Moore: Moorleichen, fleischfressende Pflanzen, wichtig für Klimaschutz usw.

josef

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TOTE AUS DEM TORF
Überraschend viele Moorleichen kamen gewaltsam zu Tode
Erstmals gibt es einen wissenschaftlichen Überblicksartikel zu Verstorbenen im Moor. Manche wurden "mehrfach getötet", andere zu Mumienpulver vermahlen

Der Tollund-Mann, die wohl besterhaltene menschliche mumifizierte Moorleiche.
Foto: Richard Ashworth / Imago / Robert Harding

Es ist nicht nur "seltsam, im Nebel zu wandern", vor allem, wenn man dabei in Nordeuropa unterwegs ist: "O schaurig ist's" vor allem, dabei "übers Moor zu gehn". Insbesondere im Bewusstsein um Tote, die einen umgeben könnten. Nicht nur Tierkadaver verschwinden im Feuchtgebiet, einige menschliche Leichname haben es zu postmortaler Berühmtheit gebracht – unter anderem, weil vieles darauf hindeutet, dass sie von fremder Hand getötet wurden, wie auch eine neue Analyse im Fachmagazin "Antiquity" zeigt. Nach Angaben der Fachleute handelt es sich um die erste große Übersicht zu gut datierten menschlichen Überresten aus nordeuropäischen Mooren.

Die vielleicht bekannteste Moorleiche ist der Tollund-Mann, der 1950 in Dänemark von Torfstechern entdeckt wurde. Der Sauerstoffmangel im Moorboden trägt dazu bei, dass Körper erstaunlich gut konserviert und mumifiziert werden. Die "schöne Leiche" ließ die beiden Brüder, die in der Torfgrube arbeiteten, auch glauben, dass der Tote erst kürzlich sein Leben aushauchte, weshalb sie die Polizei verständigten. Doch die Expertise eines Archäologen machte klar, dass der Fall nicht mehr gerichtsmedizinisch relevant ist: Der Mann starb mehr als 2.000 Jahre zuvor, wohl um 400 vor Christus, während der nordeuropäischen Eisenzeit.


In Norddeutschland – hier der Naturpark Hohes Venn im deutsch-belgischen Grenzgebiet – wurden unter anderem beim Torfstechen Moorleichen zutage gefördert.
Foto: Imago / Jochen Tack

Dennoch übt sein Körper, der im Museum von Silkeborg in Jütland aufbewahrt wird, eine große Faszination aus. Nicht zuletzt liegt das an der geflochtenen Schlinge, die um seinen behüteten Kopf gelegt ist. Der mit etwa 40 Jahren verstorbene Mann wurde wahrscheinlich erhängt und anschließend sorgfältig im Moor bestattet. Letzteres lässt Fachleute vermuten, dass es sich um eine rituelle Tötung handelte – üblich waren ansonsten Feuerbestattungen.

Letzte Mahlzeit
Vielleicht handelte es sich um ein Menschenopfer in der Hoffnung auf einen ertragreichen Frühling. Der Todeszeitpunkt sowie seine letzte Mahlzeit (Brei aus Pflanzensamen) lassen sich nicht nur bei ihm, sondern auch bei anderen Mumien aufgrund des guten Erhaltungszustands feststellen, wie auch die prähistorische Südtiroler Eismumie Ötzi zeigt.


Der Tollund-Mann zählt zu den Moorleichen, die eines gewaltsamen Todes starben.
Foto: Christian Kober / Imago / Robert Harding

Der neuen Überblicksstudie zufolge konnte zwar nur bei 57 der mehr als 1.000 berücksichtigten historischen Moorleichen die Todesursache bestimmt werden. Doch darunter fallen immerhin 45 in die Kategorie "gewaltsamer Tod", wie das internationale Forschungsteam um Roy van Beek von der Universität Wageningen in den Niederlanden ausführt. Einbezogen wurden 266 Fundstätten aus Europa, vor allem aus dem Norden des Kontinents – Irland, Großbritannien, Niederlande, Deutschland und Skandinavien –, wobei auch zwei süddeutsche Funde Eingang fanden. Generell sind Moore im südlichen Raum aber rar.

Stigma und Sonderstellung
Auch das "Mädchen von Yde" – im Niederländischen "Meisje van Yde" –, das man bereits 1897 entdeckte, wurde erdrosselt, mit einem Gürtel, der dreimal um ihren Hals geschlungen wurde. Zusätzlich gibt es eine Einstichstelle unter dem Schlüsselbein, die allerdings nicht zum Tod führte. Noch immer leuchten die Haare der etwa 16-Jährigen, die um 40 vor bis 50 nach Christus starb, orangerot.


Nicht nur das "Mädchen von Yde", sondern auch die hier abgebildete Moorleiche von Husbaeke im deutschen Oldenburg sticht durch farbkräftige Haare hervor.
Foto: W. Rolfes / Imago / Imagebroker

Studienautor van Beek war tief vom Anblick des "Mädchens von Yde" beeindruckt, als er – damals selbst noch ein Teenager – eine Ausstellung über Moorleichen besuchte, wie er der "New York Times" schildert. Vielleicht trug dieses Erlebnis dazu bei, dass er heute als Archäologe arbeitet. Erstaunlich ist, dass ihr Kopf offenbar zur Hälfte rasiert wurde – ein weiterer ritueller Tod?


Ihre Wirbelsäulenverkrümmung und ein verdrehtes Bein lassen darauf schließen, dass sie mit einer körperlichen Behinderung lebte. Ein entsprechendes soziales Stigma, aber auch eine Sonderstellung könnten ihre Gemeinschaft dazu veranlasst haben, sie zu töten. Dieser Ansicht ist Miranda Aldhouse-Green von der Universität Cardiff, Verfasserin des Sachbuchs "Bog Bodies Uncovered", in dem sie sich mit der Interpretation von Moorleichenfunden befasst.

Zwischen den Sphären
Behinderte Menschen konnten damals als "von Göttlichkeit berührt" angesehen werden, sagt Aldhouse-Green. Aber nicht nur Behinderungen, sondern auch das eher niedrige Alter falle bei Moorleichen aus der Eisenzeit auf. "In einigen traditionellen Gesellschaften wurden solchen Menschen schamanische Kräfte zugeschrieben, die sie befähigten, zwischen der materiellen und der Geisterwelt zu wechseln", sagt die Archäologin, "so wie Menschen in der Pubertät Elemente des Kindseins und des Erwachsenseins in sich tragen." Rituelle Opferungen würden zu Zeremonien zählen, die Gemeinschaften zusammenhalten können.


Die Karte zeigt, an welchen Fundstellen die in der Studie berücksichtigten Toten entdeckt wurden. Bei den rot und rosa markierten Funden handelte es sich um Mumien, bei den gelb markierten um Skelette.
Bild: van Beek et al. 2023, Antiquity (Ausschnitt)

Van Beek und seinem Team ging es weniger um die Beleuchtung einzelner Fälle, die aus heutiger Perspektive allesamt von traurigen und gleichzeitig faszinierenden Schicksalen zeugen. Vielmehr wollten sie in einer großen Analyse Ähnlichkeiten, Unterschiede und Trends zusammenfassen. Dafür berücksichtigten sie einen Zeitraum von etwa 7.000 Jahren, über den sich die Funde erstreckten.

Moorleichen-Schlachtfeld
Die ältesten stammen aus der frühen Jungsteinzeit um 5.200 vor unserer Zeitrechnung. Womöglich handelte es sich auch um eine Tradition, Verstorbene dezidiert in Moorlandschaften zu bestatten. In die Zeit von 1000 vor Christus bis zum Ende des Mittelalters um 1500 fallen die meisten Funde. Ein auffälliges Phänomen zeichnet sich für sieben Funde von 400 vor bis 400 nach Christus ab, das auch "overkilling" genannt wird: Betroffenen werden auf unterschiedliche Weise mehrere tödliche Wunden zugefügt.


Der Grauballe-Mann stammt aus der Eisenzeit und wurde 1952 entdeckt. Er starb mit etwa 34 Jahren durch einen Kehlenschnitt und könnte von hohem Stand gewesen sein.
Foto: Bo Amstrup / Imago / Ritzau Scanpix

Großteils wurde pro Fundstätte nur eine verstorbene Person entdeckt. Es gibt aber auch Massengräber an Moorleichen, wie der dänische Fundplatz von Alken Enge am Mossø-See veranschaulicht. Dort fand vor etwa 2.000 Jahren eine germanische Schlacht statt, die 2018 von Archäologinnen und Archäologen rekonstruiert wurde. Mehr als 380 männliche Krieger starben hier – vermutlich wurden sie vom Schlachtfeld in sumpfige Gewässer gebracht, Waffen inklusive.

Doch nicht alle Moorleichen wurden von anderen Menschen ermordet oder getötet. Ab dem Mittelalter sind einige Fälle verzeichnet, die eher auf Suizide oder Unfälle schließen lassen. Ein deutscher Händler dürfte im 19. Jahrhundert ertrunken sein, einige Briten im 17. Jahrhundert erfroren.

Konservierung dank des Mooses
Erstmals wurden bei der neuen Analyse nicht nur mumifizierte Tote aus dem Torf berücksichtigt und systematisch in großem Stil berücksichtigt, sondern auch Skelettreste, die sich etwa in alkalischen Böden erhalten haben, sagt die britische Archäologin Melanie Giles, die nicht an der Studie beteiligt war. Denn nicht jedes Sumpfgebiet hat den gleichen niedrigen pH-Wert, obwohl saure Hochmoore die Regel sind.


Torfmoose sorgen dafür, dass sich Moorleichen so gut halten (hier das Goldenstedter Moor in Niedersachsen).
Foto: W. Rolfes / McPhoto / Imago / Blickwinkel

Der feuchte Boden wird übrigens so sauer, weil dort Torfmoose gedeihen. Diese entziehen dem Grund, auf dem sie wachsen, viele Magnesium- und Kalziumionen, was den pH-Wert senkt. Außerdem kann das Wasser nicht zirkulieren, weshalb Sauerstoffaustausch fehlt. Der saure, sauerstoffarme Boden bietet Bakterien keine guten Lebensbedingungen. Diese können Kadaver, die im Moor versunken sind, nicht wie üblich abbauen – und so bleiben selbst Weichteile gut erhalten.

Schwierige Nacktheit
Auch bestimmte Kleidungsstücke können gut konserviert sein, Leder und Leinen beispielsweise. Doch van Beek zufolge ist es nicht leicht, Nacktheit – die Abwesenheit von Kleidung – archäologisch zu interpretieren. Andere Materialien können durchaus mit der Zeit verschwinden, sagt der Experte.

Eine Schwierigkeit der Studie war, dass nicht mehr alle beschriebenen Leichname heute auffindbar sind. "Viele Funde sind in der Vergangenheit verloren gegangen oder nur durch veröffentlichte Quellen bekannt", sagt van Beek. "Diese 'Papier'-Moorleichen wurden unterschiedlich detailliert und zuverlässig dokumentiert."


Der Grauballe-Mann, der im Moesgaard-Museum im dänischen Aarhus gezeigt wird, lässt Besucherinnen und Besucher erschauern und sorgte für literarische Inspiration.
Foto: Bo Amstrup / Imago / Ritzau Scanpix

Dass sich nicht jeder Körper heute in einem Museum oder Forschungsinstitut befindet, hat mitunter religiöse Gründe. Vor dem 19. Jahrhundert wurden Verstorbene, die in Sumpfgebieten aufgefunden wurden, anschließend der christlichen Tradition folgend erneut bestattet. Die erste Moorleiche, deren Auffinden dokumentiert wurde, entdeckte man 1640 im norddeutschen Schalkholz in Schleswig-Holstein.

Mumienpulver und Poesie
Zu den skurrileren Gründen gehört, dass manch ein Leichnam aus Sumpfgebieten im 18. und 19. Jahrhundert zu Mumienpulver verarbeitet und als Arzneimittel verkauft wurde. Handelsname: "Mumia", dargereicht "in Form eines hellen, schokoladenfarbenen Pulvers". Ähnliches geschah wohl schon ab der Antike mit ägyptischen Mumien. Vielleicht sollte nicht nur jene Harze, mit denen in Ägypten Verstorbene einbalsamiert wurden, wie auch Teer als Wirkstoff dienen, sondern auch Mumien aus Torfumgebung. Das Mittel wurde auf Haut und Wunden gerieben oder geschluckt, um Krankheiten zu heilen oder die Libido zu stimulieren.

Die Faszination rund um die Toten aus dem Moor hält jedenfalls bis heute an, wenngleich vor allem mit konservatorischen und wissenschaftlichen Methoden. Vom lyrischen Reiz zeugt nicht nur die eingangs zitierte deutsche Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die in "Der Knabe im Moor" Geisterstimmen sprechen lässt. Der irische Nobelpreisträger Seamus Heaney schrieb Gedichte mit den Titeln "The Grauballe Man" und "The Tollund Man", die von den gleichnamigen Moorleichen inspiriert sind. Letzteres schließt mit der Strophe: "Hier draußen in Jütland / In den alten, mörderischen Kirchengemeinden / Werde ich mich verloren fühlen, / Unglücklich und zu Hause."
(Julia Sica, 4.2.2023)

Links
Studie: Antiquity: "Bogs, bones and bodies: the deposition of human remains in northern European mires (9000 BC–AD 1900)"
New York Times:
"What the Ancient Bog Bodies Knew"
Überraschend viele Moorleichen kamen gewaltsam zu Tode
 

josef

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#2
FRISCHZELLENKUR
Waldviertler Moore: Keine Moorleichen, aber viele fleischfressende Pflanzen
Wie wichtig Moore im Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe sind, ist erst seit kurzem bekannt. Auch in Österreich versucht man jetzt zu retten, was noch zu retten ist

Das Heidenreichsteiner Moor soll mehr Wasser bekommen. Schon jetzt finden sich dort viele seltene Pflanzen- und Tierarten.
Foto: Axel Schmidt

Stück für Stück schlagen die Männer das Lärchenholz in den torfigen Boden hinein. Mit jedem Zentimeter dringt die Holzlatte Jahrzehnt um Jahrzehnt weiter in die Erdgeschichte ein, um in drei Meter Tiefe in der mindestens 3000 Jahre alten Torfschicht anzukommen. So lange dauert es bei einem durchschnittlichen Wachstum von einem Millimeter pro Jahr, bis der für Moore unerlässliche Torf solch ein Volumen aufbauen kann. Der Prozess kann schneller, aber auch langsamer erfolgen, je nachdem, wie sich das nicht vollständig zersetzte Pflanzenmaterial im Feuchtgebiet umwandelt.

Wassersperren im Moor
Das Heidenreichsteiner Moor im Waldviertel, wo sich die oben beschriebene Szene Anfang März abspielte, ist deutlich älter, als es die übriggebliebenen Torfschichten vermuten lassen. Wie fast alle österreichischen Moore dürfte es nach der letzten Eiszeit vor mehr als 10.000 Jahren entstanden sein. Doch Torfabbau, Entwässerungsmaßnahmen und die forstwirtschaftliche Nutzung haben das Moor auf 29,5 Hektar schrumpfen und seine nährstoffarme und saure Zusammensetzung verändern lassen. Vielerorts trocknete der Torf aus, auf dem entwässerten Boden wurden moorfremde Bäume wie Fichten gepflanzt.

Die Lärchenbretter, die an diversen Stellen der Entwässerungsgräben im Boden versenkt werden, dienen als Sperre, um das Wasser im Moorgebiet zu halten. Neben der Gemeindeau bei Heidenreichstein wurden die Maßnahmen heuer auch im nahegelegenen Schremser und Haslauer Moor durchgeführt. Vor zwei Jahren war das ebenfalls im Waldviertel befindliche Bummermoos dran.

Die fehlenden Moorleichen
Moorleichen seien hier noch übrigens noch nie gefunden worden, reagiert Horst Dolak, Leiter des Naturparks Heidenreichsteiner Moor, mit einem Schmunzeln auf die STANDARD-Rückfrage. Bei den meisten, etwa in Skandinavien gefundenen Körpern, handle es sich um rituelle Bestattungen, also nach dem Tod der betreffenden Person, wenngleich neuere Forschungsergebnisse erstaunlich viele gewaltsame Tötungen nachweisen konnten. Die Mär, dass die Moore allerdings am laufenden Band lebende Personen verschlungen haben sollen, kann auch der renommierte Moorexperte Gert Michael Steiner nicht bestätigen.


In Waldviertler Mooren werden Lärchenbretter eingezogen, um Wasser zurückzuhalten.
Foto: Axel Schmidt

"In einem intakten Moor kann man eigentlich nicht einsinken, geschweige denn wird man nach unten gezogen", räumt Biologe Steiner mit dem verbreiteten Mythos auf. Dass Menschen versänken, passiere am ehesten, wenn Torf gestochen, also abgebaut worden sei und die verbleibende Wanne sich mit Wasser gefüllt habe. In diese Löcher, die sich mit der Zeit mit Schlamm anreichern und oberflächlich mit Moosen bedeckt sein können, könne man zwar tatsächlich "einbrechen". Laut Steiner gibt es dafür aber ein probates Mittel: "Schwimmen!"

Für die Umsetzung des mit Tschechien grenzüberschreitenden Interreg-Projekts, das von der EU und dem Land Niederösterreich gefördert wird, ist der Naturschutzbund Niederösterreich verantwortlich, der sich seit Jahren um den Erhalt und die Restaurierung bestehender Moorflächen bemüht. Erste Erkenntnisse aus früheren Maßnahmen deuten darauf hin, dass die Wasserpegel in restaurierten Gebieten relativ rasch ansteigen und standortrelevante Pflanzen zurückkehren.

Enormes Klimaschutzpotenzial
Wie wichtig Moore für das globale Klima sind, war lange Zeit unbekannt. Tatsächlich zählen sie jedoch zu den größten und effizientesten Kohlenstoffspeichern der Erde. So bedecken sie gerade einmal drei Prozent der weltweiten Landfläche, speichern mit 600 Milliarden Tonnen aber fast das doppelte Kohlenstoffvolumen der globalen Wälder, wie der von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Naturschutzbund und Global 2000 herausgegebene Mooratlas vorrechnet.

Die Entwässerung und fortschreitende Zerstörung führt zu einer folgenreichen Kettenreaktion. Anstatt Kohlenstoff zu speichern, setzen sie Unmengen der gespeicherten Treibhausgase frei und kurbeln damit den menschengemachten Klimawandel an.


Der fleischfressende Sonnentau ist auch im Waldviertel in den Mooren heimisch.
Foto: Axel Schmidt

Die mitteleuropäischen Moore spielen global gesehen eine untergeordnete Rolle. Die größten Flächen befinden sich neben Nordeuropa in Westsibirien und Kanada, aber auch in den Tropen, allen voran Südostasien, wie Biologe Steiner bei einem Vortrag in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erläuterte. Laut Mooratlas wurde ein Zehntel der global existierenden 500 Millionen Hektar Moore bereits zerstört, Jahr für Jahr kommen weitere 500.000 Hektar durch menschliche Eingriffe abhanden.


Warum Moore so wichtig sind
"Selbst in Sibirien und Kanada, also dort, wo der Mensch kaum existieren kann, hat es die Ölindustrie geschafft, diese bedeutenden Moorflächen durch Straßen und Pipelines zu stören", kritisiert Steiner. Dazu kommt das drohende Auftauen des Permafrosts, der sich in diesen Regionen über den Torfschichten gebildet hat. "Torf isoliert, Wasser nicht. Wenn es durch das Auftauen zu Überflutungen kommt und sich Seenplatten bilden, sorgt das für enorme CO2- und Methanausstöße", warnt Steiner. In den Tropen wiederum werden viele Regenwaldmoore zerstört, um Palmen- und Akazienplantagen anzulegen. Vor allem Indonesien und Malaysia waren in den vergangenen Jahren stark betroffen.

Auch wenn die in Österreich noch vorhandenen Flächen überschaubar sind, lohnt sich deren Schutz besonders. Denn neben blauem Moorfrosch, Hochmoorlaufkäfer, Moorameise und Mooreidechse kommen mit dem Hochmoorgelbling eine überaus seltene Schmetterlingsart sowie bedrohte Libellenarten wie die Nordische Moosjungfer und die Speer-Azurjungfer vor. Dazu gibt es seltene und spezialisierte Bäume und Pflanzen wie Moorspirke, Torfmoose, Moos- und Rauschbeere sowie Sumpfporst. Wollgräser und der fleischfressende Sonnentau, der sich seine Nährstoffe über Insekten holen muss, runden das Bild ab.


Auch der seltene Hochmoorgelbling ist ein Zeichen intakter Gebiete.
Foto: Axel Schmidt

Aber auch fürs Mikroklima und den lokalen Wasserhaushalt sind die Moore wichtig. "Moore sind ein natürlicher Hochwasserschutz, weil sie viel Wasser speichern und so etwaige Spitzen abfedern können", erklärt Biologe Axel Schmidt beim Lokalaugenschein in der Gemeindeau. "Gleichzeitig sorgen sie in Trockenzeiten dafür, dass das zurückgehaltene Wasser über die Verdunstung an die Umgebung abgegeben wird und so Hitzewellen lokal besser kompensiert werden", ergänzt Naturpark-Leiter Dolak. "Sie besitzen zudem eine Filterfunktion und sorgen in Übergangsbereichen für einen stabileren Grundwasserpegel."

Die Suche nach den Mooren
Wie viel Moorfläche verlorenging oder gar noch in Österreichs Boden schlummert, sei gar nicht so einfach zu beantworten, sagt Margit Gross, Geschäftsführerin des Naturschutzbunds Niederösterreich. Eine gute Basis bietet der von Steiner erstellte Moorschutzkatalog, der mit Fördermitteln aus dem Biodiversitätsfonds des Klimaschutzministeriums gerade aktualisiert wird. Während einige Moore seit den 1990er-Jahren verschwunden sind, kamen zuletzt auch einige neue Funde dazu.

Eine von der Naturschutzorganisation WWF in Auftrag gegebene Erhebung etwa weist 158 Hektar an hochalpinen Moorlandschaften neu aus, darunter einen 20 Hektar großen, unberührten Moorkomplex im Platzertal. Die Fläche sei nun durch den geplanten Ausbau des Kraftwerks Kaunertal bedroht, kritisiert der WWF, der von der "größten drohenden Moorzerstörung Mitteleuropas" spricht.

Einige Überraschungen könnte aber auch der kürzlich erfolgte Fund alter Karten aus der Monarchie bieten, auf denen längst vergessene Torflagerstätten verzeichnet sind. Die Kartierungen werden derzeit vom Umweltbundesamt digitalisiert und könnten weitere Hinweise auf unbekannte Moorgebiete und existierende Torfböden in Österreich liefern. Die Chance, in diesen Böden auch sagenumwobene Moorleichen zu finden, ist jedoch ebenfalls gering.
(Martin Stepanek, 6.5.2023)
Waldviertler Moore: Keine Moorleichen, aber viele fleischfressende Pflanzen
 
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