografieren und Filmen war strengstens verboten. Daher hieß der Film Sous le manteauUnter dem Mantel: Die Kamera blieb stets versteckt, und ein ausgeklügeltes Netzwerk von Spähern sorgte dafür, dass die Wachen nichts merkten.

Der Film ist ein einzigartiges Dokument. Gefilmt wurden nicht nur Alltagsszenen im Lager, sondern auch die abenteuerlichen Umstände der Dreharbeiten selbst: etwa, wie man Filmrollen in Holzpantoffeln versteckt oder einander vor dem Herannahen einer Kontrollstreife warnt.

Auch die Arbeit im Fluchttunnel wurde gefilmt. Offenbar war der Kameramann gegen Klaustrophobie immun. Und als nach der Massenflucht eine grimmig dreinschauende Kommission der Wehrmacht das Lager inspizierte, um herauszufinden, wie denn so ein Skandal geschehen konnte, da wurde auch die Kommission hinterrücks gefilmt.

Das Genie
Wie in anderen Offizierslagern auch durften die französischen Gefangenen Sport betreiben, eine Lagerzeitung herausgeben, musizieren und sogar eine Lageruniversität gründen. An der Spitze dieser Universität stand ein bescheidener Reserveleutnant der Artillerie namens Jean Leray. Der Mittdreißiger genoss in Fachkreisen bereits Weltruf als hervorragender Mathematiker. Also wurde er zum Rektor gewählt, was ihm gelegentlich Konflikte mit der Lagerleitung bescherte. Das Niveau der Universität war beachtlich. Die akademischen Grade, die sie verlieh, wurden später anstandslos anerkannt. Es gab Vorlesungen über fast alles, von Arabistik und Astronomie bis zum Zivilrecht und zur Zellteilung – und eben auch über Mathematik.

Leray hatte bisher über Hydrodynamik gearbeitet und über die Gleichungen von Navier-Stokes, einem der wichtigsten und rätselhaftesten Objekte der angewandten Mathematik. Nun sorgte er sich, dass die Deutschen ihn zwingen könnten, für sie zu arbeiten – Genfer Konvention hin oder her. Hydrodynamik konnte ja nützlich sein, etwa beim Entwerfen von U-Booten. Deshalb wandte sich Leray während seiner Haft der algebraischen Topologie zu. Das Gebiet war ihm weniger vertraut, aber eines schien klar: Anwendungen waren dabei keine in Sicht.

Mit deutschen Mathematikern vermied Leray jeden Kontakt; doch er durfte gelegentlich mit Schweizer Kollegen korrespondieren, und über diesen Umweg erschienen bereits 1942 unter seinem Namen kurze Berichte an die Académie des Sciences de Paris. Darin bedauerte er, unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage zu sein, die Neuheit seiner Theorie zu garantieren.

Keine Sorgen machen
Er hätte sich keine Sorgen machen müssen: Die Resultate waren von bahnbrechender Originalität und sollten die nächste Generation von Spitzenmathematikern begeistern. Gewissermaßen als Anerkennung wurde Leray 1942 zum Professor an der Sorbonne ernannt – rein symbolisch natürlich, denn seine unfreiwillige Adresse blieb ja weiterhin eine schlecht geheizte Baracke im Oflag XVIIA, worin er einen Raum mit hundert Leidensgenossen teilte. Erst 1945, nach der Befreiung, konnte er die Pariser Professur antreten und bald darauf einem Ruf ans Collège de France folgen, an Frankreichs prestigereichste Lehrkanzel.

Die algebraische Topologie überließ er Jüngeren und wandte sich wieder seinem Hauptthema zu, den partiellen Differentialgleichungen. Was für ihn ein Seitenthema gewesen war, gewissermaßen zur Tarnung aufgegriffen, entwickelte sich rasant zu einem der wichtigsten mathematischen Fächer der Gegenwart.

Jean Leray lebte bis 1998. Ihm wurden so ziemlich alle Preise und Auszeichnungen zuteil, die man für Mathematik erhalten kann. Doch seine beste Zeit, "his finest hour", war das heroische Intermezzo am Truppenübungsplatz Allentsteig. (Karl Sigmund, 2.5.2018)

foto: e. corre
Im tiefsten Waldviertel versuchten Gefangene, aus einem Lager auszubrechen – und drehten dabei. Der Kameramann war offenbar nicht klaustrophob


foto: gazette des mathematiciens
Zur Tarnung über Topologie gearbeitet: Jean Leray (1906–1998), Rektor der Lageruniversität

Eine Flucht, ein Film und ein Mathematik-Genie - derStandard.at
 

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#2
Oflag 17-A in Edelbach
Widerstand trotz Kriegsgefangenschaft

TRISTAN NIKISCHER

FRANZÖSISCHE KRIEGSGEFANGENE 1940.
FOTO: BUNDESARCHIV, BILD101I-055-1592-05A / WEBER, ROBERT / CC-BY-SA 3.0)

Sommer 1940. Frankreich, eine stolze Nation mit einer großen militärischen Vergangenheit, musste die Waffen niederlegen. Die Wehrmacht hatte die französische Armee in sechs Wochen besiegt. Für zwei Millionen französische Soldaten und Offiziere folgte die Kriegsgefangenschaft, die ihren Widerstand jedoch nicht brechen konnte, wie sich im Offizierslager 17 in Edelbach (nahe dem heutigen Truppenübungsplatz Allentsteig) in Niederösterreich zeigte.

Mannschaften und Offiziere wurden bei der Gefangenahme in getrennte Gefangenenlager gesteckt. Die Offiziere der französischen Armee kamen in die sogenannten Offizierslager (Oflag; Anm.). Sie waren im Gegensatz zu den einfachen Soldaten nicht zur Zwangsarbeit verpflichtet. Das Deutsche Reich beachtete in diesem Fall die Genfer Konvention, die besagt, dass Offiziere keine Zwangsarbeit leisten und mit dem gleichen Sold wie jene der Wehrmacht bezahlt werden müssen. Das geschah mit einem Hintergedanken: Die Gefangenen sollten durch vergleichsweise gute Behandlung zur Kollaboration gebracht werden. Die Mannschaften waren in großen Stammlagern (Stalag, Anm.) eingepfercht. Sie mussten unter härteren Bedingungen auf engstem Raum leben. Zusätzlich waren sie verpflichtet Zwangsarbeit zu leisten, etwa als Erntehelfer. Die Todesrate unter ihnen war höher. Diese Lager waren im ganzen Deutschen Reich in den jeweiligen „Wehrkreisen“ verteilt.

Oflag 17-A in Edelbach
In Edelbach (Wehrkreis 17 - daher Oflag XVII-A; Anm.) wurden 4.100 französische Offiziere und 600 Ordonnanzen ab Sommer 1940 in Gefangenschaft gehalten. Auch polnische Staatsbürger, die zuvor in der französischen Armee kämpften, waren in dem Lager. Dieses bestand aus einfachen Baracken, die ursprünglich für reguläre Einheiten der Wehrmacht am Truppenübungsplatz Döllersheim, heute Allentsteig genannt, gebaut worden waren. Döllersheim war damals einer der größten Truppenübungsplätze in Zentraleuropa. Er umfasste eine Fläche von 200 Quadratkilometern und wurde von der Wehrmacht 1938 errichtet. 7.000 Einwohner aus 45 Dörfern wurden deshalb zwangsumgesiedelt.
Die Baracken des Oflag 17 wurden durch einen Stacheldraht und Wachtürme gesichert. Das Lager bestand aus einer etwa 440 mal 530 Meter großen Fläche. Die Wachmannschaften bestanden hauptsächlich aus österreichischen Veteranen des Ersten Weltkrieges, die von der Wehrmacht wieder einberufen worden waren. Im Vergleich zu anderen Kriegsgefangenenlagern waren die Zustände im Oflag 17 relativ gut. In jeder Baracke gab es eine kleine Küche und einen Waschraum. Jedem Offizier standen zwei Duschgänge pro Monat zu. Außerdem gab es eine Kapelle, einen Sportplatz sowie ein Freilufttheater. In jeder Baracke waren circa 100 Gefangene untergebracht.


AUSBLICK EINES DEUTSCHEN WACHTURMS MIT MG AUF EIN ÄHNLICHES OFLAG.
(FOTO: RINALDUM/WIKIMEDIA)

Unter den französischen Offizieren waren viele bekannte Persönlichkeiten, wie etwa der spätere Präsident François Mitterrand. Eine geballte Menge an Intelligenz war im Lager versammelt. Deshalb gründeten die Offiziere im Oflag eine Universität (Université en Captivité), die bald 1.000 Studenten hatte und vom bekannten Mathematik-Professor Jean Leray geleitet wurde. Es wurden täglich viele Vorlesungen und Sprachkurse gehalten. Dissertationen, wie etwa ein Entwurf für eine französische Verfassung, entstanden. Ein Schwerpunkt der Forschung waren geologische Untersuchungen: Deshalb zählt heute der Boden des Lagers im Waldviertel zu den besterforschtesten geologischen Gebieten Österreichs. Das war einer der Verdienste der Kriegsgefangenen.

Vorurteile gegenüber Kriegsgefangenschaft
Rund um das Thema „Kriegsgefangenschaft“ gibt es - besonders in Frankreich - einige Problematiken, die es zu klären gilt:
1. Präsenz und Unbekanntheit - Warum ist das Thema aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verschwunden? Warum wurde es nicht erforscht?
2. Viele (falsche) Vorurteile, Gerüchte und Behauptungen - Waren die Offiziere in Kriegsgefangenschaft tatsächlich privilegiert?
3. Kollaboration – Leisteten Kriegsgefangene Offiziere keinen Widerstand oder Beitrag zum fortgeführten Kampf, sondern waren sie teilweise sogar Kollaborateure?

Unbekanntheit
Die Unbekanntheit/Verdrängung des Themas lässt sich anhand der Behauptungen und die daraus resultierenden Vorurteile, die bezüglich der Kriegsgefangenen nach Ende des Zweiten Weltkrieges verbreitet waren, erklären. Viele Franzosen sahen in der Niederlage von 1940 eine Schmach. Schließlich wurde die stolze französische Armee in wenigen Wochen überrumpelt und musste nach kurzer Zeit die Waffen niederlegen. Oftmals wurde den Offizieren die Schuld an dieser Niederlage gegeben. Außerdem wurden in der französischen Nachkriegsgesellschaft die sogenannten Gaullisten bevorzugt. Das waren die Anhänger des späteren französischen Präsidenten, Widerstandskämpfers und Generals Charles de Gaulle.
Die Kriegsgefangenen wurden dieser Gruppe nicht zugeordnet. Sie wurden außer Acht gelassen, da eben das Vorurteil bestand, dass sie keinen oder nur unzureichenden Widerstand geleistet haben, was aber schlichtweg falsch ist, wie sich etwa bei den Gefangenen des Offizierslagers 17 in Edelbach in Niederösterreich zeigte. Da man sich aufgrund dieser Vorurteile nicht mit der Aufarbeitung ihrer Schicksale beschäftigte, blieb diese Thematik lange unbehandelt. Sie wurde vergessen und verdrängt, die Vorurteile bestanden weiter und wurden in der Öffentlichkeit verfestigt. Die Aufarbeitung erfolgte erst Jahrzehnte später und das Großteils nur durch Gedenkvereine wie der „Association Mémoire et Avenir“.

DARSTELLUNG EINES GEFANGENEN DES OFLAG 17-A.
(FOTO: REDTD/NIKISCHER)

Das Vorurteil des Privilegs
Über die „Privilegien“ und die Versorgung der französischen Offiziere gab es viele falsche Behauptungen, etwa, dass sie sogar einmal die Woche „Champagner tranken“. Die Offiziere in Kriegsgefangenschaft mussten zwar keine Zwangsarbeit leisten, aber waren schlecht von den deutschen Wachmannschaften versorgt. Sie bekamen grünen Tee (vermutlich aus Gras gekocht) und 200 Gramm Brot pro Tag, was circa 500 Kilokalorien entsprach - viel zu wenig für einen Erwachsenen, der durchschnittlich 2000 Kilokalorien pro Tag benötigt, um sein Gewicht zu halten. Alkohol gab es generell gar keinen. Die Kriegsgefangenen waren also auf Pakete aus der Heimat angewiesen. Angehörige schickten ihnen alles Mögliche, das sie zum Überleben brauchten. Am wichtigsten war natürlich ausreichend Nahrung.
Da die Deutschen bei den Oflags die Genfer Konvention beachteten, konnten die Offiziere Kontakt zur Heimat wahren. Sie durften einen Brief pro Monat versenden. Kriegsgefangene Offiziere standen also etwas besser als die einfachen Mannschaften/Soldaten in Gefangenschaft da, von weitreichenden Privilegien kann jedoch bei näherer Betrachtung nicht die Rede sein.

Widerstand - Resistance

UNIFORM EINES KRIEGSGEFANGENEN OFFIZIERS.
(FOTO: REDTD/NIKISCHER)

Der Widerstand, den französische Offiziere in Kriegsgefangenschaft betrieben, ist weitgehend unbekannt. Die Gefangenen waren keine Kollaborateure. Zwar war in den Anfangsjahren des Oflags ein Viertel der Gefangenen Anhänger des sogenannten Vichy-Regimes unter Marschall Philippe Pétain. Dieses Regime war eine Marionetten- und Kollaborationsregierung in der unbesetzten Zone Frankreichs; der Regierungssitz war in der Stadt Vichy. Dies änderte sich aber mit dem Fortschreiten des Krieges, sowie dem Wendepunkt des Kriegsgeschehens, der 1942 (Schlacht von Stalingrad, die erste große Niederlage der Deutschen; Anm.) eintrat. Ab diesen Zeitpunkt gab es kaum mehr Anhänger des Regimes im Lager. Somit mag der Vorwurf der Kollaboration auf den ersten Eindruck nicht unberechtigt sein, hält aber keiner genaueren Betrachtung stand.

Der Widerstand der Gefangenen zeigte sich in verschiedenen Formen von passivem und aktivem Widerstand. Zum passiven Widerstand zählten allgemeiner Ungehorsam gegenüber den Wachmannschaften, das Hören von „Feindsendern“ und der Schmuggel von Waren und Briefen. Interessanterweise waren so die Gefangenen besser informiert als ihre deutschen Bewacher. Der aktive Widerstand zeigte sich vor allem in den diversen Fluchtversuchen, welche viele Ressourcen der Bewacher (etwa bei der Suche nach den Geflohenen) beanspruchten. Einer davon endete mit der größten Massenflucht („Grande Évasion“) aus einem Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg.

Dieser fand im September 1943 statt. Die deutschen Bewacher waren nämlich nachlässig und erlaubten den Gefangenen einen Garten in der Nähe des Freilufttheaters anzulegen. Mit Bäumen, Gebüsch und Pflanzen verdeckten sie die Sicht der Wachmannschaften. Die Franzosen gruben dann regelrecht vor den Augen der Bewacher einen Fluchttunnel. Das Werkzeug hierzu (Schaufeln und Schubkarren) bekamen sie ursprünglich vom Roten Kreuz, da dieses die Zustände des Lagers kritisierte, weil es keinen Luftschutzbereich gab. Sie sollten ursprünglich damit Luftschutzgräben ausheben, aber im Endeffekt entstand auch ein 90 Meter langer Fluchttunnel. In der Nacht vom 18. auf den 19. September 1943 konnten circa 132 Gefangene fliehen. Am 9. November gab das deutsche Kommando zu, dass 14 von ihnen immer noch auf der Flucht waren. Die geflohenen Franzosen gaben sich als Erntehelfer aus und konnten so teilweise untertauchen beziehungsweise sogar bis nach Frankreich gelangen.


AUSRÜSTUNGSGEGENSTÄNDE DER FRANZÖSISCHEN OFFIZIERE DES OFLAG 17-A.
(FOTO: REDTD/NIKISCHER)

Befreiung des Oflag 17
Ein Teil der Gefangenen wurde am Dienstag, dem 17. April 1945, durch die Deutschen evakuiert. Die „Nicht-Gehfähigen“, ungefähr 800 Franzosen, mussten zurückbleiben und waren „sich selbst überlassen“. Das Lager wurde am 9. Mai 1945 offiziell durch sowjetische Truppen befreit. Wenige Wochen später waren die Kriegsgefangenen wieder in der Heimat. Alle Ereignisse sowie das gesamte Lagerleben wurde in einem Dokumentarfilm, „Oflag XVIIA - Tournage clandenstin derrière les barbelés“, mit Original-Aufnahmen, die heimlich in der Gefangenschaft gedreht wurden, festgehalten. Die Kamera und Filmrollen wurden per Post ins Lager geschmuggelt, und die Insassen filmten mit einem ausgehöhlten Wörterbuch und unter ihren Mänteln versteckt den Lageralltag.

Gedenken und Zukunft - Association Mémoire et Avenir
Kameradschaftspflege, Gedenken, Abbau von Vorurteilen und Aufklärung über das Thema Kriegsgefangenschaft sind die wichtigsten Gründe, warum der Gedenkverein „Association Mémoire et Avenir“ gleich nach Kriegsende 1945 gegründet wurde. Anfangs beschränkten sich seine Aktivitäten vor allem auf die Kontaktpflege und den Erhalt der Kameradschaft unter den ehemaligen kriegsgefangenen französischen Offizieren. In den 1990er Jahren erweiterte der Verein seine Funktionen: Es wurde begonnen zur Thematik Kriegsgefangenschaft beziehungsweise Oflag eine breite (französische) Öffentlichkeit zu erreichen, ganz nach dem Leitsatz: Aufklärung und Gedenken, Erinnerung und Zukunft. „Mémoire et Avenir“ will Vorurteile und Trugschlüsse über das Thema und die Problematiken dahinter beleuchten beziehungsweise verringern. Die Vereinsangehörigen begannen in den 1990er und 2000er Jahren mit der Sammlung und Archivierung von historischen Gegenständen. Diese wurden in verschiedenen Ausstellungen in ganz Frankreich präsentiert.

Ausstellung „Oflag“
2015 entstand anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung der Lager eine Wanderausstellung. Diese erweitert sich ständig mit neuen Dokumenten, um den vergessenen Kriegsgefangenen zu gedenken. Die Ausstellung vermittelt mit Schautafeln, historischen Gegenständen und Original-Dokumenten die Bedingungen der Kriegsgefangenschaft. Besucher werden über die Gefangennahme der Offiziere, den Transport zu den Lagern, die Organisation und das Alltagsleben, die „Lageruniversitäten“ sowie die kulturellen, intellektuellen, technischen, künstlerischen und religiösen Aktivitäten, die im Lager stattfanden, informiert. Auch die Lebensmittelversorgung, die Gesundheit der Gefangenen und Einzel- beziehungsweise Massenfluchtaktionen bilden einen Schwerpunkt der Ausstellung, die durch „Mémoire et Avenir“ ins Leben gerufen wurde.


Das Österreichische Bundesheer, die französische Botschaft sowie der Verein „Mémoire et Avenir“ gedenken jährlich am „Tag der Befreiung“ der Kriegsgefangenen des ehemaligen Lagers Edelbach.

Tristan Nikischer, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.
Quelle: Widerstand trotz Kriegsgefangenschaft | Truppendienst
 

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#3
EDELBACH
Kriegsgefangenenlager im Waldviertel: Uni hinter Stacheldraht
NÖN Zwettl, 11. DEZEMBER 2022
Franz Rabl
Gefangene des Lagers Edelbach zeigten während des Zweiten Weltkrieges Widerstand mit Feder anstatt mit Schwert.
Vor rund 80 Jahren war das Kriegsgefangenenlager Edelbach nahe Allentsteig der Ort, an dem der Widerstand von über 5.000 französischen Soldaten und Offizieren gebrochen werden sollte. Dieses Vorhaben der Nationalsozialisten scheiterte jedoch im Waldviertel. Im Kampf gegen die Monotonie des Lageralltags richteten die französischen Offiziere eine Uni ein und schufen damit eine wahre „Exzellenzuniversität“ hinter Stacheldraht.

Nur wenige Jahre zuvor war Edelbach noch ein belebter Ort, etwa sechs Kilometer östlich von Allentsteig in flachem Gelände zwischen Taffa und der Thaya gelegen. Es war eine eigene Gemeinde, Pfarrort und besaß eine Schule. Bei der Aussiedelung Edelbachs zur Errichtung des Truppenübungsplatzes im Jahre 1938 bestand der Ort aus 60 Häusern.

Nachdem Frankreich die Waffen im Sommer 1940 gegen die deutschen Invasoren niederlegen musste, folgte für zwei Millionen Franzosen die Kriegsgefangenschaft, und auch das besagte Lager im Waldviertel wurde eingerichtet. Auf weniger als einem halben Quadratkilometer, hinter zwei Stacheldrahtzäunen, waren die Tausenden französischen sowie 170 polnische Offiziere in rund zwei Dutzend Baracken eingepfercht. Durch die Genfer Konvention waren die Gefangenen vor Zwangsarbeit geschützt, sie konnten sich mit Theater und Kino, Sport, Musik oder der Herausgabe einer Lagerzeitung beschäftigen.

Unter diesen Umständen konnte sich auch die „Lager-Uni“ entwickeln. Laut Vorlesungsverzeichnis wurden vorwiegend Lehrveranstaltungen in naturwissenschaftlichen Fächern abgehalten. Eine Reihe von Studenten konnten im Gefangenenlager Edelbach das Studium erfolgreich abschließen. Ihre in Edelbach entstandenen Dissertationen wurden später anerkannt. Dissertationen, wie etwa ein Entwurf für eine französische Verfassung, entstanden. Ein Schwerpunkt der Forschung waren geologische Untersuchungen: Deshalb zählt heute der Boden des Lagers im Waldviertel zu den best erforschten geologischen Gebieten Österreichs.

Trotzdem zeigte sich auch Widerstand. So ereignete sich im September 1943 die größte Massenflucht aus einem Kriegsgefangenlager des Zweiten Weltkrieges. Die deutschen Bewacher waren nämlich nachlässig und erlaubten den Gefangenen einen Garten in der Nähe des Freilufttheaters anzulegen. Mit Bäumen, Gebüsch und Pflanzen verdeckten sie die Sicht der Wachmannschaften.

Die Franzosen gruben dann regelrecht vor den Augen der Bewacher einen 90 Meter langen Fluchttunnel in die Freiheit. In der Nacht des 18. auf den 19. September 1943 konnten 132 Gefangene fliehen. Die meisten wurden bereits kurz darauf wieder eingefangen. Am 9. November bestätigte das deutsche Kommando allerdings, dass nach wie vor 14 von ihnen abgängig seien. Die geflohenen Franzosen gaben sich als Erntehelfer aus und konnten so teilweise untertauchen. Zwei von ihnen schafften es angeblich so sogar bis zurück nach Frankreich.
Kriegsgefangenenlager im Waldviertel: Uni hinter Stacheldraht
 
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