Spionage in Österreich - von der K.u.K-Monarchie bis zur Jetztzeit

josef

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#1
Sonderausstellung über Spionage im Museum Niederösterreich

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39 Fälle aus der Geschichte der Spionage zeigt das Haus der Geschichte des Museums Niederösterreich in Sankt Pölten in seiner aktuellen Ausstellung. Zu sehen sind interessante Exponate wie die legendäre Enigma-Chiffriermaschine des NS-Regimes oder Schmuck der Spionin Mata Hari.
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Wenn James Bond in seinen Filmen einen Gegner mit einem umgebauten Schistock oder einer Zigarettenattrappe erschießt, so ist das nicht weit hergeholt, wie die verblüffenden Ausstellungsstücke im Haus der Geschichte zeigen. Zu sehen sind unter anderem eine Abhörwanze, die als Cocktailkirsche getarnt im Glas schwimmt oder eine etwa zwei Zentimeter lange Mikro-Pistole aus österreichischer Produktion, Kaliber zwei Millimeter, die – mit einer Giftkugel geladen – durchaus tödliche Verletzungen hervorrufen kann und bei dem das Opfer nur einen leichten „Mücken“-Stich verspürt.

© theo kust / www.imagefoto.at
Die Knopfloch-Gehimkamera aus dem Jahr 1886 wurde um den Hals getragen, nur das Objektiv ragte aus dem Knopfloch hervor

Betrachtet man die Unhantlichkeit der ersten Knopflochkamera, mit der das Bismarck-Reich die deutsche Sozialdemokratische Partei ausspionieren ließ und vergleicht sie mit heutigen Handykameras in Millimetergröße, so sticht vor allem der technische Wandel ins Auge, erklärt Christian Rapp, der wissenschaftliche Leiter des Hauses der Geschichte. „Aber es bleibt immer noch als entscheidende Komponente, und das wollen wir in dieser Ausstellung auch vermitteln, der Mensch. Einzelne Menschen beschaffen die Informationen, einzelne Menschen sind das Ziel“, so Rapp weiter. Und er ergänzt, dass es in der Ausstellung auch darum gehe, was eine Gesellschaft an Spionage zulasse. Dies zeige das System Metternich oder das jüngste Beispiel aus China, wo die wachsende Totalüberwachung mit „Wohlverhaltenspunkten“ von der Mehrheit der Bevölkerung offenbar gut geheißen werde.

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Fürst Metternichs persönliche Aktentasche

39 Fälle in Anlehnung an Hitchcock
Dass es nicht 40 sondern genau 39 Fälle sind, ist als Hommage an Hitchcocks frühen Spionagethriller „39 Stufen“ aus dem Jahr 1935 gedacht, erläutert Christian Rapp. Und gleich der Fall Nummer 1 weist starken Niederösterreichbezug auf und er zeigt, dass schon früh in der Geschichte Spionage betrieben wurde. Der Tatort ist Carnuntum, die Spione heißen Frumentarii und sind aus der Berufsgruppe der Getreidehändler hervorgegangen. Sie kamen weit im Reich herum und verfügten über viele Kenntnisse und Informationen. Im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt entwickelte sich aus den Frumentarii eine Spezialeinheit, die auch die Lizenz erhielt, unliebsame oder gefährliche Personen im Auftrag des Kaisers sofort zu töten.
Auch Fall Nummer zwei spielt in Niederösterreich, im Jahr 1012 nach Christus. Der später heilig gesprochene Koloman wurde im damals politisch instabilen Weinviertel wegen seiner fremden Sprache und Kleidung für einen „Speculator“, einen Spion aus Ungarn oder Mähren gehalten. Seit langem gab es Konflikte mit den benachbarten Ungarn, die das Misstrauen der Bevölkerung schürten. Der Sage nach wurde er in Hollabrunn eingesperrt und an einem Holunderstrauch erhängt.
Mit einem weiten Sprung in der Geschichte landet man beim Fall Nummer 21 in der Ausstellung: Die Geschichte eines Zollwachebeamten aus dem Weinviertel. In der frühen Zeit des „Kalten Krieges“ versuchte der Geheimdienst der CSSR (StB) österreichische Grenzer als Informanten zu gewinnen. Bei einem Kommandanten in Schrattenbach (Bezirk Hollabrunn) hatte der StB im Jahr 1955 Erfolg. Sein Deckname lautete „Dedek“, der Alte.

Gegenstände, die Geschichte(n) erzählen
Die persönliche Aktentasche Metternichs steht für den ausgeprägten Spionage- und Spitzelstaat unter Metternichs Herrschaft. Die Taschenuhr, die Oberst Redl, der legendäre Spion der K. und K.-Monarchie seinem Geliebten geschenkt hat, für sexuelle Erpressbarkeit. Der Schmuck der weltberühmten Doppelagentin Mata Hari kann als Symbol gelten für das Geheimnisvolle, das viele Agenten umgibt. Sie wurde als orientalische Tänzerin in Paris sehr bekannt und nach einem fragwürdigen Prozess 1917 in Frankreich hingerichtet.


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Brosche, die einst Mata Hari getragen hat

Eine spezielle Aura geht von den Geheimschriften und der Kunst des Chriffrierens aus. Die Zahl fünf mit 87 Nullen dahinter, so hoch sind die Möglichkeiten der berühmten Enigma-Maschine, mit der Funker des NS-Regimes ihre Nachrichten verschlüsselten. Ihr System galt als nicht zu knacken, bis es den Briten doch gelang. Diese Leistung trug entscheidend zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges bei. Bereits der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) hatte eine Verschlüsselungsmaschine entwickelt. Nachgebaut wurde sie aber erst im Jahr 2014.


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Enigma Chiffriermaschine: Nachlässigkeit der deutschen Wehrmacht ermöglichte die Entschlüsselung der Codes

Die Ausstellung „Spionage – 39 Fälle“ im Haus der Geschichte des Landesmuseums Niederösterreich ist die erste Schau in Österreich, die sich mit diesem Thema befasst. Deshalb ist der Bogen auch weit gespannt und umfasst historische Fälle aus aller Welt aber auch Beispiele der letzten Jahrzehnte, wie beispielsweise die Sprengung des Greenpeace-Schiffes „Rainbow Warrior“ durch den französischen Geheimdienst oder den Fall des Whistleblowers Edward Snowdon.
Hannes Steindl, noe.ORF.at

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Weitere Infos zur Ausstellung: Museum NÖ. - St.Pölten: Sonderausstellung "Spionage" 39 Fälle...

Kultur: Spionage im Museum Niederösterreich
 

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#2
Der Kampf der Spione im „Kalten Krieg“

Die Zeit des „Kalten Krieges“ bis zum Fall des „Eisernen Vorhanges“ 1989 war geprägt von Spionage zwischen Ost und West. Obwohl in Österreich die Bundeshauptstadt Wien das Zentrum der Aktivitäten war, gab es auch in Niederösterreich zahlreiche Spionagefälle.
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Eines vorweg: Das Zentrum der Spionage war eindeutig Wien. Carol Reed setzte mit seinem Film „Der dritte Mann“ mit Orson Welles in der Hauptrolle der Spionage in der Bundeshauptstadt ein filmisches Denkmal. Schon nach Ende des Zweiten Weltkriegs schätzten die USA, dass für Geld, Alkohol und Zigaretten jeder zehnte Österreicher als Informant den Amerikanern zur Verfügung stehen würde.

In den 1960er Jahren soll die amerikanische CIA in Wien 500 Mitarbeiter unterhalten haben, der sowjetische Geheimdienst sogar 1.500. Im Bundesland Niederösterreich waren vor allem Zollwache- und Gendarmeriebeamte immer wieder im Fokus der Spione aus der Tschechoslowakei.

Österreichische Beamte als CSSR-Spione
Regelmäßig gab es an der gemeinsamen Staatsgrenze Versuche von tschechoslowakischen Beamten, ihre österreichischen Kollegen anzuwerben und damit an wichtige Informationen zu kommen, so Christian Rapp, Wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich in St. Pölten.

Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich
Ein „toter Briefkasten“ in einem Baum im südlichen Niederösterreich, 1960er Jahre

„Die tschechoslowakischen Beamten haben gefragt, wie es den Menschen jenseits der Grenze geht oder ob es vielleicht auch Leute gibt, die Verwandte in der CSSR haben. Man hat sich nach Personen mit Geldproblemen oder mit familiären Schwierigkeiten erkundigt. Wenn sie gemerkt haben, dass jemand ansprechbar ist, dann haben sie Kontakt aufgenommen“, so Rapp. Offiziell wurden übrigens nur wenig Fälle bekannt, etwa der eines Grenzbeamten aus Schrattenberg (Bezirk Mistelbach), der dann strafversetzt wurde.

Für den Informationsaustausch wurden Geheimverstecke verwendet wie etwa Aushöhlungen in Bäumen. In diesen „toten Briefkästen“ wurden Informationen mittels Zetteln oder Mikrofilmen gelagert. Oft waren diese Verstecke auch raffiniert angelegt, beispielsweise in hohlen Schrauben oder Erdnägeln. Diese Exponate sind in der Ausstellung „Spionage! 39 Fälle“ im Haus der Geschichte in St. Pölten zu sehen.

Der Fall Karl Erwin Lichtenecker
Österreichs Spionageaffären reichten bis in die hohe Beamtenschaft. Alois Euler war in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Pressereferent des damaligen Innenministers Franz Soronics (ÖVP). Er versorgte den CSSR-Geheimdienst in Prag jahrelang mit Staatsgeheimnissen und vermutlich auch mit Protokollen aus Verhören von Flüchtlingen. 1968 wurde er von der Polizei verhaftet und 1969 zu drei Jahren Kerker verurteilt.

Der wohl aufsehenerregendste Fall war der des Karl Erwin Lichtenecker, Jahrgang 1929, der in den 1960er Jahren Mitarbeiter in der Pressestelle des Bundeskanzleramtes in Wien war. In dieser Zeit freundete er sich mit dem tschechoslowakischen Kulturattache Miroslav Janku an, der in Wirklichkeit ein Geheimdienstmann war. Janku ersuchte Lichtenecker um geheime Informationen aus dem Bundeskanzleramt.

ORF
Karl Erwin Lichtenecker (1929-2016)

„Lichtenecker hatte dem militärischen Auslandsgeheimdienst der CSSR Berichte über politische, wirtschaftliche und internationale Fragen der österreichischen Innen- bzw. Außenpolitik verschafft und soll dafür nicht unbeträchtliche Summen Belohnung bekommen haben“, so Siegfried Beer, Geheimdienstexperte an der Universität Graz. Die Informationen wurden in einem Geheimbriefkasten in der Wiener Innenstadt, und zwar in einer Mülltonne am Hohen Markt, übergeben.

Die Witwe des 2016 verstorbenen Karl Erwin Lichtenecker, Peggy Lichenecker, sagte im Gespräch mit noe.ORF.at, ihr Ehemann sei blauäugig gewesen. Lichtenecker wurde im Frühjahr 1971 als Spion enttarnt: „Er hat auf seinem Schreibtisch im Büro im Bundeskanzleramt einen Zettel mit Informationen über ein Treffen vergessen. Ein Arbeitskollege hat diesen Zettel gefunden und seine Vorgesetzten informiert. Daraufhin sind Polizisten zu uns nach Hause gekommen und haben ihn verhaftet“, erzählt die Witwe.

Schon zuvor war aufgefallen, dass Lichtenecker für einen jungen Beamten einen recht großzügigen Lebenswandel geführt hatte. Zweiflern beschied Lichtenecker, er verdiene als Übersetzer englischsprachiger Bücher ganz gut dazu, schrieb der Journalist Herbert Lackner über einen der spektakulärsten heimischen Spionagefälle in den Jahren des „Kalten Krieges“.

Rapp: „Heute findet man solche Informationen im Internet“
Karl Erwin Lichtenecker musste sich im September 1971 vor Gericht verantworten. Er wurde zu zehn Monaten schwerem Kerker verurteilt. Zu Unrecht, wie er zeitlebens beteuerte. „Das waren Informationen, die man heute mit ein paar Mausklicks im Internet finden würde, aber damals waren sie tatsächlich schon wertvoller. Lichtenecker wurde auch nicht verurteilt, weil er wichtige Informationen weitergegeben hatte, sondern aufgrund der Absicht, für ein anderes Land zu spionieren“, erklärt Christian Rapp vom Haus der Geschichte in St. Pölten.

Lichtenecker machte sich nach der Verbüßung der Haftstrafe als Übersetzer der Bücher von Frederic Morton ins Deutsche sowie von Übersetzungen der Romane Johannes Mario Simmels ins Englische einen Namen. Das Kapitel 25 in der Ausstellung „Spionage! 39 Fälle“ im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich ist seinem Fall gewidmet.
09.12.2019, Robert Friess, noe.ORF.at

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Der Kampf der Spione im „Kalten Krieg“
 

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#3
Kalter Krieg: Uni Graz forscht zu Spionage in Österreich
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Ein Forschungsprojekt der Universität Graz ist der Spionage in Österreich in Zeiten des Kalten Krieges auf der Spur. Es geht um die Rolle Österreichs speziell für Nachrichtendienste aus der Tschechoslowakei. Interesse bestand an Informationen, die Operationen erleichterten.
Online seit heute, 15.32 Uhr
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Österreich gilt oft als Hotspot für Spionage im Kalten Krieg. Ein noch bis August 2024 laufendes Forschungsprojekt der Uni Graz nahm sich dieses Themas an. Ein Augenmerk legt das Team rund um die Historikerin Barbara Stelzl-Marx auf Spione aus dem Vorläuferstaat Tschechiens und der Slowakei, denn die sollen hier in den Nachkriegsjahren besonders aktiv gewesen sein.

Keine Agenten, sondern „normale Leute“
Dabei dürfe man sich die Arbeit für den Geheimdienst nicht wie einen Agentenfilm vorstellen. Oft hätten „ganz normale Leute“ Informationen recherchiert und weitergeleitet. Den durchschnittlichen Spion, so Stelzl-Marx, habe es aber nicht gegeben: „Tschechoslowakische- wie Westdienste rekrutierten durch alle Schichten und in allen gesellschaftlichen Kreisen.“ Lediglich Regierungsmitglieder oder Vorstände von großen Wirtschaftsunternehmen seien kaum bis nie involviert gewesen – wobei auch diese über Assistenten oft erfolgreich bespitzelt worden seien. In der Öffentlichkeit stehende Personen wie der ehemalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, der unter dem Deckname „Holec“ auch geheimdienstlich arbeitete, seien die Ausnahme gewesen.

Bisher einseitiges Bild von Spionage
Mit Material unter anderem aus zwei Archiven in Brünn und Prag sowie Akten der damaligen US-Spionageabwehr, des britischen Geheimdienstes und der „Intelligence Organisation Austria“ verfolgt das Team einen komparatistischen Ansatz. Zuvor haben viele Spionage-Studien laut der Historikerin lediglich Akten einzelner Dienste untersucht. „Dies ergab zumeist ein einseitiges Bild mit vielen Lücken.“ Allein die Betrachtung von Unterlagen verschiedener Institutionen, beispielsweise Nachrichtendienst und Spionageabwehr, würde inkorrekte Einschätzungen zu Geheimdienst-Aktivitäten verringern.

Informationen über Polizei, Bundesheer und Grenzschutz
Oft seien kleine Puzzlestücke durch die Dienste gemeldet worden, beispielsweise welche Züge über Österreich in die Sowjetunion fuhren. Aber nicht nur Wien war laut Stelzl-Marx von Interesse. Als Teil der US-Zone in der „Besatzungszeit“ sei Salzburg ein wichtiges Zentrum gewesen und Linz vor allem für Technologie- und Industriespionage wesentlich. Darüber hinaus habe Interesse an allen Informationen bestanden, die Operationen im Land erleichterten – also über die österreichische Polizei und Bundesheer oder Grenzschutz und Diplomatie.

Spionieren für das Ego
Die Historiker versuchen, gängige Motivationen festzumachen, aus denen sich Menschen aus der Tschechoslowakei in den Geheimdienst begaben. Bisherigen Ergebnissen zufolge war Ideologie weniger wichtig als angenommen und Geld nur ein Teilfaktor. Wesentlich sei das Ego gewesen, vor allem bei „Personen, die sich zurückgesetzt, übergangen fühlten, beispielsweise bei Beförderungen“, so die Historikerin. Erpressung hätte zu Beginn kaum eine Rolle gespielt, aber teilweise später, als manche ihren Dienst quittieren wollten.
29.01.2024, red, steiermark.ORF.at/Agenturen

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#4
Russland-Spionage
Roter Faden durch Österreichs Geschichte
Online seit heute, 0.19 Uhr

Wie folgenreich der aktuelle Spionagefall rund um Egisto Ott tatsächlich sein könnte, muss sich erst herausstellen. In der Vergangenheit hatte Spionage in Österreich teils enorme Auswirkungen, wie ein Blick zurück zeigt. An Beispielen mangelt es hierzulande nicht, auch etliche Frauen spionierten für Russland.

Liebesgrüße aus Moskau haben oft ein Ziel: Wien. Österreich hat als Standort vieler internationaler Institutionen bekanntlich eine lange Tradition der Spionage. Russland sticht dabei – damals wie heute – hervor, wie der Geheimdienstexperte und Historiker Thomas Riegler gegenüber ORF.at sagt.

Gerade der Spionagefall rund um den ehemaligen Verfassungsschützer Egisto Ott hat gezeigt, dass alte Klischees auch heute noch einen wahren Kern haben können. Ott und Komplizen sollen über Jahre hinweg Zielpersonen ausspioniert und Informationen an den russischen Geheimdienst verkauft haben – eine kleine Gruppe von Insidern sprengte demnach im Alleingang die heimische Spionageabwehr. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Von Mäusen und Motiven
„Das ist schon einer der größten Skandale der letzten Jahrzehnte, weil er eine internationale und eine heimische politische Dimension hat“, so Riegler. Welche Motive dahinterstehen, darüber muss spekuliert werden. In der Forschung werden vier mögliche Gründe genannt, wieso jemand spioniert. Sie werden durch das Akronym MICE umschrieben (Money, Ideology, Coercion, Ego – Geld, Ideologie, Zwang, Geltungsbedürfnis). „Es gibt bei vielen auch das Motiv, Vorgesetzten etwas heimzuzahlen, etwa weil man übergangen wurde, und sich woanders Bestätigung zu holen“, sagt Riegler. „Der menschliche Faktor ist zentral.“

Die Auswirkungen von Otts mutmaßlichen Handlungen sind noch schwer abzusehen, gerade in Zeiten, in denen Russland Krieg führt und politische Gegner auch im Ausland verfolgt. Wie schwerwiegend sich auch einzelne Fälle niederschlagen können, zeigt die Geschichte des wohl bekanntesten österreichischen Spions, Alfred Redl. 1864 in Lemberg geboren, wuchs Redl in der Monarchie auf, die schon seit Metternich von Spionen und „Konfidenten“ zersetzt war.

Oberst Redl, der Urvater der österreichischen Spione
picturedesk.com/ÖNB-Bildarchiv

Redl ging zum Militär und stieg rasch auf. Sein aufwendiger Lebensstil aber verschlang Unsummen an Geld. Redl liebte das süße Leben, hielt sich Pferde und zwei Automobile. Auch großzügige Zuwendungen an seine heimlichen Liebhaber kosteten, weshalb er sich Russland als Spion antrug (später verkaufte er auch Staatsgeheimnisse an Frankreich und Italien). Seine Motive dürfte finanzieller Natur gewesen sein und auch Zwang, da er seine homosexuellen Beziehungen verbergen musste.

Redls Leaks und Fake News
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs verriet der stellvertretende Leiter des Evidenzbüros, was er bekommen konnte: von Mobilmachungsplänen bis hin zu genauen Truppenstärken. Auch enttarnte er österreichische Spione und streute in den eigenen Reihen Fake News über den Gegner, dem Redl insgeheim unterstand. Aufgeflogen ist er nur, weil ein von ihm versandtes Kuvert nicht abgeholt wurde. Auf dem Postamt öffnete man den Umschlag, aus dem Geld und mysteriöse Adressen purzelten.
Der Generalstab wollte die Affäre vertuschen und verhängte einen Maulkorb. Eine Gruppe Offiziere suchte Redl in seiner Wohnung im Wiener Hotel Klomser auf und legte ihm den Suizid nahe. Redl erschoss sich 1913 „aus unbekannter Ursache“, wie es damals offiziell hieß. Dass der Fall Redl heute überhaupt bekannt ist, ist hauptsächlich dem Journalisten Egon Erwin Kisch zu verdanken, der, einer Spur in Prag folgend, den ganzen Skandal aufdeckte.

Kontroverse über Folgen
Über die Folgen von Redls Spionagetätigkeit für den Ersten Weltkrieg gibt es unterschiedliche Ansichten. Einige Forschende sehen den Verrat als mitverantwortlich für Österreich-Ungarns schwere Niederlagen zu Kriegsbeginn. Die Armee hatte zwar versucht, ihre Pläne noch zu verändern, doch zwischen Redls Tod und Kriegsausbruch vergingen nur wenige Monate, und die Zeit reichte nicht aus. Durch die Enttarnung heimischer Spione war Österreich zudem uninformiert, was Russlands Aufrüstung betraf. Andere Historikerinnen und Historiker sehen in Redl hingegen nur einen Sündenbock für die schlechte Kriegsführung, dessen Bedeutung hochgespielt wurde. Ob der Krieg und damit auch die jüngere Geschichte Europas ohne Redl anders verlaufen wäre, bleibt eine ungelöste Frage. Redls quasi angeordneter Suizid verhinderte die volle Aufklärung.

Ideologische Spionage
Wenige Jahrzehnte später fand sich Wien inmitten der Großmächte im Kalten Krieg wieder. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kam das Spionageaufkommen in der Bundeshauptstadt erneut zur Hochblüte. Auch abseits von Liebesfallen („Honeytraps“) kamen nun vermehrt Frauen zum Einsatz, Frauen wie die Wienerinnen Edith Tudor-Hart und Hede Massing. Die Schauspielerin Massing, 1900 als Hedwig Tune geboren, war wie Tudor-Hart Kommunistin und in den 1930er und -40er Jahren als sowjetische Agentin tätig.

Massing zog 1921 nach Berlin, wo sie als Ehefrau des „Rote Fahne“-Funktionärs Gerhart Eisler mit der Führung der KPD in engen Kontakt kam. Mit ihrem zweiten Mann, dem marxistischen Publizisten Julian Gumperz, zog Massing in die USA und erhielt dort auch die US-Staatsbürgerschaft, nach der dritten Heirat mit Paul Massing ging es nach Deutschland zurück. In Berlin wurden die Massings schließlich vom Sowjetspion Richard Sorge für den Geheimdienst GRU angeworben, beide arbeiteten später auch für den NKWD-Apparat (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der Sowjetunion).

Hede Massing 1951 vor einem US-Senatskomitee
AP/Henry Griffin

Frauen im „Maschinenraum der Spionage“
„In den 1930er und 1940er Jahren gab es viele jüdische Emigranten, die aus ideologischen Gründen spionierten und mitunter gar kein Geld dafür annahmen“, sagt Riegler. „Das waren überzeugte Kommunisten, die wollten, dass die Sowjetunion den Krieg überlebt und gewinnt.“ Massing war, wie sie selbst später sagte, eine privilegierte Idealistin mit wenig Bezug zum alltäglichen Leben in der Sowjetunion. Sie reiste etliche Male für den GRU zwischen den USA und Europa als Kurierin hin und her und warb in den 30ern etliche hochrangige Beamte in Washington an, die gegen die Nazis arbeiten wollten. „Die Frauen haben oft die harte Arbeit im Maschinenraum der Spionage übernommen, etwa Kuriertätigkeiten. Sie haben große Opfer gebracht und manchmal einen hohen persönlichen Preis gezahlt. Aber viele haben auch den Nervenkitzel einer Untergrundtätigkeit genossen“, so Riegler.

In den „Venona“-Akten, einem Gemeinschaftsprojekt der Geheimdienste der USA und Großbritanniens zur Entschlüsselung sowjetischer Geheimnachrichten während des Kriegs, wurde Massing unter dem Decknamen „Rotschopf“ geführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließ Massing nach eigenen Aussagen den sowjetischen Geheimdienst, aus Desillusionierung gegenüber dem stalinistischen Russland.

Bekanntheit erlangte Massing erst 1949: Sie sagte in den USA bei einer Gerichtsverhandlung gegen einen ehemaligen Spionagekollegen, Alger Hiss, aus. Zwei Prozesse gegen Hiss fanden in der McCarthy-Ära und der allgemeinen Angst vor sowjetischer Unterwanderung größte öffentliche Aufmerksamkeit. Hiss wurde des Meineids schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Massing veröffentlichte später ihre Berichte in dem Buch „This Deception“. Danach war von ihr nichts mehr zu hören, Massing starb 1981 in New York.

Verräter an den Schaltstellen
Weit größere Wirkung in Österreich hatte der Fall Gustav Hochenbichler. Auch er war, wie Redl, hochrangiger Beamter im Sicherheitsapparat, 1982 wurde er der zweite Mann in der Wiener Staatspolizei, zuständig für Objektsicherung, den Schutz von Staatsbesuchern und Kontakte mit Diplomaten.

Hochenbichler, stets um adrettes Aussehen bemüht und ein Freund teurer Anzüge, wurde auch der „schöne Gustav“ genannt. „Er war alkoholsüchtig, hat mit Kumpanen im Hinterzimmer getrunken und Nazi-Lieder gesungen. Die Wiener Staatspolizei war damals ein sehr eigentümliches Biotop“, so Riegler über Hochenbichler. „Als stellvertretender Leiter der Wiener Staatspolizei wusste er über viele Interna Bescheid.“

Straffreiheit durch Tod
Hochenbichler lieferte der DDR bis zu ihrem Zusammenbruch unzählige Geheiminformationen. Das Archiv der Stasi-Auslandsspionage wurde vernichtet, dennoch konnte der Historiker Thomas Riegler nachvollziehen, dass er in etwas mehr als acht Jahren über 800 Geheimnisse verriet und damit im Monat ein Gehalt von umgerechnet rund 1.000 Euro plus Zulagen kassierte. Sein Deckname als „Informeller Mitarbeiter“ war „BAU“, seine Methode war die Nutzung toter Briefkästen.
Ende der 1980er Jahre geriet Hochenbichler durch einen ausländischen Tipp in Verdacht, ein Verräter zu sein. 1991 sollte er Chef der Wiener Staatspolizei werden, die Beförderung wandte man diskret ab. Doch die Gegenmaßnahmen zogen sich: Erst 1994 wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt und Vorerhebungen eingeleitet. Bevor Anklage erhoben werden konnte, starb Hochenbichler an Krebs.

Hochenbichler hatte die Identitäten von 92 österreichischen Staatspolizisten und Dutzende Observationen verraten. „Die Tätigkeit der Stapo stellte für die Gegenseite somit ein offenes Buch dar“, so Riegler in seinem Werk „Österreichs geheime Dienste“. „Der Schaden war groß – nicht nur für die Sicherheit Österreichs, sondern für jene des Westens im Kalten Krieg.“ Als Motiv Hochenbichlers nannte Riegler keine politischen, sondern vielmehr ein übersteigertes Geltungsbedürfnis und einen aufwendigen Lebensstil.

Archiv als Quellenschatz
Erst spät kam heraus, dass Hochenbichler ab 1990, möglicherweise aber auch schon seit den 1970er Jahren, unter dem Decknamen „Sorokin“ auch dem russischen KGB zugearbeitet hatte. 1975 soll er bereits bei der Entführung eines russischen Überläufers mitgeholfen haben. Möglich sind solche Schlussfolgerungen durch das „Mitrochin-Archiv“, benannt nach Wassili Mitrochin, einem Archivar des KGB. Mitrochin übergab 1992 dem britischen Geheimdienst seine Aufzeichnungen: Über Jahrzehnte hatte er KGB-Protokolle handschriftlich kopiert und dann in den Westen geschmuggelt. So wurden in den 1990er Jahren auch viele Unterlagen bekannt, in denen sich auch zahlreiche Hinweise auf Österreich befanden. Vor allem im Polizeiapparat dürfte es demnach dem KGB gelungen sein, Spione und Informanten zu platzieren.

„Das zieht sich durch seit Redl“
Auch heute noch dürfte Österreich große Schwächen im Umgang mit ausländischen, vorwiegend russischen Spionen haben. Das zeigten etwa Auftragsmorde wie jene am Ex-Leibwächter des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, Umar Israilow, im Jahr 2009 und am Regimekritiker Mamichan Umarow 2020. Auch Beispiele von enttarnten Spionen in den vergangenen Jahren gab es genügend. Ein ebenso gutes Indiz ist die „Russencity“, die Ständige Vertretung bei den internationalen Organisationen in Wien, deren Dächer mit großen Satellitenschüsseln bestückt sind. Während ähnliche Stationen in Brüssel oder Warschau lahmgelegt wurden, saugen die Schüsseln in Wien weiterhin Daten ab.

„Russland war über die Jahre in Österreich immer besonders stark vertreten“, so Riegler. „Wien war immer ein wichtiger Stützpunkt, ein Drehkreuz auch wegen seiner geostrategischen Lage. In Wien pflegt man gern Kontakte. Das zieht sich durch seit Redl.“
21.04.2024, Caecilia Smekal, ORF.at für ORF Topos

Link:
Blog von Thomas Riegler

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