Ein Klimawandel im 4. Jhdt. mit allen Folgen zeigt ein Szenario mit so manchen Analogien zur heutigen Situation

josef

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Politikerversprechen einst und jetzt: Eine archäologische Annäherung
Klimawandel im vierten Jahrhundert nach Christus, eine Inschrift von der Bernsteinstraße und das gewagte Politikerversprechen der ewigen Versorgungssicherheit
Im Gastblog blickt der Archäologe Stefan Groh auf äußerst alte Probleme zurück, die wieder aktuell geworden sind.
Beschäftigt man sich als Altertumsforscher mit archäologischen Befunden, Inschriften und Fundstücken, so erstaunt es, wie vergleichbar bisweilen die Gegenwart mit der Vergangenheit ist. Nehmen wir – aufgrund der aktuellen Versorgungskrise, Inflation und alltäglichen Probleme unterbrochener Lieferketten – ein Szenario mit so manchen Analogien aus der Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus. Eine inschriftliche Quelle sowie archäologische Evidenzen werden im Folgenden diskutiert, deren Signifikanz heutigen Politikerinnen und Politikern – und denen, die sie wählen – zu denken geben sollte.

Klimakatastrophe: Missernten in der Spätantike
Im vierten nachchristlichen Jahrhundert kann eine deutliche Klimaverschlechterung festgestellt werden. Diese äußerte sich in einem Rückgang der Durchschnittstemperatur, vermehrten Niederschlägen und daraus evozierten Missernten. Im Rahmen einer umfassenden wissenschaftlichen Studie zur mitteleuropäischen klimatischen Entwicklung konnte gezeigt werden, dass zwischen 326 und 434 nach Christus sehr schwierige Witterungsverhältnisse herrschten. Besonders kritische Zeitabschnitte waren die Jahre 326 bis 340, 349 bis 360, 368 bis 370 und 388 bis 393 nach Christus. In diesen Perioden kam es regelmäßig zu massiven Ernteausfällen, oft konnte nur eine Ernte in drei Jahren eingebracht werden.

Die römische Wirtschaft war zum überwiegenden Teil auf die Agrarproduktion und Forstwirtschaft ausgerichtet. Als wichtigste Rohstoffe können Holz als Brennstoff und Getreide als Hauptnahrungsmittel angesehen werden. Getreide, respektive Hafer und Gerste, galten auch als ein "Treibstoff" für den Transport am Landweg, nämlich als Futter für Zug- und Reittiere. Ernteausfälle und niedrigere Temperaturen führten zu einer Verknappung des Treibstoffes, der Nahrung und auch des Heizmaterials, deren Nachfrage aber gerade aufgrund der widrigen Witterung stetig anstieg. Damit geriet die gesamte römische Wirtschaft ins Stottern. Die vielen neu errichteten Speicherbauten dienten dazu, Jahre der Missernten abzufangen.

Die Karriere des Vulcacius Rufinus
Die Politik war also gefordert, den sich ändernden klimatischen Bedingungen entgegen zu halten. Man wählte Maßnahmen, die sich über lange Zeit hin bewährt hatten: Vergrößerung von Speichervolumen, Effizienzsteigerung der Logistik, Neuorganisation der Siedlungsstrukturen, Repression von Bürgerrechten. Der für Noricum/Pannonien (heute zentrales und östliches Österreich) maßgebliche Politiker, der mit der Umsetzung dieser Maßnahmen betraut wurde, war Vulcacius Rufinus, der praefectus praetorio Illyricum. Er war Senator in Rom und, zeitlich befristet, oberster ziviler Verwalter ("Praetorianerpräfekt").

Vulcacius Rufinus erreichte zur Zeit der hier vorgestellten Inschrift – sie datiert in die Jahre 344 bis 347 nach Christus – den ersten Höhepunkt seiner sehr erfolgreichen Karriere. Er wurde 347 Konsul in Rom und bekleidete damit eines der höchsten Ämter des römischen Reiches. Rufinus stammte aus einer einflussreichen Familiendynastie, seine Schwester war mit einem Bruder von Kaiser Konstantin dem Großen verheiratet, er besaß eine palastartige Villa (domus) am Quirinal in Rom. Der Quirinal, einer der sieben Hügel der Hauptstadt, war ein Villenviertel der römischen Oberschicht, vergleichbar mit dem Cottage in Wien. Der antike Historiker Ammianus Marcellinus sagte, dass Vulcacius Rufinus keine Gelegenheit ausgelassen hätte, sich zu bereichern – er starb 368 nach Christus.

Inschrift eines Getreidespeichers in Savaria/Szombathely
Der Prätorianerpräfekt, der in seiner Funktion eben für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung und des Heeres zuständig war, widmet die Inschrift dem damaligen Kaiser Constans (320/32 bis 350 nach Christus), also seinem direkten Vorgesetzten:
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Die Inschrift ist als Bauinschrift für einen großen neuen Getreidespeicher zu werten. Rufinus betont, dass er von sich aus initiativ wurde, um die leeren Speicher wieder zu befüllen, und zwar genau zu der Zeit, als ein Mangel im Entstehen begriffen war. Dies geschieht, laut Rufinus, für die ewige Sicherheit der Versorgung. Diese Inschrift wurde an einem großen Speicherbau (horreum) in der römischen Stadt Savaria, dem heutigen in Ungarn gelegenen Szombathely angebracht. Der Speicher lag außerhalb der Stadtmauern direkt am Verlauf der römischen Bernsteinstraße. Vergleichbare große Speicherbauten beziehungsweise Lagerhäuser wurden um die Mitte des vierten Jahrhunderts in allen Städten und Gutshöfen, die an wichtigen Verkehrsadern lagen, errichtet. Heute finden wir sie in den Agrarregionen (Silos) und an zentralen Verkehrsknotenpunkten beziehungsweise Umschlagplätzen wie zum Beispiel dem Alberner Hafen bei Wien.


Die Inschrift des Prätorianerpräfekten Vulcacius Rufinus aus Savaria (Szombathely, Ungarn) und spätantike Lagerhallen entlang der Hauptverkehrsrouten in Nordwestpannonien.
Foto: ÖAW/ÖAI, H. Sedlmayer

Wieso sah sich der Politiker veranlasst, einen guten Teil seiner lukrierten Steuergelder beziehungsweise Abgaben dafür zu verwenden, neue Speicher zu errichten und sie auch zu füllen und noch zu betonen, die Initiative selbst ergriffen zu haben? Wie reagierte man um die Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus auf die beschriebene Krisensituation des Nahrungs- und "Treibstoff-" mangels? Diese Fragen sollen am Beispiel eines agrarischen Landgutes römischer Zeit im heutigen Burgenland illustriert werden.

Die Villa von Bruckneudorf
Anhand der archäologischen Befunde der an der Bernsteinstraße gelegenen Großvilla von Bruckneudorf im Burgenland können die antiken Antworten auf eine Klimakrise sehr anschaulich nachvollzogen werden. Im zweiten Jahrhundert nach Christus, in einer Zeit wirtschaftlicher Blüte und klimatisch guter Rahmenbedingungen, beheizte man lediglich zehn Prozent der Räume im Hauptgebäude des Landgutes. Die Heizungen waren jedoch aufwendige und Energie-intensive Hypokaustanlagen, wo sich der gesamte Boden der Zimmer über einem mit heißer Luft beschickten Hohlraum erstreckte. Dies entsprach demnach einer Vollflächenheizung. In der Spätantike wurden hingegen 53 Prozent der Räume mit einfacheren und auch weniger Holz verbrauchenden Kanalheizungen versehen, wo jeweils nur ein Heizkanal unter den Böden durch die Zimmer führte.


Der Klimawandel vom zweiten bis vierten Jahrhundert nach Christus führte zu einer Verfünffachung der beheizten Räume in der Villa von Bruckneudorf.
Foto: ÖAW/ÖAI, H. Sedlmayer

Im vierten Jahrhundert änderten sich auch die Besitzverhältnisse, das ehemals bescheidene Landgut in Bruckneudorf wurde zu einer Großvilla ausgebaut, die eher schon an eine Kleinstadt oder ein befestigtes Militärlager mit Mannschaftsbaracken, denn an einen Agrarbetrieb erinnerte. Die verarmten Bauern der Umgebung mussten ihre kleineren unwirtschaftlichen Höfe aufgeben und wurden als "Kolonen" quasi "Leibeigene" des Großgrundbesitzers. Im Zuge dieses sozialen Wandels konnten jedoch die Arbeitskräfte und das Know-how der Landarbeiter effizienter eingesetzt beziehungsweise ausgebeutet werden. Dies evozierte auch den Bau riesiger Lagerhallen, so sind in der Großvilla von Bruckneudorf im vierten Jahrhundert vier Speicherbauten mit insgesamt 3.152 Quadratmeter Fläche errichtet worden. Diese horrea waren dreistöckig und werden mit einer Firsthöhe von zwölf bis dreizehn Meter rekonstruiert. Anhand eines noch erhaltenen spätantiken Speicherbaues in Frankreich (Mazelles) kann deren Dimension nachvollzogen werden. In diesen Hallen von Bruckneudorf stand demnach über 9.500 Quadratmeter Lagerfläche zur Verfügung, womit 60.000 Personen ein Jahr lang versorgt werden hätten können. Vergleichbare Speicher, allerdings geringerer Gesamtkapazität, wurden zudem in den benachbarten Gutshöfen entlang der Hauptverkehrswege errichtet, ihr Bau war auch von militärstrategischem Interesse.


Der original erhaltene spätantike Speicherbau von Tasciaca/Mazelles (Frankreich). Die Architektur mit Steinmauern und Ziegeldurchschüssen sowie Fenstern im dritten Stock gleicht jener in Bruckneudorf.
Foto: Fichier:Mazelles pradigue 1.JPG — Wikipédia (Pascal Radigue), CC BY-SA 4.0

Die Großvilla von Bruckneudorf wurde, zum Schutz vor Invasoren, mit 3.130 Meter langen Mauern und 870 Meter langen Gräben versehen, sodass sie den Eindruck einer Befestigung und eines Labyrinthes bot. Der römische Historiker Ammianus Marcellinus (330 bis 395 nach Christus) beschrieb diesen Gutshof als "Villa Murocincta", also als einen von Mauern umgebenen Landsitz. Die Errichtung eines derartig großen Agrarbetriebes mit der Funktion eines an der Bernsteinstraße gelegenen Logistikzentrums war ein Ergebnis des spätantiken Wirtschafts- und Bevölkerungswandels, auch bedingt durch die Klimakrise.


3D-Rekonstruktion der spätantiken Villa Murocincta von Bruckneudorf: ein Labyrinth aus Mauern und Gebäuden. Die vier Lagerhallen befanden sich an der Westseite der Anlage, wo die Bernsteinstraße vorbeiführte.
Foto: ÖAW/ÖAI/7reasons

Der Klimawandel und politisches Versagen
Vulcacius Rufinus war mit seinen Investitionen in die Logistik an der Bernsteinstraße offenkundig davon überzeugt, alles getan zu haben, um die Ernährung der Bevölkerung zu garantieren. Ausgaben in die Infrastruktur und die Sicherstellung der Versorgung waren populär und prestigeträchtig. Damit wollte er aber auch etwaige Revolten eines hungrigen Heeres abwenden. Die Antworten auf den Klimawandel und drohende Migration waren Baumaßnahmen, Zentralisierung, Effizienzsteigerung und die massive Ausbeutung einerseits der Arbeitskräfte durch deren Bindung an Berufsstand und Arbeitsort sowie andererseits der verbliebenen natürlichen Ressourcen. In den klimatischen Faktoren ist letztendlich einer der Gründe für den Zusammenbruch der aufwendigen und durchdachten römischen Administration – zumindest des Westreiches – zu suchen.

Hinzu kam die massive Migration von Bevölkerungsgruppen aus dem Norden und Osten, deren Auslöser wohl auch im Klimawandel des vierten Jahrhunderts nach Christus zu suchen ist. Kurzfristig erwies sich die Errichtung und Verstärkung einer Vielzahl von Befestigungsanlagen und Lagerhäusern als richtige Reaktion. Langfristig konnte Rom jedoch den klimatischen, wirtschaftlichen, militärischen und demographischen Änderungen keine erfolgreiche Strategie entgegenstellen.

Die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Treibstoff und Nahrungsmitteln für "die Ewigkeit", wie sie Vulcacius Rufinus versprochen hatte, erwies sich nur wenige Jahrzehnte danach schon als Trug. Letztendlich war es das populistische Versprechen eines politischen Systems, das sich langfristig nicht mehr an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen konnte oder wollte.
(Stefan Groh, 12.1.2023)

Stefan Groh ist Archäologe am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in Fragen zur römischen Urbanistik sowie zu ziviler und militärischer Infrastruktur in den römischen Provinzen. Seit 2008 werden von ihm zahlreiche Forschungsprojekte zur Bernsteinstraße in Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien durchgeführt.

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Politikerversprechen einst und jetzt: Eine archäologische Annäherung
 
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