Prohibition: Vor 100 Jahren trat in den USA ein landesweites Alkoholverbot in Kraft

josef

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#1
Das gescheiterte Experiment der Prohibition
Vor 100 Jahren trat in den USA ein landesweites Alkoholverbot in Kraft. Die Maßnahme führte vor allem zum Erblühen des organisierten Verbrechens
Frank Herrmann aus Washington:

18. Juni 1931: In New York zerstören für die Prohibition zuständige Beamte zahlreiche Bierfässer. Zwei Jahre später wurde das Experiment des landesweiten Alkoholverbots wieder aufgehoben.
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Al Capone (rechts) war einer der Nutznießer des Alkoholverbots.
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6. Mai 1932: Ein Schnellboot mit einer Ladung Alkohol wird in Newburyport in Massachusetts beschlagnahmt.
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Das Alkoholverbot war gerade einmal zwei Stunden in Kraft, da wurden bereits die ersten Festnahmen gemeldet. In Peoria, einer Industriestadt in Illinois, beschlagnahmten die Behörden zwei Lastwagenladungen Whiskey. Die Kisten waren, wie die zuständige Finanzverwaltung erklärte, von Mitarbeitern der Destillerie, die den Whiskey hergestellt hatte, aus der fabrikeigenen Lagerhalle gestohlen worden, um die Ware später mit großem Gewinn zu verkaufen.

Den späteren Präsidenten Warren Harding verhaftete keiner, als er Hochprozentiges im Wert von 1600 Dollar aus seinem Washingtoner Privathaus in seine Amtsräume im Senat bringen ließ, damit er nicht auf dem Trockenen sitzen musste.
Von Anfang an trieb sie seltsame Blüten, die Prohibition. Vor genau 100 Jahren, am 16. Jänner 1920, trat, nachdem im US-Kongress wie in den bundesstaatlichen Parlamenten die notwendigen Mehrheiten zustande gekommen waren, der 18. Zusatzartikel zur Verfassung in Kraft. Er verbot die Herstellung, den Verkauf und den Transport alkoholischer Getränke in den Vereinigten Staaten.

Bierkonsum massiv gestiegen
Eine Minute nach Mitternacht schwärmte die Anti-Saloon League, die mächtige Interessenvertretung der Alkoholgegner, es werde eine neue Nation geboren. Seit Jahren hatten die Temperenzler im Bund mit evangelikalen Fundamentalisten, mit Frauenverbänden und schließlich auch mit dem Progressive Movement, der großen Reformbewegung jener Zeit, für die Prohibition gekämpft. In einem Land, in dem etwa der Bierkonsum drastisch gestiegen war, von 36 Millionen Gallonen (eine US-Gallone entspricht 3,78 Litern) 1850 auf 855 Millionen im Jahr 1890.

Werde eine Familie oder auch ein ganzes Land durch den Alkohol verführt, sei man dem Niedergang geweiht, bis man im Verderben ende, hatte Richmond Hobson, Abgeordneter aus Alabama und einer der fanatischsten Fürsprecher des Verbots, in düsteren Worten gewarnt. Ein nüchternes Land dagegen erreiche eine höhere Stufe der Zivilisation.

Dass die bekanntesten Biermarken zumeist auf deutsche Einwanderer zurückgingen und Deutschland im Ersten Weltkrieg der Gegner war, wusste die Prohibitionsfraktion gleichfalls für sich zu nutzen. Der Feind stehe nicht nur am anderen Ufer des Atlantiks, wetterte der Republikaner John Strange und zählte die Namen heimischer Bierbrauerdynastien auf: Pabst, Schlitz, Blatz, Miller.

Mit einem Knopfdruck war alles weg
Es ist nicht so, dass das Verbot wirkungslos blieb. Tatsächlich tranken die Amerikaner durchschnittlich weniger Alkohol, im Lauf der folgenden Dekade etwa 30 Prozent weniger. Natürlich blieb das weit hinter den Erwartungen der Anti-Saloon League zurück, was nicht zuletzt am grenzenlosen Einfallsreichtum unzähliger Barbetreiber lag. Allein in New York gab es Ende der 1920er-Jahre, so schätzte es damals der Polizeichef der Stadt, ungefähr 32.000 illegale Lokale. Im legendärsten, dem Club 21 in Manhattan, hatten sie sich ein raffiniertes Prozedere ausgedacht, um den Tresen buchstäblich auf Knopfdruck verschwinden zu lassen, falls Kontrolleure im Anmarsch waren.
Alarmiert durch einen Türsteher, ließ der Barkeeper sämtliche Flaschen in einen Schacht rauschen, wo sie an einem Geflecht aus Eisenstäben zerschellten und schließlich auf einem Steinhaufen im Keller landeten. Was blieb, waren Scherben und der Geruch von Schnaps. Wobei Gerüche allein als Beweis nicht zählten. "Speakeasy" wurden die Lokale im Volksmund genannt: Wer Verbotenes tat, sollte leise sprechen, auf dass die Runde der heimlichen Trinker nicht schon durch ihre Lautstärke Verdacht erregte.

Al Capone sorgt für Alkohol
Was die Fürsprecher der Prohibition offenbar überhaupt nicht oder zu wenig bedachten, waren die unerwünschten Nebenwirkungen. Sie ließ Schmugglernetzwerke entstehen, vor allem entlang der kanadischen Grenze, und das organisierte Verbrechen aufblühen. In Chicago war es Al Capone, der berüchtigte Mafiaboss, der im Zusammenspiel mit der Purple Gang aus Detroit für ständigen Nachschub sorgte – täglich 1500 bis 2000 Kisten Schnaps.

Die Prohibition, zieht der Buchautor Daniel Okrent in seinem Bestseller Last Call nüchtern Bilanz, habe sich in jeder Beziehung als Fehlschlag erwiesen. Sie habe der Kriminalität Vorschub geleistet, den Fiskus dringend benötigter Einnahmen beraubt und die Rechte des Einzelnen in empfindlicher Weise eingeschränkt. Und obendrein den Verwaltungsapparat durch eine Flut an Bestechungsgeldern korrumpiert.
Als das Kapitel 1933 beendet wurde, genügte dem Kongress in Washington ein einziger Satz: "Der 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten ist hiermit aufgehoben."
(Frank Herrmann aus Washington, 16.1.2020)

Links:
Alkohol ist leider immer schädlich, leider
Zu viel Alkohol kann bis zu 17 Lebensjahre kosten
Das gescheiterte Experiment der Prohibition - derStandard.at
 

josef

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#2
...dazu ein ARD-Beitrag über Tennessee und der Whisky-Brennerei "Jack Daniel" in Lynchburg:

100 Jahre US-Prohibition: Ein trockenes Vergnügen
Lynchburg im US-Bundesstaat Tennessee wurde weltberühmt, als Jack Daniel 1866 begann, hier Whisky zu brennen. Das Paradox: Bis heute sitzt das Städtchen auf dem Trockenen - die Prohibition wurde hier nie abgeschafft.
Von Katrin Brand, ARD-Studio Washington
Hm, sehr gut dieser Nachtisch, Schokoladen-Toffee-Kuchen mit Schlagsahne. Aber Moment mal, in der Sahne ist doch Alkohol drin! Na klar, sagt Debbie, die Managerin von Miss Mary Bobo´s Restaurant. "Das war Fudge Pie mit Jack Daniel Schlagsahne!" Aber, das ist hier doch ein trockenes County? Naja. "Wir dürfen damit kochen, wir dürfen bloß nicht in die Stadt gehen und ihn kaufen. Wir müssen den Alkohol nebenan in Tullahoma kaufen und dann hierher bringen. Aber es gibt kein Gesetz, das das Kochen mit Alkohol verbietet!"

Lynchburg, Tennessee, liegt etwa anderthalb Autostunden südöstlich von Nashville. Ein winziges Städtchen in einem winzigen Landkreis, in dem die Prohibition nie wirklich zu Ende gegangen ist. Was nicht weiter interessant wäre, würde nicht in Lynchburg der meistverkaufte amerikanische Whisky gemacht, Jack Daniel´s.

Heimat von Jack Daniels sitzt auf dem Trockenen
Es ist eine Kombination, die Landrätin Bonnie Lewis ziemlich lustig findet. "Wir machen hier immer den Witz, dass wir das feuchteste trockene County im Staat sind", sagt sie mit ihrem breiten Tennessee-Akzent. Und auch Chris Flechter, Meisterbrenner bei Jack Daniel, amüsiert sich. "Ich weiß nicht, ob es nützt oder schadet. Es ist eben ungewöhnlich hier in Moore County", sagt Chris, der hier aufgewachsen ist.

1866 begann Jack Daniel, ein körperlich kleiner, beharrlicher Unternehmer im Örtchen Lynchburg Whisky zu brennen. Die Spuren der ersten Destille sind heute noch zu sehen. Jed Lirette, ein vergnügter junger Einheimischer mit Glatze und Rauschebart, der sich als "Jack Daniel Botschafter" vorstellt, zeigt auf die Felsen am Eingang einer Höhle am Ortsrand, aus der eine Quelle sprudelt: "Alle die schwarzen Verfärbungen, das ist Rauch und Asche, wo Jack und sein Freund George ihre Feuer angefacht haben, es ist 150 Jahre alter Rauch."

Prohibition beginnt am 16. Januar 1920
Bald wird daraus ein erfolgreicher Betrieb, Jack's Old No. 7 Whisky - genau der, der heute noch verkauft wird - gewinnt 1904 bei der Weltausstellung in St Louis eine Goldmedaille. Doch bevor es richtig losgehen kann, stirbt Jack an einer Blutvergiftung, und sein Neffe Lem Motlow muss das Unternehmen durch harte Zeiten führen. Am 16. Januar 1920 wird in den USA die Prohibition eingeführt, in Tennessee sogar noch etwas früher. Was bedeutet. dass in Lynchburg kein Whisky mehr produziert und verkauft werden kann. Und selbst als der Bann 1933 aufgehoben wird, dauert es noch Jahre. "Lem ist sogar irgendwann Mitglied des Senates geworden, um die entsprechenden Gesetze zu verfassen und den Staat aus der Prohibition zu bringen. Er wollte einfach wieder Whisky machen."


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Das Unternehmen Jack Daniel durfte den Betrieb in Lynchburg wieder hochfahren und expandierte - in die ganze Welt.
Die Prohibition ging in Tennessee allerdings weiter. Alle 95 Counties sind bis heute grundsätzlich trocken, das heißt, es darf weder Schnaps noch Wein verkauft werden. Die Landkreise können allerdings selbst entscheiden, wie trocken oder feucht sie wirklich sein wollen. In den Großstädten wie Memphis und Nashville ist alles erlaubt, in einigen kleinere Kreisen hingegen ist der Verkauf reglementiert.

Tennessee noch immer trocken
"Unsere Einwohner haben nie darüber abgestimmt, ob sie den Verkauf von Schnaps glasweise im Restaurant erlauben wollen oder gar einen Schnaps-Laden", sagt Bonnie Lewis. Also blieb Moore County mit seinem Kreisstädtchen Lynchburg trocken. Kein Problem für die Einwohner, sagt Chris Fletcher:
"Wenn du zehn Meilen fährst, bis zur nächsten Stadt, und da deinen Alkohol kaufen kannst; also das hat für niemanden, den ich kenne, je ein Problem dargestellt.'​
Eine Antwort, die man hier öfter zu hören bekommt. Moore County mit seinen 6500 Einwohnern ist einfach sehr klein und zudem von Landkreisen umgeben, die alle Alkohol verkaufen und ausschenken. Das nächste Glas, die nächste Flasche, ist immer nur eine kurze Autofahrt entfernt. Und Bier, das ist eine Sonderregel, kann sowieso im Supermarkt gekauft und mit nach Hause genommen werden.

Lange Zeit nicht mal Whisky-Proben erlaubt
Chris Fletcher arbeitet bei Jack Daniel, wie die meisten Menschen hier. Fast 70 Prozent der Mitarbeiter haben wenigstens einen Verwandten im Unternehmen. Schon Chris´ Großvater, Frank Bobo, war Chef Destiller, also Meisterbrenner. Was ihn als Einwohner nicht stört, ist für die Touristen ein Problem. 300.000 Menschen kommen jährlich, um die weltberühmte Destille zu besuchen. "Wenn du früher eine Führung gemacht hast, konnten wir dich nicht mal unser Produkt probieren lassen", sagt er.

Das hat sich inzwischen geändert. Nicht weil die Einwohner von Lynchburg das wollten, sondern weil der Staat Tennessee eine neue Regel eingeführt hat: Lokale Hersteller dürfen ihre Produkte auf ihrem Gelände verkaufen. Das heißt, Jack Daniel darf zum Probieren kleine Pröbchen ausschenken, sehr kleine Pröbchen.
Und Jack Daniel darf einen Bottle Shop betreiben, wo ein paar Sorten Whisky angeboten werden.

"Warum haben wir nicht das Recht, zu trinken?"
Jetzt im Januar ist es eher ruhig im Besucherzentrum von Jack Daniel, ein paar Busse sind da, und Amy, Tim und Lisa, drei Touristen aus Illinois. Sie mögen den Whisky von Jack Daniel, 'weil er so weich ist, im Vergleich zu anderen. Ich trinke ihn mit meinem Diet Dr. Pepper. Er gibt meinen Dr. Pepper Geschmack."

Dr. Pepper ist ein beliebter Soft-Drink in den USA. Dass sie ihren Jack Daniel´s hier gar nicht trinken können, haben sie bei der Vorbereitung auf die Reise erfahren: "Ich finde das sehr interessant, dass es diesen Ort seit über 100 Jahren gibt, und das County immer noch trocken ist. Das ist eine lustige historische Tatsache."
Aber ehrlich, sagt Tim, "warum haben wir nicht das Recht, zu trinken?"

Angst vor der Veränderung
Soweit sind sie in Moore County noch nicht. Obwohl Bonnie Lewis in ihrem winzigen Rathaus in ihrem winzigen vollgestopften Büro durchaus der Meinung ist, Erwachsene sollten auch als solche behandelt werden.
"Ich glaube nicht, dass Ihnen jemand ganz genau sagen sollte, wie Sie ihr Leben zu leben haben", sagt sie, aber manche Leute wollten eben nicht, das sich was ändert. Sie hingegen überlegt, wie sie den kleinen Ort voran bringen kann: "Sie wollen natürlich niemals den Charme von Lynchburg verlieren, den historischen Marktplatz, und all das. Aber andere Leute hätten gerne ein paar mehr Annehmlichkeiten. Aber dazu braucht man Steuergelder und dazu braucht man Wachstum."

Pro und Contra der Prohibition
Wenn man den Ausschank von Wein oder Cocktails erlauben würde, könnte man vielleicht ein paar mehr Restaurants anlocken, überlegt sie, und das brächte wieder ein paar Dollar mehr in die Kasse. Immerhin: Seit wenigen Monaten ist es - auf Antrag - erlaubt, den Gästen zum Essen ein Bier zu verkaufen.

Aber das ist nichts für Debbie Baxter, die Managerin von Miss Mary Bobo´s Restaurant, einer Traditionsgaststätte in Lynchburg. Wir sind ein Familienrestaurant, sagt sie, und außerdem wäre es nicht im Sinne der Gründerin Miss Mary Bobo: "Sie hat nicht getrunken, und deshalb wäre es nicht fair ihr gegenüber, hier Alkohol zu servieren."

Und auch sonst ist sie ganz zufrieden, in ihrem schrulligen kleinen Lynchburg: "Wenn wir jemals 'feucht' würden, dann würde es das ganze Gefühl unsere Gäste verändern. Weil es so einzigartig ist, hier zu sein und hier zu leben. Weil wir den Whisky machen, der in die ganze Welt geht, und hier kannst du ihn nicht kaufen."
Katrin Brand, ARD Washington
16.01.2020 06:36 Uh
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100 Jahre Prohibition in den USA: Ein trockenes Vergnügen
 
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