Synagoge Malzgasse 16

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Der Geruch der "Kristallnacht"
Das Haus der Geschichte Österreich zeigt ab 8. November Funde eines besonderen Ortes: In der Malzgasse wurden Überreste einer 1938 von den Nazis zerstörten Synagoge entdeckt.

vom 23.10.2019, 11:28 Uhr | Update: 23.10.2019, 11:37 Uhr

Ausgrabungen in der Malzgasse. © HDGÖ/Klaus Pichler


Es gibt diese Momente, die Gänsehaut erzeugen. Wie oft bin ich in meinem Leben schon durch die Malzgasse gegangen, oder an der Malzgasse vorbei, am Weg zum oder vom Karmelitermarkt. Und auch die streng orthodoxe jüdische Schule in der Malzgasse habe ich vor vielen Jahren schon einmal besucht. Aber dann, im letzten Frühjahr, da kam es dann zu diesem Gänsehaut-Moment.

Unter dem Turnsaal der Schule wurden zufällig im Zug von Handwerkerarbeiten, nachdem die Heizung repariert werden musste, Überreste einer früheren Synagoge gefunden, die von den Nationalsozialisten im November 1938 zerstört und in Brand gesetzt worden war. Der Schulverein der Talmud Thora-Schule Machsike Hadass befreite die zugeschütteten Reste des einstigen Gotteshauses nach und nach von Tonnen Schutt. Und förderte dabei nicht nur interessante Fundstücke zu Tage. An den Wänden fanden sich auch Brandspuren. Es waren die Brandspuren aus der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938.

Ich besuchte die Schule in der Malzgasse, um mir den Ausgrabungsort anzusehen. Arieh Bauer, der Generalsekretär des Schulvereins, erzählte mir dabei, wie alles begann und wie aufwändig sich die Arbeiten nach dem Sensationsfund gestalteten. Als der Raum zwischen dem heutigen Turnsaal und dem Synagogenboden geöffnet worden sei, "hat es nach der ‚Kristallnacht’ gerochen", sagte Bauer zu mir. Und das war er, der Gänsehaut-Moment.

1,05 Meter Synagoge

Ein Geruch, der sich von 1938 an die 80 Jahre erhalten und dann rasch verflüchtigt hat. An die 80 Jahre blieb ein Geheimnis bewahrt. Doch nun hat sich die Vergangenheit ihren Weg an die Oberfläche gebahnt. Die Nazis hatten die Reste der zerstörten Synagoge zuschütten lassen. Das Gebäude auf dem Grundstück – neben der Synagoge befand sich an der Adresse Malzgasse 16 auch schon vor der NS-Zeit eine jüdische Schule – wurde in der NS-Zeit einerseits als Siechenheim, später als Sammellager und schließlich als jüdisches Krankenhaus genutzt. 1,05 Meter hoch war der Zwischenraum zwischen dem Boden der Synagoge und dem Boden des heutigen Turnsaals der Schule. Damit wurden nun 1,05 Meter Synagoge freigelegt.

Der Fund ist aus mehreren Gründen sensationell. Bisher galt der Stadttempel als die einzige Wiener Synagoge, welche die NS-Zeit überstanden hat. Andererseits fanden sich in dem Schutt in der Malzgasse nun zahlreiche Fundgegenstände, die nicht nur die Nutzung des Gebäudes während der NS-Zeit, sondern auch davor illustrieren. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird auf dem Grundstück gebetet und gelernt – auch wenn die dafür errichteten Gebäude über die Jahre mehrmals um- und auch neu gebaut wurden. Die nun gefundenen Reste stammen von dem 1906 errichteten Bau nach den Plänen des Architekten Theodor Schreiner (1873-1943, er wurde in Theresienstadt ermordet). Neben Schule und Synagoge beherbergte das Gebäude ab 1911 zudem das 1895 von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien gegründete Jüdische Museum. Damit ist die Malzgasse 16 eine Adresse, die nicht nur vor und nach der NS-Zeit, sondern auch während der Zeit des Nationalsozialismus für und von Juden genutzt wurde. Das bedeutet, dass es sich einerseits um einen Ort handelt, an dem viel Leid passierte, aber auch um einen Ort des Glaubens, der observanten Juden und Jüdinnen bis heute Hoffnung gibt.

Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich

Entsprechend vielfältig sind die in der Malzgasse gefundenen Objekte. Alltagsgegenstände wie Teller und Flaschen wurden da aus dem Schutt aussortiert, verkohlte Gebetsbücher aus der Synagoge, zerbrochene Gedenktafeln. Was genau welcher Nutzungszeit und welchem Bereich des Gebäudes zuzuordnen ist, wird wohl erst erforscht werden müssen. Schon jetzt kann man einige der Objekte aber im "Haus der Geschichte Österreich" ansehen. Die Ethnologin Birgit Johler hat unter dem Titel "Nicht mehr verschüttet. Jüdisch-österreichische Geschichte in der Malzgasse" eine Ausstellung zu dem Fund kuratiert, die von 8. November 2019 bis 19. April 2020 besucht werden kann.

Man kann sich heute einerseits durch die ausgegrabenen baulichen Überreste und die alten Baupläne ein Bild davon machen, wie die Synagoge, die einst in der Malzgasse 16 stand, ausgesehen hat. Oder man sieht sich einen 1923 von Hanns Marschall im Auftrag des Jüdischen Hilfswerk gedrehten Film an, mit dem damals um Spenden aufgerufen werden sollte. "Opfer des Hasses" ist der Titel des eine dreiviertel Stunde langen Streifens, in dem in Spielfilm- und Dokumentarszenen die Flucht eines ukrainischen Fabrikanten und seiner zwei Enkeln nach Österreich dargestellt wird. Zwischen Minute 36 und 40 sind darin Aufnahmen aus der früheren Talmud-Thora-Schule und auch der Synagoge in der Malzgasse zu sehen. Der Stummfilm ist über Youtube abrufbar.
Quelle: Der Geruch der "Kristallnacht"
 

josef

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Zufallsfund eröffnet Einblick in jüdische Geschichte
Durch Zufall sind Teile einer 1938 zerstörten Synagoge in Wien wiederentdeckt worden. Die erstaunlichen Funde werden ab Freitag in einer Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) gezeigt.
An den Wänden der einstigen Synagoge in der Malzgasse in Wien-Leopoldstadt findet sich immer noch der Brandruß der Novemberpogrome 1938. Bald danach verschwanden Teile der Synagoge unter Schutt. Rund 80 Jahre später wurde diese Art „Zeitkapsel“ zufällig geöffnet.

Auf der Suche nach mehr Platz für die jüdisch-orthodoxen Talmud Thora-Schule für Knaben in der Malzgasse 16, dem Standort der früheren Synagoge, wandte sich der Vorsitzende des Betreibers des dortigen Kindergartens sowie der Volks- und Neuen Mittelschule, Arieh Bauer, Anfang 2018 einem ominösen Loch nahe dem Werksaal zu.

„Wie Marsrover-Aufnahmen“
Alte Baupläne wiesen dort auf ein Kellergewölbe hin. „Ich habe dann mit einer Kamera wie mit einer Sonde hineinfotografiert. Das sah aus wie Marsrover-Aufnahmen“, sagte Bauer bei einem Besuch des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten in der Malzgasse im Vorfeld der Ausstellungseröffnung.


Foto: eSeL.at – Lorenz Seidler
Durch Zufall konnten zahlreiche Artefakte geborgen werden.

Gefunden haben der Leiter des Tempel- und Schulvereins Machsike Hadass und Experten mit Schutt aufgefüllte, vergessene Räumlichkeiten. Hier wurde das Abbruchmaterial der im Zuge der Nazi-Pogrome zerstörten Synagoge sowie Schule gelagert. 1939 hat die Israelitische Kultusgemeinde auf Geheiß der Nationalsozialisten dann an der Stelle ein Alters- und Siechenheim gebaut. Die Überreste des Nazi-Terrors wurden offenbar unter dem neuen, etwas höheren liegenden Boden quasi versiegelt.

„Echtes historisches Erbe“
In Absprache mit Statikern gruben die Schulbetreiber händisch weiter, „und dann kamen auch die ersten Fundstücke zum Vorschein, wie etwa ein Schulkalender aus dem Jahr 1929, verkohltes Holz oder ein alter Grabstein“, erklärte Bauer. Schnell wurde klar, dass dies die Kapazitäten des um Platz ringenden Vereins übersteigt, da man es mit einer zeitgeschichtlich-archäologischen Stätte zu hatte. „Wir waren mit der Situation überfordert, weil es ein echtes historisches Erbe ist“, sagte Bauer.


Foto: eSeL.at – Lorenz Seidler
Artefakt aus der Ausstellung „Nicht mehr verschüttet. Jüdisch-österreichische Geschichte in der Wiener Malzgasse“ im Haus der Geschichte Österreich (hdgö)

Der Schutt wurde dann bei laufendem Schulbetrieb unter Einbeziehung der Stadtarchäologie und des Bundesdenkmalamtes abgetragen und mehrere hundert Objekte gehoben. Die spiegeln die wechselvolle Geschichte des Ortes wider, der seit ungefähr 1875 eine Talmud-Thora-Schule sowie ab Beginn des 20. Jahrhunderts eine Synagoge und ab 1912/13 auch das erste Jüdische Museum der Welt beherbergte.

„Sammellager“ für Juden
Sein vorläufiges Ende fand all das in der Pogromnacht auf 10. November 1938. Später trat der Standort dann im Sommer und Herbst 1942 in sein wohl dunkelstes Kapitel als „Sammellager“ für Juden aus ganz Österreich ein, die von dort aus in die Vernichtungslager deportiert wurden. Bis zum Kriegsende befand sich in der Malzgasse 16 ein Krankenhaus und erst im Jahr 1956 wurde die Schule wieder eröffnet.

Mit den Funden begann auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Standortes, im Zuge dessen die Kuratorin der nunmehrigen hdgö-Ausstellung „Nicht mehr verschüttet“ (bis 19. April 2020), Birgit Johler, auch ein unmittelbar vor der Brandstiftung aufgenommenes Foto der alten Synagoge in einem Archiv fand. Geht es nach Bauers Vorstellungen, sollte dieses Gotteshaus im ursprünglichen Sinn rekonstruiert und auch die neu erschlossenen Kellerräume genutzt werden.

„Ort mit Geschichte zum Herzeigen“
So würde in der Malzgasse „ein Ort mit Geschichte zum Herzeigen“ entstehen, so Bauer. Die Sonderschau im Vorraum zum oftmals als „Hitler-Balkon“ bezeichneten Altan der Neuen Burg am Heldenplatz soll daher auch Aufmerksamkeit bringen und etwa die öffentliche Hand auf den Fund und seine Aufarbeitung aufmerksam machen.

Zu den Highlights zählt Johler Teile der Lesebühne und der Uhr der damaligen Synagoge, intakt gebliebene kleine Tintenfässer aus Glas oder Fragmente von Grabsteinen aus dem 16. Jahrhundert. In die Ausstellung führt ein Film über die Ausgrabung und neben den Funden selbst wird „auch das Leben an dem Ort nach 1945 bis in die Gegenwart weiter erzählt“, so die Kulturwissenschaftlerin, die die Objekte aus der Malzgasse auch als „Impuls für die Forschung“ wertet.

religion.ORF.at/APA

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Zufallsfund eröffnet Einblick in jüdische Geschichte - religion.ORF.at
 
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