Eine Marmorkiste mit einem Kreuz und darin mehrere kleine Bruchstücke einer Elfenbeinpyxis, das heißt einer Dose aus Elfenbein, und darauf Reliefs aus frühchristlicher Zeit – so fand ein archäologisches Forschungsteam der Uni Innsbruck den Reliquienschrein in der Kärntner Gemeinde Irschen (Bezirk Spittal a.d. Drau).
Die Grabungsstätte befindet sich auf dem „Burgbichl“, einer Höhensiedlung aus der Zeit um 500 nach Christus.
Bei dem Reliquienschrein handelt es sich um einen einzigartigen Fund, sagte Ausgrabungsleiter Gerald Grabherr von der Uni Innsbruck. „Das ist der erste Befund weltweit in dieser Form. Es gibt in Österreich eine zweite Pyxis im Kunsthistorischen Museum und das war es dann aber auch an solchen reliefierten Elfenbeindosen.“ Weltweit gebe es inklusive aller Bruchstücke etwa 40 Exemplare.
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Der Reliquienschrein ist eine Marmorkiste…
ORF…aus der frühchristlichen Zeit um 500 n. Chr.
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Darin befand sich eine zerbrochene Elfenbeinpyxis, d.h. eine äußerst seltene Elfenbeinbüchse
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Etwa 1.500 Jahre lang lag die Dose zerstört in vielen Scherben in der Marmorkiste
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Auf dem zerfallenen Elfenbein sind Reliefs mit biblischen Symbolen aus dem Alten und Neuen Testament abgebildet
Freude über Fund „unbeschreiblich“
2016 begannen die Grabungsarbeiten in Irschen im oberen Drautal. Auf dem Burgbichl entdeckten die Forscherinnen und Forscher eine spätrömische Höhensiedlung. Dabei legten sie im Laufe der Jahre zahlreiche Gegenstände, Skelette und zwei Kirchen frei – mehr dazu in
Historisch wertvolle Funde am Burgbichl. Am 4. August 2022 gelang schließlich die sensationelle Überraschung. Unter den Steinplatten eines Seitenaltars stieß die Gruppe auf eine etwa 20 mal 30 Zentimeter große Marmorkiste.
Für die Beteiligten war sofort klar, dass es sich um einen außerordentlichen Fund handelte. „Es ist praktisch unbeschreiblich, eine riesige Euphorie, man freut sich und funktioniert dann aber trotzdem irgendwie nach Schema F quasi ferngesteuert“, meinte Grabherr über den Moment der Entdeckung. „Da geht einem durch den Kopf: Oh Gott, ich habe jetzt etwas ganz Besonderes, das einer besonderen Behandlung bedarf.“
Unmittelbar nach dem Fund sicherten die Archäologinnen und Archäologen das Objekt und leiteten Maßnahmen zur Konservierung ein. Schon nach wenigen Momenten war klar, dass es sich um eine besondere Entdeckung handelte, erzählte Grabherr. In den vergangenen 100 Jahren könne er sich nicht an einen vergleichbaren archäologischen Neufund erinnern.
Mehrere Monate gesichert und gelagert
Nach ersten Erhebungen stellte sich die Marmorkiste als Reliquienschrein heraus, die zerfallene Büchse als zentrales Heiligtum der damaligen Kirche vom Burgbichl. Gemeinsam lagen sie 1.500 Jahre lang versteckt unter dem Altar. Laut Grabherr diente die Dose dazu, eine Reliquie, das heißt die Überreste eines Heiligen, aufzubewahren. Das Elfenbein dürfte höchstwahrscheinlich von einem nordafrikanischem Elefanten stammen.
Die Kiste wurde über Monate in einem Kühlschrank in Innsbruck gelagert, konserviert und mittels CT-Röntgen an der Universitätsklinik analysiert. Anschließend machte sich die Restauratorin Ulrike Töchterle an die Arbeit und nahm die zerbrochenen Teile der Elfenbeinpyxis sorgsam aus der Marmorkiste heraus.
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Die zusammengeflickten Teile der Elfenbeinpyxis (links) sowie die Dosenscharniere und weitere Bruchstücke
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Die Reliefs zeigen laut dem Archäologen christliche Symbole wie die Himmelfahrt Jesu Christi oder die Übergabe der zehn Gebote
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Einige Heiligensymbole verdeutlichen die feine Handwerkskunst aus der damaligen Zeit
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Nach der Entdeckung musste die Marmorkiste mit den Scherben in einem Kühlschrank gelagert werden
Universität Innsbruck
Ein CT-Röntgen ermöglichte einen Scan der Marmorkiste mit den Einzelteilen, bevor sie zur Restauration bearbeitet wurden
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Restauratorin Ulrike Töchterle im Institut für Archäologien an der Universität Innsbruck
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Sogar für die erfahrene Restauratorin war die Arbeit an der Elfenbeinpyxis ein Ausnahmeprojekt
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Einzelne fragile Stellen des Elfenbeinmaterials erforderten besonderes Augenmaß
Auch für sie war es ohne Zweifel ein Ausnahmeprojekt. „Jedes Fragment ist total aufregend, man weiß nicht, was darauf abgebildet ist und macht schon Mutmaßungen, worum es sich handeln könnte“, schilderte Töchterle. Auch der intensive Austausch und die Zusammenarbeit mit den Auswertern sei sehr aufregend gewesen.
Scherben wie Puzzlestücke zusammengeflickt
Töchterle flickte rund 50 Kleinteile wie Puzzlestücke zusammen – mit viel Geduld und präziser Handarbeit. Besonders herausfordernd seien jene Stellen, die durch Metallsalze verfärbt sind. Bei diesen bestehe die Gefahr, dass sie sich ablösen. Auch wo einige Risse sichtbar sind, hätten Bakterien gearbeitet. Deshalb sei das Material sehr zerbrechlich. „Allein das Berühren mit dem Pinsel führt da schon zu Schäden auf der Oberfläche“, so Töchterle.
Die große Schwierigkeit ist auch, dass manche Teile der Pyxis fehlen. Da es sich auch um sensibles Elfenbeinmaterial handelt, sei es nicht mehr möglich, die gesamte Büchse wiederherzustellen. Mittels einer Styropor-Konstruktion bauten die Forscherinnen und Forscher die verfügbaren Scherben aber zum Teil nach.
Ein Nachbau der Scherben der Elfenbeinbüchse
Die Büchse wurde mit den Scherben auf einer Styropor-Konstruktion teilweise nachgebaut. Laut dem Archäologen Gerald Grabherr zeigen sie Symbole aus der Bibel, zum Beispiel einen brennenden Dornbusch, eine Wasserquelle, den Berg Sinai, galoppierende Pferde mit einer Figur auf einem Wagen als Himmelfahrt Jesu Chrisi sowie die Übergabe der zehn Gebote an Mose
Schrein gilt als „Kontaktreliquie“
Die Reliefs sind nach Ansicht des Archäologen zum Teil weltweit einzigartig. „Wir haben einzelne Szenen, wo wir gute Vergleiche auf anderen Pyxiden finden, wie beispielsweise die Übergabe der Gesetze an Mose.“ Das gebe es auf einem Exemplar in der Eremitage in St. Petersburg. „Andere wie die Himmelfahrt Christi auf einem Wagen ist einzigartig bisher“, erklärte Grabherr.
Ursprünglich vermutete das Forschungsteam sogar eine Reliquie in der Dose. Mittlerweile geht man von einer „Kontaktreliquie“ aus. Durch die Berührung mit einer heiligen Reliquie werde alles, was damit in Kontakt kam, auch heilig. Daher gehe die Heiligkeit in einer gewissen Weise auch auf den Behälter über.
Wem gehört der Fund und was ist er wert?
Nach österreichischem Recht gehört der Fund je zur Hälfte dem privaten Grundeigentümer und dem Finder, der Universität Innsbruck. Ein finanzieller Sachwert sei zum derzeitigem Stand nicht realistisch feststellbar. „50.000 Euro? 100.000 Euro? Keine Ahnung. Das ist schwierig, weil so etwas findet man auf dem Kunstmarkt auch nicht“, hielt Grabherr fest. Das Objekt sei kunsthistorisch aber äußerst wertvoll.
Nicht zuletzt spiele für einen Wissenschaftler wie ihn der Geldwert keine Rolle, bekräftigte Grabherr. „Das findet man maximal einmal im Leben, also man rechnet nicht damit. Wenn es so etwas alle paar Hundert Jahre im gesamten Römischen Reich gibt, ist das denkbar. Und wenn man die Person dann ist, der das wiederfährt, dann weiß man, dass man ein großer Glückspilz ist.“
Offene Fragen und nächste Schritte
Die Arbeit an dem Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen würden sicher noch ein bis zwei Jahre beanspruchen. Derzeit sind noch viele Fragen offen. Unklar ist zum Beispiel, woher genau der Elefant stammte. In Kooperation mit der Umweltschutzorganisation WWF erhofft man sich über DNA-Tests weitere Informationen dazu.
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Die spätrömische Höhensiedlung befindet sich auf dem Burgbichl in Irschen im oberen Kärntner Drautal
„Spannend ist auch, wer das Objekt berührt hat und wie es hergestellt wurde. Dafür werden wir die Mikrospuren mit den Herstellungs- und Gebrauchsspuren untersuchen“, gab Ulrike Töchterle einen Einblick in die anstehenden Forschungen. Warum die Büchse auf dem Burgbichl überhaupt zurückgelassen und zerstört wurde, ist ebenfalls noch nicht geklärt. Als nächstes soll ein vollständiges, digitales 3D-Modell entstehen. Außerdem beginnt nun die Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Forscherinnen und Forschern.
Kooperation mit Museum möglich
Auch eine Präsentation in einem Museum steht im Raum. Es gebe auch schon Anfragen, beispielsweise vom Kärntner Landesmuseum, das sehr interessiert sei, erzählte Grabherr. Eine Aufbereitung für die Öffentlichkeit sei aber kein leichtes Unterfangen. Um ein angemessenes klimatisches Umfeld zu gewährleisten, brauche es eine entsprechende Infrastruktur.
Es gebe aber durchaus Ideen und das Stück habe sich verdient, angemessen präsentiert zu werden. Den Anfang dafür machte am Dienstag die offizielle Vorstellung im Àgnes-Heller-Haus der Universität Innsbruck, wo der Fund auch gelagert wird. Nach 1.500 Jahren in der vergessenen Marmorkiste erwacht die Elfenbeindose dadurch zu neuem Leben – ein seltener archäologischer Fund einer einzigartigen Zeitkapsel, die wohl noch lange für Staunen sorgen wird.
25.06.2024, Benedikt Kapferer, tirol.ORF.at
Links:
Institut für Archäologien (Universität Innsbruck)
Forschungsprojekt am Burgbichl in Irschen