Rückblick auf das zerschlagene leistungsfähige Eisen- und Straßenbahnnetz in und um die Stadt Salzburg

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
Teil 1:
Alte Wege, neue Chancen
Vom Potenzial historischer Bahnstrecken
1737113658325.png

Bereits vor 120 Jahren verfügte die Stadt Salzburg über ein bei Gästen und Einheimischen beliebtes, leistungsfähiges Eisen- und Straßenbahnnetz, das erst 1940 zur NS-Zeit der Novität Oberleitungsbus weichen musste. Historiker und Verkehrsplaner diskutieren nun, welches Potenzial die Erfahrungen mit den historischen Stadtbahnen heute gegen Stau bieten.
Online seit heute, 12.00 Uhr
Teilen
Zwar ist in Salzburg die Erinnerung an die frühen Regionalzüge und Straßenbahnen – mit Ausnahme des nostalgisch verklärten musikalischen Evergreens „Zwischen Salzburg und Bad Ischl“ von Albin Ronnert und Heinz Musil oder wenigen persönlichen Eindrücken noch lebender Zeitzeugen – stark verblasst und wird nur selten durch Museumsfahrten, zuletzt 2009 am Mirabellplatz, wiederbelebt.

„Zurück an den Start“
250.000 Stimmberechtigte im Flachgau, Tennengau und der Stadt Salzburg haben im November 2024 gegen die unterirdische Verlängerung der Lokalbahn gestimmt. Die Politik sucht nun eine alternative Lösung für die Salzburger Verkehrsmisere.

Angesichts regelmäßig umfangreicher Staus auf den Straßen der Landeshauptstadt bei schwach ausgeprägter Öffi-Nutzung drängt sich aber der Blick in Salzburgs Vergangenheit mit Viereinhalb-Minuten-Takten und regelmäßiger Öffi-Nutzung durch den Großteil der Bevölkerung geradezu auf.

So entfielen etwa 2022 nur 27 Prozent aller zurückgelegten Kilometer in der Stadt Salzburg laut Verkehrserhebung des Landes auf öffentlichen Verkehr, dagegen 55 Prozent auf PKW. Welches Potenzial bieten da die historischen Strecken und sieben Jahrzehnte Erfahrungen mit Stadtbahnen zur Lösung der aktuellen Verkehrsprobleme? Welche Wege aus der gegenwärtigen Verkehrsmisere ließen sich aus der Verkehrsgeschichte Salzburgs ableiten?

Stadtarchiv Salzburg
Der „neue“ Hauptbahnhof, samt Lokalbahnhof und dem alten Hotel de l’Europe samt Stadtbahn ist auf dem Gemälde von Franz Kulstrunk 1916 unten links zu sehen

Mit ersten Öffis in die neue Zeit
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwachte Salzburg aus einem längeren Dornröschenschlaf seit dem Ende des Erzbistums 1803. Nach der Eingliederung in die Habsburgermonarchie brachte erst 1850 die Erhebung zum habsburgischen Kronland eine positive Wende, Salzburg lag aber weiterhin nur am Rand des Kaiserreichs und musste sich mangels nennenswerter Industrie Fremdenverkehr als Einnahmequelle erschließen. Mit dem Bau der Kaiserin-Elisabeth-Bahn – der heutigen Westbahn – rückte die Stadt 1860 schließlich zunehmend ins Visier von Salzburg-Reisenden.

Obwohl das Land und die Stadt seit jeher Verkehrsknotenpunkt etwa für den Saumhandel über die Tauern oder den Salztransport auf der Salzach waren, wurde erst mit Anbindung ans internationale Eisenbahnnetz Mitte des 19. Jahrhunderts die Grundvoraussetzung geschaffen, dass sich innerstädtisch Einiges entwickelte, sagt Historiker Johannes Hofinger vom Salzburger Stadtarchiv: „Dazu kommt, dass 1860 die Stadtmauer geschliffen wurde. Die Stadt konnte, wollte und musste wachsen.“ So legte man die technischen Errungenschaften auch auf den Stadtverkehr in Form von Tramways um, so Hofinger.

Fotostrecke
Stadtarchiv Salzburg
Pferdeeisenbahn in der Schwarzstraße zwischen Cafe Bazar und Landestheater (re.)
Stadtarchiv Salzburg
Eine der letzten Fahrten der Pferdeeisenbahn 1908 in der Markus-Sittikusstraße, im Bild eine Sommergarnitur mit Vorhängen zum Schutz der Passagiere gegen Regen
Stadtarchiv Salzburg
Dampftramway in der Schwarzstraße zwischen Stadtbrücke und Hotel Österreichischer Hof (heute Staatsbrücke und Hotel Sacher)
Stadtarchiv Salzburg
Dampftramway in der Imbergstraße mit Schild „Direkte Verbindung nach Berchtesgaden – Königsee“
Stadtarchiv Salzburg
Triebwagen der Gelben Elektrischen am Weg von der Stadtbrücke durch den Rathausbogen
Stadtarchiv Salzburg
Triebwagen der Gelben Elektrischen auf Höhe des Alten Kurhauses beim Schloss Mirabell
Salzburg AG
Die Festungsbahn ist Österreichs älteste Standseilbahn und seit Betriebsbeginn 1892 eine beliebte Touristenattraktion
Stadtarchiv Salzburg/Fotoatelier Würthle
Angetrieben wurde die Zahnradbahn zunächst mit Wasser, das in den Tank des jeweils talwärtsfahrenden Waggons gepumpt wurde
Stadtarchiv Salzburg
Ein Teil der Belegschaft der Gaisbergzahnradbahn posiert vor Lokomotive Nr. 2 und einem Personenwaggon in Salzburg-Parsch

Kombination mit Tourismusattraktionen
Die Stadtpolitik vertraute dabei aber nicht allein der Anziehungskraft der Sehenswürdigkeiten und Landschaft, sondern errichtete, zunächst um Gäste vom Bahnhof bequem zu den Hotels ins Zentrum zu bringen, eine Pferdeeisenbahn und alsbald eine Dampftramway, die in der Folge elektrifiziert wurde.


Stadtarchiv Salzburg
Der Außenaufzug auf den Mönchsberg bot einen Blick über die Altstadt – rechts unten im Bild die ehem. Bürgerschule anstelle des heutigen AVA-Hofs

Findige Geschäftsleute erkannten rasch die Bedeutung touristischer Attraktionen und so ging 1887 die Zahnradbahn auf den Gaisberg in Betrieb. Im selben Jahr baute Bankier Karl Leitner am Makartplatz am Gelände des heutigen Hotel Bristol das erste öffentliche Elektrizitätswerk der k.u.k. Monarchie und eröffnete 1890 einen elektrischen Aufzug an der Mönchsberg-Außenwand – Ähnlich dem etwa zeitgleich erbauten Eiffelturm in Paris – Ein technisches Wunderwerk, das zahlreiche Besucher anzog, wie Alois Fuchs im Buch „Salzburgs Nahverkehr – Eine Geschichte von der Postkutsche zur modernen Stadtbahn“ erinnert.

Schließlich wurde auch dem Wunsch des „Vereins für die Förderung des Fremdenverkehrs“ entsprochen und 1892 die Festung Hohensalzburg mit einer per Wasserballast betriebenen Standseilbahn – im Volksmund genannt „Tröpferlbahn“ – erschlossen. Die Festungsbahn ist damit Österreichs älteste Standseilbahn und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit bei Besuchern der Stadt.

Mit der Gaisbergbahn ist der Salzburger Hausberg 1887 zudem „ein Hotspot des städtischen Tourismus“ geworden. „Man konnte von Parsch aus, in einer angenehmen Fahrt der Zahnradbahn, den Gaisberg leicht erreichen und hatte einen schönen Blick auf die damals noch kleine Stadt. Gleichzeitig ist auch die Schafbergbahn in Betrieb gegangen. Es war wirklich eine Zeit der touristischen Erschließung der Höhen“, sagt Hofinger.

Die Gründerzeit der Straßenbahnen
Die damals „kleine“ Stadt Salzburg mit gut 30.000 Einwohnern (im Gegensatz zu 160.000 Einwohnern im Jahr 2024) – vor der Eingemeindung ihrer Nachbarn Gnigl, Aigen oder Itzling – begann auch „klein“ mit der Linienführung: Die Dampftramway fuhr vom Lokalbahnhof bis Grödig – St. Leonhard (Flachgau) und erschloss auch Hellbrunn.

Aus einem Innenstadtzubringer per Pferdeeisenbahn wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zwei Linien gebildet: Vom Lokalbahnhof zum Hangenden Stein bzw. nach St. Leonhard die rote Linie oder „Rote Elektrische“ und die, durch die Innenstadt führende Linie, „Gelbe Elektrische“, die im Volksmund bis heute als „rasende Eierspeis“ bekannt ist und auch irgendwie glorifiziert wird, erinnert Historiker Hofinger.

Dazu gab es die „Grüne Elektrische“ zum Königssee, dem beliebten Ausflugsziel im benachbarten Berchtesgaden (Bayern), sowie die „Salzkammergut Lokalbahn“ oder „Ischlerbahn“ nach Bad Ischl (Oberösterreich).

1737114056338.png
Straßenbahn fuhr 1910 im Viereinhalb-Minuten-Takt
Damit verfügte Salzburg bereits 1910 über ein Straßenbahnnetz, das nicht nur „Fremde“ – wie Touristen damals genannt wurden – sommers im Viereinhalb-Minuten-Takt und winters alle Siebeneinhalb Minuten durch die Stadt beförderte und zudem neue Attraktionen wie die Festungsbahn oder die Gaisberg-Zahnradbahn erschloss.

Der damalige Fahrplanintervall nötigt auch heute Verkehrsplanern Respekt ab. Selbst wenn dafür nicht die Fahrgeschwindigkeit maßgebend war, sondern zur Jahrhundertwende das geringe Verkehrsaufkommen durch Pferdefuhrwerke, Handwagen und Fußgänger, wie der Salzburger Ziviltechniker Rainer Kolator einräumt.


Stadtarchiv Salzburg
Blick vom Hauptbahnhof mit Straßenbahn Richtung Festung Hohensalzburg und Andräkirche

Hatte es der Gemeinderat 1903 angesichts voraussichtlicher Baukosten von 294.000 Kronen und einem befürchteten jährlichen Defizit von mehr als 10.000 Kronen noch abgelehnt, eine elektrische Bahn zu bauen, waren die Stadtväter sieben Jahre später vom Erfolg der Straßenbahn überrascht: Die tatsächlichen Beförderungszahlen und Einnahmen lagen 50 Prozent über den „ängstlichen Prognosen der Gutachter und kurzsichtigen Überlegungen der Stadt“, die das Bedürfnis für ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel „arg unterschätzt“ hatten.

Selbst angesichts vergleichsweise hoher Fahrtpreise – zwischen 1900 und 1916 kostete ein Fahrschein für eine einfache Fahrt jeweils 20 Heller bzw. den Gegenwert von 60 Dekagramm Roggenbrot oder 20 Dekagramm Rindfleisch – war die Straßenbahn eine Salzburger Erfolgsgeschichte. Erst nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland während des NS-Regimes war damit Schluss und ein vermeintlich „modernes“ Verkehrsmittel musste her.

örter Bürger und Geschäftsleute begleiteten den öffentlichen Verkehr in Salzburg von Beginn an: Vor Errichtung der Pferdeeisenbahn gab es sechs Jahre lang Proteste gegen deren Streckenführung – Der Sekretär des Erzbischofs befürchtete etwa durch Gleise am Kapitelplatz eine Störung der Gottesdienste im Dom, das Tiefbauamt hatte Bedenken wegen der Wasser-, Kanal- und Gasleitungen und ein Kaffeehändler sah sich durch die Bahn bei Verladearbeiten in der Kapitelgasse gestört.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2
Teil 2:

Bürgerproteste als wiederkehrender Begleiter der Öffis
Proteste empörter Bürger und Geschäftsleute begleiteten den öffentlichen Verkehr in Salzburg von Beginn an: Vor Errichtung der Pferdeeisenbahn gab es sechs Jahre lang Proteste gegen deren Streckenführung – Der Sekretär des Erzbischofs befürchtete etwa durch Gleise am Kapitelplatz eine Störung der Gottesdienste im Dom, das Tiefbauamt hatte Bedenken wegen der Wasser-, Kanal- und Gasleitungen und ein Kaffeehändler sah sich durch die Bahn bei Verladearbeiten in der Kapitelgasse gestört.



Stadtarchiv Salzburg/Klehr 1915, ORF/Georg Hummer
Eine der Straßenbahn vorausgehende Schaffnerin warnte Passanten 1915 am Kranzlmarkt vor der Gefahr der herannahenden Straßenbahn und stoppte Querverkehr aus der Klampferergasse

Auch dem Betrieb der elektrischen Straßenbahn ging heftiger Protest der Anrainer etwa in der Klampferergasse voraus. Sie sahen dadurch „ihre Lebensbedingungen zerstört“ und 1904 machten Denkmalschützer und der Heimatschutzverein gegen die Streckenführung durch die Altstadt mobil, die „unter allen Umständen von jeder Modernisierung verschont bleiben müsse“.

Ängste vor „Frevel an der Schönheit der Stadt“
Der Landespräsident und damals oberster Repräsentant des Kaisers in Salzburg, Clemens Graf Saint-Julien-Wallsee (heute erinnert die Saint-Julien-Straße an ihn) bezeichnete das Projekt der elektrischen Stadtbahn gar als „Frevel an der Schönheit der Stadt“, während selbsternannte Altstadtschützer eine Umfahrung der Altstadt mit einer „Ringbahn“ durch die Außenbezirke vorschlugen.



Stadtarchiv Salzburg/Franz Krieger, ORF/Georg Hummer
In der Dreifaltigkeitsgasse querte die Gelbe Elektrische den 4,40 Meter breiten Sauterbogen

1908 protestierten Vertreter der Handels- und Gewerbekammer vehement gegen die Trassenführung durch den Sauterbogen, über das Platzl, den Rathausbogen und den Kranzlmarkt und verlangten eine alternative Strecke über den Makartplatz und den Rudolfskai.

Befürworter verweisen auf Bahnen in anderen Städten
Immerhin 21 Geschäftsleute am Rathausplatz und aus der Getreidegasse begrüßten die Trasse über den Rathausplatz allerdings „wärmstens“ und verwiesen darauf, dass in allen Städten Deutschlands und Österreichs elektrische Bahnen zum Nutzen der Geschäfte durch viel schmälere Gassen kursierten.



Stadtarchiv Salzburg/Franz Krieger, ORF/Georg Hummer
Die Staatsbrücke beim Platzl nimmt seit Beginn des Öffentlichen Verkehrs in Salzburg eine zentrale Rolle

1909 schließlich ging die elektrische Stadtbahn zwar in Betrieb, für die Durchfahrt durchs Neutor musste allerdings die Fahrbahn auf zehn Meter verdoppelt werden. Erneut bezeichneten Stadtbahngegner die „Durchfahrung des spätbarocken Neutors als gänzlich verwerflich“. Landespräsident Levin Graf Schaffgotsch und Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand sprachen sich gegen die Verbreiterung aus.

Eisenbahnbehörde hilflos gegen Habsburger-Veto
„Mangels sachlicher Gründe“ konnte das Eisenbahnministerium die Nutzung des Neutors nicht untersagen, das Ansuchen blieb aber unbearbeitet. Erst das Attentat von Sarajevo am 28. Juli 1914 schuf eine neue Situation und im Dezember desselben Jahres wurde mit der Verbreiterung begonnen.

Fotostrecke
Stadtarchiv Salzburg
Postkarte zur Erinnerung an die Eröffnung der Strecke Ludwig-Viktor-Platz (heute Alter Markt) – Riedenburg der Gelben Elektrischen vom 1.3.1916
ORF/Georg Hummer
Beim Tunnelportal neben den Festspielhäusern erinnert eine Marmortafel an die Verbreiterung

ORF/Georg Hummer
„Die Erweiterung geschah wegen des ersehnten Stadtbahnverkehrs nach Riedenburg unter dem Bürgermeister Max Ott im Jahre des Weltkrieges 1915“

ORF/Georg Hummer
Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand hatte sich vehement gegen die Verbreiterung ausgesprochen, erst nach seiner Ermordung am 28. Juli 1914 war der Weg für die

So hartnäckig die Widerstände gegen den Bau der Stadtbahnen waren, so heftig war 1952/1953 die Kontroverse um die Einstellung der Südlinien der Lokalbahn: Eine eigens gegründete Interessentengemeinschaft aus Anif und Grödig, der Landwirtschaftskammer, der Mayr-Melnhof‘schen Marmorwerke und Forstdirektion, sowie des Zementwerks Leube, des Lagerhauses Parsch und 20 weiterer Industrie- und Handelsbetriebe von Parsch bis Grödig machten sich für den Erhalt der 70 Jahre zuvor errichteten Bahnlinie stark.

Tausende kämpfen vergeblich um Erhalt der Ischlerbahn
Ähnliche Proteste begleiteten die Einstellung der Ischlerbahn: 1957 brachten Sonderzüge 6.000 Salzkammergut-Bewohner nach Salzburg, die hier ihrem Ärger über die Schließung Luft machten. Der Thalgauer Sprengelarzt Theodor Reitsamer schrieb gar dem damaligen Verkehrsminister Karl Waldbrunner (ÖVP) „Zutiefst empört und verbittert steht die gesamte Bevölkerung des Salzkammergutes vor der Tatsache der nun eingestellten Lokalbahn.

Empört deshalb, weil sie es nicht verstehen kann und will, daß die obersten Behörden des Staates, und im besonderen Fall das zuständige Verkehrsministerium, keine Spur des Willens für die Erhaltung der Bahn gezeigt und das Verlangen der Bevölkerung nach Erhaltung der Bahn glatt ignoriert haben.“

Fotostrecke mit 3 Bildern
Stadtarchiv Salzburg
Im August 1890 wurde die Konzession der Salzkammergut-Lokalbahn zwischen Salzburg und Bad Ischl (OÖ) mit einer Zweiglinie nach Mondsee (OÖ) erteilt
Stadtarchiv Salzburg
Gegen die Einstellung der „Ischlerbahn“ protestierten am 21. September 1957 rund 6.000 Bewohner aus dem Salzkammergut mit einem Schweigemarsch und einer Kundgebung am Residenzplatz

Stadtarchiv Salzburg
Aller Protest blieb vergeblich, die 63,1 Kilometer lange Direktverbindung zwischen dem Salzkammergut und der Stadt Salzburg wurde am 30. September 1957 eingestellt
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#3
Teil 3:

Der Obus ersetzt die Straßenbahn
In der Landeshauptstadt muss 1940 die Straßenbahn dem Obus weichen. „Die Nationalsozialisten waren gerade in der Anfangsphase um technische Modernisierung bemüht, haben Traktoren in die Landwirtschaft gebracht und so weiter. Für sie war die Gründung der städtischen Verkehrsbetriebe 1940 ein großer Meilenstein im Salzburger Nahverkehr. Entsprechend ist auch die Umstellung von Bahn auf Bus in der Stadt propagandistisch ausgewertet worden“, sagt Historiker Hofinger.

Der Obus verkehrte von Beginn – sogar durch die Getreidegasse – bis Maxglan zum heutigen Hans-Schmid-Platz und wurde bereits nach einem Monat zur Ringlinie „Bahnhof – Zentrum – Maxglan – Lehen – Bahnhof“ erweitert, lediglich die Obuslinie auf den Gaisberg kam nie über das Planungsstadium hinaus.

Stadtarchiv Salzburg/Salzburger Volksblatt
Das Salzburger Volksblatt berichtet am 2. Oktober 1940 euphorisch: „Im Reiche stehen bereits eine Reihe von Obus-Anlagen in Betrieb. Die Salzburger Anlage aber ist die erste dieser Art in der Ostmark. Salzburg ist eben immer voran!“

Der spätere Direktor der Salzburger Verkehrsbetriebe, Otto Holzbauer, führt die Vergrößerung des Stadtgebiets durch die Eingemeindungen ab 1935, das Beschleunigungsverhalten der Busse, deren Geräusch-, Rauch- und Geruchlosigkeit, sowie die Beweglichkeit in den engen Gassen, den günstigen Antrieb durch Strom und die einfachere Streckenausrüstung als Argumente für den Obus an.


Politik seit 1960ern von Individualverkehr „überrollt“
Wie sehr der rasch wachsende Individualverkehr die auf denselben Straßen verkehrenden Obusse zunehmend blockieren würde, war damals den Entscheidern nicht bewusst.

Nach zwei Jahren lediglich im 15-Minuten-Takt verkehren Salzburgs Obusse zwar laut Fahrplan heute immerhin wieder im Zehn-Minuten-Takt – die Salzburg AG musste dazu aber 300 Stellen für Obuslenker besetzen.

Der Umstand, dass sich Obus und Autos trotz zahlreicher Busspuren auf vielen Strecken und Kreuzungen die vorhandene Straßenfläche gegenseitig nehmen, führt im Alltag weiter zu regelmäßigen Verspätungen im Öffi-Betrieb. Ein Viereinhalb-Minuten-Takt, wie es ihn zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Salzburg bereits gab, ist für Fahrgäste der Gegenwart selbst mittelfristig illusorisch.

Fotostrecke

Stadtarchiv Salzburg/Franz Krieger
Zusammentreffen des ersten Obusses und der letzten Gelben Elektrischen 1940 am Makartplatz

Stadtarchiv Salzburg/Franz Krieger
Fahrgastraum mit Kunstleder-Polstersitzen der neuen Obusse der Brown-Boveri-Werke (BBC)

Stadtarchiv Salzburg/Franz Krieger
Drei festlich dekorierte Obusse warten zur Eröffnung des Betriebes am 1. Oktober 1940 am Sigmundsplatz auf die Festgäste

ORF/Georg Hummer
In der Dreifaltigkeitsgasse fahren die Obusse heute exakt entlang der Strecke der historischen Straßenbahnen

ORF/Georg Hummer
Zwölf Obuslinien mit insgesamt 128 Kilometer Länge beförderten 2023 in Salzburg ca. 35 Millionen Fahrgäste

ORF.at/Georg Hummer
Pro Jahr legen die Salzburger Obusse mit 4.621 Sitzplätzen und 14.239 Stehplätzen ca. 5,5 Millionen Kilometer zurück

ORF.at/Georg Hummer
Der zentrale Verkehrsknoten im sternförmigen Obusliniennetz ist an der Staatsbrücke zwischen Rathaus und Platzl

ORF/Georg Hummer
Gut 270 Autobuslenker der Firma Albus befördern im Linienverkehr in und um Salzburg pro Jahr ca. zwölf Millionen Passagiere

ORF.at/Georg Hummer
Die neueste Obusgeneration der Firma HESS kann im Akkubetrieb auch ohne Oberleitung längere Strecken zurücklegen

ORF/Georg Hummer
Seit 2002 veranstaltet der Verein „Pro Obus Salzburg“ regelmäßig Ausfahrten mit historischen Obussen – hier eine Werbefahrt von Unterstützern der unterirdischen Verlängerung der Lokalbahn

APA/Friedrich Neumüller
Nach erfolgreichem Testbetrieb hat Albus seit 2023 inzwischen 14 Elektrobusse mit Akkus im Einsatz, in den nächsten zwei bis drei Jahren sollen weitere 70 dazukommen, den Strom dafür werden PV-Panele am Dach des Betriebshofs erzeugen

Potenzial der historischen Stadtbahnen
Aus der Geschichte des Nahverkehrs in Salzburg lasse sich für die Gegenwart Einiges lernen, ist Verkehrsplaner Kolator überzeugt: So habe der generelle Verzicht auf die Straßenbahn und der Einsatz von Obussen zwar Vorteile gebracht, die dauerhafte Beschränkung auf lediglich ein Verkehrssystem verenge aber die Perspektive und verhindere, die Vorteile alternativer Systeme in Erwägung zu ziehen.


Mehr zum Thema
Bevölkerung spricht sich gegen S-Link aus


Nachdem sich im November 2024 bei der S-Link-Volksbefragung die Mehrheit gegen die unterirdische Verlängerung der Lokalbahn aussprach (Insgesamt 53,2 Prozent der 249.600 stimmberechtigten Personen sagten Nein, lediglich im Flachgau überwog die Zahl der Befürworter mit 53,8 Prozent), sollten jetzt möglichst verschiedene Verkehrssysteme – von der Gondelbahn bis zur Straßenbahn, vom Light Rail (Anm.: Schienengebundenes Fahrzeug) bis zu Obussen und anderen Buslösungen – in Erwägung gezogen werden, sagt Kolator.

„Wir haben heutzutage auf unseren Straßen eine sehr starke Belastung durch KFZ-Verkehr. Es ist nicht einfach, sowohl für den Obus als auch für Straßenbahnen da durchzufahren, aber grundsätzlich ist alles denkbar. Straßenbahnen haben einen günstigeren Radius und bewältigen auch Steigungen gut, sie können ähnlich wie Busse fahren, so dass man sie auch auf einer Busspur führen könnte“, sagt Kolator. 20 neue Lokalbahn-Garnituren, die ab 2026 nach Salzburg geliefert werden, sind als „Tram-Trains“ sowohl zum Betrieb als Eisenbahn als auch als Straßenbahn geeignet.

Fotostrecke
Salzburger Verkehrsverbund/ Salzburg Linien Verkehrsbetriebe GmbH
97 Millionen Euro werden in 20 neuen Lokalbahngarnituren investiert, die auch als Straßenbahnen betrieben werden können
ORF/Georg Hummer
4,8 Mio. Fahrgäste pro Jahr befördert die Lokalbahn auf 38 Kilometern Strecke zwischen Salzburg und dem nördlichen Flachgau

ORF/Georg Hummer
Seit 1996 fährt die Lokalbahn neben dem Engelbert-Weiß-Weg unterirdisch in den Bahnhof ein

ORF.at/Georg Hummer
Die Lokalbahn – im Bild die Remise in Salzburg-Itzling – transportiert auch Güter z.B. für die Salzburger Abfallbeseitigung, Frankstahl, Frenkenberger oder Raiffeisen

ORF/Georg Hummer
Bei der Volksbefragung im November 2024 entschied sich die Mehrheit gegen das S-Link-Projekt

Bereits 1986 stellte Bürgermeister-Stellvertreter Gerhard Buchleitne im Vorwort eines Fachbuches über den Salzburger Nahverkehr fest, dass der Ausbau des Straßennetzes in Salzburg weder möglich noch sinnvoll sei: „Eine Lösung der Verkehrsprobleme … kann nur erreicht werden, wenn es gelingt, den Einsatz des privaten Autos auf ein vernünftiges Maß zurückzudrängen und unsere Bürger zum Umsteigen auf alternative Verkehrsmittel zu bewegen.“

Als Voraussetzung dafür sah Buchleitner „vor allem die Hebung der Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel“ etwa durch Beschleunigung der Busse, neue Linien, Busstraßen Intervallverkürzungen „sowie die Verlängerung der Lokalbahn ins Stadtinnere“ an. 2024 sprach sich Buchleitner allerdings gemeinsam mit anderen Altpolitikern von SPÖ, ÖVP und FPÖ öffentlich gegen die unterirdische Lokalbahnverlängerung aus.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#4
Teil 4:

Bürgerauftrag: „Überlegt euch etwas anderes!“]
Aus dem jüngsten Nein zum S-Link in zwei von drei befragten Bezirken sei der Bürgerauftrag „überlegt euch etwas anderes!“ abzuleiten und nicht Milliarden in wenig konkrete unterirdische Projekte zu investieren, sondern leistungsfähigen Öffentlichen Verkehr an der Oberfläche zu schaffen. „Wesentlich ist, das öffentliche Verkehrsnetz rasch zu verbessern. Dazu gehört neben der Linienverdichtung auch eine Taktverdichtung“, betont Kolator.

Die Konkurrenzfähigkeit der Eisenbahn, belegen dabei 8,6 Millionen Fahrgäste, die allein 2023 die drei bestehenden Salzburger S-Bahn-Linien nutzten. Auch die Einbindung vorhandener Strecken, wie etwa der Stieglbahn durch Taxham und Maxglan in deren Einzugsgebiet gut 16.000 Einwohner leben, wäre ebenso denkbar, wie die Anbindung des Messegeländes in Liefering samt großem Park&Ride-Platz an die Salzburger Lokalbahn.

Fotostrecke
ORF/Georg Hummer
3,4 Kilometer lang ist das Gleis der Stieglbahn zur gleichnamigen Brauerei in Salzburg-Maxglan
ORF/Georg Hummer
Mehrmals wöchentlich werden hier Gütertransporte von und zur Brauerei durchgeführt, seit 1988 ist die Bahn auch für Personentransporte zugelassen

ORF/Georg Hummer
Im Umkreis der Stieglbahn befinden sich zahlreiche große Wohnanlagen, wie etwa hier am Gelände der ehem. Struber-Kaserne

ORF/Georg Hummer
Oberhalb der Guggenmoosstraße an der Glan, mündet die Stieglbahn in die Gleise der Westbahn Richtung Freilassing

S-Link
Für den Abzweiger der Lokalbahn zum Messegelände in Salzburg-Liefering gibt es bislang erst Pläne und diese Visualisierung

ORF.at/Georg Hummer
Das Radwegenetz der Stadt Salzburg umfasst aktuell eine Länge von 195 Kilometern, das Straßennetz derzeit 560 Kilometer

„Bürger denken moderner als Politiker“
Letztendlich müsse man Flächen, die man dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stelle, anderswo wegnehmen. "Das könne nur der Individualverkehr sein, denn Radverkehr ist wie Fußgängerverkehr nicht flächenintensiv. Ich denke mir, die Bevölkerung ist teilweise schon bereiter oder denkt sogar etwas moderner als die Verwaltung und die Politik, die immer ein bisschen Angst vor dem Wähler hat und niemanden vergrämen möchte“, ergänzt Kolator.



Stadtarchiv Salzburg/Franz Krieger, ORF/Georg Hummer
Vor dem Schloss Mirabell befindet sich gegenwärtig eine zentrale Umsteigestelle vom Obus auf die Regionalbusse der ÖBB

Quellen:
  • Stadtarchiv Salzburg
  • Salzburg AG Tourismus GmbH
  • ÖBB Salzburg
  • Statistik Austria
  • Land Salzburg
  • Alois Fuchs (1986). Salzburgs Nahverkehr : Hundert Jahre Dampftramway, Rote Elektrische, Gelbe, Obus ; Eine Geschichte von der Postkutsche zur modernen Stadtbahn. Verlag Alfred Winter
  • Gerhard Mayr (2004). Salzburgs „gelbe Elektrische“: Der innerstädtische Nahverkehr der Landeshauptstadt zwischen Pferdebahn und Obus ; 1887 – 1945. Verlag Pospischil Wien
17.01.2025, Georg Hummer, salzburg.ORF.at

Links:
Vom Potenzial historischer Bahnstrecken
 
Oben