Jauntal-Kärnten: Gräber ermöglichen Rückschlüsse auf Geschichte und Gesellschaft von vor 1.000 Jahren

josef

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Die frühmittelalterlichen Bestattungen des Jauntals
Kärnten war ein kultureller Schmelztiegel. Gräbern ermöglichen Rückschlüsse auf Geschichte und Gesellschaft von vor 1.000 Jahren
Die Seen und Landschaften Kärntens ziehen jedes Jahr Touristen aus ganz Europa an. Dabei ist vielen die lange und vielfältige Geschichte Kärntens weitgehend unbekannt. Die schöne Landschaft, in der Menschen heute wandern oder die Sonne genießen, war schon immer durch verschiedene Gemeinschaften besiedelt. Als Anthropologin am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften interessiere ich mich im Rahmen meiner Forschungen besonders für jene Gruppen, die sich während des frühen Mittelalters hier niederließen.

Schmelztiegel Kärnten
Das frühe Mittelalter in Kärnten (7. bis 10. Jahrhundert) ist durch komplexe und dynamische politische und kulturelle Veränderungen gekennzeichnet und durch den Zustrom neuer Kulturgruppen geprägt. Dies macht diese Periode für die Forschung besonders interessant, wirkt sie doch bis in die Gegenwart. Die Geografie Kärntens, mit seiner bergigen Landschaft, reichen, fruchtbaren Tälern und dem Zugang zu Wasserwegen, bedeutete einen nahezu idealen Siedlungsplatz. Daraus ergibt sich Kärntens Rolle als Schmelztiegel für kulturellen Austausch und unterschiedlichste kulturelle Einflüsse.

Dies ist auch heute noch sichtbar, etwa anhand der im Gebiet lebenden Kärntner Slowenen. Nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft in der Provinz Noricum am Ende des 6. Jahrhunderts, die große Teile des heutigen Österreich und von Slowenien umfasste, treffen auf dem Gebiet Kärntens Bevölkerungsgruppen unterschiedlichster Herkunft aufeinander. So lässt sich etwa die Anwesenheit von Awaren und Slawen oder von Ostgoten und Langobarden zu verschiedenen Zeitpunkten (5. bis 7. Jh.) archäologisch in der Region fassen. Ab dem 7. Jahrhundert siedeln sich vermehrt slawische Gruppen in Kärnten an, die bislang aber archäologisch kaum erforscht sind.


Blick auf die Filialkirche Hl. Johannes der Täufer in Jaunstein. Hier fanden sich in mehreren Grabungskampagnen die Bestattungen, die die Grundlage dieser Arbeit bilden.
Foto: OEAI

Christianisierung der Kärntner Slawen
Während des 7. Jahrhunderts führt Samo, ein fränkischer Händler, eine Revolte an. Diese führt dazu, dass sich die bisher eigenständigen slawischen Gruppen Kärntens unter seiner Führung vereinen. Als Resultat bilden sich die sogenannten Karantanen als nördlich der Karawanken siedelnden Slawen heraus. Das Ende der awarischen Kontrolle in der Region, ausgelöst durch Auseinandersetzungen mit dem karolingisch-fränkischen Reich und die zunehmende Christianisierung, bewirkt Ende des 8. Jahrhunderts schließlich den Zusammenschluss mit den Slawen südlich der Karawanken, die als Carniolenses (Krainer Slawen) bezeichnet werden. Auf beiden Seiten der Karawanken kommt es somit im Laufe des 8. Jahrhunderts zu einer Verschiebung der politischen Verhältnisse sowie zu einer zunehmenden Christianisierung der ansässigen Bevölkerung. Dies bringt auch eine Änderung der Bestattungssitten mit sich. Statt heidnischer Brandbestattungen werden in Folge Körperbestattungen in christlicher Tradition vorgenommen. Diese Entwicklungen sind uns durch schriftliche und archäologische Quellen überliefert, lassen jedoch eine Vielfalt an Fragen zum Lebensalltag der frühmittelalterlichen Menschen in der Region offen.

Bei der Klärung dieser Fragen spielt die archäologische Forschung eine wichtige Rolle. In Kärnten steht man dabei vor einer besonderen Herausforderung. Aus dem Frühmittelalter sind bisher keine Siedlungen bekannt und so können Informationen nur aus der Bearbeitung der zeitgleichen Gräberfelder gewonnen werden. Und hier beginnt meine Arbeit als Anthropologin: Meine Aufgabe ist es, menschliche Überreste aus archäologischen Kontexten zu untersuchen. Durch die Analyse der Knochen kann auf die Biografie des Verstorbenen geschlossen werden. Basierend auf den einzelnen Individuen sind dann Aussagen über eine größere Gruppe möglich.

Was Knochen aussagen können
Im Rahmen meines Dissertationsstipendiums, das durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften finanziert wird, beschäftige ich mich mit menschlichen Überresten aus drei frühmittelalterlichen Gräberfeldern des Ostalpenraums. Dabei werden zwei Nekropolen, also Begräbnisstätten, aus dem Gebiet des heutigen Kärntens, nämlich den nördlich der Karawanken gelegenen Fundorten Jaunstein/Podjuna und Grabelsdorf/Grabalja vas, mit einer Nekropole aus Slowenien, dem südlich der Karawanken gelegenen Kranj/Krain, verglichen.


Verworfene menschliche Überreste, die während der Grabungen im Jahr 2020 außerhalb der Kirche gefunden wurden. Die Knochen stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Bestattungen auf dem Friedhof, die während der Erweiterung der Kirche gestört wurden. Die Gräber mussten wohl den neuen Fundamenten weichen.
Foto: OEAI

Um mehr über die Lebensgewohnheiten und den Alltag dieser Menschen zu erfahren, nutze ich sowohl makroskopische als auch biomolekulare Methoden. Makroskopische Methoden untersuchen den physischen Knochen und die daran zu erkennenden Veränderungen. Diese bilden sich etwa in Zusammenhang mit Krankheiten, Stress sowie Mangel- und Fehlernährung aus. Aus den morphologischen Veränderungen am Knochen lassen sich Rückschlüsse auf die individuelle Lebensweise ziehen.

Übereinstimmende Muster in zwei Gemeinschaften lassen darüber hinaus auf Beziehungen einzelner Individuen und ganzer Gruppen zueinander schließen. So können etwa unterschiedliche Auftrittsmuster von Arthritis bei Männern und Frauen auf geschlechtsspezifische Arbeitsteilung hindeuten. Eine hohe Kariesbelastung kann ein Hinweis auf schlechte Zahnhygiene und/oder kohlenhydratreiche Nahrung sein. Ein häufiges Auftreten von Traumata in einer Population ist ein Anzeichen für vermehrte Gewalt zwischen Personen. Rein makroskopische Studien können durch naturwissenschaftliche Untersuchungen ergänzt werden – so etwa die Auswertung stabiler Isotopen oder von DNA. Durch die Analyse stabiler Isotopen ist es möglich auf die Ernährung einer Person und einer ganzen Gemeinschaft zu schließen. Die geplanten sogenannten aDNA-Untersuchungen (Ancient-DNA-Untersuchungen) werden uns helfen, Migration in der Region und das Ausmaß des Kontakts zwischen Gruppen besser zu verstehen.


Körperbestattungen aus dem Innern des Kirchenbaus. Im zweiten Grab von rechts wurde neben dem erwachsenen Individuum auch ein kleines Kind bestattet.
Foto: OEAI

Kärntner vor 1.000 Jahren
Die Anwendung makroskopischer Methoden sowie Isotopen- und aDNA-Untersuchungen an den Überresten der drei frühmittelalterlichen Populationen aus dem Ostalpengebiet werden Aufschluss über die Zugehörigkeit der hier lebenden Menschen sowie ihre Lebensbedingungen geben. Es kann mit Spannung erwartet werden, was die Resultate der Untersuchungen uns über jene Menschen verraten können, die vor über 1.000 Jahren in den Kärntner Bergen gewandert und in den Seen geschwommen sind.

Das Interesse für meine Forschungen ist auch in der Region vorhanden und die Förderung durch das Landesmuseum für Kärnten, die Gemeinde Globasnitz/Globasnica und die katholische Kirche sehr groß. Sie alle haben die Ausgrabungen unterstützt und dadurch meine Dissertation erst möglich gemacht. Wenn meine Ergebnisse erst einmal vorliegen, werden sie im örtlichen Pilgermuseum präsentiert – das freut mich besonders.
(Magdalena Srienc, 4.2.2021)

Magdalena Srienc kommt aus Minnesota in den USA und hat Anthropologie und Archäologie in den Niederlanden, Polen und in Wien studiert. Sie arbeitet seit 2018 am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW und macht ihren PhD am Department für Evolutionäre Anthropologie an der Universität Wien.
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Archäologen erkunden das Jauntal
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Archäologinnen, Archäologen und eine Geophysikerin der Akademie der Wissenschaften sind derzeit in der Gemeinde Globasnitz unterwegs, um Messungen durchzuführen. Daraus sollten weitere Erkenntnisse über die Besiedelung des Jauntales in römischer bis spätantiker Zeit gewonnen werden.
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Es sind noch viele Geheimnisse, die sich unter den Wiesen verbergen. In St. Stefan und auch im Bereich von Jaunstein nutzen die Wissenschafter die Herbsttage für geophysikalische Untersuchungen. Dabei wird Meter für Meter erkundet, ob und wo sich unter unbebauten Flächen archäologische Strukturen befinden.

Noch fehlt ein zusammenhängendes Bild
Helmut Schwaiger vom Österreichischen Archäologischen Institut sagte, Hinweise auf archäologische Funde gebe es hier schon seit längerer Zeit: „In Globasnitz gibt es schon Ausgrabungen, teilweise wurde das auch während Baumaßnahmen durchgeführt. Was noch fehlt ist ein zusammenhängendes Bild des Ortsgebietes mit möglichen Strukturen.“

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Hier ist in der Mitte vertikal in schwarz ein alter Straßenverlauf sichtbar, links davon sieht man Gebäudestrukturen und auch rechts sind umfriedete Gebäude zu sehen.

Moderne Messgeräte sollen Gebäudestrukturen zeigen
Mit Georadar- und Geomagnetikmessgeräten lässt sich der Untergrund lückenlos erfassen, sagte die Geophysikerin Franziska Reiner: „Wir haben schon mit einer ersten Messmethode gemessen und da sind schon Mauerverläufe sichtbar gewesen. Jetzt wollen wir mit dieser Methode das ganze verdichten und Gebäudestrukturen sichtbar machen.“

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Meter für Meter wird der Boden mit den Messgeräten erkundet

Die Befunde zeigen die Spuren römischer Besiedelung und vervollständigen die bei den Grabungen gewonnen Erkenntnisse im Jauntal.

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Dies dürften die Überreste einer römischen Villa sein

Erstmals Infrastrukturen und Grundrisse nachgewiesen
In St. Stefan dürften die Überreste einer römischen Villa entdeckt worden sein, sagte Schwaiger: „Und jetzt haben wir erstmals Infrastrukturen und Grundrisse nachgewiesen, die man vorher wohl erahnen, aber noch nicht nachweisen konnte.“

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Das Team der Wissenschafter begutachtet erste Ergebnisse

Jauntal bleibt ergiebiges Vorschungsfeld
Das Jauntal bietet noch für Generationen von Wissenschaftern ein weites Forschungsfeld.
13.10.2021, red, kaernten.ORF.at

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