Musik von Zarah Leander, Louis Armstrong und Nirvana, Reden des Nazi-Politikers Josef Goebbels, des einstigen britischen Premiers Winston Churchill und ehemaligen österreichischen Kanzlers Bruno Kreisky – das alles ging über den Sender Dobl in der Nähe von Graz, der den frühen Rundfunk nach 1945 prägte. Heute ein Museum, früher ein deutscher Großsender im Zweiten Weltkrieg, ein BBC-Sender im Kalten Krieg, dann ein ORF-Sender und schließlich Heimat des ersten Privatradios Österreichs.
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1995 begann in der historischen Sendeanlage in Dobl ein neues Kapitel österreichischer Radiogeschichte. Der erste österreichische Privatsender Antenne Steiermark ging on air, mit dem Song ‚Born to Be Alive‘ von Patrick Hernandez. 20 Jahre lang betrieb Antenne Steiermark Studios in Dobl.
Heute befindet sich dort ein Rundfunkmuseum. Der Sendemast wird weiter für den Mobil- und Amateurfunk genutzt. Für Technikhistoriker bleibt die Anlage interessant: Der Mittelwellensender Dobl ist die einzige erhaltene Großsendeanlage aus der NS-Zeit. Und der Antennenmast ist mit seinen 156 Metern nach wie vor das höchste denkmalgeschützte Gebäude in der Steiermark. Noch höher ist mit 175 Metern nur der Kamin des Fernheizkraftwerks Mellach
Die Notstromanlage in der Sendestation Dobl
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Details aus dem Sendesaal. Heute ist der Sender als technisches Denkmal erhalten.
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Das Sendegebäude von außen. Bei Kriegsende sollte der Sender gesprengt werden, das wurde aber von den damaligen Angestellten verhindert.
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Bei Dobl handelt es sich um die letzte in Europa erhaltene Anlage der Umbausender aus der Zeit um 1940, informierte das Technische Museum
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RAVAG-Antenne für Nazi-Sender
Begonnen hatte die Geschichte des Senders in der Ersten Republik: In den 1930er Jahren baute die
Rundfunkgesellschaft RAVAG ihr Sendernetz aus. 1937 wurde dazu der Sender in Graz-St. Peter mit einem 156 Meter hohen Antennenmast ausgestattet. Dieser Sendemast übersiedelte wenige Jahre später nach Dobl, einer kleinen Gemeinde südwestlich von Graz.
Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich 1938 wurde die österreichische RAVAG vom deutschen
Reichsrundfunk übernommen. Zugleich begannen die Nationalsozialisten, die deutschen Rundfunksender für den lange vorbereiteten Weltkrieg aufzurüsten.
Besondere geografische Lage
Ganz Europa sollte mit NS-Propaganda beschallt werden. Dazu wurden 56 Großsender mit modernster Technik errichtet, etwa in Breslau (heute: Wroclaw), Hamburg, München, Brünn und in Dobl bei Graz. Dieser Ort war aufgrund seiner geografischen Lage bestens für die Ausstrahlung von Radiosendungen nach Ost- und Südosteuropa geeignet, Hauptzielgebiet der deutschen Kriegspläne.
1939 wurde unter strengster Geheimhaltung mit dem Bau des Sendergebäudes begonnen, getarnt als riesiger Gutshof. Im Februar 1941 ging der Sender mit dem in Tarnfarbe gestrichenen Mast aus St. Peter in Betrieb.
Der Sendebetrieb Dobls wurde 1984 eingestellt, die Anlage wurde vom ORF 1988 an die Gemeinde Dobl verkauft
ORF/Isiwal
„Sender Alpen“ Dobl
Rechtzeitig für die Kriegspläne der Wehrmacht. Denn wenige Wochen später, im April, fiel die Wehrmacht in Jugoslawien ein. Und im Juni 1941 begann der Angriff auf die Sowjetunion. Damit trat die Propagandaschlacht im Radio in eine neue Phase, der Sender wurde als „Sender Alpen“ bezeichnet.
Die Reichweite des Großsenders Dobl erstreckte sich vom Nordkap bis nach Nordafrika. Das Programm wurde in Wien von Spezialisten für die Balkan-Länder zusammengestellt. Gesendet wurde in den Sprachen der Region wie Kroatisch. Vom September 1943 ist überliefert: Nachrichten und Musik für Kroaten, die kroatische Stunde, politisches Kabarett, Stimme des Reiches etc.
Für Unterhaltungsmusik wurde ein eigenes Tanzorchester gegründet, dem auch Musiker aus besetzten oder mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten angehörten. In einem Grazer Studio wurde ein französischsprachiges Programm für französische Arbeiter im Deutschen Reich produziert. Rund 40 Prozent des Programms der „Deutschen Europa-Sender“ machten propagandistische Wortsendungen in den verschiedenen Sprachen aus.
BBC sendet von Dobl in den Ostblock
Bei Kriegsende 1945 hatten die abziehenden deutschen Truppen den Befehl, den Sender Dobl zu sprengen. Die Zerstörung wurde von Reichsrundfunk-Mitarbeitern verhindert. Sie hielten den Sender bis zum Eintreffen der Roten Armee besetzt. Einige Wochen später wurde der Sender an die britischen Besatzungstruppen und die von ihnen eingerichtete und kontrollierte „Sendergruppe Alpenland“ übergeben.
Andere Anlagen wie der Sender Bisamberg wurden bei Kriegsende zerstört. Daher war Dobl der weitaus leistungsstärkste Sender im Nachkriegsösterreich und spielte eine wichtige Rolle für den frühen Rundfunk nach 1945. Von Dobl aus wurden untertags die regionalen Programme der „Sendergruppe Alpenland“ ausgestrahlt.
In den Abend- und Nachtstunden übernahm das BBC Overseas Service, der Vorläufer des BBC World Service. Der Kalte Krieg begann und damit ein neuer Radio-Propaganda-Krieg, über den Eisernen Vorhang hinweg. Ab August 1948 sendete die BBC mehrere Stunden täglich nach Ost- und Südosteuropa in den Sprachen Tschechisch, Ungarisch, Serbokroatisch, Slowenisch, Rumänisch und Italienisch.
Das Programm der Rundfunkzeitschrift „Radio Wien“ zum Programm der „Sendergruppe Alpenland“
ÖNB-Anno
„Wie Schiffchen versenken“ im Kalten Krieg
Die Sowjets errichteten in Ungarn nahe der österreichischen Grenze einen Störsender, der das britische Programm aus Dobl unterbrechen sollte. Die beteiligten Techniker auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nahmen diesen „Frequenzenkrieg“ auch sportlich.
Der frühere Technische Leiter des Landesstudios Steiermark, Gerhard Kasper, schilderte in einem ORF-Interview aus dem Jahr 1989 das Hin und Her zwischen dem Sender Dobl und dem Ostblock-Störsender. Kaum hatte der Störsender die Frequenz der BBC gefunden, wichen die steirischen Techniker auf eine andere Frequenz aus. Es war wie Schiffchen versenken, erzählte Kasper.
1954 übergaben die Briten den Mittelwellensender an den neu gegründeten ORF, der von Dobl aus Ö1 und das Regionalprogramm Ö2 ausstrahlte. Erst mit der Umstellung auf UKW-Sender verlor Dobl seine Funktion. Der ORF stellte den Sendebetrieb 1984 ein. 1988 wurde die Sendeanlage unter Denkmalschutz gestellt, als letzter erhaltener Großsender aus der Zeit um 1940.
13.11.2024, Michael Fröschl (Text, Gestaltung), ORF Topos
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Sender Dobl