Vor 100 Jahren sprachen sich 80 Prozent der Vorarlberger bei einer Abstimmung für einen Anschluss an die Schweiz aus

josef

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100 Jahre Kanton Übrig
Vor 100 Jahren wollten die Vorarlberger Schweizer werden. Am 11. Mai 1919 sprachen sich 80 Prozent der Abstimmenden für Verhandlungen mit der Schweiz über einen Beitritt zur Eidgenossenschaft aus. Doch was geschah damals wirklich?
Im November 1918 wurde in Wien die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen - ein Staat aus den Ländern, die von der Habsburger Monarchie noch übrig geblieben waren, deren Zukunft aber völlig unklar war.

Diese Stimmung wurde vor allem von einem angeheizt: Der Lustenauer Lehrer und Kinobesitzer Ferdinand Riedmann trommelte landauf, landab für einen Anschluss an die Schweiz. „Er hat den Ton angegeben und die Politik monatelang vor sich hergetrieben“, sagte Historiker Meinrad Pichler.


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Für den Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz gab es viele Fürsprecher

Propaganda und Antisemitismus
Die Propaganda für den Anschluss war gewürzt mit Aversionen gegen die Großstadt Wien und das moderne Leben und einer Portion Antisemitismus.

Die fehlende Moral und die Nichtwertschätzung des Ländlichen habe man den Juden in die Schuhe geschoben, sagte Pichler. Deswegen sei der Antisemitismus für Riedmann ein wesentliches Kampfmittel im Kampf um ein selbständiges Vorarlberg gewesen.

Bessere Lebensverhältnisse
Die Schweiz war aber vor allem aufgrund der besseren Lebensverhältnisse für die Vorarlberger attraktiv. „Nachdem die Schweiz nicht kriegserschüttert und in Vorarlberg alle Ressourcen aufgebracht und die Not groß war, während in der Schweiz das Leben ganz normal weiterging, war das natürlich ein unheimlich attraktives Angebot“, so Pichler.


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Der damalige Landeshauptmann Otto Ender

Die Landesregierung unter Otto Ender gab dem Drängen nach einer Volksabstimmung schließlich nach. Nur fünf Tage vor dem Termin wurde sie angekündigt. Gegen einen Anschluss an die Schweiz argumentierten die Textilfabrikanten, hohe Kirchenvertreter und auch Vizekanzler Jodok Fink, der die Republik gefährdet sah.

Große Mehrheit für Anschluss an die Schweiz
Gut 80 Prozent der Abstimmenden stimmten dafür, Verhandlungen mit Bern aufzunehmen über einen Beitritt Vorarlbergs zur Eidgenossenschaft. Erst nach Abschluss der Verhandlungen sollte die Abstimmung darüber stattfinden, ob Vorarlberg der Schweiz beitritt, und umgekehrt, ob es in der Schweiz als Kanton aufgenommen wird, sagte der Leiter des Landesarchivs Ulrich Nachbaur.


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Der Aufruf zur Abstimmung am 11.5.1919

So weit kam es allerdings gar nicht, weil das Thema bei den Friedensverhandlungen in St. Germain nicht einmal auf der Tagesordnung landete. Da nützten auch diverse Denkschriften nichts mehr, die in den folgenden Jahren erschienen - Vorarlberg blieb, was die Anschlussgegner auf ihren Flugblättern schon prophezeit hatten: der „Kanton Übrig“.

Publiziert am 10.05.2019
100 Jahre Kanton Übrig
 
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