Unesco-Weltkulturerbe Gebiet Wachau weist Spuren der unterschiedlichsten Epochen der Vergangenheit auf

josef

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Kulturlandschaft Wachau: Venus von Willendorf trifft König Löwenherz
Das als Unesco-Weltkulturerbe deklarierte Gebiet weist Spuren der unterschiedlichsten Epochen der Vergangenheit auf
Auf einer Strecke von 35 Kilometern, zwischen Melk und Krems, zieht sich die Flusslandschaft der Wachau durch die südlichen Ausläufer der Böhmischen Masse und trennt so das Waldviertel vom Dunkelsteinerwald. Die Region ist vor allem in ihren donaunahen Lagen von einem milden Klima geprägt, und das macht sie zu einem bekannten Obst- und Weinanbaugebiet. So genießen nicht wenige die Wachauer Marille als Frucht sowie veredelt als Marmelade oder in hochprozentiger Ausführung.

Als touristischer Sehnsuchtsort und Vorzeigeregion mit reicher Kultur tritt die Wachau auch in Liedern, Filmen und Büchern auf. Viele können wohl zumindest ein paar Zeilen des Liedes "Mariandl" von Maria Andergast von 1947 nachsingen. Die dazugehörigen Filme "Der Hofrat Geiger" (1947) und "Mariandl" (1961) spielen unter anderem in der Wachau. Auch Umberto Eco lässt im Vorwort zu "Der Name der Rose" seinen namenslosen Ich-Erzähler nach einer Abschrift des Mönchs Adson von Melk in der berühmten Melker Stiftsbibliothek suchen. Nehmen wir dazu noch all die Hubschrauberflüge über den Wachauer Abschnitt der Donau bei den Fernsehübertragungen des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker, so wird klar, dass die Wachau ein fester Teil österreichischer Populärkultur ist.


Blick von Spitz an der Donau nach Süden. Als Verbindungslinie vom Schwarzen Meer bis nach Mitteleuropa war die Donau ein bedeutender Faktor für die Ausbreitung menschlicher Kultur seit dem Paläolithikum.
Foto: Caroline Posch

Allerdings ist die Wachau auch eine der ältesten Kulturlandschaften Europas. In ihr haben sich die Spuren einer kontinuierlichen Nutzung über die Jahrtausende hinweg in zahlreichen archäologischen Fundstellen erhalten. Mit ihrer Erforschung seit dem späten 19. Jahrhundert begann die bis heute andauernde Beziehung des Naturhistorischen Museums Wien (NHMW) mit der Wachau.

Wachauer Urgeschichte
Die ersten prähistorischen Funde der Wachau wurden auf dem Gebiet der Gemeinde Willendorf gemacht. Hier sammelte der Inhaber der Ziegelei Brunner seit den 1870er-Jahren Feuersteingeräte auf, die er an seine Bekannten verschenkte und welche als Zündsteine von Feuerzeugen zweckentfremdet wurden. Erst Leopold Koch und Ferdinand Brun erkannten in den 1880er-Jahren ihre Bedeutung. 1884 führte Brun erste Untersuchungen in der Fundstelle Willendorf I durch. Diese war eine der ersten, deren Funde direkt aus einer Schicht im Löss geborgen wurden, die viele Meter unterhalb der damaligen Oberfläche lag. Für den Beleg des wahrlich "vorsintflutlichen" Alters der Fundstelle war dies entscheidend.


Die große Bedeutung der Willendorfer Lössprofile zeigt sich darin, dass für die Ausgestaltung des Saals XI des NHMW unter anderem das Bild "Lösswand bei Willendorf" bei Hugo Darnaut in Auftrag gegeben wurde.
Foto: A. Schumacher

1890 erfolgten Ausgrabungen durch Ludwig Hans Fischer an der Willendorfer Fundstelle Ziegelei Ebner, die später als Willendorf II in die archäologische Geschichte eingehen sollte. Weitere paläolithische Fundstellen, vor allem entlang des linken Donauufers, fanden sich unter anderem bei Aggsbach, Spitz-Mießlingtal, Senftenberg und Stratzing, sowie in den Fundstellenkonzentrationen um Krems.

Erste Menschen und steinerne Schönheiten
Die Fundstelle Willendorf II liegt etwas oberhalb der heutigen Ortschaft Willendorf. Im Zuge ihrer mittlerweile fast 140 Jahre andauernden Erforschung zeigte sich, dass die Terrasse an der Donau insgesamt neun Mal über einen Zeitraum von 15.000 Jahren hinweg als Lagerstelle aufgesucht wurde. Die Überreste der Kulturschicht AH3 können bereits dem anatomisch modernen Menschen zugeordnet werden und datieren in die Zeit vor etwa 43.000 Jahren. Somit handelt es sich um eine der ältesten Fundstellen des Homo sapiens in ganz Mitteleuropa.


Die Fundstelle "Willendorf II" von der Donau aus gesehen. Das dort noch erhaltene Lössprofil ist ein wichtiges Archiv für die kulturelle und klimatische Entwicklung des Jungpaläolithikums nicht nur der Region, sondern für Mittel- und Osteuropa.
Foto: W. Antl-Weiser


Ihre Bezeichnung als Venus verdankt die Figurine von Willendorf dem Marquis de Vibraye. Dieser hatte bereits 1864 in Frankreich eine nackte Frauenfigur entdeckt, die er wenig schmeichelhaft als "Venus impudique" (schamlose Venus) bezeichnete, im Kontrast zum Typus der "Venus pudique / pudica" (schamhafte Venus = minimale Bedeckung der weiblichen Nacktheit durch etwas Stoff oder Hand-/Beinhaltung).
Foto: A. Schuhmacher

Allerdings ist Willendorf II vor allem auf Grund eines 1908 entdeckten Fundes aus der obersten Fundschicht (Datierung um 29.500 vor heute) bekannt: Der Venus von Willendorf. Sie war nicht nur aufgrund ihrer künstlerischen Qualität eine wahre Sensation, sondern stellte die erste paläolithische Frauenfigur aus einer gesicherten archäologischen Schichtfolge dar. Daher stand von Anfang an ihr eiszeitliches Alter, im Gegensatz zu anderen Figuren, nie zur Debatte.


Mit ihrem erhobenen Arm und den leicht gedrehten Oberkörper wirkt die Figur von Stratzing wie eine in der Pirouette erstarrte Tänzerin. Dies brachte ihr den Spitznamen "Fanny" ein, nach der österreichischen Tänzerin Fanny Elßler (1810–1884).
Foto: A. Schuhmacher

Die Nacktheit dieser Frauenfiguren irritierte die Forscher und Forscherinnen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und ging oftmals mit ihrer Sexualisierung einher. Noch heute ruft die mittlerweile weltweit bekannte "Venus von Willendorf" bei Menschen in aller Welt eine weite Bandbreite an Emotionen hervor und regt als Projektionsfläche zu Diskussionen an.

1988 wurde nahe Krems in einer um 36.000 vor heute datierenden Holzkohleschicht ein weiteres Stück paläolithischer Kunst gefunden: Die "Statuette vom Galgenberg" bei Stratzing/Krems-Rehberg Mit ihrer aufrechten Körperhaltung reiht sie sich gut unter die zeitgleichen Figuren ein, wie etwa die "Venus vom Hohle Fels" oder den "Löwenmensch".

Geschichten einer fernen Kindheit
2005 und 2006 machten Archäologinnen und Archäologen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen traurigen Fund: Bei Krems-Wachtberg traten eine Doppelbestattung zweier Säuglinge sowie eine Einzelbestattung eines drei Monate alten Kindes zutage. Beide Bestattungen datieren die Zeit um 31.000 vor heute. Die Untersuchungen der menschlichen Überreste, an denen auch Anthropologinnen und Anthropologen des NHMW beteiligt waren, ergaben, dass es sich bei den Kindern um Blutsverwandte handelte. So sind die zusammen bestatteten Säuglinge eineiige männliche Zwillinge. Bei dem einzeln bestatteten Kind handelt es sich hingegen um einen männlichen Cousin dritten Grades.

"King"-napping in Dürnstein
Die menschliche Nutzung der Wachau als Lebensraum hörte auch nach dem Ende der Altsteinzeit nicht auf. Höhensiedlungen bei Krems und Melk zeigen die Nutzung des Gebietes durch jungsteinzeitliche Menschen. Zudem wurden im Bereich des Stiftes Melk Reste einer spätbronzezeitlichen Ansiedlung freigelegt.

Nach der Zeitenwende kam der Wachau als Teil des römischen Donaulimes vor allem eine Funktion als militärische Grenzlandschaft zu. An der Donau haben sich bis heute zahlreiche bauliche Überreste des norischen Limes erhalten, wie etwa in Bacharnsdorf, St. Lorenz, Rossatz-Windstallgraben und St. Johann im Mauerthale.

Von besonderer Bedeutung ist das Kastell Favianis (Mautern), dessen Überreste seit 2021 Teil des Unesco-Weltkulturerbes Donaulimes sind. Das Kastell diente vom 1. bis zum 5. Jahrhundert nach Christus wahrscheinlich als Reiterlager, in der Spätantike auch als Stützpunkt der Donauflotte. Laut der "Vita Sancti Severini" starb hier am 8. Jänner 482 der heilige Severin, kurze Zeit später plünderte der Rugierkönig Frederuch das dortige Kloster. Nach 488 dürfte Favianis über 300 Jahre lang weitgehend unbewohnt gewesen sein.

Die folgenden Jahrhunderte sah die Wachau neben zahlreichen sakralen Bauten – wie den Stiften Göttweig (1083) und Melk (1089) – die Errichtung einer Vielzahl von Burgen entlang der Donau. Eine davon, Burg Dürnstein, war Schauplatz des wohl berühmtesten "King"-napping-Falls des Mittelalters: So war König Richard Löwenherz vom 21. Dezember 1192 bis zum 4. Februar 1193 auf der Burg Dürnstein festgesetzt, bevor er über verschiedene Zwischenstationen erst Anfang 1194 von seiner Mutter Eleonore von Aquitanien durch ein beträchtliches Lösegeld wieder ausgelöst wurde.

"Kulturlandschaft Wachau" als Unesco-Weltkulturerbe
Diese und viele weitere kleine und große Begebenheiten präsentieren die Wachau als eine Flusslandschaft mit langer Geschichte. Denn Landschaften sind per se keine statischen Gebilde. In diesen Kulturlandschaften werden von Menschen erbaute Strukturen im Laufe ihrer Geschichte genutzt, umgebaut, verändert und zerstört. Die Wachau selbst ist hier ein außerordentliches Beispiel, wo sich archäologische und historische Denkmale in bemerkenswerter Qualität erhalten haben. Die Anwesenheit des Menschen in Europa ist so von Beginn an bis heute fassbar.

Aus diesen Gründen wurde die Wachau 2000 als "Kulturlandschaft Wachau" Teil des Unesco-Weltkultur und -Naturerbes. Die Unesco honoriert somit sowohl die lange Geschichte der Region wie auch ihre weiterhin aktive Nutzung als lebendiger Lebensraum zwischen Obstgärten und Weinbergen, archäologischen Fundstellen und mittelalterlichen und barocken Klöstern, Burgen, Städten und Dörfern.
(Caroline Posch, Walpurga Antl-Weiser, 15.9.2022)

Walpurga Antl-Weiser ist assoziierte Wissenschafterin am Naturhistorischen Museum Wien. Sie war bis zu ihrer Pensionierung 2021 mit dem Sammlungsbereich Altsteinzeit betraut. Derzeit arbeitet sie weiter in der Altsteinzeitforschung und an der Geschichte der Abteilung.
Caroline Posch ist Archäologin am Naturhistorischen Museum Wien und dort verantwortlich für den Sammlungsbereich Steinzeiten. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Techniken zur Herstellung von Steinartefakten wie auch die Ressourcen- und Landschaftsnutzung steinzeitlicher Menschengruppen.


Weiterführende Literatur
W. Antl-Weiser, Die Frau von W. Die Venus von Willendorf, ihre Zeit und die Geschichte(n) um ihre Auffindung. VPA 1, Wien 2008.
P. Nigst et al., Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type environment, PNAS 2014/111 (40) 14394-14399.
G. Weber et al., The microstructure and the origin of the Venus from Willendorf, Sci Rep 12, 2926 (2022).
M. Teschler-Nicola, et al., Ancient DNA reveals monozygotic newborn twins from the Upper Palaeolithic, Commun Biol 3, 650 (2020).

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