Tirol: Prähistorische Erdbeben lösten gewaltige Felsstürze aus

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
Erdbeben lösten große Tiroler Felsstürze aus
1613549949703.png

Seltene starke Erdbeben haben die großen Felsstürze auf dem Tschirgant und Fernpass ausgelöst. Zu diesem Schluss kommen jetzt Wissenschafter der Uni Innsbruck. Sie identifizierten zehn prähistorische Erdbeben mit einer Magnitude zwischen 5,5 und 6,5 auf der Richterskala.

Teilen
In vielen Alpentälern mit steilen Flanken finden sich Überreste großer Felsstürze. „Interessanterweise traten viele dieser alten Bergstürze auf eher kleinem Raum auf und haben ein ähnliches Alter, bildeten also eine Art ‚Cluster‘", so Patrick Oswald, Doktorand in der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie der Universität Innsbruck und Hauptautor der Studie.

Die Entstehung der Felsstürze zu rekonstruieren ist für die Wissenschaft schwierig, weil die Ereignisse einige tausend Jahre zurückliegen und es deshalb auch keine historischen Aufzeichnungen darüber gibt. Theorien dazu gibt es jedoch einige – von abrupten klimatischen Veränderungen bis hin zu Erdbebenerschütterungen.

Expertenstreit in Tirol über Felssturz
Was den Fernpass betrifft, kam es sogar in Tirol zu einem Expertenstreit zwischen dem ehemaligen Landesgeologen und den Wissenschaftern an der Uni Innsbruck. Landesgeologe Gunther Heißel brachte seinerzeit die Gipskartshypothese ins Spiel, die Wissenschafter der Uni Innsbruck hielten von dieser Theorie allerdings nichts – mehr dazu in Expertenstreit um Fernpass-Bergsturz.

Erdbebennachweis in Alpenseen entdeckt
In der aktuelle Studie haben sich die Forscher auf die Untersuchung des Sediments in Alpenseen konzentriert. Das Hauptaugenmerk legten die Geologen dabei auf die massiven Bergstürze am Tschirgant, am Fernpass und am Eibsee.

Hermann Hammer
Vor rund 3.000 Jahren ging von der Südseite des Tschirgant ein Bergsturz nieder

Dazu entnahmen die Forscher bis zu acht Meter lange Bohrkerne aus den Seen. „Statt Überreste dieser Bergstürze in der Landschaft zu untersuchen, bohrten wir in die schlammigen Sedimentarchive am Grund des Piburgersees und des Plansees und suchten nach spezifischen Spuren im Schlamm – ausgelöst von starken Erdbeben. Indem wir die Erdbeben- und Bergsturzrekonstruktionen der letzten 10.000 Jahre vergleichen, können wir beurteilen, ob diese miteinander in Beziehung stehen oder nicht“, erklärt Jasper Moernaut vom Institut für Geologie.

Zehn prähistorische Erdbeben nachgewiesen
Durch Radiokarbon-Datierung von organischem Material in den Bohrkernen entdeckten die Forscher zehn prähistorische Erdbeben während der letzten 10.000 Jahre, und fanden zudem auch Spuren des historischen Erdbebens mit Richter-Magnitude 5,3 vom 8. Oktober 1930 in Namlos (Bezirk Reutte). Einige der prähistorischen Beben waren stärker als jene, die in dieser Region in den letzten 1000 Jahren aufgetreten sind.

„Durch eine exakte Auswertung historischer Erdbebenberichte – sofern sie vorhanden sind – und den Vergleich mit den Sedimentabdrücken in den Seen haben wir die Erdbeben auf eine Magnitude nach Richter zwischen 5,5 bis 6,5 geschätzt", sagt Christa Hammerl, historische Seismologin an der Österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). „Da die Beben in den Ostalpen nur in wenigen Kilometern Tiefe auftreten, können sie erhebliche Schäden an der Infrastruktur und in der Naturlandschaft verursachen.“

Zeitlichen Zusammenhang festgestellt
Die Ergebnisse der Innsbrucker Geologen zeigen, dass das Auftreten der großen Bergstürze am Tschirgant vor rund 3.000 Jahren und am Fernpass vor ca. 4.100 Jahren mit besonders starken Erdbeben zusammenfällt. Aus dieser Altersübereinstimmung schließen die Forscher, dass die extremen seismischen Erschütterungen letztlich die Bergstürze auslösten.

Die Analysen ergaben außerdem, dass eine enge Abfolge von mindestens fünf schweren Erdbeben den Bergstürzen vor etwa 3.000 Jahren vorausging. „Wir vermuten daher, dass seismische Erschütterungen nicht nur Bergstürze selbst auslösen, sondern die Felshänge nach und nach immer instabiler werden lassen", ergänzt Michael Strasser.

„Mit all diesen neuen Informationen möchten wir nun einen Beitrag dazu leisten, künftige Erdbeben- und Bergsturzgefahren in den dicht besiedelten Alpentälern besser abschätzen und prognostizieren zu können. Erdbeben dieser Stärke sind zwar selten, können aber verheerende Folgen haben.“
17.02.2021, red, tirol.ORF.at
Erdbeben lösten große Tiroler Felsstürze aus
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2
Spuren massiver Bergstürze in Tiroler Alpenseen gefunden
Die Bergstürze am Tschirgant und am Fernpass wurden vor Jahrtausenden durch Starkbeben ausgelöst, wie Sedimentanalysen zeigen
Alois Pumhösel


Der Tschirgant, vom südlich gelegenen Ötztal aus gesehen: In der Mitte befindet sich die markante Weißwand. Es ist jener Bereich, in dem sich bei einem Bergsturz vor 3000 Jahren hunderte Millionen Kubikmeter Fels lösten und die Landschaft am Fuß des Berges nachhaltig prägten.
Foto: Wikimedia Commons / Haneburger

Dort, wo das Tiroler Ötztal in das Inntal mündet, trifft man auf eine – für den hiesigen alpinen Kontext – recht ungewöhnliche Landschaft. Hier, im offenen Terrain der Tälerkreuzung, ist das Forchet zu finden – ein artenreiches Waldgebiet, das sich über eine stark strukturierte, landwirtschaftlich kaum interessante Hügellandschaft erstreckt. Der lichte Wald mit seinen Kiefern, Schneeheide-Gewächsen, Wacholdersträuchern und Orchideen steht seit 2009 teilweise unter Naturschutz.


Das Naturjuwel hat eine besondere Entstehungsgeschichte. Hier brachen einst bei einem gigantischen Bergsturz etwa 240 Millionen Kubikmeter Fels aus den Mauern des Tschirgant-Massivs. Im Tal breitete sich das Material auf einem Ablagerungsgebiet von mehr als zwölf Quadratkilometern aus – dort, wo sich heute das Forchet erstreckt. Die Abbruchstelle, später Weißwand genannt, wurde zum prägenden Merkmal der Südseite des Tschirgant.

Neue Flussläufe
Ursprünglich hat man angenommen, dass sich der Bergsturz am Ende der Eiszeit vor 10.000 Jahren ereignete, als die sich zurückziehenden Gletscher die Felshänge freigaben. Datierbare Holzreste, die man unter dem Bergsturz fand, machten aber klar, dass das Ereignis nur etwa 3000 Jahre zurückliegt. Es ist davon auszugehen, dass auch Ötz und Inn, die hier zusammenfließen, durch die Sturzmasse gestaut wurden und sich neue Flussläufe gruben.

Eine neue Studie von Geologen der Universität Innsbruck konnte nun die Ursache für das Ereignis am Tschirgant sowie für Bergstürze im benachbarten Haiming, am Fernpass und am Eibsee identifizieren: Die Bergflanken wurden sehr wahrscheinlich durch Erdbeben instabil, die mit Magnituden zwischen 5,5 und 6,5 auf der Richterskala eine für den Alpenraum sehr hohe Stärke aufwiesen. Bisher wurden auch Klimaveränderungen als Hauptauslöser erwogen.

Hydroakustisches Messsystem
Um mehr über die Bergstürze herauszufinden, schauten Patrick Oswald, Michael Strasser und Jasper Moernaut vom Institut für Geologie der Uni Innsbruck sowie die Christa Hammerl von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) – einer Forschungsstelle des Wissenschaftsministeriums – nicht etwa hinauf auf die Berge, sondern tief in die Tiroler Seen.


Bohrinsel im Kleinen: Die Geologen entnahmen meterlange Bohrkerne aus dem Seeboden des Plansees und des Piburger Sees in Tirol.
Foto: Universität Innsbruck / Moernaut

"Mit unserer Studie wurde zum ersten Mal in Tirol mit limnogeologischen Methoden auf prähistorische Erdbebenereignisse geschlossen, die Seen also aus der Perspektive der Geowissenschaften untersucht", betont Oswald. Die Erkenntnisse wurden vor kurzem im Fachjournal "Nature Communications" publiziert.

Wie kann man an den Tiroler Seen ablesen, ob vor Jahrtausenden ein Erdbeben stattgefunden hat? "Wir haben zuerst sogenannte bathymetrische Karten angefertigt, die die Topografie des Gewässerbodens abbilden", sagt Oswald.
Mit einem Boot, das mit einem hydroakustischen Messsystem – also per Schallwellen – den Boden abtastet, wurden die beiden untersuchten Gewässer, der Piburger See und der Plansee, abgefahren. "Verändert man die Frequenz des akustischen Signals, kann man dabei auch die Schlammschichten unter dem Seeboden erfassen", sagt der Geologe.

Sedimentschichten
Auf dem Boden der Seen lagert sich kontinuierlich Sedimentmaterial ab, Jahr für Jahr eine dünne Schicht. Diese Schlammschichten waren für die Forscher von besonderem Interesse. "Wenn die Erde bebt, dann verformen sich auch diese Seesedimente. Ihre Schichtung wird plötzlich unregelmäßig – es gibt beispielsweise Unterwasserrutschungen", schildert Oswald. "Genau nach diesen veränderten Ablagerungen suchen wir. Wenn sie an verschiedenen Orten im See zur selben Zeit auftreten, muss ein externer Auslöser dafür verantwortlich sein – wie ein Erdbeben."
Die Sedimentstruktur wird auch anhand von Bohrkernen untersucht, die aus dem Seeboden gezogen werden. Acht Meter dieser Sedimentkerne wurden für die Studie analysiert – sie bilden die vergangenen 10.000 Jahre ab.


Der Hauptautor der Studie, Patrick Oswald von der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie, bei der Untersuchung eines Bohrkerns aus dem Plansee.
Foto: Universität Innsbruck / Moernaut

Per Computertomografie wird in diese Bohrkerne "hineingeschaut", um interessante Strukturen zu identifizieren. Datiert werden sie per Radiokarbonmethode. Je nach Beschaffenheit des Seebodens müssen die Forschungsansätze jedoch stark variiert werden. Zudem müssen andere externe Faktoren abseits der Erdbeben – etwa Hochwässer – mühsam ausgeschlossen werden.

Als die Geologen schließlich Bergsturz- und Erdbebenzeitpunkte verglichen, waren sie erstaunt, wie gut die Daten zusammenpassen: "Wir haben nicht nur eine starke zeitliche, sondern auch eine räumliche Korrelation", betont Oswald.
Die Daten des Piburger Sees deuten auf ein starkes Erdbeben vor etwa 3000 Jahren hin. Auf diese Zeit sind auch die Bergstürze am nahegelegenen Tschirgant und in Haiming datiert. Die Daten aus dem Plansee zeigen hingegen ein Beben vor etwa 4100 Jahren, was mit den Bergsturz-Datierungen am Fernpass und am Eibsee zusammenpasst.

Zehn starke Beben
Insgesamt konnten die Geologen zehn Beben ausmachen, deren Magnitude stärker als 5,5 auf der Richterskala war – allesamt in prähistorischen Zeiten. Gleichzeitig konnten sie in den Daten auch ein zeitlich viel näher liegendes Starkbebenereignis "sehen" – jenes von Namlos im Bezirk Reutte im Jahr 1930, das auf eine Richter-Magnitude von 5,3 kam. Der Horizont für vergangene Beben konnte somit von den letzten 800 bis 1000 Jahren, für die historische Aufzeichnungen bestehen, auf 10.000 Jahre ausgeweitet werden.

Für die Geologen geht es nun darum, weitere Seen, etwa in Oberösterreich und Kärnten, zu untersuchen. Man hofft, dass die neuen Daten auch in die Berechnung einer künftigen Erdbebengefährdung eingehen. Die bisher berechnete Wahrscheinlichkeit für ein Beben ab Stärke 5,5 in Tirol in den nächsten 50 Jahren liegt bei etwa zwei Prozent – ein geringfügig kleinerer Wert als jene zwei bis vier Prozent, die die Geologen aus den Seedaten ableiten.
(Alois Pumhösel, 7.3.2021)

Studie:
Nature Communications: "Seismic control of large prehistoric rockslides in the Eastern Alps"

Spuren massiver Bergstürze in Tiroler Alpenseen gefunden
 
Oben