Am 3. August 1958 unterquerte die USS Nautilus als erstes Atom-U-Boot den Nordpol

josef

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WETTFAHRT IM KALTEN KRIEG
Vor 65 Jahren unterquerte das erste Atom-U-Boot der Welt den Nordpol
Am 3. August 1958 erreichte die USS Nautilus als erstes Schiff den Nordpol. Die Mission sollte die Fähigkeiten der USA demonstrieren und ein Signal an Moskau senden
Es war das Jahr 1958, der technologische Wettstreit zwischen den USA und der Sowjetunion war voll im Gange. Nur neun Jahre zuvor hatte die UdSSR ihre erste Atombombe gezündet und damit die kurze Alleinstellung der USA als Atommacht beendet. Die erste sowjetische Wasserstoffbombe war 1953 explodiert, nur ein Jahr nach dem ersten US-Wasserstoffbombentest. 1957 hatte dann eine spektakuläre Pionierleistung der Sowjetunion im Westen einen regelrechten Schock verursacht: Mit Sputnik 1 hatte Moskau den ersten Satelliten ins All geschickt. Der Öffentlichkeit wurde nun auch schlagartig bewusst, dass die Sowjetunion über eine Interkontinentalrakete verfügte und somit auch das gesamte US-Territorium mit Atomwaffen erreichen konnte.


1954 lief mit der USS Nautilus das erste nukleargetriebene U-Boot der Welt vom Stapel. Vier Jahre später gelang damit unter Kapitän William T. Anderson eine historische Fahrt – und ein PR-Stunt.
imago images/Ewing Galloway\UIG

Die nächste militärtechnische Pioniertat sollte sich im Ozean abspielen. US-Präsident Dwight D. Eisenhower hoffte, der Welt endlich wieder die amerikanische Überlegenheit vor Augen zu führen: Die USS Nautilus, das erste nuklearbetriebene U-Boot der Welt, sollte den Nordpol unterqueren. Damit würden nicht nur die Fähigkeiten einer neuen Generation an Unterseebooten mit beispielloser Reichweite demonstriert werden. Die Nautilus sollte auch ein unmissverständliches Signal an Moskau senden: Die USA konnten per U-Boot Atomwaffen unbemerkt an die sibirische Küste heranbringen.

Operation Sunshine
Der Grundstein für die Operation Sunshine genannte, zunächst streng geheime Mission der US-Marine war freilich schon unter Eisenhowers Vorgänger Harry S. Truman gelegt worden. 1951 hatte der US-Kongress den Plänen zum Bau des ersten Atom-U-Boots zugestimmt, zum Baubeginn 1952 hatte Truman pathetisch erklärt: "Der Tag, an dem die Schrauben dieses neuen Unterseebootes zum ersten Mal das Wasser zerteilen und es vorantreiben, wird der erhebendste Tag der Atomwissenschaft sein, seitdem der erste Blitz vor sieben Jahren in der Wüste aufleuchtete. Damals wussten wir, dass wir eine Bombe für den Krieg hatten. Nun werden wir eine Kraftanlage für den Frieden haben." Mit dem Blitz war der Trinity-Test im Juli 1945 gemeint, der erste Atombombentest der Welt.

1954 war die USS Nautilus mit der Identifikationsnummer SSN-571 vom Stapel gelaufen und stellte in der Tat einen technischen Meilenstein dar. Das 97,5 Meter lange, 8,5 Meter breite und 7,9 Meter hohe Unterseeboot wurde mit einem Uran-Druckwasserreaktor angetrieben und konnte enorme Strecken zurücklegen, ohne auftauchen zu müssen. Damit war es auch weitaus schwieriger zu entdecken als herkömmliche U-Boote und konnte, mit Atomwaffen bestückt, strategisch in den Ozeanen der Welt platziert werden. Der Reaktor beanspruchte auch viel weniger Platz als Dieselantriebe. Das erlaubte nicht nur großzügigere Stauräume, für die mehr als 100-köpfige Besatzung nahm sich das U-Boot als Luxusschiff aus: Es gab unter anderem ein Kino, eine Bibliothek und Coca-Cola-Automaten an Bord.


Die USS Nautilus bot der mehr als 100-köpfigen Besatzung angenehmere Reisen als herkömmliche U-Boote. An Bord gab es ein Kino und eine Bibliothek.
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Werbung für Atomkraft
Die luxuriöse Ausstattung, über die in der Presse nach der Indienststellung im Herbst 1954 ausführlich berichtet wurde, hatte freilich nicht nur das Wohl der Seeleute im Sinn: Das U-Boot sollte der US-Öffentlichkeit die Vorzüge der Atomkraft verdeutlichen, die auch Mitte der 1950er-Jahre nicht unumstritten war. Eine erfolgreiche Tauchfahrt vom Pazifischen in den Atlantischen Ozean unter dem Nordpol sollte dem Werbeprojekt die Krone aufsetzen. Dass die ersten beiden Versuche erfolglos abgebrochen werden mussten, wurde unter Verschluss gehalten.

Auch der Beginn des dritten Anlaufs erfolgte fernab der Öffentlichkeit. Am 23. Juli 1958 lief die USS Nautilus in Pearl Harbor Richtung Norden aus. Am 1. August tauchte sie vor dem nördlichsten Punkt Alaskas ab und erreichte zwei Tage später als erstes Schiff den geografischen Nordpol. "Ich sah fantastische steile Klippen – ganze Unterwassergebirgszüge – sich Hunderte von Metern über den Grund des Ozeans erheben. Die Form dieser Unterwassergebirge erschien gefaltet und grotesk wie die Krater auf dem Mond", hielt William T. Anderson, der Kapitän der USS Nautilus, in seinem Reisebericht fest.

Aufsehenerregende Passage
Dann erreichte das Atom-U-Boot sein prestigereiches Ziel. "Ich warf einen Blick auf den Abstandsmesser und zählte laut für die Mannschaft mit", schrieb Anderson später. "Acht ... sechs ... vier ... drei ... zwei, eins ... Jetzt! 3. August 1958, Zeit: 23.15 Uhr. Für die Vereinigten Staaten und ihre Flotte: ein Hoch auf den Nordpol!" Nach 96 Stunden und 1.830 Meilen unter dem Eis tauchte die Nautilus nordöstlich von Grönland wieder auf und schickte die Erfolgsmeldung an die Marine: "Nautilus 90 Nord".

Die Weltöffentlichkeit erfuhr erst einige Tage später von der erfolgreichen Unterquerung. Am 9. August 1958 dominierte die Reise der Nautilus die Titelseiten der US-Tageszeitungen, während Kapitän Anderson und seine Crew mit Orden und Ehren überhäuft wurden. Die "New York Times" zitierte ausführlich aus einer Pressekonferenz mit Anderson, der die Mission schilderte und auch über wissenschaftliche Messungen Auskunft gab, die die Nautilus in der Tiefe durchgeführt hatte. "Sollten uns die Russen entdeckt haben, sind sie extrem gut", sagte der damals 37-jährige Kapitän und betonte, dass man die Beringstraße selbstverständlich entlang der amerikanischen Seite durchquert habe.


1980 wurde das U-Boot außer Dienst gestellt.
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Wettrüsten im Ozean
US-Präsident Eisenhower hob wissenschaftliche und wirtschaftliche Chancen von Atom-U-Booten hervor. Naturgemäß war es aber die militärische Bedeutung, die in Moskau für Aufregung sorgte. Das nukleare Wettrüsten in den Meeren lief da freilich schon längst, schließlich hatte auch Igor Kurchatow, der "Vater" der sowjetischen Atombombe, schon 1950 die Entwicklung eines Nuklearantriebs vorgeschlagen. Mit der K-3 Leninski Komsomol hatte die Sowjetunion nur zwei Monate vor der Nautilus-Rekordfahrt ihrerseits ein erstes Atom-U-Boot in den Dienst gestellt.

Dabei sollte es nicht bleiben. In den folgenden Jahrzehnten wurden hunderte nuklearbetriebene Unterseeboote gebaut. Wie viele nuklearbetriebene Atom-U-Boote heute durch die Meere fahren, lässt sich nicht im Detail beantworten. Fest steht, dass auch die Zahl der Betreiberstaaten gewachsen ist, neben den USA und Russland verfügen heute auch Frankreich, Großbritannien, China und Indien über nuklearbetriebene Unterseeboote. Auch Brasilien und Australien kommen demnächst dazu.

Und was wurde aus der Nautilus? Sie stand bis Ende der 1970er-Jahre im Einsatz und kehrte dann an den Ort zurück, an dem sie gebaut worden war: Heute ist sie als Museumsschiff in Groton im US-Bundesstaat Connecticut ausgestellt.
(David Rennert, 3.8.2023)


Heute ist die USS Nautilus in Groton, Connecticut, als Museumsschiff ausgestellt.
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Vor 65 Jahren unterquerte das erste Atom-U-Boot der Welt den Nordpol
 
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