Internierungslager für rund 120.000 japanischstämmige Menschen während des Zweiten Weltkriegs in den USA

josef

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US-JAPANER IN LAGERHAFT
Dunkles Kapitel wird neu geöffnet
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Während des Zweiten Weltkriegs sind in den USA rund 120.000 japanischstämmige Menschen als „Enemy Aliens“ eingestuft, zwangsweise in abgelegene Internierungslager verfrachtet und dort bis Kriegsende festgehalten worden. Seit Jahren wird gefordert, die Reste der Camps als Orte der Erinnerung zu erhalten. Die Debatte über antiasiatischen Rassismus in den USA verleiht diesem Vorhaben Auftrieb.
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Neue Hoffnung gibt es derzeit vor allem für das Camp Amache im Bundesstaat Colorado, dem kleinsten von insgesamt zehn US-Internierungslagern für japanischstämmige Menschen. Nur wenig ist dort von der Vergangenheit geblieben: Die Baracken für die Inhaftierten und die Stacheldrahtzäune sind längst verschwunden, übriggeblieben ist vor allem ein Friedhof, auf dem die Grabsteine japanische Namen tragen.

Gerade die Abgeschiedenheit inmitten der Prärie ist es aber, die Camp Amache zum Mahnmal macht. Amache und die anderen eilig aufgebauten Lager an abgeschnittenen Orten hatten den Zweck, Zehntausende japanischstämmige Menschen unter dem Banner der „nationalen Sicherheit“ zu isolieren. Diese Kriegsmaßnahme beraubte zahllose Unbescholtene ihrer Freiheit und oft Jahre ihres Lebens.

Gruppe unter Generalverdacht
Die Menschen wurden dort ohne Verfahren oder konkrete Vorwürfe festgehalten und gezwungen, ihr Zuhause und ihre Arbeit an der Westküste der USA aufzugeben und stattdessen in die gedrängten Barackenlager zu ziehen. Ein großer Teil der Betroffenen war in den USA geboren, rund zwei Drittel besaßen die US-Staatsbürgerschaft, viele schlossen sich trotzdem der US-Armee an.

AP
Japanischstämmige Menschen in den USA wurden zum Sicherheitsrisiko erklärt

Executive Order 9066
Auslöser für das Wegsperren der japanischstämmigen Bevölkerung war der japanische Überraschungsangriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941. Ein vom Kriegsgeschehen zugespitztes, aber bereits lange davor existentes antijapanisches Klima erreichte mit der Attacke seinen Höhepunkt.

Die Zäsur mündete in der von US-Präsident Franklin D. Roosevelt unterzeichneten Executive Order 9066. Sie erklärte die Westküste der USA zum Sperrgebiet und erlaubte die Internierung all jener Menschen, die als Sicherheitsbedrohung betrachtet werden konnten. Zwar wurden keine Gruppen explizit erwähnt, doch angewandt wurde die Direktive quasi nur auf japanischstämmige Menschen.

Binnen kürzester Zeit wurden Männer, Frauen und Kinder in die Lager umgesiedelt, wo sie bis mindestens 1944 verbleiben mussten. Zwar kam es in Relation in eher geringem Ausmaß zu Gewalt, doch die Lebensbedingungen hinter Stacheldraht waren zermürbend. Die Abgeschiedenheit, die beengten Lebensverhältnisse, der Mangel an Arbeit und die unwirtliche Umgebung – Trockenheit, Hitze im Sommer, Eiseskälte im Winter – paarten sich mit der Ungewissheit, wie lange der Krieg und damit die Internierung noch dauern würden.


Reuters/U.S. National Archives/Dorothea Lange
Ein Sandsturm im Barackenlager Manzanar

Desolate Mahnmale
Jahrelang kämpften die Betroffenen gegen die Folgen der staatlichen Missachtung, das Tabu der Internierung und mit den Mühen, sich wieder ein Leben aufzubauen. Erst in den 1960ern begann im Zuge der Bürgerrechtsbewegung die Debatte über dieses dunkle US-Kapitel, 1982 erkannte eine Kommission das Unrecht durch die Zwangsinternierungen an. Diese seien das Ergebnis von rassistischen Vorurteilen, Kriegshysterie und politischem Versagen gewesen.

Übriggeblieben sind die Überreste der Internierungslager, an denen der Zahn der Zeit nagt. Nur zwei der insgesamt zehn Camps wurden bisher zur „National Historic Site“ erklärt, sie werden für Gedenken und Geschichtsvermittlung genutzt – allerdings dauerte auch diese Anerkennung bis in die 2000er Jahre.
Mit dem Camp Amache im Bundesstaat Colorado soll nun ein drittes hinzukommen. Es gilt als das kleinste, aber trotzdem am besten erhaltene Lager. Gebäude und Ausstattung wurden zwar nach dem Krieg ebenso wie das Land versteigert, doch die Fundamente geben noch einen vagen Eindruck von den Bedingungen im Camp. Teil des Lebens dort war etwa auch der Betrieb einer Siebdruckwerkstatt und mehrerer Agrarbetriebe, es gab zudem eine Lagerzeitung, auch ein Spital wurde eingerichtet.

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Die Baracken in Camp Amache wurden teils mit großer Mühe in wirtliche Orte verwandelt

Von Schulklassen erhalten
Für die Erhaltung fühlen sich vor allem Freiwillige und Schulklassen zuständig, die sich seit Jahren nicht nur um die Renovierung des Lagers, sondern auch um die Vermittlung seiner Geschichte kümmern. Sie bieten geführte Touren an, forschen zur Geschichte des Camps und kämpfen dafür, dass diese auch in Zukunft weitergegeben werden kann. Ziel ist es, Teile der Baracken originalgetreu zu rekonstruieren.

Allerdings braucht es für dieses Vorhaben einen langen Atem. Bereits 2006 gab es die Willensbekundung, Camp Amache zu einer „National Historic Site“ zu machen und so auch entsprechende staatliche Geldspritzen zu bekommen, doch passiert ist in den vergangenen 15 Jahren nichts. Nun verspricht ein im April eingebrachter parteiübergreifender Gesetzesvorschlag von zwei Kongressabgeordneten zur Wiederbelebung dieses Vorhabens neue Dynamik, wie etwa die „L.A. Times“ kürzlich berichtete.
APA/AFP/Getty Images/Justin Sullivan
Im Lager Manzanar gibt es bereits mehrere Schaugebäude, die einen Eindruck vermitteln

Debatte zur rechten Zeit
Für Befürworterinnen und Befürworter kommt dieses erneute Interesse an den Internierungscamps gerade zur rechten Zeit. Antiasiatische Vorurteile aufgrund der Coronavirus-Pandemie, die Tötung von asiatischstämmigen Frauen bei einem Schusswaffenangriff in Atlanta, aber auch die grundsätzliche Rassismusdebatte rund um die „Black Lives Matter“-Bewegung haben auch die Diskriminierung von asiatischstämmigen Menschen in den USA wieder in den Vordergrund gerückt.
Dabei hilft, dass in den letzten Jahren auch die Popkultur dieses düstere Kapitel der US-japanischen Geschichte aufgegriffen hat: So behandelt die zweite Staffel der Horrorserie „The Terror“ die Internierung der japanischstämmigen Amerikaner. Hauptdarsteller und „Star Trek“-Star George Takei konnte dabei auf seine eigene Geschichte zurückgreifen – er wurde als fünfjähriger Bub in ein Lager gebracht. Seine Geschichte verarbeitete er auch in der im Vorjahr erschienen Graphic Novel „They Called Us Enemy: Eine Kindheit im Internierungslager“.

„Sind Stätten der Bürgerrechte“
Aktivistinnen und Aktivisten sehen dabei in den Internierungscamps ein Mahnmal, das auf einen tief verwurzelten antiasiatischen Rassismus hinweist. Umso wichtiger sei es, die Lager als Orte für Erinnerung und Bildung zu nutzen, sagte etwa Aktivist Bruce Embrey zur Zeitung „L.A. Times“. Seine Mutter war im Lager Manzanar interniert und hatte für dessen Erhaltung gekämpft.
APA/AFP/Robyn Beck
Gedenkstätten erinnern heute an die Internierung

Die Internierung der japanischstämmigen Bevölkerung sei keine einmalige Sache gewesen, koloniale und rassistische Ungerechtigkeit in die Geschichte der USA eingeschrieben, so Embrey. Obwohl das Bewusstsein zu Rassismus langsam wachse, seien die USA nach wie vor „sträflich ignorant“, was die Geschichte von asiatischstämmigen Amerikanerinnen und Amerikanern anbelange.

Die Erhaltung von Camp Amache wäre ein „riesiger Schritt vorwärts“, um mehr Menschen mit diesem Kapitel der US-Geschichte vertraut zu machen. „Es bringt den Menschen nahe, welcher Tribut gezahlt wurde. Das sind keine toten archäologischen Stätten. Das sind Stätten der Bürgerrechte und des Gewissens.“
24.07.2021, Saskia Etschmaier, ORF.at

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