Zur Überwindung eines unkomplizierten grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs innerhalb der europäischen Staaten ist noch viel zu tun

josef

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Tücken und Lücken bei Zugsreisen durch Europa
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Ganz Europa soll grüner werden und Flugreisen seltener. Vor allem Kurzstreckenflüge müssen durch Bahnreisen ersetzt werden, um die Klimaziele zu erreichen. Die EU will den Umstieg schmackhaft machen. So leicht ist das aber gar nicht, Bahnstrecken werden oft bis zur nächsten Grenze gedacht. Schnell einmal von Wien nach Paris – das spielt es nicht.
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Die Europäische Union setzte sich mit ihrem „Green Deal“ große Ziele: Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Dass damit nicht mehr jede Urlaubsreise mit dem Flugzeug oder dem Dieselauto angetreten werden kann, ist eine logische Folge. Die Bahn soll wieder mehr Menschen an Bord nehmen und die Länder Europas miteinander verbinden.

Um diesen Plan auf Schiene zu bringen, wird prestigeträchtig geworben. Im Herbst startet ein speziell eingerichteter Zug eine Reise durch ganz Europa, der „Connecting Europe Express“. Er soll das Aushängeschild im heurigen „Jahr der Schiene“ sein. Am 2. September wird der Zug Lissabon verlassen und mehr als 70 Städte in 26 Nationen ansteuern. Auch in Österreich wird er mehrmals haltmachen, Endstation ist am 7. Oktober in Paris. Rund um die Haltestellen sind Veranstaltungen und Konferenzen geplant. Man will auch junges Publikum ansprechen, das ohnehin begehrtes Zielpublikum für Bahnreisen durch Europa ist. Es gibt eine eigene Spotify-Playliste mit Songs über Züge und Reisen aus jedem Land, in dem der Express hält. Auch ein Fotowettbewerb wurde veranstaltet.

Verbundenheit mit Mangel an Verbindungen
Die Reise des „Connecting Europe Express“ soll Lust auf die Bahn machen, egal ob auf privaten oder geschäftlichen Reisen, und „Symbol der Verbundenheit“ sein. Allein, der Anschluss ist oft einfach nicht gegeben, wie die EU-Kommission selbst kritisiert. „Der Zug dient uns auch als Erinnerung daran, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, bevor die Schiene für die Europäer zum bevorzugten Transportmittel wird.“ Der Hauptgrund dafür ist die „mangelnde Interoperabilität“: Der Zug, der in Belgien fährt, kann nicht einfach auf österreichischen Schienen rattern. Jedes Land hat eigene Technik.

Es gibt keine einheitliche Betriebssprache, keine gemeinsamen Signale, Regeln und keine übergeordnete Behörde, die den Verkehr managt. Auch die Stromnetze sind unterschiedlich. Davon wird selbst die Fahrt des „Connecting Europe Express“ beeinträchtigt sein. So müssen etwa wegen der unterschiedlichen Spurweiten in Europa drei verschiedene Züge verwendet werden.

Es fehlen aber auch des Öfteren die elementarsten Dinge, Lücken, die es verhindern, dass ein Zug einfach durch Europa fahren kann. Allzu oft sind es die Gleise, die an der Grenze enden. Auch in Österreich gibt es die Stellen, wo der Grenzübertritt per Bahn nicht möglich ist, wie etwa auf der Strecke von Wien nach Laa an der Thaya, wo nach Tschechien zwei Streckenkilometer Gleis fehlen. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr wiederhergestellt. Ähnlich ist die Lage zwischen Bad Radkersburg und Slowenien.

Rot ist nicht gleich Rot
Das sind Probleme, die Josef Doppelbauer zur Genüge kennt. Der Österreicher steht der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) vor. Eine der Hauptaufgaben ist es, die Interoperabilität innerhalb der EU zu stärken – eine Sisyphosarbeit. In den vergangenen Jahren wurden durch die Arbeit der ERA aus über 14.000 nationalen technischen Vorschriften um die 500. Im Gespräch mit dem ORF erklärte Doppelbauer anhand zahlreicher Beispiele, welche Probleme bei einem Grenzübertritt per Zug auftreten können. Lokführerinnen und -führer müssten die Sprache des Landes können, in denen sie fahren. Die Signalsysteme seien unterschiedlich: „Ein rotes Licht bedeutet nicht überall dasselbe.“


www.connectingeuropeexpress.eu
Die Fahrt des „Connecting Europe Express“

„In Belgien heißt es ‚Fahren auf Sicht‘, in Österreich bedeutet es ‚Halt‘. In England müssen im Fall eines Brandes die Türen aufgehen, in Frankreich müssen die Türen geschlossen bleiben.“ Man müsse also für alle Eventualitäten geschult sein und auch die Strecken kennen.

Günstige Verbindung oft wichtiger als günstiger Preis
Früher war der Schienenverkehr weit internationaler konzipiert und damit teils auch schneller als heute. Gleise und Waggons waren europaweit kompatibel, die Grenzen per Zug passierbar. Die Bahn müsse nun wieder attraktiviert und in den Gesamtverkehr integriert werden, so Doppelbauer. Regularien müssten angepasst werden und die Besteuerung der verschiedenen Transportarten gerechter gestaltet – auch die CO2-Besteuerung sei ein Thema.

Für Passagierinnen und Passagiere der Bahn stünde nicht immer der kleine Preise im Vordergrund. „Ich brauche zunächst eine günstige Bahnverbindung. Wenn ich fünfmal umsteigen muss, um zum Ziel zu gelangen, ist die Bahn nicht attraktiv. Man braucht Direktverbindungen zumindest zwischen allen größeren europäischen Städten, wo man mit maximal einem Umstieg relativ zügig ans Ziel kommt“, so Doppelbauer.

Viel Prestige für Nightjets
Österreich liegt beim Personenverkehr im EU-Vergleich weit voran. Hier legt man laut Wirtschaftskammer mit 1.502 Kilometern pro Person mehr Bahnkilometer zurück als jedes andere Mitgliedsland. Auch die Anzahl der Fahrgäste steigt von Jahr zu Jahr, die Pandemie ausgenommen. Die Bundesbahnen bewerben die eigene Klimafreundlichkeit und fordern den weiteren Ausbau des Schienennetzes. Auch grenzüberschreitende Fahrten werden beworben, ein eigenes Buchungsportal soll europaweite Zugsreisen mit Hotelübernachtungen verbinden.
APA/AFP/Jan Woitas
Rot ist nicht gleich Rot: In verschiedenen Ländern haben Signale unterschiedliche Bedeutungen

Mit der Renaissance des Nachtzugs eroberten die ÖBB viel Prestige. Neben etlichen anderen Zielen gab es heuer nach 16 Jahren Unterbrechung erstmals wieder eine Nachtverbindung zwischen Wien und Brüssel. Bis Ende des Jahres sollen Paris und Straßburg dazukommen. Geplant ist auch eine neue Verbindung zwischen Wien, Prag und Berlin. Von Wien-Favoriten nach Berlin-Mitte soll es nicht länger als vier Stunden dauern.

Auch die ÖBB sehen aber die größte Herausforderung darin, dass die Bahnsysteme national gedacht werden, wie es gegenüber ORF.at heißt. Bei jedem Grenzübertritt gelten andere Regeln, andere Technik. „Hier braucht es deutlich mehr Europa, sprich Vereinheitlichungen.“ Auch die Infrastruktur sei nicht überall gleich gut ausgebaut. Wichtig seien „ein klares Bekenntnis der Politik zum System Bahn und mutige Entscheidungen“. Österreich habe hier aber schon eine Vorbildfunktion.

Engstelle politischer Wille
In vielen Ländern Europas bleiben aber die Direktverbindungen das große Manko. Die Zeit drängt, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Geht es nach den Plänen der EU-Kommission, soll der Hochgeschwindigkeitsverkehr auf Schiene bis 2050 verdreifacht werden, beim Güterverkehr ist eine Verdoppelung vorgesehen. Dafür müssen aber erst die Weichen gestellt werden. Voriges Jahr trat dazu bereits das vierte europäische Eisenbahnpaket in Kraft. Es soll helfen, die vielen nationalen Hürden zu beseitigen und auch das Nachtzugsnetz in ganz Europa voranzubringen. Auch das Mandat der ERA wurde erweitert.

Für deren Chef Doppelbauer hakt es oft nicht an der Finanzierung, sondern am politischen Willen. Es brauche nicht nur harte Investitionen, auch Engstellen müssten beseitigt werden. Er wünschte sich mehr grenzüberschreitende Ticketangebote und auch, kleinere Gleislücken an den Grenzen zu schließen. Mit solchen Maßnahmen könne man mit wenig bis keinen Kosten viel voranbringen. Das nationale Staatsbahndenken sei noch tief verankert. „Man wird nicht alle Eigenheiten abschaffen können, aber wir sind bestrebt, möglichst starke Vereinfachungen durchzusetzen.“
31.07.2021,Caecilia Smekal, ORF.at, Raffaela Schaidreiter, ORF, beide aus Brüssel

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Gleis und Ende: Tücken und Lücken bei Zugsreisen durch Europa
 
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