Dominoeffekt
Wie Züge pünktlicher werden können
Verspätete Züge führen oft auch zu Verzögerungen anderer Zugsgarnituren. Ein Forschungsteam des Complexity Science Hub in Wien entwickelte nun ein Modell, um Lösungen gegen diesen Dominoeffekt zu finden. Das Ergebnis: Das Bereitstellen weniger zusätzlicher Züge könnte die Verspätungen der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) landesweit um bis zu 40 Prozent reduzieren.
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Wie Züge pünktlicher werden können
Wie Züge pünktlicher werden können

Verspätete Züge führen oft auch zu Verzögerungen anderer Zugsgarnituren. Ein Forschungsteam des Complexity Science Hub in Wien entwickelte nun ein Modell, um Lösungen gegen diesen Dominoeffekt zu finden. Das Ergebnis: Das Bereitstellen weniger zusätzlicher Züge könnte die Verspätungen der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) landesweit um bis zu 40 Prozent reduzieren.
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Der Wiener Hauptbahnhof ist ein Knotenpunkt für tausende Pendler und Reisende, die täglich auf ihre Zugsverbindungen warten. Häufig kommt es für die Menschen am Bahnsteig aber anders als gehofft und es ertönt die Durchsage: „Dieser Zug ist heute um zehn bis fünfzehn Minuten verspätet.“
Dabei haben sich die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in internationalen Vergleichen schon mehrfach gut geschlagen. So belegen sie im jüngsten Ranking der europäischen Organisation „Transport & Environment“ (T&E) unter 27 Eisenbahngesellschaften einen respektablen vierten Platz. Besonders stechen die ÖBB in der Kategorie Nachtzüge hervor, in der sie sogar den ersten Platz belegen. Doch gerade bei der Pünktlichkeit der Züge gibt es laut dem Ranking noch Potenzial nach oben.
Kettenreaktion der Verspätungen
Bei den Fahrgästen sorgen Verspätungen natürlich für Frust und den ÖBB kosten sie viel Geld – denn ist ein Zug erst einmal verspätet, setzt das oft eine Kettenreaktion in Gang. „Wenn ein Zug zu spät dran ist, dann sind oft als Folge davon drei weitere Züge verspätet und dann plötzlich zehn“, erklärt der Komplexitätsforscher Stefan Thurner bei einem Gespräch mit science.ORF.at am Wiener Hauptbahnhof.
Thurner leitet das Complexity Science Hub (CSH) in Wien, das von den ÖBB damit beauftragt wurde, mehr über die Verspätungskaskaden im Reiseverkehr herauszufinden. Dass es überhaupt zu derartigen Kettenreaktionen kommt, liege vor allem an der limitierten Verfügbarkeit von Ressourcen. Oft nutzen etwa mehrere Nahverkehrsverbindungen dieselbe Lokomotive und bzw. oder dasselbe Personal. „Wenn eine Lokomotive nun von einem anderen Zug gebraucht wird, aber noch an einem verspäteten Zug hängt, dann kann natürlich auch der andere Zug nicht rechtzeitig losfahren.“ Das trägt laut Thurner oft mehr zu den Verspätungen bei, als die tatsächliche Bewegung der Züge selbst.
Kritische Züge erhoben
Für die im Rahmen des Projekts „Train Operating Forecasting“ durchgeführte und im Fachjournal „npj Sustainable Mobility and Transport“ veröffentlichte Studie untersuchte das CSH-Team daher, wie viel Risiko von einzelnen Zügen auf das gesamte Bahnnetz der ÖBB ausgeht. „Wir haben mit einem Netzwerkmodell erhoben, welche Züge besonders kritisch für die Verspätungen anderer Züge sind“, so Thurner.
Dabei fand das Forschungsteam heraus, dass jene Züge, die kurz vor und während der Stoßzeiten unterwegs sind, eine besonders große Rolle spielen. Und auch stark befahrene Kurzstreckenverbindungen, wie etwa vom Wiener Hauptbahnhof nach Wiener Neustadt, sind laut dem Modell besonders anfällig für Verspätungen, die sich dann schnell auf das gesamte Netzwerk ausbreiten.
Zusätzliche Züge könnten helfen
Das Modell erlaubt außerdem, verschiedene Lösungsansätze zu simulieren. Vor allem das Bereitstellen zusätzlicher Zugsgarnituren schien dabei vielversprechend. „Wir haben herausgefunden, dass es bereits ausreichen würde, auf der Strecke vom Wiener Hauptbahnhof nach Wiener Neustadt drei zusätzliche Nahverkehrszüge einzuführen, um dort die Verspätungen um bis zu 20 Prozent zu senken“, erklärt Vito Servedio, einer der Entwickler des Modells, gegenüber science.ORF.at. Hochgerechnet auf ganz Österreich zeigte sich, dass rund 37 zusätzliche Zugsgarnituren nötig wären, um die Verspätungen der ÖBB landesweit um bis zu 40 Prozent zu senken.
Dabei sei aber auch wichtig, genau zu klären, wo die zusätzlichen Züge die größte Wirkung hätten. Vor allem an stark befahrenen Strecken im Nahverkehr könnten sie die Engpässe während der Stoßzeiten entschärfen und so das gesamte System stabilisieren. „Dafür sind nicht einmal teure Fernzüge nötig, sondern es würde schon ausreichen, vergleichsweise kostengünstige Nahverkehrsverbindungen bereitzustellen“, so Servedio.
Flexibles Modell
Das Modell bietet einen weiteren wichtigen Vorteil: Es ist flexibel und kann jederzeit angepasst werden, wenn neue Daten verfügbar sind. So könnten künftig auch etwa Personalverschiebungen und andere relevante Faktoren integriert werden, was es den ÖBB ermöglicht, noch gezielter auf spezifische Probleme zu reagieren.
Ob die Vorschläge auch in der Praxis umgesetzt werden, ist aber noch unklar. Ein Sprecher der ÖBB betonte in einer Aussendung, dass man die Ergebnisse des Modells als wertvolle Unterstützung für zukünftige Planungen sehe und an weiteren Optimierungen arbeite, um die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Züge zu steigern.
11.12.2024, Raphael Krapscha, ORF Wissen
Dabei haben sich die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) in internationalen Vergleichen schon mehrfach gut geschlagen. So belegen sie im jüngsten Ranking der europäischen Organisation „Transport & Environment“ (T&E) unter 27 Eisenbahngesellschaften einen respektablen vierten Platz. Besonders stechen die ÖBB in der Kategorie Nachtzüge hervor, in der sie sogar den ersten Platz belegen. Doch gerade bei der Pünktlichkeit der Züge gibt es laut dem Ranking noch Potenzial nach oben.
Kettenreaktion der Verspätungen
Bei den Fahrgästen sorgen Verspätungen natürlich für Frust und den ÖBB kosten sie viel Geld – denn ist ein Zug erst einmal verspätet, setzt das oft eine Kettenreaktion in Gang. „Wenn ein Zug zu spät dran ist, dann sind oft als Folge davon drei weitere Züge verspätet und dann plötzlich zehn“, erklärt der Komplexitätsforscher Stefan Thurner bei einem Gespräch mit science.ORF.at am Wiener Hauptbahnhof.
Thurner leitet das Complexity Science Hub (CSH) in Wien, das von den ÖBB damit beauftragt wurde, mehr über die Verspätungskaskaden im Reiseverkehr herauszufinden. Dass es überhaupt zu derartigen Kettenreaktionen kommt, liege vor allem an der limitierten Verfügbarkeit von Ressourcen. Oft nutzen etwa mehrere Nahverkehrsverbindungen dieselbe Lokomotive und bzw. oder dasselbe Personal. „Wenn eine Lokomotive nun von einem anderen Zug gebraucht wird, aber noch an einem verspäteten Zug hängt, dann kann natürlich auch der andere Zug nicht rechtzeitig losfahren.“ Das trägt laut Thurner oft mehr zu den Verspätungen bei, als die tatsächliche Bewegung der Züge selbst.
Kritische Züge erhoben
Für die im Rahmen des Projekts „Train Operating Forecasting“ durchgeführte und im Fachjournal „npj Sustainable Mobility and Transport“ veröffentlichte Studie untersuchte das CSH-Team daher, wie viel Risiko von einzelnen Zügen auf das gesamte Bahnnetz der ÖBB ausgeht. „Wir haben mit einem Netzwerkmodell erhoben, welche Züge besonders kritisch für die Verspätungen anderer Züge sind“, so Thurner.
Dabei fand das Forschungsteam heraus, dass jene Züge, die kurz vor und während der Stoßzeiten unterwegs sind, eine besonders große Rolle spielen. Und auch stark befahrene Kurzstreckenverbindungen, wie etwa vom Wiener Hauptbahnhof nach Wiener Neustadt, sind laut dem Modell besonders anfällig für Verspätungen, die sich dann schnell auf das gesamte Netzwerk ausbreiten.
Zusätzliche Züge könnten helfen
Das Modell erlaubt außerdem, verschiedene Lösungsansätze zu simulieren. Vor allem das Bereitstellen zusätzlicher Zugsgarnituren schien dabei vielversprechend. „Wir haben herausgefunden, dass es bereits ausreichen würde, auf der Strecke vom Wiener Hauptbahnhof nach Wiener Neustadt drei zusätzliche Nahverkehrszüge einzuführen, um dort die Verspätungen um bis zu 20 Prozent zu senken“, erklärt Vito Servedio, einer der Entwickler des Modells, gegenüber science.ORF.at. Hochgerechnet auf ganz Österreich zeigte sich, dass rund 37 zusätzliche Zugsgarnituren nötig wären, um die Verspätungen der ÖBB landesweit um bis zu 40 Prozent zu senken.
Dabei sei aber auch wichtig, genau zu klären, wo die zusätzlichen Züge die größte Wirkung hätten. Vor allem an stark befahrenen Strecken im Nahverkehr könnten sie die Engpässe während der Stoßzeiten entschärfen und so das gesamte System stabilisieren. „Dafür sind nicht einmal teure Fernzüge nötig, sondern es würde schon ausreichen, vergleichsweise kostengünstige Nahverkehrsverbindungen bereitzustellen“, so Servedio.
Flexibles Modell
Das Modell bietet einen weiteren wichtigen Vorteil: Es ist flexibel und kann jederzeit angepasst werden, wenn neue Daten verfügbar sind. So könnten künftig auch etwa Personalverschiebungen und andere relevante Faktoren integriert werden, was es den ÖBB ermöglicht, noch gezielter auf spezifische Probleme zu reagieren.
Ob die Vorschläge auch in der Praxis umgesetzt werden, ist aber noch unklar. Ein Sprecher der ÖBB betonte in einer Aussendung, dass man die Ergebnisse des Modells als wertvolle Unterstützung für zukünftige Planungen sehe und an weiteren Optimierungen arbeite, um die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Züge zu steigern.
11.12.2024, Raphael Krapscha, ORF Wissen