Gezielte Eingriffe in die Atmosphäre zur Bremsung der Erderwärmung: "Science-Fiction" Idee oder reale Umsetzung möglich?

josef

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#1
KONTROVERSES GEOENGINEERING
Warum künstliche Klimakühlung dringend besser erforscht werden muss
Gezielte Eingriffe in die Atmosphäre könnten die Erderwärmung bremsen, bergen aber unklare Risiken. Noch sind solche Vorhaben tabu, doch das könnte sich ändern
In Gesprächen mit Fachleuten über den Klimawandel fällt ein Begriff immer häufiger: Anpassung. Es steht in der Wissenschaft völlig außer Frage, was gegen die globale Erwärmung zu tun ist. Nur ein Rückgang unserer Treibhausgasemissionen kann das menschengemachte Problem lösen. Angesichts der immer offensichtlicheren Klimafolgen stellt sich aber zusätzlich die drängende Frage, wie wir mit den schon heute unvermeidbaren Auswirkungen umgehen sollen, die immer mehr Menschen betreffen.


Sollen wir die Erderwärmung künstlich bremsen, wenn der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen nicht schneller gelingt? Diese Frage gewinnt an Brisanz.
Foto: Getty/iStock

Während die Umsetzung ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen auf sich warten lässt, nimmt in der Fachwelt auch die Diskussion über kontroverse Ideen Fahrt auf. Könnte die Erderwärmung künstlich gebremst werden, bis wir unseren CO2-Ausstoß besser in den Griff bekommen? Die Antwort lautet grundsätzlich: ja, durch sogenanntes Geoengineering. Darunter werden Eingriffe in das Klimasystem verstanden, die den globalen Temperaturanstieg bremsen sollen.

Science-Fiction und Realität
Ideen für eine künstliche Klimakühlung gibt es viele, etliche davon klingen aber mehr nach Science-Fiction als nach praktikablen Lösungsansätzen. Kürzlich berechnete etwa ein Forschungsteam, dass eine künstliche Wolke aus Mondstaub zwischen Sonne und Erde für eine leichte Abschattung und damit Abkühlung sorgen könnte. Simulationen attestierten der Idee zwar Potenzial, wie sie sich technisch umsetzen ließe, ist aber völlig offen.

Weitaus realistischer sind Vorschläge, unseren Planeten durch Eingriffe in die Atmosphäre abzukühlen. Vulkane liefern dafür die Inspiration: In der Erdgeschichte sorgten Vulkanausbrüche immer wieder für globale Temperaturrückgänge – auch in jüngerer Vergangenheit. Bei der gewaltigen Eruption des philippinischen Vulkans Pinatubo 1991 etwa gelangten so große Mengen an Schwefelaerosolen und Staub in die Atmosphäre und reduzierten die Sonneneinstrahlung so stark, dass sich die Erde vorübergehend um 0,4 Grad Celsius abkühlte.

Inspirierende Vulkane
Nach Ansicht von Forschenden ließe sich dieser Effekt auch technisch nachahmen. Eine Möglichkeit wäre, mit Flugzeugen Schwefeldioxid in die Stratosphäre zu bringen und 20 Kilometer über dem Erdboden freizusetzen. Dort würden sich aus dem Gas Sulfatpartikel bilden und verteilen. Wie beim Ausbruch des Pinatubo würden diese Partikel dann wie winzige Spiegel wirken und einen Teil der Sonneneinstrahlung ins All reflektieren. In ausreichender Menge würde das für Abkühlung sorgen, wie auch Klimamodelle nahelegen.


Vulkanausbrüche dienen als Vorbild für solares Geoengineering: Gewaltige Eruptionen sorgen immer wieder für globale Abkühlung.
Foto: IMAGO/xinhua/Agung Supriyanto

Ein vorübergehender Temperaturrückgang war allerdings nicht der einzige Effekt, der beim Pinatubo-Ausbruch zu beobachten war: Die vulkanischen Schwefelaerosole schädigten auch die Ozonschicht und veränderten lokale Wettermuster. Einige Forschende schlagen deshalb vor, statt eines Schwefelschleiers weniger reaktive Alternativen zu verwenden, etwa Kalziumkarbonat. Welche unbeabsichtigten Nebenwirkungen derartige Eingriffe in das Klimasystem aber sonst noch haben könnten, ist längst nicht klar.

Drängende Fragen
Kaum jemand in der Wissenschaft plädiert dafür, heute ein derartiges Experiment zu wagen. Umso mehr betonen Forschende aber die Dringlichkeit, Geoengineering genauer zu erforschen. Denn der Einsatz solcher Methoden könnte schon bald als verlockender Ausweg erscheinen, um katastrophale Klimafolgen abzumildern.

"Wir werden die Treibhausgasreduktion nicht so schnell schaffen und in eine Welt eintreten, wo wir wirklich große Klimaprobleme haben werden", sagt Michael Obersteiner, Direktor des Environmental Change Institute an der Universität Oxford. "Und wir werden uns in dieser Phase überlegen müssen, ob wir nicht Geoengineering-Optionen verwenden sollten. Jetzt würde ich das noch nicht machen, aber man sollte gewaltig in die Forschung investieren, um zu verstehen, was die unerwünschten Nebeneffekte sind."

Doppeltes Risiko
Bisher gelten künstliche Eingriffe in das Klimasystem als Tabu, doch das könnte sich schnell ändern: Immer mehr Staaten und auch Privatunternehmen beschäftigen sich mit dem Thema. Was, wenn ein schwer vom Klimawandel betroffenes Land oder andere Akteure eines Tages einfach zur Tat schreiten und in großem Stil Schwefeldioxid in die Atmosphäre blasen?

Obersteiner ist davon überzeugt, dass diese Frage künftig an Brisanz gewinnen wird. Länder im Globalen Süden, die selbst wenig zum Klimawandel beigetragen haben, aber von den Auswirkungen und Schäden besonders betroffen sind, könnten zu Recht fragen: Warum setzen wir eine Methode nicht ein, von der wir wissen, dass sie funktioniert?

"Solange wir aber nicht mehr über die Vor- und Nachteile wissen, ist das Risiko zu hoch. Es wäre meiner Meinung nach verfehlt, jetzt keine Forschung diesbezüglich zu machen", sagt der Wissenschafter.

Atmosphärische Grundlagenforschung
Inzwischen laufen neben kleineren Privatinitiativen in einigen Ländern auch größere Forschungsprojekte zum Thema. Eines davon wird durch die US-amerikanische National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) durchgeführt. Mithilfe von Messballons und Forschungsflugzeugen wird dabei nach Partikeln in der Stratosphäre gefahndet und ihre Häufigkeit und Zusammensetzung untersucht. Die Daten sollen dabei helfen, Modelle zu verbessern und Informationen über atmosphärische Wechselwirkungen zu gewinnen.


Fachleute sehen großen Forschungsbedarf zu den Risiken von Geoengineering – denn der Druck zur Anwendung könnte schon bald steigen.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Aleksandar Vrzalski

Partikel oder Gase werden im Rahmen des Projekts nicht ausgebracht. Es handle sich dabei um reine Grundlagenforschung, betonte die NOAA-Atmosphärenwissenschafterin Karen Rosenlof kürzlich. "Man muss erst einmal wissen, was da ist, bevor man damit anfangen kann, es zu manipulieren."

Gefährliche Abhängigkeit
Modellstudien bescheinigen dem solaren Geoengineering großes Potenzial, an Unsicherheiten mangelt es aber nicht. Noch ist zum Beispiel unklar, welche genauen Schwefelmengen notwendig wären und wo sie am besten verteilt werden müssten. Was die möglichen Risiken und Nebenwirkungen betrifft, sind die Wissenslücken ebenfalls groß, sagt der Klimaphysiker Blaž Gasparini von der Universität Wien.

"Zu den möglichen Nebeneffekten zählen neben dem Abbau der Ozonschicht auch andere Dinge, die wir noch nicht abschätzen können. Es könnte Auswirkungen auf die Landwirtschaft und ein höheres Risiko von Dürreperioden in Teilen der Welt geben", sagt Gasparini. Das könnte in Gegenden, die schon jetzt unter Trockenheit leiden, katastrophal sein.

Die größte Gefahr sieht Gasparini aber anderswo: "Geoengineering ist eine reine Symptombekämpfung und könnte für die Menschheit zu einer Art Sucht werden." Der Klimaphysiker vergleicht die Methode mit einem Schmerzmittel: Die Ursache wird dadurch nicht bekämpft, und die Wirkung hält nicht lange an, es braucht ständig Nachschub.

Der plötzliche Entzug wäre hingegen fürchterlich: Würde eine Geoengineering-Kampagne einfach beendet werden, hätte das fatale Folgen. Die künstlich gesenkten Temperaturen würden sprunghaft ansteigen, wodurch das Risiko für Extremereignisse und Naturkatastrophen erst recht zunehmen würde.

Falsche Sicherheit
Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die reine Symptombekämpfung der Erderwärmung durch künstliche Abkühlung gesellschaftlich und politisch kontraproduktiv sein könnte: Der Anreiz, weniger Treibhausgase zu emittieren, würde sinken. Die Verlockung, notwendige, aber unangenehme Maßnahmen weiterhin aufzuschieben, wäre vermutlich groß.

"Es könnte Sinn machen, dass wir Geoengineering für etwa 20 Jahre durchführen und dann mehr Zeit haben, die Klimaziele zu erreichen und die Treibhausgasemissionen zu stoppen", sagt Gasparini. "Es darf uns aber kein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln." Auch für ihn steht fest, dass es mehr Forschung dazu braucht. "Je mehr wir wissen, desto bessere Entscheidungen können wir treffen."
(David Rennert, 14.5.2023)

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