Gedenken an die Annexion von Österreich durch das Deutsche Reich am 12.03.1938

josef

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#41


Was man vor 80 Jahren nicht hören durfte

In der Sendung „Lust aufs Leben“ geht es am Sonntag ab 21.03 Uhr um Unterhaltungsmusik aus dem Jahr 1938. „Was meine Großeltern vor 80 Jahren nicht mehr hören durften“, so das Thema, zu welchem Michael Huemer im Radioarchiv gestöbert hat.
Sofort nach Hitlers Machtergreifung 1933 in Deutschland setzte die erste große Fluchtbewegung ein. Schriftsteller, Wissenschaftler, Komponisten, Künstler und Journalisten, darunter auch viele dort lebende Österreicher, flüchten über die nahen Grenzen nach Wien, Prag oder Paris, weil sie Juden oder politische Gegner des NS-Regimes oder beides waren. Ein Jahr später setzte der Bürgerkrieg in Österreich im Februar 1934 die nächste Fluchtwelle in Gang. Gerade diejenigen, die in einem Nahe- oder Arbeitsverhältnis zur Sozialdemokratie standen, hatten kaum mehr Chancen, Aufträge zu erhalten.


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Arbeitsmusik immer stärker
Immer stärker machte sich ein aggressiver Antisemitismus breit, einhergehend mit dem Aufschwung der eigentlich illegalen Nationalsozialisten. Die braunen Machthaber in Deutschland verlieren keine Zeit. Rund eine Woche nach dem Wahlsieg der NSDAP bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 wird das neue „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ geschaffen und Joseph Goebbels als Leiter eingesetzt. Damit werden die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt und der Weg freigeräumt für die legalisierte Verfolgung der politischen Gegner.

Das NS-Regime konzentrierte seine kulturpolitischen Programme auf zwei Bereiche des deutschen Musiklebens. Der gesamte Musikbetrieb wird organisiert durch eine Zwangsmitgliedschaft in der Reichsmusikkammer. Juden und Jüdinnen sind dabei ausgeschlossen. Alle Musikproduktionen werden durch diese nationalsozialistische Institution kontrolliert. Die Mitgliedspflicht aller Kulturschaffenden in der Reichsmusikkammer kam einem Berufsverbot aller „Nichtarier“ und nicht regime-konformen Künstlern gleich, die als „Kulturbolschewisten“ bezeichnet wurden.

Nach den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen von 1933 und der Vertreibung und Inhaftierung regimekritischer Künstler folgte 1937 die Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“, in der die ästhetischen und stilistischen Tendenzen der Moderne als „Degeneration“ und „Zersetzung“ gebrandmarkt werden. Ein Jahr später wird die berüchtigte Ausstellung auf das deutsche Musikerbe ausgedehnt. Es sollte eine abschreckende Schau im Mai 1938 bei den „Reichsmusiktagen“ in Düsseldorf werden.


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Kalman, Stolz als „geistig krank dargestellt“
Hörbeispiele, Bilder und Texte werden in der Ausstellung „Entartete Musik“ vorgeführt, einst gefeierte – aber jüdische – Operettenkomponisten wie Emmerich Kalman, Robert Stolz, Paul Abraham oder Leo Fall werden auf Bildtafeln mit verzerrten Gesichtern als „geistig krank“ dargestellt. Wie die Münchner Schau wird „Undeutsches“, „Nichtarisches“ an den Pranger gestellt. Jüdische Operetten und Schlagerkomponisten, atonale Werke und Jazz werden als „artfremd“ eingestuft.

Die Nationalsozialisten haben bald erkannt, dass der Rundfunk ein Instrument der Volksaufklärung und Propaganda sein würde. Das Ziel einer allumfassenden Hörerschaft konnte jedoch nur erreicht werden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben waren. Dazu zählte zunächst einmal die Schaffung einer mächtigen Organisation mit weitreichenden Kompetenzen, die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl preisgünstiger Rundfunkgeräte sowie die Gestaltung eines Programms im nationalsozialistischen Sinne. Die Verantwortlichen hatten erkannt, dass der Rundfunk zunächst als ein künstlerisches Instrument und erst in zweiter Linie als ein Nachrichtenmedium fungieren sollte. Joseph Goebbels, der Reichsleiter für Propaganda der NSDAP, wird zum Hauptverantwortlichen für die Rundfunkpolitik der Nationalsozialisten. Die Grundversorgung mit Rundfunkapparaten erfolgte mit dem Volksempfänger VE 301, der einschließlich Antenne 76 Reichsmark kostete. Das Nachfolgemodell DKE 38, das zum günstigen Preis von 35 Reichsmark zu haben war, wurde im Volksmund „Goebbels-Schnauze“ genannt.


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„Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern ...“
Dem Propagandaminister Joseph Goebbels lag vor allem an der Unterhaltungsmusik. Sie ließ sich hervorragend instrumentalisieren, da sie in einem scheinbar politikfernen Rahmen stattfand: Meist in der Freizeit entweder als Rundfunkhörer oder als Kinobesucher. Ablenkung und Entspannung standen an erster Stelle, der Weg zur Manipulation war da nicht mehr weit weg. Die den „schönen Schein“ propagierenden Schlager waren in der NS-Zeit alles andere als sozialkritisch. Sie hinderten die Menschen daran, über sich und ihre Situation nachzudenken, und gaukelten gleichzeitig vor, dass um diese Situation alles richtig bestellt sei. „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ singt Heinz Rühmann. Marika Rökk betont das im Lied „So schön wie heut‘, so müßt‘ es bleiben“ und Gustaf Gründgens beschwört es in „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“.

Schlager können eine wichtige Rolle bei der Lebensbewältigung spielen, besonders in Krisenzeiten. Der Hörer erwartet von der Musik die Verkündigung einer „heilen Welt“, die ihm in schwieriger Zeit Verständnis, Geborgenheit und Trost verheißt und ihm das Gefühl des Verstandenseins bietet. Die Trostbedürftigkeit war bereits vor 1933 gefragt, da die Existenz breiter Mittelschichten und besonders der Arbeiter und Arbeitslosen durch die sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise bedroht war. Mit den Schlagern wurde vordergründig eine Idylle aufgebaut, die dazu führte, die Welt ringsum zu vergessen. „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“, „Eine Insel aus Träumen geboren“ oder „Kauf dir einen bunten Luftballon“ sollen dafür stehen. Dazu gehörten im Nationalsozialismus ganz stark die Rolle der Heimat und die der Frau.


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Leinwandstar drehte für deutschen Film
Pola Negri kam 1914 nach Berlin, wo sie schnell zum gefeierten Stummfilmstar wurde. Sie drehte sowohl in Berlin als auch in Hollywood. Ihr gelang der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, was damals nicht selbstverständlich war. Sie war Jüdin, hieß eigentlich Appolonia Chalupec und kam im polnischen Lipno auf die Welt. Mit ihrem Privatleben machte der schillernde Leinwandstar von sich reden. Man sagte ihr kurze Liebesbeziehungen mit Charlie Chaplin und Rudolph Valentino nach. 1938 produziert man in Berlin „Die Nacht der Entscheidung“, der letzten Rolle von Negri in einem deutschen Film. Zwei Lieder des Films mussten im Aufnahmestudio bei der Carl Lindström Gesellschaft in Kreuzberg eingesungen werden.

Bis vor wenigen Jahren waren die gehobeneren Posten dieser Firma noch von jüdischen Mitarbeitern besetzt gewesen, jetzt waren sie weg. Es wird wohl so gewesen sein, dass der Filmstar von einem Chauffeur mit Limousine vom Hotel zum Studio und zurück gebracht wurde. Die Titel wurden am 10. November aufgenommen, am Tag nachdem das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung stattfand.

Was sah Pola Negri aus dem Fenster der Limousine als sie durch die Stadt fuhr? Konnte sie den Aufnahmetermin nicht ändern oder dachte sie nur an sich selbst und nicht an das, was um sie herum stattfand? „Zeig der Welt nicht dein Herz, wenn Dir auch zum Weinen ist, keep smiling, my dear, keep smiling“. Die „femme fatale“ ahnte wohl schon, was auf sie zukommen würde.


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Marika Rökk

Liebe und Treue zur Heimat
Schlagermelodien sollten leicht singbar sein, durch sie sollten Emotionen geweckt und das Bewusstsein für die Liebe und Treue zur Heimat geschärft werden. Komponisten wie Theo Mackeben, Peter Igelhoff, Werner Bochmann, Franz Grothe, Michael Jary oder Peter Kreuder mussten und konnten entsprechend texten und komponieren. Eine eigene Note bekamen die Lieder jedoch erst durch ihre Interpreten. Die aus dem Rundfunk, dem Film und der Bühne bekannten Sängerinnen und Sänger dieser Zeit wie Lale Andersen, Zarah Leander, Marika Rökk, Rosita Serrano, Ilse Werner, Hans Albers, Willi Forst, Johannes Heesters oder Heinz Rühmann waren die Stars dieser Zeit. Sie machten sagenhafte Karrieren und feierten wahre Triumphe. Ihr Erfolg beruhte neben eigenem Können, das man nicht absprechen kann, auch auf den für sie günstigen Rahmenbedingungen.

Die staatlich verordnete „Ausschaltung“ politisch unliebsamer und jüdischer Künstler aus dem Kulturbereich und deren Emigration bedeutete für die verbliebenen Musiker und Schauspieler ein konkurrenzfreieres Betätigungsfeld. Auch profitierten die neuen Stars von einer verbesserten Technik, die nun für ein Massenpublikum vorhanden war und dessen Bedürfnisse befriedigt werden mussten.

Kabarett am stärksten betroffen
Der „Anschluss“ vor 80 Jahren brachte für das österreichische Musikleben einschneidende Folgen und betraf zunächst diejenigen, die aus „rassischen“ Gründen ab März 1938 sofort einschneidenden Verfolgungen und Drangsalierungen ausgesetzt waren. Neben der Operettenbranche war das in den 1930er-Jahren boomende Kabarett vielleicht am extremsten betroffen. Das österreichische Kabarett dieser Zeit zeichnete sich durch launigen, leichten Humor aus. Das politische Kabarett fasste erst in den 30er-Jahren in Wien Fuß. „Lieber Augustin“, „Die Stachelbeeren“, auch der „Simpl“ gehörten dazu, die 1938 alle geschlossen wurden, die Mehrzahl der Mitwirkenden und Autoren wurden entweder inhaftiert oder gingen in die Emigration.

Grünbaum und Farkas im Simpl
Fritz Grünbaum, 1880 in Brünn, Österreich-Ungarn geboren, war Regisseur, Schauspieler, Conférencier, Schlagerautor und Kabarettist, ein vielfältiger Mann. Zusammen mit Karl Farkas entwickelte er die „Doppelconference“ und führte sie zu einer Hochblüte. Beide konferierten gemeinsam am Tag vor dem Einmarsch der deutschen Truppe zum letzten Mal auf der Bühne des Wiener Simpl in der Wollzeile 36. Einen Tag später versuchte Grünbaum mit seiner Frau in die Tschechoslowakei zu flüchten, wurde an der Grenze aber abgewiesen.

Eine Weile versteckt er sich in Wien, wird dann verraten und in das Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er 1941 starb, am Totenschein stand „an Herzlähmung abgegangen“. Knapp drei Wochen später konnte man bereits in den „Wiener Neuesten Nachrichten“ lesen: „Die kleine Kunstbühne in der Wollzeile hat eine erfreuliche Wandlung durchgemacht. Sie ist endlich arisch geworden“.


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Jazzverbot im Oktober 1935
Im Oktober 1935 trat im Deutschen Reich ein Jazzverbot in Kraft. „Der Niggerjazz ist von heute ab im deutschen Rundfunk endgültig ausgeschaltet“. Die Nationalsozialisten hassten den Jazz schon deshalb, weil er aus Amerika stammte und viele Musiker Schwarze waren. Das Parteiblatt „Völkischer Beobachter“ feierte den Erlass als wichtigen Schritt im Kampf gegen die „zersetzende Tätigkeit des kulturbolschewistischen Judentum“. Die Folgen dieses Verbotes waren vorerst noch gering. In Wahrheit fiel es den NS-Bürokraten schwer, überhaupt zu definieren, was Jazz ist.

Propagandaminister Joseph Goebbels sprach unbeholfen von „Musik mit verzerrten Rhythmen und atonaler Melodieführung“, für die „die Verwendung gestopfter Hörner“ typisch sei. Selbst das Saxophon wird zur Gefahr und ein Verbot des Instrumentes diskutiert, allein schon wegen seines Zusammenhangs mit dem Nachtclub- und Rotlicht-Milieu gilt der Jazz als unmoralisch. Diese erotisch-sexuelle Komponente verkörperten vor allem die unbekümmert-vitalen Musiker sowie das Saxophon, das Freunde wie Feinde gern als Phallus-Symbol verstanden. Swing war bei der deutschen Bevölkerung jedoch beliebt, daran änderten alle Verbote nichts. 1936, als die Machthaber Berlin zu den Olympischen Sommerspielen als moderne Metropole weltoffen präsentieren wollten, durfte der Schweizer Teddy Stauffer mit seinen „Original Teddys“ ausnahmsweise noch unbehelligt die Deutschen und ab 1938 die Ostmärker mit der verbotenen Frucht des Swing beglücken. Nach Kriegsbeginn war es damit vorbei.
Michael Huemer
Publiziert am 26.04.2018
http://ooe.orf.at/radio/stories/2909361/
 

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#42
JMW: Scheinehen als Lebensrettung
„Verliebt. Verlobt. Verheiratet“ - das Jüdische Museum Wien hat den Kinderreim für seine neue Ausstellung uminterpretiert: „Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil“ widmet sich einem Thema, das lange unerforscht geblieben ist.

Stellvertretend für die vermutlich Hunderten Jüdinnen, die sich für eine Scheinehe entschieden, um den Nationalsozialisten zu entgehen, werden 13 Frauen porträtiert. „Scheinehen waren mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine Überlebensstrategie für jüdische Frauen in Österreich“, sagte Direktorin Danielle Spera bei einer Presseführung anlässlich der Eröffnung.

„Der Zweck war, eine Ausreisemöglichkeit in ein anderes Land zu bekommen.“ Ab März 1938 nahm die Zahl der Eheschließungen in der jüdischen Gemeinde in Wien stark zu, berichtete Irene Messinger, die die Schau gemeinsam mit Sabine Bergler kuratiert hat. Durch die Heirat erhielten die Frauen die Staatsbürgerschaft ihres Ehemannes.


Jüdisches Museum Wien/Wulz.cc

Bekannte und unbekannte Frauen im Fokus
Die Motive der Männer, die eine Scheinehe eingingen, waren Bezahlung, familiärer Zusammenhalt - einige Frauen heirateten ihre Cousins -, oder es waren Männer, die ihre Homosexualität verbergen mussten. „In manchen Fällen gab es auch Scheinehen, die aus Solidarität und Hilfsbereitschaft gemacht wurden“, sagte Spera. Einige Männer erklärten sich auch aus politischen Gründen, als Akt des Widerstands, zur Ehe bereit.

Da das Thema Scheinehe oft tabuisiert wurde und viele Frauen nicht darüber sprachen, blieb es lange Zeit unerforscht. Die Idee zur Ausstellung stammt von Messinger, die ihre Dissertation über das Thema schrieb. Sie stieß im Rahmen ihrer Recherchen auf 100 Fälle, die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher sein.

Unter den porträtierten Frauen finden sich bekannte wie die Theaterleiterin Stella Kadmon und die Violinistin Alma Rose sowie Frauen, deren Geschichte erst jetzt durch wissenschaftliche Recherchen und Aufzeichnungen aus der Familie bekannt wurde.

„Manche Männer nutzten die Situation aus“
„Es waren durchwegs mutige Frauen, denn Scheinehen waren mit Risiken verbunden“, sagte Spera. „Manche Männer nutzten die Situation aus“, erzählte Messinger. „Es wurde von sexuellen Übergriffen, sexueller Gewalt und von Erpressungen berichtet.“

Die Ausstellung, die sich über die drei Räume des Museums am Judenplatz erstreckt, widmet sich 13 Frauenschicksalen. An den Wänden sind jeweils ein großes Foto der Frau, ihre wechselnden Namen und ihre Fluchtrouten abgebildet. Ein kurzer Text widmet sich den drei Lebensphasen, der Zeit in Wien vor der Ehe, der Zeit während der Scheinehe und der Phase danach.

Auch persönliche Gegenstände der Frauen wie eine Schreibmaschine oder Kleidungsstücke sowie Scheinehedokumente sind ausgestellt. Von manchen Frauen existieren Videoaufnahmen, in denen sie über ihre Scheinehe sprechen. Die Lebensgeschichten der Frauen nahmen unterschiedliche Ausgänge: Kadmon konnte sich etwa nach Palästina retten, Rose wurde nach Auschwitz deportiert, wo sie 1944 starb.

Kuratorin sieht Parallelen zur Gegenwart
Auch wenn sich die Ausstellung auf die Zeit während des Nationalsozialismus konzentriert, könne man durchaus Parallelen zur Gegenwart ziehen, sagte Messinger. „Seit den 1990er Jahren gibt es in Europa eine verstärkt restriktive Flüchtlingspolitik, daher hat das Phänomen der Scheinehe wieder an Bedeutung gewonnen.“ Mit der Verschärfung des Fremdengesetzes 2006, die die Scheinehe unter Strafe stellte, sei die Zahl aber wieder zurückgegangen. Die Ausstellung wird bis 7. Oktober im Museum am Judenplatz gezeigt.

Link:
Publiziert am 15.05.2018
http://wien.orf.at/news/stories/2912972/
 
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