Ehemalige Wiener Stadtbahn

josef

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#3
Die Wiener Stadtbahn: Otto Wagners Gesamtkunstwerk
Der Vorläufer der heutigen U-Bahn war ein 39 Kilometer langes Mammutprojekt
Ich habe den größten Teil meines Berufslebens in einem Stadtbahnbogen zwischen Sechshauser Gürtel und Gumpendorfer Gürtel verbracht. Alle paar Minuten hörte ich eine Garnitur der Gürtellinie GD oder DG, später der U6, über meinen Kopf hinwegrumpeln, aber das nahm ich gar nicht mehr wahr, ebenso wenig wie die Tatsache, dass meine Betriebsräume Teil eines denkmalgeschützten Gesamtkunstwerks waren: der Stadtbahn von Otto Wagner.

100.000 Arbeiter und Arbeiterinnen
Im Jahr 1891 wurden die jenseits des Linienwalls gelegenen Vororte nach Wien eingemeindet, der Linienwall wurde geschleift. Wien hatte nun 19 Bezirke und war nach Paris und Berlin die drittgrößte Stadt Kontinentaleuropas, was gewaltige infrastrukturelle Herausforderungen mit sich brachte. Einerseits waren militärische Überlegungen, andererseits der Wunsch nach einem effizienten innerstädtischen Verkehrsnetz maßgebend. Jedenfalls wurde die Forderung nach einer Verbindung der am Stadtrand liegenden Bahnhöfe untereinander sowie nach einer Verbindung in die Stadt gestellt und sollte mit der Errichtung einer Dampfstadtbahn erfüllt werden. Die schon vorhandene Verbindungsbahn zwischen Süd- und Nordbahnhof würde in das Mammutprojekt dieser neuen Dampfstadtbahn integriert und gleichzeitig die Wienfluss- und Donaukanalregulierung in Angriff genommen werden. Die Koordination aller Aufgaben übernahm die neu gegründete Commission für Verkehrsanlagen in Wien, die Bauführung der Stadtbahn die k.k. Generaldirektion der österreichischen Staatsbahnen.

Die geplante Stadtbahnlinie 1891.
Foto: Gemeinfrei

Ausschreibung von Bauarbeiten für die Wiener Stadtbahn in der Oberösterreichischen Bauzeitung
Foto: Gemeinfrei

Die architektonische Ausgestaltung der gesamten Anlage wurde dem Architekten Otto Wagner übertragen, der für die Durchführung dieser gewaltigen Aufgabe bis zu 70 Mitarbeiter beschäftigte, darunter heute berühmte Architekten wie Josef Hoffmann, Josef Plečnik und Joseph Olbrich. Finanziert wurde das Projekt durch die Ausgabe von Anleihen, die Durchführung war aber nur durch den Einsatz der Arbeitskraft von bis zu 100.000 Arbeitern und Arbeiterinnen aus allen Teilen der Monarchie möglich.

Ausgeführt wurden folgende Linien der dampfbetriebenen Bahn, aufgrund von topografischen und finanziellen Gegebenheiten teils in Tief- und teils in Hochlage.
  • Vorortelinie Hütteldorf – Heiligenstadt (heute S45)
  • Wientallinie Hütteldorf – Hauptzollamt
  • Donaukanallinie Hauptzollamt – Heiligenstadt
  • Linie in den 2. Bezirk Hauptzollamt – Praterstern (heute Teil der S-Bahn)
  • Gürtellinie Meidling Hauptstraße – Heiligenstadt, teilweise auf dem Gebiet des früheren Linienwalls
Geplant war noch eine innere Ringlinie vom Karlsplatz zum Donaukanal, die aus Geldmangel nicht ausgeführt wurde. Diese Verbindung, mit ähnlicher Streckenführung, entstand erst 1966 als Zweierlinie, einer unterirdisch geführten Straßenbahn. Heute ist sie Teil der U2. Als "Zukunftslinie" war auch eine Verbindung von der Ringlinie nach Hernals geplant, ein Projekt, das derzeit mit der U-Bahnlinie U5 in seinen Grundzügen verwirklicht wird.

Otto-Wagner-Brücke über das Wiental.
Foto: Gemeinfrei

In Hochlage gebaut
Die Gürtellinie wurde wegen des schwierigen Geländes teilweise in Hochlage gebaut. Die Anlage war seinerzeit sehr umstritten, Bürgermeister Lueger bezeichnete sie als "Chinesische Mauer", heute gehört sie zu den imposantesten technischen Bauwerken Wiens. Die Trasse wird auf Bögen, die in Sichtziegelbauweise gebaut sind, geführt. Manche dieser Bögen waren offen, für die meisten war aber von Beginn an die Ansiedelung von Geschäften und Betrieben geplant. Die Stationen der Gürtellinie wurden dort angelegt, wo sich im Linienwall die Tore befunden hatten, daher gab es ursprünglich die Stationen Thaliastraße und Michelbeuern nicht. Die Hauptstraßen wurden von Brücken in Stahlbauweise überspannt, deren eindrucksvollste die Brücke über die Wienzeile mit ihren imposanten Pylonen ist. Die Stationsgebäude der Gürtellinie, an deren Entstehung Plečnik einen erheblichen Anteil hat, erinnern an wuchtige Stadttore.


Eröffnung der Wiener Stadtbahn in Michelbeuern am 9. Mai 1898.
Foto: Gemeinfrei

Im Wiental wurde die Trasse im offenen Einschnitt geführt, entlang des Donaukanals in einer seitlich offenen Galerie. Die Stationsgebäude der Wiental- und Donaukanallinie, die unter Mitarbeit von Olbrich entstanden sind, sind weicher und eleganter, seine Handschrift erkennt man auch an den Pavillons am Karlsplatz, die Innenausstattung des Hofpavillons in Hietzing stammt ebenfalls von Olbrich.


Tiefbahnstation Meidling-Hauptstraße.
Foto: Gemeinfrei

Am 9. Mai 1898 wurde die Dampfstadtbahn in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph und Bürgermeister Karl Lueger feierlich eröffnet. Der Kaiser befuhr mit dem Salonwagen alle bereits fertiggestellten Abschnitte. Obwohl er nur auf der Aussichtsplattform im letzten Wagen des Sonderzugs vom Qualm der Dampflokomotive verschont blieb, zeigte er sich sehr zufrieden. 1901 war die gesamte 39 Kilometer lange Anlage in Regelbetrieb. Pläne zur Elektrifizierung der Bahn wurden aus Kostengründen immer wieder verworfen.

Die Wiener elektrische Stadtbahn
Im Ersten Weltkrieg wurde die Stadtbahn, wie ja schon ursprünglich geplant, zu militärischen Zwecken eingesetzt, von der Zivilbevölkerung konnte sie nur eingeschränkt benützt werden. Im Dezember 1918 kam der Fahrbetrieb aus Kohlenmangel fast vollständig zum Erliegen.
Infolge der politischen Veränderungen übernahm die Gemeinde Wien 1923 die Gürtel-, Wiental- und Donaukanallinie der Stadtbahn von der Staatsbahn und verpflichtete sich dafür, diese Strecken auf eigene Rechnung zu elektrifizieren. Verbindungsbahn und Vorortelinie blieben im Eigentum der Bahn. Am 18. April 1924 begann die Übergabe der Stadtbahn an die Gemeinde Wien, sie hieß nun Wiener Elektrische Stadtbahn. Im Juni 1925 fuhr die erste elektrische Stadtbahn, und im Herbst erfolgte die Linienbenennung in WD, GD, DG und G. Ein großer Teil des heutigen U-Bahn-Netzes der Stadt Wien verläuft auf der Strecke der über 120 Jahre alten Stadtbahn.

Stadtbahnnetz 1937.
Foto: Gemeinfrei

Aus der Stadtbahn wird die U-Bahn
1968 beschloss der Wiener Gemeinderat den Grundplan für die Wiener U-Bahn. Teile der U-Bahn sollten auf der Trasse der Stadtbahnanlage verkehren. Dafür musste der Linksverkehr der Stadtbahn auf Rechtsverkehr umgestellt werden. Als erste nahm 1976 die U4 ihren Betrieb auf einer Teilstrecke der Stadtbahn auf, bis Ende 1981 war die Wiental- und Donaukanallinie von Hütteldorf bis Heiligenstadt auf den Betrieb der U4 umgestellt. Leider wurde bei den Umbauten für die U-Bahn wenig Rücksicht auf das Werk Otto Wagners genommen, etliche Otto-Wagner-Stationen fielen ihnen zum Opfer, ein Schicksal, das für die Brücke über die Wienzeile bei der Umrüstung auf die U6 nur knapp abgewendet werden konnte. Bei der Revitalisierung der Vorortelinie und der Umgestaltung der Gürtellinie ging man wesentlich behutsamer vor.

Im Zuge einer Nord-Süd-Verbindung der U-Bahn-Linie U6 wurde die Trasse der Gürtellinie 1980 in die Planung einbezogen. Eine Anzahl von Bögen westlich der Brücke über die Zeile musste wegen des U-Bahn-Baus abgerissen werden, doch blieben viele der ursprünglich über 300 Stadtbahnbögen erhalten, teilweise dienen sie noch heute ihrer ursprünglichen Bestimmung und beherbergen Werkstätten und Geschäfte, es kam aber auch zu vielen Leerständen. Ende der 1990er-Jahre startete die Stadt Wien mit finanzieller Unterstützung der EU eine Initiative zur Wiederbelebung der Stadtbahnbögen. Das Projekt "Urban Wien – Gürtel Plus" führte zur Gründung vieler Szenelokale im Bereich 8./16. und 9./18. Bezirk.

2003 wurde die Städtische Hauptbücherei über der Station Burggasse in Betrieb genommen und erfreut sich seither großer Beliebtheit. Weniger gut funktioniert die Verwertung der von der Stararchitektin Zaha Hadid über einer stillgelegten Trasse im Bereich Spittelau gebauten Häuser, und auch die Überbauung des stillgelegten Verbindungsbogens am Döblinger Gürtel wird kontroversiell beurteilt.
Wie eingangs erwähnt, habe ich eine besondere Beziehung zur Stadtbahn. Ich bewundere die alte Dame, die nicht ins Ausgedinge gegangen ist, sondern sich in ein modernes Gewand geworfen hat und munter im Verkehr des 21. Jahrhunderts mitmischt.
(Friederike Kraus, 23.4.2021)

Friederike Kraus, geboren 1945, ist Historikerin, Kunsthistorikerin und derzeit als Fremdenführerin in Wien und Teilzeitbuchhalterin im fjum – Forum Journalismus und Medien Wien tätig. Seit 2018 gestaltet sie gemeinsam mit Edith Michaeler
den Podcast "Erzähl mir von Wien".

Quellen
  • Peter Csendes, Ferdinand Opll (Hg.), Wien Geschichte einer Stadt, Wien-Köln-Weimar 2006.
  • Andreas Lehne, Stefan Olah, Stadtbahnbogen, Wien 2012.
  • H. P. Pawlik, J. O. Slezak, Wagners Werk für Wien – Gesamtkunstwerk Stadtbahn, Wien 1999.
Die Wiener Stadtbahn: Otto Wagners Gesamtkunstwerk
 
#4
Nicht vergessen!

Heute, 9. Mai 2023: 125 Jahre Eröffnung der Wiener Stadtbahn im Bahnhof Michelbeuern am 9. Mai 1898 durch Seine Majestät, Kaiser Franz Joseph I.

Vermutlich jetzt um diese Uhrzeit! (12 Uhr?)

Wurde heute früh sogar in Ö1 in der Sendung "Pasticcio" verlautbart! Herzlichen Dank hiefür an die Moderatorin Frau Helene Breisach.

Bald kommt das 100-jährige Jubiläum der Eröffnung der "Wiener Electrischen Stadtbahn"

Sollte einige gedenkminuten vor der bekannten tafel im Bhf. Alser Strasse (Osteingang) wert sein, was aus der Wiener Stadtbahn nun geworden ist!

Lg an alle Gottfried
 

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#5
Vor 100 Jahren
Späte Elektrifizierung der Wiener Stadtbahn
Späte Elektrifizierung der Wiener Stadtbahn
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1924, also vor 100 Jahren, nahm Wien die Elektrifizierung der Stadtbahn in Angriff. Das identitätsstiftende Projekt des „Roten Wien“ war Arbeitsbeschaffung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und ein längst fälliger Modernisierungsschub. Sogar Filmaufnahmen sind davon erhalten geblieben. Was heute in Vergessenheit geraten ist: Trotz der gefeierten Stationsgebäude Otto Wagners war die Stadtbahn schon bei ihrer Eröffnung 1898 veraltet.

Die Pläne der Gemeinde Wien, die Stadtbahn aus dem „Dornröschenschlaf“ zu wecken, fanden 1923 breiten Beifall in der Presse. Der Bahnbetrieb auf der Trasse, auf der heute die U-Bahn-Linien U4 und U6 verkehren, war aus kriegsbedingtem Kohlemangel eingestellt worden. Dass dringend wieder ein massentaugliches Verkehrsmittel benötigt wurde, gab Hoffnung auf einen Aufschwung.

Wien war nach dem Ersten Weltkrieg von der dynamischen Metropole eines 53-Millionen-Kaiserreiches zur „Hauptstadt des Hungers“ in einem Kleinstaat geschrumpft. Bauprojekte des „Roten Wien“ halfen nicht nur, die drückende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern auch dieses weltweit „einzigartige urbane Desaster“, so der Stadtforscher Peter Payer, zu verkraften. Sie trugen zur Stiftung einer neuen Identität bei.

Nun gehörte aber die darniederliegende Stadtbahn nicht der Stadt, sondern dem christlich-sozial regierten Bund. Die Verhandlungen der sozialdemokratisch regierten Gemeinde mit den Österreichischen Bundesbahnen um einen Pachtvertrag zogen sich in die Länge, berichtete die Presse. Doch nach mehr als einem halben Jahr war es geschafft.

Ein Teil Wiens ist ja vom Tode auferstanden. Sieben Jahre sah man einen verfallenden Bahnkörper, über dessen Schienen Gras wuchs. Das neue Leben bringt Hoffnung, daß auf die bittere Gegenwart wieder einmal freundliche, fröhliche Tage kommen werden.
„Kronen Zeitung“, 4.6.1925

„Vom Tode auferstanden“
Am 26. Mai 1924 konnten in Heiligenstadt die Bauarbeiten beginnen. Einzelne Arbeitsschritte wurden auf Film aufgenommen, und auch die Eröffnung ist dokumentiert (siehe Video). Wiens Bürgermeister Karl Seitz übergab am 3. Juni 1925 das erste Teilstück seiner Bestimmung – unter „Tücherschwenken und Jubelrufen“, wie die „Kronen Zeitung“ berichtete. Die Zeitung sah einen Teil Wiens sogar „vom Tode auferstanden“ und in dem Projekt die „Hoffnung, daß auf die bittere Gegenwart wieder einmal freundliche, fröhliche Tage kommen“.


Der Preis für eine Einfachfahrt in der elektrifizierten Stadtbahn betrug 30 Groschen (entspricht heute in etwa 1,30 €) – einmal Umsteigen in die Bim war inkludiert. Der Gemeinschaftstarif trug zur Popularität bei. Es gab Raucher- und Nichtraucherabteile. Hunde durften – im Gegensatz zu früher – nicht mitgeführt werden. Das sorgte für Diskussionen.

Trotz des allgemeinen Jubels – die Elektrifizierung der Stadtbahn war kein Herzensprojekt der Stadtregierung, eher eine Notmaßnahme, um den Menschentrauben in den überfüllten Straßenbahnen abzuhelfen. Das machte auch die Eröffnungsrede des Bürgermeisters deutlich. Seitz geißelte die historische Fehlplanung aus der Zeit der Monarchie: was die Stadt eigentlich brauche, sei eine „Untergrundbahn, die vom Herzen der Stadt hinausführt ins Freie, wo die arbeitenden Menschen wohnen“. Doch dafür fehlten in den 1920er Jahren noch die Mittel.

Keine U-Bahn für Wien
Dabei waren Pläne für eine Wiener U-Bahn bereits 1857 herumgegeistert, als man sich anschickte, die Stadtmauern des historischen Stadtkerns zu demolieren und so einen wichtigen Schritt zum Ausbau Wiens zur modernen Metropole setzte. Bis zur Jahrhundertwende war immer wieder über ein schnelles, massentaugliches Verkehrsmittel für die rasch wachsende Stadt diskutiert worden.
Beispiele für moderne Massenverkehrsmittel gab es schon in anderen Ländern: London führte bereits 1863 eine U-Bahn ein, ab 1890 wurde elektrifiziert. Auch Großstädte wie Chicago, Paris, Berlin und Budapest zogen nach und eröffneten um die Jahrhundertwende eifrig U-Bahnen.
In Wien hingegen wurde kein modernes innerstädtisches Beförderungssystem realisiert, sondern eine teilweise oberirdisch geführte Dampfbahn, die das Bedürfnis der Bevölkerung, schnell und ungehindert vom Zentrum in die neuen Stadterweiterungsgebiete zu kommen, vollkommen ignorierte – eben die Stadtbahn, die 1898 in Betrieb genommen wurde.
  • Wien Museum
    Jugendstil vom Feinsten: Otto Wagners Handzeichnung einer Stadtbahnhaltestelle
  • Wien Museum
    Wien um 1900: Stadtbahnviadukte und die dampfende Bahn prägten das moderne Stadtbild
  • Wien Museum
    In die Stadt hineingeplant: Otto Wagners urbanes Gesamtkunstwerk Stadtbahn
  • Wien Museum/Birgit und Peter Kainz
    Der Bau der Wientallinie 1898
  • Wien Museum
    Die Linienführung der Stadtbahn um 1900. Wegen der kreisförmigen Anordnung um den Stadtkern hieß sie bald „Rundherum-Bahn“, wohl auch, weil sie an den Bedürfnissen der modernen Stadtbewohner vorbeigeplant worden war.
  • Wien Museum
    Die Straßenbahn fuhr längst elektrisch, als die Stadtbahn noch mit Kohle betrieben wurde
  • Wien Museum
    Erklärungsbedarf: Wie öffne ich die Türen der elektrischen Stadtbahn? Der Sicherheitsmechanismus hinderte allerdings Passagiere nicht am gefährlichen Auf- und Abspringen während der Fahrt.
  • Wien Museum/Franz Holluber
    Die elektrifizierte Stadtbahn bei der Haltestelle Schwedenplatz 1931
  • Wien Museum/Peter Kainz/Friedrich Strauß
    Dampf und Ruß in Wien um 1900. Die Stadtbahn als Umweltdesaster bei der nicht mehr existenten Station Hauptzollamt (heute Wien-Mitte).
  • Wien Museum
    Ohne Rauch geht’s auch: Die elektrifizierte Stadtbahn beim Lerchenfelder Gürtel
  • Wien Museum
    Aus der Postenkartenserie „Neubauten in Wien“ um 1900. Von Otto Wagners wegweisenden Stadtbahnstationen wurden sogar in Berlin Ansichtskarten gedruckt.

Eine Stadtbahn für das Militär
Der Grund dafür: Mehrheitseigentümer der Stadtbahn waren zur Zeit der Monarchie die k.k. Staatsbahnen, und deren Planungen orientierten sich an militärstrategischen Überlegungen. Wien war von Kopfbahnhöfen umgeben, von denen privat geführte Bahnlinien sternförmig in alle Himmelsrichtungen des Kaiserreiches führten. Die Stadtbahn, später auch gerne „Rundherum“-Bahn genannt, wurde ringförmig um die Stadt gebaut und sollte dazu dienen, Soldaten und Kriegsmaterial so schnell wie möglich von einem Kopfbahnhof zum nächsten zu befördern. Personenverkehr war Nebensache.

Auch die Entscheidung, die Stadtbahn mit Kohle zu betreiben anstatt mit elektrischem Strom, war wenig benutzerfreundlich und hatte militärische Gründe: Man hielt Elektrizität im Kriegsfall für zu störanfällig. „Die Tatsache, dass eine 26 Kilometer lange Stadtbahn in der Stadt der Lungentuberkulose die Rauchplage in peinlicher Weise vergrößerte, hat den alten Militärstaat nicht sehr beirrt“, ätzte deshalb 1925 die Zeitung „Der Abend“. Die Elektrifizierung der rußigen Bahn wurde dankbar angenommen, wie ein zeitgenössisches Gedicht zeigt:
Jetzt kann man vor Rauch
nicht mehr ersticken,
und auf dem Sitz
bleibt man
im Ruß nicht mehr picken
Johann Maierbichler

Die Stadt Wien elektrifizierte allerdings 1924 nur einen Teil des Stadtbahnnetzes. Die Vorortelinie blieb auch weiterhin im Besitz der Bundesbahnen und ist es bis heute. Und bis Wien dann tatsächlich eine U-Bahn bekam, dauerte es noch länger.

U-Bahn mit historischer „Verspätung“
Auch die Nazis planten in Wien eine Untergrundbahn. Den Umbau Wiens zu Hitlers „Perle des Reiches“ verhinderte aber der Zweite Weltkrieg. Die Stadtbahn wurde schließlich 1945 durch Luftangriffe empfindlich beschädigt. Und im Nachkriegswien bestimmten erneut widerstreitende Interessen den Ausbau des städtischen Verkehrs.

Der Stadtplaner zwischen 1948 und 1952, Karl H. Brunner, befürwortete eine U-Bahn, aus Geldmangel wurde aber wieder einmal auf den Ausbau der Stadtbahn gesetzt. 1958 übernahm der prominente Architekt Roland Rainer die Stadt- und Verkehrsplanung. Rainer orientierte sich an einer aufgelockerten, durchgrünten Stadt, die vor allem eines sein sollte: autogerecht. Der Zeitgeist räumte dem motorisierten Individualverkehr Vorrang ein.

1962 warf Rainer das Handtuch als Stadtplaner. Der Zug der Zeit ging dann doch in Richtung U-Bahn, und mit einem Beschluss des Gemeinderates am 26. Jänner 1968 trat dann Wien – mit jahrzehntelanger Verspätung – ins U-Bahn-Zeitalter ein.

Auslaufmodell Stadtbahn
Der U-Bahn-Bau wurde zum Aus für die Stadtbahn. Sie wurde zum Auslaufmodell, in das nicht mehr investiert wurde. Unfälle häuften sich auf der vernachlässigten Infrastruktur, und zwischen 1951 und 1978 wurden mehrere der abbröckelnden Otto-Wagner-Stadtbahnstationen abgerissen. Gegen die Demolierung der Stadtbahnstation Meidling gab es 1968 immerhin einen größeren – wenn auch erfolglosen – Protest (siehe Video), an dem sich Stararchitekten wie Gustav Peichl und auch der ehemalige Stadtplaner Rainer beteiligten.

Die Stadtbahn wird zur U-Bahn
Den tatsächlichen Eintritt Wiens ins U-Bahn-Zeitalter markierte der „erweiterte Probebetrieb mit Fahrgästen“, den eine „Silberpfeil“ genannte U-Bahn-Garnitur am 8. Mai 1976 auf einem kurzen Teilstück der Stadtbahnlinie zwischen Heiligenstadt und Friedensbrücke aufnahm. Die Wiener raunzten über die damit verbundenen Unbequemlichkeiten...

Die Stadtbahn wurde etappenweise ins U-Bahn-System integriert, und die Wiener Innenstadt war jahrelang von riesigen Baugruben durchzogen. Anrainer, Passanten, Gewerbetreibende und wahrscheinlich auch die Politiker und Politikerinnen wünschten sich, man hätte die U-Bahn schon im vorigen Jahrhundert gebaut.

Gerettetes Architekturjuwel
So umstritten die Stadtbahn im Lauf der Zeit auch war, zumindest ästhetisch wurde das architektonische Gesamtensemble von Wagner schon Ende des 19. Jahrhunderts als städtebauliches Leuchtturmprojekt wahrgenommen.

17 der 25 historischen Stadtbahnstationen sind erhalten geblieben. Das Gesamtkunstwerk von Stationsgebäuden und Viadukten wird heute wieder als Meilenstein der Jugendstilarchitektur gefeiert und erstrahlt in neuem Glanz. Laut Forschungen des Bundesdenkmalamtes waren die historischen Einfassungen allerdings nicht in dem heute so stimmig empfundenen Reseda-Grün gehalten – sondern in Beige.

Die Stadtbahn hat sich in mehreren Entwicklungsphasen in die Geografie der Stadt eingeschrieben: vom Notnagel in der Zwischen- und Nachkriegszeit zu einem essenziellen und auch aus ästhetischen Gründen geschätzten Bestandteil im öffentlichen Verkehrsnetz der Großstadt. U-Bahn und S-Bahn haben die alte Stadtbahn abgelöst. Mitgenommen wurden historische Strukturen und Planungen – im Guten wie im Schlechten.
23.12.2024, Silvia Heimader (Text, Archiv), Mona Harfmann (Redaktion), Zita Klimek (Bildredaktion), beide ORF Topos, Anna Schandl (Lektorat), ORF.at

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