Bis zu sechs Passagiere sollen in einem Lilium-Jet Platz haben. Als Massentransportmittel dürfte es sich daher vorerst nicht eignen.
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Lilium hatte große Pläne. 2024 wollte das Unternehmen bereits 90 Jets in der Luft haben: Futuristisch aussehende, elektrisch betriebene Kleinflugzeuge, die vertikal starten und landen. Diese sollten kleinere Städte oder Zentren mit Flughäfen besser verbinden und die Reisezeit im Vergleich zum Zug oder Auto deutlich verkürzen. 240 Millionen Euro Umsatz wollte man ab 2024 pro Jahr damit machen.
Das waren die Pläne im Jahr 2021. Drei Jahre später hat das Unternehmen knapp 1,5 Milliarden Euro ausgegeben, kaum Umsätze generiert, noch keinen einzigen Menschen mit einem Flugtaxi transportiert und steht nun kurz vor der Insolvenz, nachdem vor wenigen Tagen wahrscheinlich eine 100 Millionen Euro schwere Finanzierungshilfe vom deutschen Staat und dem Freistaat Bayern gescheitert ist, die dem Unternehmen aus der Not helfen sollte.
Hohe Verluste
Es ist damit nicht das einzige. Auch das deutsche Flugtaxi-Unternehmen Volocopter warnte vor wenigen Monaten vor einer Insolvenz, sollte Staatshilfe ausbleiben, konnte sich schließlich aber doch noch einmal mit den bestehenden Investoren auf eine neuerliche Finanzierung einigen. Allein im vergangenen Jahr haben Volocopter und Lilium jeweils mehr als 150 Millionen Euro Verlust gemacht.
Dennoch will die EU-Kommission Lufttaxis bereits bis 2030 zu einem Teil des europäischen Lebens machen. Noch hat die Europäische Agentur für Flugsicherheit (Easa) jedoch kein einziges Flugtaxi für Transporte mit Passagieren genehmigt. Warum schaffen die Lufttaxis so schwer den Durchbruch?
Sensibles Thema
"In Europa sind die regulatorischen Anforderungen in der Luftfahrt sehr hoch", sagt Anna Straubinger, Luftfahrtexpertin am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Flugtaxis, die etwa in China bereits genehmigt sind, müssen in Europa weit länger auf eine Zulassung warten. "Es geht vor allem darum sicherzugehen, dass niemand zu Schaden kommt."
Aber auch gesellschaftlich sind Flugtaxis ein sensibles Thema. Das zeigte sich etwa in den aktuellen Diskussionen rund um eine staatliche Hilfe für Lilium in Deutschland. Während die einen den Lufttaxis kaum Chancen auf Erfolg attestieren, weil sie zu teuer, unnötig und kaum nachhaltig seien, sehen die Befürworter darin eine innovative Zukunftstechnologie. Diese soll nicht nur emissionsfreies, leises und schnelles Reisen ermöglichen, sondern auch tausende neue Arbeitsplätze.
Längere Strecken überwinden
Mehrere Modelle habe man bereits fertiggestellt, zuletzt auch einen Großauftrag von der Fluggesellschaft Saudia aus Saudi-Arabien für 100 Lilium-Jets erhalten, heißt es von Lilium. Bei vielen Kritikpunkten fühle man sich missverstanden: etwa schon beim Begriff Flugtaxi. Dieser sei eigentlich irreführend. Denn statt Taxistrecken zu ersetzen, soll der entwickelte Jet regelmäßig auf festgelegten Routen fliegen und damit längere Strecken über mehr als hundert Kilometer etwa zwischen zwei Städten überbrücken, auf denen eine Fahrt mit dem Zug oder dem Auto weit länger dauert.
Auch für Patiententransporte könnten die Jets künftig zum Einsatz kommen. Während zunächst maximal sechs Personen darin Platz haben, könnten im späteren Verlauf auch größere Jets entstehen, die europaweit Flugzeuge ersetzen sollen, so die Vision. Damit könnte die Technologie den Einstieg in die elektrische Luftfahrt ermöglichen, um die gesamte Branche zu dekarbonisieren.
Staatshilfe unerlässlich
Das Problem: Mit Flugtaxis, die von der Aufsichtsbehörde Easa noch nicht einmal für den Personentransport zugelassen sind, lässt sich schwer Geld verdienen. Mehrmals hatte Lilium in der Vergangenheit deshalb bereits mehr Kapital gefordert. Eine Staatshilfe sei nun unerlässlich, um die Lücke bis zum Markteintritt zu überbrücken, heißt es.
Die Flugtaxis von Volocopter erinnern noch eher an Hubschrauber. Einen kleinen Auftritt hatten sie auch bei den Olympischen Spielen in Paris in diesem Jahr.
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Vergangene Woche wandten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lilium gemeinsam mit 650 anderen Unterstützern aus dem Start-up-Umfeld
in einem offenen Brief an die deutsche Bundesregierung. Darin warben sie für die insgesamt 100 Millionen Euro schwere Bürgschaft von Bund und Land für das bayerische Start-up. Für 50 Millionen Euro würde das Land Bayern, für weitere 50 Millionen Euro der Bund bürgen. Auch große Unternehmen wie Airbus hätten einst staatliche Unterstützung erhalten, so das Argument – und gehören nun zu den erfolgreichsten Unternehmen Europas. Vorerst fand sich im deutschen Bundestag jedoch keine Mehrheit für die Bürgschaft. Das dürfte eine Staatshilfe für Lilium auch in den kommenden Monaten unwahrscheinlich machen.
Teures Vergnügen
Eines der großen Bedenken: Noch weiß niemand, ob sich Flugtaxis überhaupt durchsetzen werden. "Die Frage ist: Wer kann so etwas brauchen?", sagt Straubinger. Sie rechnet damit, dass sich Flugtaxi-Fahrten anfangs nur reiche Menschen leisten können. Der Grund: Sofern die Flugtaxis nicht autonom unterwegs sind, kommen auf einen Piloten nur eine Handvoll Passagiere. Auch die hohen Herstellungs- und Energiekosten müssen durch die Ticketpreise wieder hereingespielt werden.
"Die negativen Effekte dieser Transportmittel bekommen aber alle zu spüren", sagt Straubinger. Sie meint damit nicht nur den Lärm, der von den Fliegern ausgeht, sondern auch die visuelle Beeinträchtigung. "Sollte sich das wirklich großflächig durchsetzen, ist der Himmel irgendwann so voll wie die Straßen."
Häufig keine Zeitersparnis
Auch dass man mit Flugtaxis häufig schneller unterwegs sei, bezweifelt sie. Das habe auch eine Studie widerlegt, an der sie beteiligt war. "Entscheidend ist, wie groß das Netzwerk an Vertiports ist – also jenen Orten, an denen Flugtaxis vertikal starten und landen können." Diese auf Hochhäusern zu errichten sei aufgrund von statischen und Feuerschutzgründen häufig schwierig. Auf Flughäfen wiederum können Verwirbelungen großer Passagierflugzeuge gefährlich für kleinere Flugtaxis werden. Zudem dürfe auch der reguläre Flugverkehr nicht beeinträchtigt werden, was nicht einfach sei.
Zur Reisezeit hinzurechnen müsse man jedenfalls die Anfahrtszeit zu diesen Vertiports, die Zeit für mögliche Sicherheitskontrollen vor Ort und die Möglichkeiten, am Ausstiegsort weiter zum Zielort zu kommen, sagt Straubinger. "In den meisten Fällen bieten Flugtaxis dadurch keine so große Zeitersparnis."
Energieintensives Transportmittel
Auch der Beitrag zum Klimaschutz sei wahrscheinlich nicht so hoch, wie es von den Herstellern heißt. "Es ist immer wesentlich energieintensiver, zu fliegen als beispielsweise mit dem E-Auto unterwegs zu sein", sagt Straubinger. Solange grüner Strom nicht unbegrenzt zur Verfügung stehe, seien energiesparsamere Transportmittel vorzuziehen.
Und was ist mit der schönen Vorstellung, eines Tages mit Flugtaxis den Autoverkehr auf den Straßen zu entlasten und damit zumindest den Autolärm zu reduzieren? Auch das dürfte laut Straubinger nur bedingt funktionieren. "Die Verlagerungseffekte wären wahrscheinlich nur gering." Je weniger Staus es zunächst gibt, weil Menschen etwa auf Flugtaxis umsteigen, desto mehr Leute kehren schließlich wieder zum Auto zurück. "Das nennt sich induzierter Verkehr."
Gibt es dennoch Hoffnung für die Flugtaxis? Expertinnen wie Straubinger sehen mögliche Einsatzgebiete vor allem in Ländern außerhalb Europas, etwa im asiatischen Raum. In Europa könnten sie hingegen vor allem in abgelegenen Regionen zum Einsatz kommen, etwa auf Inseln oder im Gebirge, wo eine Anbindung mit herkömmlichen Transportmitteln schwierig ist. Auch als Transportmittel für Notärzte in solchen Gegenden könnten Flugtaxis nützlich sein. Im Vergleich zu Hubschraubern sollen sie vor allem kostengünstiger unterwegs sein. Mehr als eine Nische würden die Lufttaxis damit hierzulande jedoch nicht sein. Geht es nach nicht wenigen Verkehrsexpertinnen und Verkehrsexperten, ist das aber vielleicht auch gut so.
(Jakob Pallinger, 24.10.2024)