Bedingt durch den Coronavirus: Archäologische Grabungen statt in Ephesos auf dem Hemmaberg in Kärnten

josef

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#1
Archäologin: Hemmaberg statt Ephesos

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Die Kärntner Archäologin Sabine Ladstätter wird heuer coronavirusbedingt statt in Ephesos auf dem Hemmaberg in Kärnten ihre Grabungsarbeiten durchführen. Dort werden auch spätantike und slawische Ursprünge vermutet. Geklärt werden soll auch, ob die Spuren der Siedler dort bis ins Mittelalter reichen.
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Vor 125 Jahren begann die österreichische Grabung in Ephesos (Türkei), so Grabungsleiterin Sabine Ladstätter, Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI): „Der erste Spatenstich des damaligen Grabungsleiters Otto Benndorf hat vor allem die österreichische Archäologie verändert und einen ganz maßgeblichen Beitrag geleistet, dass diese heute noch einen extrem hohen internationalen Stellenwert hat.“

Ephesos
Ephesos war eine der bedeutendsten Städte Kleinasiens, dort stand eines der sieben Weltwunder – der Tempel der Artemis. Heute liegen die Ruinen in der Nähe der türkischen Stadt Selcuk. Sie wurden von der UNESCO in die Liste der Weltkulturerbe aufgenommen.

„Nächstes Jahr feiern wir 125 plus“
Wegen der Coronavirus-Pandemie kann die diesjährige Kampagne in Ephesos vorerst nicht gestartet werden, so die gebürtige Kärntnerin: „Wir planen nun einmal, von September bis in den Herbst hinein zu arbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass das möglich sein wird, weil sich auch in der Türkei die Zahlen dramatisch verbessern. Derzeit arbeitet nur meine Stellvertreterin mit einem türkischen Team im Depot.“
Es seien alle Grabungen des ÖAI verschoben worden. "Wir mussten auch ein für Herbst geplantes internationales Kolloquium in Wien absagen, ebenso wie Feierlichkeiten in Selcuk in der Türkei. Wir haben uns aber umorientiert und werden nächstes Jahr einfach ‚125plus‘ feiern, so Ladstätter.

Chronologie von Befestigungsanlage wird erforscht
Die in Klagenfurt geborene Archäologin wurde bekannt mit dem Forschungsprojekt in Ephesos. Ihre Dissertation schrieb sie über den Hemmaberg in Kärnten und blieb ihrer Heimat immer verbunden. Nun plant sie eine Grabung in Unterkärnten. Die Archäologie könne grundsätzlich alle Vorschriften erfüllen, so die Expertin: „Wir arbeiten im Freien und wir können Abstand halten, sind also ein Bereich, wo das Gesundheitsrisiko gering ist.“

Auf dem Hemmaberg soll eine spätantike und wahrscheinlich auch slawische Befestigungsanlage ergraben werden, so Ladstätter: „Es geht vor allem um die Klärung der Chronologie, wann und wie die Siedlung befestigt wurde, ob es auch eine slawische Siedlung gab, die auf die spätantike folgte, also ob es eine Siedlungskontinuität von der Spätantike bis ins Mittelalter gegeben hat.“ Dabei handle es sich um eine zentrale Fragestellung in der europäischen Geschichte.

ORF
Kirche am Hemmaberg

Auf den Spuren von uraltem Wallfahtsheiligtum
Bekannt sei bis jetzt, dass es auf dem Hemmaberg eine spätantike christliche Siedlung aus dem 5. und 6. Jahrhundert nach Christus gebe: „Das war das größte frühchristliche Wallfahrtsheiligtum der Ostalpen. Im frühen 7. Jahrhundert wurde die gesamte Anlage zerstört und darauf liegend finden sich Spuren einer slawische Besiedlung.“

Die Slawen wanderten im 7. Jahrhundert ein, waren noch nicht christianisiert, zerstören die christlichen Anlagen, nutzen aber die Gebäude und lebten vom 7. bis 9. Jahrhundert dort weiter, erzählt Ladstätter: „Uns interessiert u.a. die Abfolge der Befestigungsanlagen. Durch die immer besseren Datierungsmethoden hoffen wir, dass wir über organisches Fundmaterial einen ganz genauen Aufschluss über die unterschiedlichen Phasen und deren chronologische Einordnung bekommen.“
23.05.2020, red, kaernten.ORF.at/Agenturen

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#2
Die Kinder vom Hemmaberg: Skorbut im mittelalterlichen Kärnten
Erste Ergebnisse der anthropologischen Untersuchung eines Gräberfelds im Kärntner Jauntal
Den Fundplatz und die archäologische Erforschung des Jauntals beschreibt die Archäologin Nina Richards:
Einigen Leserinnen und Lesern des Archäologieblogs ist der Hemmaberg / Gora svete Heme (Kärnten) wohl bereits ein Begriff. Schon seit den späten 1970er-Jahren finden hier Grabungen unter Leitung von Franz Glaser vom Landesmuseum für Kärnten statt. Besonders bekannt ist die spätantike/völkerwanderungszeitliche Phase, in der der Berg mit seinen Doppelkirchenanlagen als Pilgerzentrum überregionale Bedeutung hatte.

Die nun erfolgte anthropologische Auswertung des mittelalterlichen Gräberfelds ist Teil der Erforschung des Kärntner Jauntals durch das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


Hemmaberg (Kärnten) mit der Filial- und Wallfahrtskirche der Hl. Hemma und Dorothea sowie den spätantiken/völkerwanderungszeitlichen Kirchenanlagen.
Foto: ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Die Entdeckung des Gräberfelds
Während der Kampagne 2009, geleitet von Josef Eitler, wurden Gräber nördlich der noch heute genutzten Kirche – geweiht den beiden Heiligen Hemma und Dorothea – aufgedeckt. Diese Gräber standen nicht in Zusammenhang mit dem spätantiken/völkerwanderungszeitlichen Siedlungsplatz. Sie entpuppten sich schnell als frühmittelalterliches Gräberfeld.

Bis 2011 konnten 29 Gräber mit 30 Bestattungen – in Grab 12 fand man eine Doppelbestattung – freigelegt werden. Unter ihnen befand sich auch der von Archäologin Michaela Binder als frühester bekannter Prothesenträger Österreichs identifizierte Mann in Grab 6.

Ergebnisse der anthropologischen Untersuchung
Jetzt konnte auch die restliche Bestattungsgemeinschaft des Gräberfelds anthropologisch und naturwissenschaftlich analysiert werden. Bei den Bestatteten handelt es sich um sechs Erwachsene und 24 Kinder. Aufgrund der großen Anzahl an Kindern, insgesamt 79,3 Prozent, beträgt das mittlere Sterbealter für die Nekropole nur elf Jahre.


Ergebnis der Sterbealtersbestimmung für die Bestattungen auf dem frühmittelalterlichen Gräberfeld auf dem Hemmaberg (Alter in Jahren).
Screenshot: Thanados.net

Neben den Kindern wurden hier zwei Männer und vier Frauen bestattet. aDNA-Analysen (alte DNA) zeigen, dass zwischen ihnen kein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Durchgeführte Radiokarbondatierungen erlauben die Datierung des Gräberfelds in das 8. bis 10. Jahrhundert n. Chr. Damit ist erstmals die nachantike Besiedlung des Hemmabergs gesichert. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um Restromanen handelt, die auch nach den großflächigen Zerstörungen im frühen 7. Jahrhundert an Ort und Stelle verblieben. Die wenigen erhaltenen Beigaben unterscheiden sich von zeitgleichen slawischen Funden, wie sie sich im Tal, beispielsweise in Jaunstein/Podjuna finden.

Das Kind aus Grab 16
Aber es gab auch eine Ausnahme. Nicht alle Individuen wurden im Mittelalter bestattet. Das Kind in Grab 16 war erst in der frühen Neuzeit verstorben und direkt an der Kirchenmauer begraben worden. Es ist während der Geburt oder wenige Wochen danach verstorben oder kam bereits tot auf die Welt. Eine Todesursache oder ein genauer Todeszeitpunkt lässt sich durch anthropologische Methoden allerdings nicht bestimmen. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei diesem um ein sogenanntes Traufkind handelt, das möglicherweise ungetauft an diesem Ort bestattet wurde. Ein Begräbnisrecht gibt es für den Kirchenbau nämlich nicht.

Skorbut
Einige der frühmittelalterlichen Kinderskelette zeigten Anzeichen, die auf eine Krankheit hindeuten, die landläufig häufig mit Seefahrern in Zusammenhang gebracht wird – Skorbut, das durch eine Mangelversorgung von Vitamin C hervorgerufen wird. Ähnlich wie auf See scheint es auch in diesem Teil der Alpen nicht immer einfach gewesen zu sein, sich mit ausreichend Vitamin C zu versorgen. Mögliche Ursachen sind etwa ein unwirtliches Klima, das die Ernte zerstört, aber auch kriegerische Konflikte oder Pandemien, die eine Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln erschwerten oder unmöglich machten. Vitamin C ist für die Ausbildung der Blutgefäße, des Blutes und des Knochenkollagens ein wichtiger Grundstoff. Ein Mangel führt zu Zahnfleischbluten, Erschöpfung, Knochen- und Muskelschmerzen und kann in schweren Fällen gar zum Tod führen.
Dabei geben die zu beobachtenden Veränderungen am Knochen auch nach dem Tod Hinweise auf diesen Mangel zu Lebzeiten. Sie prägen sich etwa am Schädel, dem Unterkiefer, den Langknochen und Rippen aus.

Fünf der 23 im frühen Mittelalter auf dem Berg bestatteten Kinder (21,7 Prozent) zeigen Veränderungen, die auf Skorbut hindeuten. Dies legt nahe, dass die Gemeinschaft sich über längere Zeiträume nicht ausreichend mit dem wichtigen Vitamin C versorgen konnte.


Gräberfeldplan des frühmittelalterlichen Gräberfeldes auf dem Hemmaberg. Bestattungen von Kindern sind in Blau dargestellt. Menschliche Überreste, die Anzeichen von Skorbut zeigen, sind mit einem orangen Punkt markiert.
Foto: Thanados.net

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang wieder das Kleinkind aus Grab 16. Auch dieses zeigt entsprechende Knochenläsionen. Dies legt nahe, dass die Versorgung mit ausreichend Vitamin C nicht nur für die frühmittelalterliche Bestattungsgemeinschaft schwierig war. Auch in der frühen Neuzeit bestand dieses Problem.

Zusammen mit anderen Parametern, wie etwa der Körperhöhe, degenerativen Gelenkveränderungen und dem Auftreten von (Infektions-)Krankheiten in der Gemeinschaft vervollständigt sich das Bild über das Leben auf dem Hemmaberg. Ergänzt wird dies durch Radiokarbondatierungen, Isotopen- und DNA-Analysen. Die Kombination der mittelalterlichen und der neuzeitlichen Befunde sowie deren interdisziplinäre Untersuchung geben damit einen tieferen Einblick in die Geschichte der Region sowie in die Lebensumstände der im Jauntal ansässigen Bevölkerung.
(Nina Richards, 14.4.2022)

Nina Richards ist Archäologin und Anthropologin und arbeitet sowohl am Österreichischen Archäologischen Institut als auch am Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In diesem Rahmen war sie in den letzten Jahren auch maßgeblich an der Entwicklung der Webapplikation Thanados beteiligt.

Link
  • Alle relevanten Informationen zum frühmittelalterlichen Gräberfeld auf dem Hemmaberg stehen – wie archäologische und anthropologische Daten zu über 430 weiteren Nekropolen – für jedermann frei zugänglich unter thanados.net zur
 
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