Geschichten zu den BMW und Zündapp "Beiwagengespannen"

josef

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#1
BWM und Zündapp: Spezialeinsatz auf drei Rädern
Gedenkjahr 1939: Mit dem Beiwagen-Krad in den Krieg – BMW R 75 und Zündapp KS 750 Gespann, mit angetriebenem Seitenwagenrad –, mit dem Renngespann in den Motorsport.
"Once upon a time": Es ist schon lange her, dass Hans Patleich, die Legende der Nachkriegsmotorjournalistik, aus fast zwei Meter Höhe und bei schätzungsweise 140 Kilogramm Lebendgewicht einem Rookie am Anfang seiner ersten Gehversuche für die Motorwelt selbige erläuterte. Der Rookie war ich, und was der Meister zu erzählen wusste, war wert, aufmerksam verfolgt zu werden. Patleich galt als genialer Autofahrer, er überredete mich sogar eines Tages, mit ihm im Goggomobil die Motocross-WM-Piste von Sittendorf bergab zu befahren – doch seine große Liebe galt dem Motorrad mit Beiwagen.

In den Nachkriegsjahren fuhr er täglich (!) mit einem einstigen BMW-R-75-Wehrmachtsgespann von Wien nach Graz und retour, bei jedem Wetter, oft seine Frau im Beiwagen, um die Exemplare einer Wiener Tageszeitung in die Steiermark zu bringen. Er fand die Technik dieser Kombination genial: Antrieb über Kardanwelle auf Hinterrad und Beiwagen, Sperrdifferenzial am Hinterrad, Rückwärtsgang, vier Gänge mit Geländeübersetzung, 350 Millimeter Bodenfreiheit. Viel wusste er auch über die Welt des Beiwagenmotorrads vor dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen. Autos waren damals für die breite Masse unerschwinglich, das Motorrad fungierte als Alternative für eine motorisierte Fortbewegung. Die Kombination mit Beiwagen, wo Vater und Mutter plus Kind oder Hund ins Grüne fahren konnten, schien vergleichbar mit dem späteren Status eines kleinen Sportwagens.


BMW R 75 und Zündapp KS 750 Gespann, der Autor am Beiwagen.
Foto: Andreas Stockinger

"Dienst-Beiwagenkombination"
Die österreichische Exekutive verwendete Beiwagengespanne, der berühmt-berüchtigte Finanzzauberer Camillo Castiglioni (1879–1957) ließ sich in seiner „Dienst-Beiwagenkombination“ fotografieren, als er in München nach dem Ersten Weltkrieg BMW überzeugte, statt der jetzt verbotenen Flugmotoren Motorräder zu produzieren.
Im heurigen Gedenkjahr rund um den Kriegsausbruch am 1. September 1939 schien im Fernsehen eine alte Wochenschau-Szene die Einstiegsszenerie gewesen zu sein: Eine Wehrmachtstruppe mit Beiwagenmaschinen flitzte über den Bildschirm als Symbol für den Einmarsch in Polen. Leider handelt es sich dabei um Manöveraufnahmen, echt waren nur die BMW-R-12-Maschinen. Als eine Art Kavallerie ohne Pferde – diese Form der Truppe hatte im Ersten Weltkrieg ausgedient – sollten „Kradschützen“ als schnelle Vorausabteilungen einen Bewegungskrieg vorantreiben.

Die Wehrmacht schien vom Konzept überzeugt zu sein, es gab genügend Lenker mit Motorradfahrkenntnissen, drei Mann bildeten jeweils ein Team. Die aus dem Zivilbereich stammenden Maschinen kapitulierten aber im Fronteinsatz, die letzten verendeten zwischen Kiew und Charkow. Die Alternative stand schon bereit: Zündapp entwickelte ab 1939 unter dem Kürzel KS 750 ein Motorrad mit 751-cm³-Zweizylinder-Viertakt-Boxer, 26 PS stark, das alle Voraussetzungen für Offroadeinsatz bot, wie Kardanwelle mit Antrieb für Hinterrad und Seitenwagen, Geländegang, Sperrdifferenzial, Retourgang sowie Schaltung für Straße und Gelände, Spitzengeschwindigkeit 95 km/h.

Teure Sache
BMW stellte fast gleichzeitig mit dem Modell R 75 eine identische Entwicklung vor: Zweizylinder-Boxermotor, 746 cm³, 26 PS, technische Spezifikationen wie Zündapp. Allerdings: Die Herstellungskosten lagen bei beiden Varianten doppelt so hoch wie für einen VW-Kübelwagen. Trotzdem wurden bis Kriegsende rund 36.000 Einheiten produziert. Sowohl die BMW als auch die Zündapp bewährten sich im Kriegseinsatz, heute zahlen Sammler bis zu 50.000 Euro für ein Relikt. Für die Besatzungen der Gespanne war aber der Fronteinsatz ein Horror. Ungeschützt, allen Wettersituationen ausgesetzt, ständig in Lebensgefahr – die Ausfallquoten waren erschreckend hoch. Das Konzept zeigte sich letztlich als überholt, die Amerikaner, selbst die Russen, steckten ihre Soldaten lieber in Jeeps, für die 14 Frontwochen als Nutzungsdauer galten.

Mit Kriegsende 1945 schien weltweit die Zeit des Motorrads mit Beiwagen vorbei. Die russischen Besatzungsmächte erlaubten noch den Bau von rund 100 BMWs als Reparation aus dem beschlagnahmten Werk Eisenach, Zündapp in Nürnberg montierte bis 1948 rund 300 Stück. In der Motorrad-WM bleibt die Seitenwagenklasse, seit heuer wieder im Kalender, die exklusive Attraktion. Da radiert der „Schmiermaxe“ als Passagier mit der Nase fast über den Asphalt, die Zuseher jubeln.


Ein Beiwagen-Renngespann im aktuellen Sporteinsatz.
Foto: AFP

Ideale Geländeeigenschaften
Ein Kuriosum sei noch erwähnt, kein Beiwagengespann, doch dem Motorrad stark verwandt: das NSU-Kettenkrad. Hier stand die Austro-Daimler-Karette des Bundesheeres von 1935 Pate. 2,3-Liter-Vierzylinder mit 18 PS, platziert in Fahrzeugmitte, der Antrieb wahlweise verwendbar auf Gleisketten oder Hinterachse des Räderlaufwerkes, selbst im schweren Gelände 15 km/h schnell.


Die vielseitige Austro-Daimler-Steyr "Motor-Karette".
Foto: Archiv Urbanek

Für die bereits 1941 nicht mehr vorhandenen Luftlandetruppen der Wehrmacht erfolgte beim NSU-Motorradhersteller eine Neuadaption unter dem heute gebräuchlichen Namen. Gelenkt wurde das Kettenfahrzeug wie ein einspuriges Motorrad, Gleisketten gaben dem Fahrzeug ideale Geländeeigenschaften, als Antrieb diente ein 1,5-Liter-Motor des Opel Olympia, 36 PS stark. Das Dreiganggetriebe verfügte über Geländeuntersetzungen. Bestens bewährt, auch als kräftiges Zugfahrzeug oder fünf Personenträger, spielte es sogar in Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan eine wichtige Nebenrolle.
(Peter Urbanek, 28.12.2019)
BWM und Zündapp: Spezialeinsatz auf drei Rädern - derStandard.at
 
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