Die freiwillige Feuerwehr im nordrhein-westfälischen Erwitte war startklar - sie wollte der Partnerstadt Aken im Kampf gegen die Flut helfen. Doch dann stoppte die Bezirksregierung die Reise nach Sachsen-Anhalt. Der Fall beschäftigt inzwischen die Landesregierung.
Hamburg - Als am Samstag der Hilferuf aus der Partnerstadt kam, war für die Feuerwehr im nordrhein-westfälischen Erwitte sofort klar: Ab nach Aken. Die Hochwassersituation in Sachsen-Anhalt war dramatisch, Zehntausende Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Bis Mitte dieser Woche hat sich daran nichts geändert. Die Einsatzkräfte kämpfen weiter gegen die Wassermassen, einige Deiche sind gebrochen, viele Ortschaften wurden überflutet. Aken im Landkreis Anhalt-Bitterfeld hat es besonders schwer getroffen, das Wasser strömt von zwei Seiten in die Stadt, von der Elbe und der Saale. Da wäre jede Hilfe willkommen gewesen.
Seit mehr als 20 Jahren verbindet Erwitte und Aken eine Städtefreundschaft. Man kennt und schätzt sich. Als die Akener am Samstag am Ende ihrer Kräfte waren, zögerten sie daher nicht, die Freunde in Nordrhein-Westfalen anzurufen. "Wir können nicht mehr, könnt ihr uns helfen?"
Die Erwitter konnten.
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Dann kam der Anruf der Bezirksregierung.
Die Motoren wurden abgestellt, der Trupp kletterte wieder aus den Fahrzeugen. Spekulationen, der Ministerpräsident käme vorbei, machten die Runde. Stattdessen betrat wenig später der leitende Regierungsdirektor der Bezirksregierung, Paul Köhler, den Hof. Die Hilfsaktion war abgesagt. Bei Widersetzen drohten dienstrechtliche Konsequenzen. Der Regierungsdirektor zog ab, zurück blieb ein entgeistertes Helferteam. Und ein fassungsloser Bürgermeister.
"So etwas haben wir noch nicht erlebt", sagt Peter Wessel. Der Regierungsdirektor habe einen äußerst harschen Ton angeschlagen. In der Mannschaft habe nach diesem Auftritt "helles Entsetzen" geherrscht.
Die Erwitter können die vereitelte Rettungsaktion nicht verstehen. Laut Bürgermeister Wessel habe es keinen Grund gegeben, nicht nach Aken zu fahren. Der Brandschutz in Erwitte sei zu 100 Prozent gewährleistet gewesen, die Stadt habe sich nicht in Alarmbereitschaft befunden. "Doch das wollte er alles gar nicht hören", sagt Wessel. Das habe den Herrn von der Bezirksregierung nicht interessiert. "Bürokratisches Klein-Klein", schimpft der Bürgermeister. "Ob so jemand noch haltbar ist - ich weiß es nicht."
Der Grund für die verhinderte Rettungsaktion liegt tatsächlich in der Bürokratie. Für die Bezirksregierung Arnsberg nimmt Sprecher Christoph Söbbeler Stellung. "Es gibt eine feste Organisationsstruktur", so Söbbeler. Das betroffene Bundesland stellt einen Antrag, dann wird geschaut, wer wo Kapazitäten hat, wer in Rufbereitschaft ist. Rein theoretisch können die Erwitter also immer noch ins Krisengebiet gerufen werden. Aus dem Innenministerium in NRW kommen ähnliche Erklärungen. Hilfskräfte aus dem Kreis Arnsberg seien für den Einsatz in Niedersachsen eingeplant.
Der Brandschutz gewährleistet, die Sachen gepackt - kann man da denn keine Ausnahme machen? "Nein", sagt Söbbeler. "Da bildet sich schnell eine Eigendynamik, die die koordinierte Hilfe um ein Vielfaches erschwert." Bei der Jahrhundertflut 2002 habe man schlechte Erfahrungen gemacht, Kräfte seien zum Teil verpufft. "Wir sehen uns hier erneut einer Katastrophe von gigantischem Ausmaß gegenüber. Deswegen haben wir in diesem Fall so darauf gedrungen." Man wolle das Engagement der Erwitter auf keinen Fall in Abrede stellen. "Die Enttäuschung ist menschlich zutiefst verständlich."
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Die Bezirksregierung kann den rauen Umgangston zumindest nicht dementieren. "Das war natürlich eine sehr sensible und hochemotionale Situation", sagt Söbbeler. Dass es da Verletzungen gegeben haben könnte, will er nicht bestreiten. "In Zukunft werden wir noch mehr darauf achten, eine solch problematische Botschaft mit mehr Feingefühl zu vermitteln."
Bürokratie hin, fehlende Empathie her - einmal mehr wird das Hochwasser zum Politikum. Das Verbot in Erwitte soll auf Antrag der FDP Thema der Fragestunde im NRW-Landtag werden. Die CDU fordert eine Entschuldigung von Innenminister Ralf Jäger (SPD), der dem Abgeordneten Werner Lohn zufolge wegen dieser "unsäglichen Entscheidung" in der Nacht zum Sonntag aus dem Bett geklingelt worden sein soll.
Das alles ist in Erwitte nur zweitrangig. Schlimmer wiegt die Nachricht, die sie in die Partnerstadt entsenden mussten. "Wir kommen nicht, wir haben ein Verbot von der Bezirksregierung bekommen", sagte Wessel seinem Kollegen in Aken, Hans-Jochen Müller. Da sei es ganz still am anderen Ende der Leitung geworden. Bist du noch da, habe Wessel gefragt. Ja, habe der Akener Bürgermeister geantwortet. "Ich überlege, wie ich es meinen Jungs sagen soll."