Maly Trostinec: Das unbekannte Nazi-Todeslager

josef

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Das Todeslager Maly Trostinec in Weissrussland gilt als weitgehend unbekannt. Dabei ist es jenes Lager, in dem die Nazis mit der grausamsten Effizienz mordeten. Die größte Opfergruppe waren Juden aus Wien, von 10.000 Deportierten überlebten nur 17.
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Maly Trostinec: Das unbekannte Nazi-Todeslager
Von Auschwitz und Mauthausen hat in Österreich mittlerweile jedes Schulkind gehört, Maly Trostinec hingegen ist weitgehend unbekannt. Dabei ist das Todeslager in Weißrussland jenes, in dem die Nazis mit der grausamsten Effizienz mordeten. Von 10.000 deportierten jüdischen Wienerinnen und Wienern überlebten nur 17. Insgesamt wurden in dem kleinen Ort nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk innerhalb von nur zwei Jahren 60.000 Menschen ermordet. Die größte Opfergruppe waren Juden aus Wien. Zum 70. Jahrestag der ersten Deportation aus Wien am 28. November 1941 befasste sich eine wissenschaftliche Konferenz mit diesem noch recht unerforschten Gebiet der NS-Geschichte.

Schwierige Quellensituation
Es ist eine Kombination aus Gründen, warum Maly Trostinec im Vergleich zu anderen Todeslagern bisher relativ wenig erforscht ist. Zum einen hat das mit der extremen Tötungseffizienz zu tun. Nur ganz wenige der Inhaftierten haben das Lager überhaupt überlebt. "Deshalb gibt es auch nur vier Berichte von Überlebenden", erklärt die Historikerin Petra Rentrop, die heuer ihre Dissertation zu diesem Thema geschrieben hat. Da die Nazis alle Akten vernichtet haben, wird diese schwierige Quellenlage nur durch Akten ergänzt, die von Prozessen gegen Täter im Nachkriegsdeutschland stammen - aus Österreich gibt es bis heute keine eigenen Ermittlungen der Justiz.

"Ein wesentlicher Grund für die recht geringe Bekanntheit des Lagers ist aber auch die Tatsache, dass das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zumeist nur als Schauplatz des Zweiten Weltkriegs wahrgenommen und nicht auch des Holocaust." Maly Trostinec ist zudem begrifflich schwer zu fassen. Es war eine Massenvernichtungsstätte kombiniert mit einem Arbeitslager, was NS-untypisch ist. Auf der Konferenz im Wien Museum wurde entsprechend über den richtigen Begriff diskutiert ("Vernichtungsort", "institutionalisierte Tötungsstätte" etc.).

Mörderische Effizienz
Ungeachtet dieser zunftgemäßen Spitzfindigkeiten sind die reinen Zahlen, die sich aus der schlechten Quellensituation ableiten lassen, erschreckend. Rund 60.000 Menschen wurden in Maly Trostinec ermordet, mehr als die Hälfte davon waren Juden, etwa 20.000 von ihnen stammten aus Österreich, Tschechien und Deutschland. Von den eigentlichen Wiener Transporten haben laut Petra Rentrop nur zwölf Menschen überlebt. Zählt man noch die Wiener Juden dazu, die über Theresienstadt nach Maly Trostinec deportiert wurden, waren es 17. "Wenn man bedenkt, dass es kein Vernichtungslager wie Treblinka war, in dem es industriellen Massenmord gegeben hat, ist diese mörderische Effizienz besonders erschreckend", sagt Rentrop.
Maly Trostinec markiert historisch den Übergang zum Vernichtungslager. Und macht klar, dass "der Holocaust in erster Linie kein industrielles Projekt war, sondern von Menschen erdacht und gemacht", wie Rentrop betont.

Ein "idealer" Ort
Nach der Wannseekonferenz im Jänner 1942, in der die "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde, machten sich die Nazibehörden auf die Suche nach abgelegenen Tötungsorten im Osten Europas. Im April wurden sie in Maly Trostinec fündig.
Das Dorf, elf Kilometer südöstlich von Minsk gelegen, verfügte über einen Bahnanschluss, der notwendig war für die Deportationszüge aus dem Dritten Reich. Die Minsker Sicherheitspolizei übernahm eine ehemalige Kolchose zur Bewirtschaftung, die für Zwangsarbeiter vorgesehen war. Ein Kilometer entfernt lag der Wald von Blagowschtschina, in dem eine schwer einsehbare Lichtung als Exekutionsstätte ausgewählt wurde.

Großteil sofort getötet

Wien war einer der Hauptorte, aus denen Juden in das weissrussische Dorf deportiert wurden. 18 volle Züge waren für den Zeitraum zwischen Mai und September 1942 geplant, geworden sind es neun. Der erste Zug verließ den Wiener Aspangbahnhof am 6. Mai 1942.
Insgesamt sind rund 10.000 Wiener Juden und Jüdinnen auf diese Weise nach Maly Trostinec gekommen, schätzt Petra Rentrop. Ein geringer Teil von ihnen musste im Arbeitslager Zwangsarbeit verrichten, der Großteil wurde unmittelbar nach der Ankunft im Wald von Blagowschtschina von Sicherheitspolizei und SD, getötet. "Die Dienststelle unterstand Heinrich Himmler und ist aus den Einsatzgruppen hervorgegangen, die seit Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion Männer - insbesondere Offiziere und Akademiker - als vermeintliche Träger des Bolschewismus vernichten sollten", erklärt Rentrop. Bei Durchsicht der Ermittlungs- und Prozessakten ist ihr aufgefallen, dass sich unter den Tätern auffallend viele Personen aus Österreich befanden, genaue Zahlen dazu hat sie aber nicht.

Erschossen und erstickt
Getötet wurde auf zweierlei Weise. Ein Teil wurde von Exekutionskommandos - Gruppen von zehn bis zwölf mit Pistolen bewaffneten Männern - per Genickschuss erschossen, die Mehrheit in zu "Gaswagen" umgebauten LKWs erstickt. Die Leichen wurden in zuvor ausgehobene, riesige Gruben geworfen, mit Chlorkalk überschüttet und verscharrt. Der ganze Zynismus der Nazis wird an einem Detail sichtbar. Weil die ersten Gas-LKWs im Inneren unbeleuchtet waren, gerieten die im Dunkeln eingesperrten Menschen in Panik. Die Behörden drängten deshalb darauf, die Vehikel technisch weiterzuentwickeln.
"Das Ladungsgut drängt zur Tür", heißt es in einem der Dokumente, das der Historiker Bertrand Perz bei der Tagung zitierte. Als Folge gingen die nächsten Vergasungen in den mit Licht "verbesserten" neuen LKWs vonstatten.

Befreiung im Juli 1944

Bis zum Herbst 1943 blieb der Wald von Maly Trostinec die zentrale Hinrichtungsstätte. Als die Rote Armee näherrückte und das Gelände zunehmend Ziel sowjetischer Partisanen wurde, setzten die Nazis ein Sonderkommando ein, um die Spuren zu verwischen. Die Leichen wurden exhumiert (im Nazijargon: "Enterdungsaktion") und danach auf einem Scheiterhaufen verbrannt. In der Nähe entstand Anfang 1944 eine neue Hinrichtungsstätte, ein provisorisches Krematorium, in dem bis zum deutschen Rückzug vorwiegend nichtjüdische Zivilisten ermordet wurden. Am 3. Juli 1944 befreite die Rote Armee Minsk von den Deutschen.

Das Kapitel "Maly Trostinec" ist noch nicht geschlossen. Nicht für jene, die Angehörige oder Freunde in dem Todeslager verloren haben; erst vor zwei Jahren wurde von Waltraud Barton die Gedenkinitiative "IM-MER" gegründet, die an die Opfer erinnert. Aber auch nicht für Historiker, denn vor kurzem wurden neue Quellen in Weißrussland zur Verfügung gestellt. Barbara Rentrop meint, dass damit weiter geforscht werden kann - etwa zur Rolle von Maly Trostinec im Partisanenkrieg oder zu jener von österreichischen Tätern bei den Massenmorden.


Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Quelle: http://science.orf.at/stories/1691097/
 

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Gedenken am ehemaligen Aspangbahnhof in Wien 3.

Gedenken gibt „Toten ihre Namen“

Am Montag wird tausenden Juden gedacht, die während des NS-Regimes von Wien nach Maly Trostinec in Weißrussland deportiert und dort ermordet wurden. Am ehemaligen Aspangbahnhof werden ihre Namen vorgelesen.

Im weißrussischen Maly Trostinec sind während des NS-Regimes mehr österreichische Juden ermordet worden als an jedem anderen Ort. Und trotzdem wissen nur wenige um diese Geschehnisse nahe Minsk Bescheid. Um der Menschen zu gedenken, brachte Waltraud Barton das Buch „Maly Trostinec - Das Totenbuch. Den Toten ihre Namen geben“ heraus.

Zugreise in den Tod
10.000 Österreicher und Österreicherinnen sind laut der Autorin in Maly Trostinec ermordet worden: „Diese Menschen sind sofort, kaum waren sie dort, ermordet worden. Das ist wahrscheinlich der große Unterschied zu vielen anderen Vernichtungslagern, von denen wir mehr wissen.“ Ausgangspunkt war der frühere Aspangbahnhof im 3. Wiener Bezirk, von dort wurden die Menschen mit Zügen nach Weißrussland gebracht. Im Jahr 1942 war der Bahnhof Hauptplatz der Deportationen in das Vernichtungslager Maly Trostinec.

Heute befindet sich dort eine Grünfläche, ein paar Bäume ragen in die Luft - an die damaligen Geschehnisse erinnert jedoch bloß ein Gedenkstein mitsamt Inschrift. Ein Umstand, den Waltraud Barton möglichst schnell ändern möchte und zwar direkt in Maly Trostinec: „Das sind Wienerinnen und Wiener und ich möchte, dass die dort ein Grab haben.“ Um die Toten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, findet am 5. Oktober am ehemaligen Aspangbahnhof eine Verlesung der Namen der ermordeten Juden statt: „Wir werden immer den Namen und das Alter dazu sagen. Und in dem Moment wo es keine Zahlen mehr sind, sondern eben Namen - das werden dann schon Menschen.“

Umfassende Recherche in Prag
Die Wienerin hat selbst Verwandte in Maly Trostinec verloren und zwar die erste Frau ihres Großvaters. Als sie 2009 ihren 50. Geburtstag feierte, habe sie begonnen sich auf die Spuren ihrer eigenen Familie zu machen. Was folgte war eine umfassende Recherche, die sie bis ins Prager Zentralarchiv führte, wo sie tausende Listen durchforstete. 2010 organisierte sie dann ihre erste Gedenkreise nach Maly Trostinec, als einen Erfolg kann sie die Anbringung von Namenschildern verbuchen. Zudem ist der von ihr gegründete Verein IM-MER seitdem institutionalisierter Bestandteil des Gedenkens.

Den Holocaust für Wien konkret machen
Das weißrussische Todeslager ist im Gegensatz zu Ausschwitz und Mauthausen weitgehend unbekannt. Waltraud Barton ist es deshalb ein Anliegen, diesen Ort in das kollektive österreichische Bewusstsein zu rufen, bis er in den Schulbüchern stünde: „Maly Trostinec ist deshalb so wichtig, weil es einen ganz klaren Bezug zu dieser Stadt hat. Und weil es den Grauen des Holocaust direkt zu uns holt. Das können wir uns alle konkret vorstellen.“
Text u. Bild: http://wien.orf.at/news/stories/2735085/

Gedenkstein in Wien 3., Landstraße:
 

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