Nazis wollten Südtiroler auf der Krim ansiedeln...

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
Südtirol und die Option:

Im Zweiten Weltkrieg ist die Halbinsel Krim von Nazi-Deutschland erobert worden. „Die Krim muss von allen Fremden geräumt und deutsch besiedelt werden“, forderte Adolf Hitler. Es wurde ernsthaft erwogen Optanten aus Südtirol auf der Krim anzusiedeln.

„Die Krim muss von allen Fremden geräumt und deutsch besiedelt werden“, gab NS-Diktator Adolf Hitler bereits vor dem Russland-Feldzug im Sommer 1941 als Parole aus, wie der Historiker Lothar Krecker in seinem Buch „Deutschland und die Türkei im Zweiten Weltkrieg“ schreibt. Als mögliche Siedler gerieten bald die Südtiroler ins Blickfeld, die wegen eines Abkommens Hitlers mit dem italienischen Diktator Benito Mussolini aus dem Jahr 1939 in der sogenannten „Option“ zur Entscheidung zwischen der Auswanderung ins „Deutsche Reich“ und dem Verbleib in einem italianisierten Südtirol gezwungen wurden.

Mit der Ansiedlung der Südtiroler wollten die Nazis an die Tradition der „Krimgoten“ anknüpfen, die sich im Zuge der Völkerwanderung im dritten Jahrhundert nach Christus auf der Halbinsel niedergelassen hatten.

Plan von Nazi-Funktionär Frauenfeld ausgearbeitet
Die konkreten Pläne für die Ansiedlung von Südtiroler Optanten auf der Krim wurden vom Wiener Nazi-Funktionär Alfred Eduard Frauenfeld ausgearbeitet, der von 1942 bis 1944 die deutsche Militärverwaltung auf der Krim leitete. Seine „Denkschrift über die Möglichkeit einer geschlossenen Umsiedlung der Südtiroler nach der Krim“ wurde von SS-Führer Heinrich Himmler positiv aufgenommen. Er schrieb im Juli 1942 an Frauenfeld, dass Hitler den Vorschlägen „keineswegs ablehnend gegenübersteht (...), doch herrscht Einigkeit darüber, dass mit der Umsiedlung der Südtiroler erst nach Abschluss des Krieges begonnen werden kann“. „Für Burgund werden wir dann eben einen anderen Volksstamm finden“, fügte der SS-Chef mit Blick auf den ursprünglich für die Südtiroler ausgekorenen neuen Lebensraum hinzu.


Hitler wollte Überlegenheit demonstrieren
Die Eroberung der Krim war für Hitler nicht nur eine strategische Frage gewesen, er wollte damit auch die Überlegenheit des NS-Regimes gegenüber früheren europäischen Regierungen demonstrieren. Im Krim-Krieg (1853-56) hatten sich die europäischen Invasionstruppen nämlich die Zähne an der stark befestigten Hafenstadt Sewastopol ausgebissen, die damit zum Mythos für das russische Volk wurde.


Halbinsel seit 1783 offiziell in russischer Hand
Die Krim war im Jahr 1774 vom Osmanischen Reich unabhängig geworden und danach sukzessive in den Machtbereich Russlands geraten. Offiziell gliederte sich das Zarenreich die Halbinsel im Jahr 1783 ein. Nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917 riefen die islamischen turksprachigen Krim-Tataren die „Volksrepublik Krim“ aus, die aber nur bis Februar 1918 Bestand hatte. Nach dem Sieg der Bolschewiken im russischen Bürgerkrieg wurde sie zu einer eigenen Sowjetrepublik innerhalb Russlands.


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Krimtataren wegen angeblicher Kollaboration mit Hitler-Deutschland nach Sibirien deportiert. Im Jahr 1954 verfügte der neue Sowjetführer Nikita Chruschtschow die Angliederung der Halbinsel an die Sowjetrepublik Ukraine, mit der sie eine geografische Einheit bildete.
Nazis wollten Südtiroler auf der Krim ansiedeln
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#3
Leidvoller Jahrestag

Südtirol und die Option: Leidvoller Jahrestag

Angst und Zorn beherrschten 1939 die Tage vor Silvester in Südtirol. In den Familien wurde erbittert gezankt, geflucht und geweint. Am 31. Dezember 1939 endete die Frist für die Option.

Hinter dem wertneutral klingenden Ausdruck Option steckte ein verhängnisvolles Umsiedlungsabkommen, das Vertreter des Mussolini- und Hitler-Faschismus im Sommer 1939 in Berlin ausgeheckt hatten. Die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler mussten sich zwischen dem Verbleib in der italianisierten Heimat und der Auswanderung ins Deutsche Reich entscheiden.

Familienfoto als inszenierte Weltanschauung
Es war eine Wahl zwischen Pest und Cholera, die tiefe Seelenklüfte in die Gesellschaft riss. Emblematisch hierfür sind Familienfotos: Vater, Mutter und Kinder posieren vor der Linse des Propagandafotografen. Die einen zeigen sich stolz mit dem Konterfei des Führers, das sich unmittelbar neben einem Neugeborenen befindet, die anderen sitzen vor einer Wand mit markigen Mussolini-Parolen.

Entzweiung belastet manche bis heute
In diesen Abbildungen spiegelt sich die Tragik der Entzweiung des Südtiroler Volks wieder. Unter dieser nicht vernarbten Geschichte leidet Franz Thaler noch immer. Der frühere Federkielsticker aus dem Sarntal bei Bozen wird am 6. März 2015 neunzig Jahre alt. Seine Ablehnung des nationalsozialistischen Gedankenguts brachte ihn ins KZ nach Dachau. Sein Weg dorthin war schon im Optionsjahr 1939 vorgezeichnet: „Ganze Familien wurden von der Option auseinander gerissen. Mein Cousin war fürs Dableiben, sein jüngerer Bruder und die Mutter hingegen begeisterten sich für die Auswanderung ins Großdeutsche Reich.“

Option sortierte in „Nazis“ und „Walsche“
Diskutiert wurde vornehmlich in Gasthöfen und Bauernstuben. Thaler erinnert sich an eine Episode, die er auch in seinem Buch „Unvergessen“ erwähnt: „Einmal war ich bei einem Nachbarn zu Besuch. Dort wurde über eine Versammlung gesprochen.Bei dieser, so sagten die Männer, hätten viele fürs Dableiben das Wort ergriffen, darunter war auch Kanonikus Michael Gamper.
Zwei Männer entschieden sich, die Formulare fürs Dableiben zu unterschreiben. Das waren mein Onkel und mein Vater.“ Die Tatsache, dass sein Vater kein Bekenntnis zu Hitler, dafür aber eines zu seiner Heimat abgelegt hatte, brachte Franz Thaler Spott ein. „Von vielen wurde ich daraufhin als ,walscher Fock’ (italienisches Schwein) gehänselt. Das tut mir auch jetzt noch sehr weh.“

Zoderer am Boden eines Innsbrucker Wirtshauses
Eine Zäsur war die Option auch für Südtirols wohl bekanntesten Schriftsteller: Joseph Zoderer verließ seine Geburtsstadt Meran im zarten Alter von vier Jahren. „In einem Wirtshaus in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße wurden wir im Jänner 1940 wie Ware zwischengelagert.
Betten gab es keine, daher mussten wir auf dem Boden schlafen. Später setzten wir unsere abenteuerliche Reise fort und landeten schließlich in Graz. Die erste Unterkunft fanden wir in den leer stehenden Klassenräumen des Priesterseminars, wo wir zwischen den Schulbänken schliefen.“

Bei seinen Eltern machte sich in der Steiermark Unbehagen breit: „Ihnen haben nach dem Verlassen Südtirols die Knochen und die Seele wehgetan. Alles, was sie geliebt hatten, mussten sie zurücklassen. Das Wehklagen über die Fehlentscheidung des Auswanderns war so etwas wie eine Begleitmusik meiner Kindheit.“

Totgeschwiegenes Kapitel Südtiroler Geschichte
Auf dem Papier sprachen sich bis Ende 1939 rund 86% der Südtiroler (mehr als 200.000 Personen) fürs Auswandern aus. Bis 1943 verließen 75.000 Menschen ihre Heimat – 25.000 kamen nach Nordtirol und Vorarlberg. Die vielen Südtiroler-Siedlungen im Bundesland Tirol sind auch heute noch ein beredtes Zeugnis dieser Umsiedlung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Option in Südtirol totgeschwiegen. Alte Nazis und Options-Eiferer schlüpften unter den Gnadenmantel der Politik. Der ethnische „Fetischismus der Einheit“ (Günther Pallaver) war der regierenden SVP wichtiger als die Aufarbeitung einer vom Hass geprägten Geschichte.

Auch heute noch ziehen sich Gräben des Schweigens durch viele Familien. Franz Thaler glaubt, dass sie nicht zugeschüttet werden können: „Das bringst du nicht fertig. Die Gräben werden bleiben, weil die Option ein innerliches Problem ist. Sie löst einen Schmerz der Erinnerung aus. Der vergeht einfach nicht.“


Patrick Rina, tirol.ORF.at
Text- u. Bildquelle: http://tirol.orf.at/news/stories/2686388/

Propaganda für die jeweiligen Diktatoren auf Familienfotos - die Wahl zwischen "Pest und Cholera":

1. Il Duce: Der Hintergrund als zentrale Botschaft ...
2. ...oder der Führer - auf einer Fotografie - als Teil der Familie
 

Anhänge

#4
Viele kamen auch in die "eroberten Ostgebiete" und mussten von dort wieder fliehen. Ein richtiges Drama!
Kaum vorzustellen, sollte es einem selbst so treffen.
Aber ist ja bald endgültig Geschichte.
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#5

josef

Administrator
Mitarbeiter
#7
Gehen oder bleiben? Die Südtiroler Option 1939

Am 23. Juni vor 80 Jahren wurde die Umsiedlung der Südtiroler vereinbart. Die Bevölkerung stand vor der Wahl: gehen oder bleiben? Auch die Familie der Autorin Sabine Gruber
Genau vor 80 Jahren, am 23. Juni 1939, trafen sich unter dem Vorsitz von Reichsführer SS Heinrich Himmler in Berlin deutsche und italienische Vertreter, um die Umsiedlung der Südtiroler zu vereinbaren. Südtirol, das einmal Teil der österreichischen Monarchie gewesen war und erst nach dem Ersten Weltkrieg im Friedensvertrag von Saint Germain 1919 Italien zugesprochen wurde, sollte italienisch bleiben, seine Bevölkerung aber wurde vor die Wahl gestellt: entweder Reichsbürger werden und ins Dritte Reich abwandern oder unter Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft in der faschistisch regierten Heimat bleiben. 86 Prozent der Südtiroler und Südtirolerinnen (für die Ehefrauen und die Minderjährigen entschieden die Ehemänner bzw. die Familienoberhäupter) optierten für das Deutsche Reich. Tatsächlich gegangen ist knapp ein Drittel.


foto: sabine gruber
Die Option kostete meinen Großonkel das Leben. Er kam als Wehrmachtssoldat an die russische Front, fiel am 10. Jänner 1944 bei Witebsk.

Noch 1919 hat der damalige italienische Außenminister Tommaso Tittoni versprochen, die deutschsprachige Minderheit zu respektieren. Mit der Machtergreifung der Faschisten änderte sich die Situation schnell. Die deutsche Unterrichtssprache wurde verboten, Orts- und Familiennamen wurden zwangsitalienisiert. Man holte italienische Arbeiter für die neu geschaffenen Industriebetriebe und Sozialwohnungen nach Südtirol, untersagte Vereine und Verbände – kurz: Man tat alles, um die Entnationalisierung der Südtiroler zu forcieren. Wer sich in irgendeiner Form widersetzte, dem drohte die Verbannung. Beschwerden beim Völkerbund wurden abgeschmettert. Man wertete die Entwicklungen als inneritalienische Angelegenheit.

Entsprechend groß war die Erlösungssehnsucht vieler Südtiroler. Man hoffte, dass Hitler die "Schandverträge" von St. Germain revidieren und Südtirol nach der Annexion Österreichs 1938 "heim ins Reich" holen würde. Hitlers Verzicht auf Südtirol war für viele eine herbe Enttäuschung. Die Faszination vieler Südtiroler für den Nationalsozialismus lässt sich jedoch nicht allein als Widerstandsreaktion auf den Faschismus begreifen, sondern auch als Hinwendung zur deutschnationalen politischen Kultur, die in Tirol schon in der Monarchie stark verbreitet war. Die politischen Gegner der nationalsozialistischen Illegalen, die es ab 1928 auch in Südtirol gab, waren nicht nur die Faschisten, sondern auch die Sozialdemokraten, die Pazifisten und die Juden, alle, die der großdeutschen Reichsidee entgegenstanden.

Der Kaiser weg, Tirol weg ...
"Ich bin als kaisertreuer Tiroler aufgewachsen. Plötzlich war Österreich weg, der Kaiser weg, Tirol weg", so mein Großvater Josef Gruber. Er habe später die Buchdruckerei übernommen. Ohne den Mitgliedsausweis des Partito Nazionale Fascista wäre es seines Erachtens gar nicht möglich gewesen, den väterlichen Betrieb aufrechtzuerhalten. Großvater war aber auch Unteroffizier des italienischen Heeres gewesen, "weil es sein musste", wie er mehrfach beteuerte. Musste es sein?

Im August 1939, bei einer Parteiversammlung der Faschisten in Meran, habe ihn ein Fascio angebrüllt, er, Giuseppe Gruber, sei ein schlechter Faschist und das Beste sei, er ginge ehestens über die Grenze. Da habe er beschlossen zu optieren.

So einfach und so schnell ist die Entscheidung vermutlich nicht gefallen, denn die Familie meines Großvaters war bezüglich der Frage, welche Treue, die zur Heimat oder die zu Deutschland, vorzuziehen sei, völlig zerrissen.

Meine Urgroßmutter Anna Gruber, geb. 1883, starb, als ich elf Jahre alt war. Sie war eine der wenigen Vertreterinnen des dörflichen Bildungsbürgertums, eine vorausschauende, belesene Frau, die Wissen und Handwerk höher bewertete als Besitz und Status.

Ich kann mir gut vorstellen, wie sie sich damals, in diesem für Südtirol schicksalhaften Jahr 1939, mehr als einmal mit ihren Söhnen und ihrem Mann an den großen Tisch in die Stube gesetzt hatte, um die schwierige Situation zu besprechen. Mein Großvater kommentierte später die historische Ausstellung Option 1939 in Bozen mit den Worten: "Nicht dargestellt werden konnte aus jener Zeit die große seelische Belastung der Menschen, die quälende Sorge wegen der unsicheren Zukunft, das nächtliche Grübeln (...). Nicht darstellen lassen sich die oft harten Auseinandersetzungen innerhalb der Familien (...)".

Meine Urgroßeltern und ein Sohn entschieden sich zu bleiben, drei Söhne, darunter auch mein Großvater, optierten für das Deutsche Reich. Was spielte sich damals in der Stube ab? Wie tief ging das familiäre Zerwürfnis? Meine Urgroßmutter soll die einfache Frage gestellt haben, wo denn die Leute jetzt seien, deren Besitztümer angeblich den Südtirolern in Russisch-Polen zur Verfügung stünden. Es sei nicht rechtens, die Häuser von Vertriebenen oder gar Ermordeten zu bewohnen.

Unwirtliche Erde Galiziens
1939 hatte Heinrich Himmler nach dem erfolgreichen Polenfeldzug im Oktober als mögliches Siedlungsgebiet für die Südtiroler die Beskiden bekanntgegeben. Aber das Südtiroler Obstparadies wollte man dann doch nicht gegen die unwirtliche Erde Galiziens eintauschen. Als Nächstes schlug Himmler die Freigrafschaft Burgund vor. Wieder reiste eine Delegation in die mögliche zukünftige "Heimat". Besançon – stellte man sich vor – würde Bozen, Chalon Meran werden usw. Die Franzosen sollten ins Vichy-Frankreich vertrieben werden. Doch es gab keinen Friedensvertrag Hitlers mit Frankreich und auch keine endgültig abgetretenen Gebiete.

Nachdem Hitler 1941 Jugoslawien angegriffen hatte, plante man die Umsiedlung der Südtiroler in die Südsteiermark und nach Südkärnten. Ein Jahr später, im Sommer 1942, hatte man die Idee, an der Südgrenze des Deutschen Reiches einen völkischen Grenzwall gegen Asien zu errichten und die Südtiroler auf der von den Russen und Ukrainern befreiten Krim anzusiedeln.

Mein Großvater, der älteste der vier Brüder, erklärte mir kurz vor seinem Tod, er habe nicht für Hitler optiert, sondern für Deutschland – eine Aussage, die man von Optanten öfter zu hören bekam. 1939 ließen sich Führer und Reich wohl kaum noch getrennt wahrnehmen. Sein Bruder Luis, der zum Zeitpunkt der Option 20 Jahre alt war, hoffte, als Reichsbürger vor allem dem italienischen Heer zu entkommen.

In seinem Tagebuch beschreibt er die Zeit von 1939 bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht im April 1943 als die schönste seines Lebens, die er vor allem dazu nutzte, eine 600 Seiten dicke Geschichte Tirols zu verfassen, wenn er nicht gerade in der Druckerei meines Großvaters arbeitete. In seinen Notizen zeigt er sich entsetzt über den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich. Während aller Augen längst auf Deutschland gerichtet waren, trauerte er dem untergegangenen Österreich nach. Zwischen den Tagebuchseiten fand ich die Vorladung der deutschen Ein- und Rückwandererstelle vom 20. 3. 1942. Er, Luis Gruber, habe sich bisher geweigert, seinen Einbürgerungsantrag zu stellen, und werde daher aufgefordert, sich innerhalb von drei Tagen im Hotel Bristol in Meran zu stellen.

Wie lässt sich seine Verzögerungstaktik erklären? Bedauerte er, optiert zu haben? War er auf der Seite des Klerus, für den Hitler ein Feind des Glaubens und daher mit dem Tirolertum nicht vereinbar war? Die Option kostete meinen Großonkel das Leben. Er kam als Wehrmachtssoldat an die russische Front, fiel am 10. Jänner 1944 bei Witebsk.

Der Großvater hingegen wurde zum Vertrauensmann der Optanten; er hatte an einem NSDAP-Schulungskurs für "volksdeutsche Umsiedler" in Sonthofen im Allgäu teilgenommen, der dazu dienen sollte, die "politische Führungselite der Südtiroler Volksgruppe" für die "neue Heimat" auszubilden. Im Juni 1943 rückte mein Großvater ein – Einsatzgebiet Norditalien.

Meiner Frage, was er wo getan habe, war er stets ausgewichen. Er sei vor allem als Übersetzer tätig gewesen. Meinen Artikel über die Wehrmachtsausstellung Vom Krieg erzählen, von den Verbrechen schweigen im Jahr 1995 kommentierte er mit dem Satz, ich solle nicht über etwas schreiben, das ich nicht selbst erlebt hätte. Antinazistische Dableiber hätten ihn nach dem Krieg als Gestapo-Mann denunziert, was "absolut erlogen" gewesen sei. Das Jahr im Kriegsverbrecherlager Livorno habe er seinen eigenen Landsleuten zu verdanken.

Nach dem Krieg, 1956, wurde er Bürgermeister von Lana und machte sich neuerlich Feinde, weil er gegen die "Bumser" und die Politiker dahinter agitierte. Er war der Überzeugung, dass sich wegen der Sprengstoffanschläge das Autonomiestatut um zehn Jahre verspätet habe. Dass er für gewaltfreie Verhandlungen mit den Italienern eingetreten war, bescherte ihm Todesdrohungen vonseiten des Befreiungsausschusses Südtirol, der sogenannten "Freiheitskämpfer", die mein Großvater allerdings "Terroristen" nannte.

Option für das Deutsche Reich
Seine Option für das Deutsche Reich entschuldigte er – wie viele andere Optanten – mit 18 Jahren Faschismus, er zog sich wie die meisten in die Opferhaltung zurück. Dass man sich Hitlers politischen Zielen untergeordnet hatte und durch die Option auch ein Stück weit den Abwanderungswünschen der Faschisten entgegengekommen war, wollte man nicht sehen. Die auch nach 1945 noch bestehenden Gräben zwischen den Dableibern und den Optanten wurden weitestgehend ignoriert.

Die Südtiroler Volkspartei verordnete nach dem Krieg das Diktat der politischen Geschlossenheit. Man befürchtete das Auseinanderbrechen der deutschen Einheitspartei und damit eine Schwächung der Position der Minderheit im Kampf gegen das übermächtige Italien, im Kampf für mehr Autonomie.

Ich sehe die Stube meiner Urgroßmutter vor mir, die Wanduhr, die Bücher von Schiller, Eichendorff, Kleist, Dantes La Divina Commedia, die Promessi Sposi von Manzoni. Half Bildung zumindest, die richtigen Fragen zu stellen? Machte sie immun gegen die sizilianische Legende, wonach Nichtoptanten nach dem Süden oder gar nach Abessinien zwangsverfrachtet werden sollten, immun gegen die Beschimpfung als walsche Kollaborateure?

Zwischen 1949 und Ende der 50er-Jahre kehrten von den circa 75.000 Optanten 20.000 wieder nach Südtirol zurück. Auch die Optanten-Familie meiner Mutter, die erst in einem Innsbrucker Barackenlager, dann in ärmlichen Wohnungen in Lienz und im Oberinntal gelebt hatte. Viele der mittellosen Heimkehrer brachte man in Siedlungen unter. In Bruneck hieß die Siedlung für die "Hitlerschen" im Volksmund "Hungerburg" und "Revolverviertel". Die Nazi-Eliten machten hingegen auch nach dem Krieg Karriere.
(Sabine Gruber, Album, 22.6.2019)

Sabine Gruber, geb. 1963 in Meran, ist eine deutschsprachige italienische Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr "Daldossi oder Das Leben des Augenblicks" (2016).

Gehen oder bleiben? Die Südtiroler Option 1939 - derStandard.at
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#8
Dunkles Kapitel der Tiroler Geschichte

1569248820449.png
Ein neues Dokumentationszentrum in Jenbach arbeitet das dunkle Kapitel der Option auf. Vor 80 Jahren mussten sich die Südtiroler auf Grund des Hitler-Mussolini-Paktes entscheiden, ob sie in ihrer Heimat bleiben oder auswandern. 75.000 verließen Südtirol.
Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen
Ein Großteil der Ausgewanderten wurde in eigens errichteten Südtiroler-Siedlungen angesiedelt, die meisten in Vorarlberg und Tirol, darunter in Telfs, Innsbruck oder auch Imst. Nach Jenbach beispielsweise kamen 376 Südtiroler Familien. Das neue Dokumentationsarchiv im Jenbacher Museum wird diese Zeit auch mit neu erschlossenem Quellenmaterial aufarbeiten – finanziell unterstützt wird es für die Dauer von drei Jahren mit 51.000 Euro vom Land Tirol.

Es werden Zeugnisse der Option wie Briefe, Dokumente oder Filme gesammelt, digitalisiert und weiter erforscht. Auch damalige Optanten und deren Nachkommen werden gebeten, dem Projekt weiteres Material zur Verfügung zu stellen.

LeitzscheCC BY 1.0
Dieser Gedenkstein in Jenbach erinnert an die Geschichte der Ausgewanderten.

86,6 Prozent entschieden sich für die Option
Zwischen 1939 und 1943 musste sich die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols entscheiden, ihre Südtiroler Heimat zu verlassen und die Option für Deutschland auszuüben oder in Südtirol zu verbleiben.

Wer in Südtirol bleiben wollte, musste die Italianisierung mitmachen – das heißt, die Südtiroler mussten ihre Kultur und Muttersprache aufgeben. 86,6 Prozent der Südtiroler Männer – Frauen waren nicht wahlberechtigt – entschieden sich für die Option, das bedeutete die Auswanderung in das Deutsche Reich.

Schlussendlich wanderten 75.000 Südtiroler in das Deutsche Reich aus. Familien wurden zerrissen, Freundschaften zerstört. Nach dem Krieg kehrten 20.000 als Rücksiedler wieder nach Südtirol zurück.

ORF
Diese Südtiroler Siedlung in Innsbruck existiert so nicht mehr, an ihrer Stelle werden derzeit hunderte neue Mietwohnungen errichtet.

Jahrelanger Streit um Erhalt der Südtiroler Siedlungen
Ob es sich bei den Südtiroler Siedlungen um schützenswerte Baudenkmäler handelt, darüber entbrannte in Tirol vor rund zehn Jahren eine hitzige Debatte, die mittlerweile beendet ist.

Von den insgesamt 43 Südtiroler Siedlungen in Nordtirol stehen heute nur das Bauensemble der Siedlung Kematen und die Hälfte der Siedlung Reutte unter Denkmalschutz.
23.09.2019 red, tirol.ORF.at/Agenturen

Link:
Wissenschaft: Dunkles Kapitel der Tiroler Geschichte
 
Oben