Bundesdenkmalamt arbeitet an der Erstellung eines Verzeichnisses der Zwangsarbeitslager, KZ-Außenstellen und Kriegsgefangenenlager der NS-Zeit

josef

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#41
WISSENSCHAFT
NS-Lager Innsbruck-Reichenau: Suche nach Überresten
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Auf dem Areal des ehemaligen „Arbeitserziehungs- und Zwangsarbeiterlagers Reichenau“ werden Überreste von Baracken vermutet. Derzeit werden archäologische Sondierungsarbeiten durchgeführt. In dem Lager der Nationalsozialisten waren rund 8.500 Menschen inhaftiert, 114 fanden nachweislich den Tod.
Online seit heute, 5.51 Uhr
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Bereits erfolgte Messungen mit Bodenradar des Instituts für Archäologien der Universität Innsbruck hatten im Bereich der Trientlgasse Hinweise auf mögliche Überreste von Baracken aus der NS-Zeit ergeben. Mit Hilfe der Grabungsarbeiten im Auftrag des Stadtarchiv/Stadtmuseum soll nun geklärt werden, ob im unbebauten Wiesenbereich am südlichen Ende des Recyclinghofes zeitgeschichtliche Spuren zu finden sind.

Untersuchung mit Bodenradar im Herbst
Durch die Auswertung historischer Luftbilder konnten Archäologinnen der Universität Innsbruck und der Firma monumentGUT im letzten Jahr die räumliche Struktur des Lagerkomplexes Reichenau bzw. der nachkriegszeitlichen Notwohnsiedlung digital rekonstruieren. Darauf aufbauend erfolgte vergangenen Herbst eine Untersuchung mit Bodenradar. „Dabei werden physikalische Eigenschaften des Untergrundes gemessen, womit wir einen groben Eindruck, zum Beispiel über Reste baulicher Infrastruktur unter der modernen Oberfläche erhalten“, erklärte Barbara Hausmair vom Institut für Archäologien.

Das Ergebnis dieser Messung habe gezeigt, dass sich noch schwache, lineare Strukturen im Untergrund abzeichnen, welche mit dem Standort der ehemaligen Baracken übereinstimmen, nicht jedoch mit modernen Leitungsplänen. „Das bedeutet, dass es sich potentiell um Überreste von Bauten aus der Lagerzeit oder der Notwohnsiedlung handeln kann“, führte Kulturstadträtin Uschi Schwarzl (Grüne) aus.
Universität Innsbruck
Messungen mit einem Georadar brachten in verschiedenen Bereichen des untersuchten Areals den Nachweis für bodengelagerte Befunde, bei denen es sich um Überreste ehemaliger Lagerbauten handeln dürfte (Objekte A bis I). Zudem wurden im Süden der Untersuchungsfläche Strukturen dokumentiert (Objekte J bis L), bei denen es sich um Gebäudereste zu handeln scheint, die bis dato weder den Lagerbauten noch ehemaligen Bauten des Bauhofs zugeordnet werden können.

Hoffen auf Einblicke in den Alltag des Lagers
Im Rahmen der rund zweiwöchigen Sondierungsgrabung wird nun untersucht, worum es sich bei diesen Strukturen handelt und wie deren Erhaltungszustand beschaffen ist. Aufgrund der intensiven Nutzung des Geländes vermuten die Experten nur mehr wenige Reste aus dem Unterbodenbereich der ehemaligen Lagerbauten zu finden. „Eventuell könnten noch Leitungs- bzw. Abwassersysteme der Baracken oder auf dem Areal verbliebene Gegenstände der ehemaligen Häftlinge bzw. der Bewohnerinnen und Bewohner der Notwohnsiedlung wie Geschirr, Besteck oder Werkzeuge vorhanden sein“, so Innsbrucks Stadtarchivar Lukas Morscher.

„Wir hoffen durch die Grabungen einen ersten Eindruck über noch vorhandene archäologische Spuren zu erlangen“, verrät Hausmair. „Erst dann lässt sich abwägen, ob noch so viele archäologische Strukturen oder Fundmaterial vorhanden ist, um dadurch substantielle Einblicke in den Alltag der Menschen im Lager oder in der Notwohnsiedlung zu gewinnen. Es kann aber auch sein, dass wir nur sehr wenig finden, da der Abriss und die Bereinigung des Geländes in den späten 1960er Jahren sehr gründlich erfolgt ist.“

Ein Gelände mit dunkler Tiroler Geschichte
Das untersuchte Areal, auf dem sich heute unter anderem der städtische Recyclinghof Rossau befindet, war in der NS-Zeit Teil des Arbeitserziehungslagers der Gestapo. Bis in die 1960er Jahre wurde das Areal unterschiedlich genutzt, zuletzt als Notwohnsiedlung. Für den Bau des Recyclinghofs wurde diese Siedlung in den 1960er Jahren aufgelassen und abgerissen.

Im „Arbeitserziehungs- und Zwangsarbeiterlager Reichenau“ wurden zwischen 1941 und 1945 circa 8.500 Menschen, darunter zahlreiche politische Gefangene, inhaftiert, gefoltert und zur Zwangsarbeit verpflichtet, 114 Menschen wurden dort nachweislich ermordet. Durch die laufenden Forschungen konnten zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen werden.

Ausschreibung für Neugestaltung von Gedenkstätte
Ein 1972 auf dem ehemaligen Gelände des Lagers in der Rossaugasse errichteter Gedenkstein erinnert als Mahnmal an die Opfer. Dieser entspreche aber nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand. Noch heuer werde es eine Ausschreibung für eine Neugestaltung der Gedenkstätte geben.
05.05.2023, red, tirol.ORF.at

Link:
NS-Lager Reichenau: Suche nach Überresten

...und weiterer Beitrag im Forum: Arbeitserziehungs- (Gestapo-) Lager Innsbruck-Reichenau
 

josef

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#43
Nazi-Zwangsarbeit im Eisengraberamt
NÖN-Krems, 20. JUNI 2023
Gerald Mayerhofer

Besuchten gemeinsam den Ort des Geschehens, an dem ihre Großmutter und Verwandten Nazi-Zwangsarbeit verrichten mussten: Enkelin Edith Shternberg, Historiker Robert Streibel, Landwirt Karl Einzinger, Enkel Eran Shternberg und Roi Harel (von links).
FOTO: Wiener Volkshochschulen GmbH

Rund 60 jüdische Zwangsarbeiter wurden im Winter 1944/45 in der „Augusta-Säge“ im Eisengraberamt ausgebeutet. Viele wurden danach im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet.

Es ist eine der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte: Der Nationalsozialismus hinterließ auch in der Region Gföhl tiefe Spuren - sowohl als Opfer und als Täter.

Der Kremser Historiker Robert Streibel und der Obmann des „Vereins Arbeitsgruppe Strasshof“, Bernhard Blank, spürten im Eisengraberamt ein Zwangsarbeiterlager der Nazi-Zeit auf, von dem es bisher kaum Aufzeichnungen gab. Eran und Edit Shternberg sowie Roi Harel, Nachkommen ehemaliger Insaßen des Lagers, reisten extra aus Israel an, um gemeinsam mit den beiden Geschichtsexperten und dem 95-jährigen Landwirt Karl Enzinger vor Ort auf Spurensuche zu gehen.

Vor Hunger Gras gegessen
Rund 60 Juden, darunter die Großmutter und weitere Verwandte der Familien Shternberg-Harel, kamen 1944 ins Eisengraberamt, wo sie einige Monate in der „Augusta-Säge“ Zwangsarbeit verrichten mussten. Vom ehemaligen kleinen Sägewerk sind heute nur noch Mauerreste zu finden - es ist im „Ämterbuch“ von Walter Enzinger und im Band „hämmern.mahlen.sägen“ von Friedrich Weber dokumentiert. Die Säge befand sich im Eisengraberamt am Reislingbach - unweit der „Simlinger Höhe“ und des Ortes Eisengraben entfernt. „Meine 15-jährige Cousine Vera musste im Wald Bäume fällen, mein Bruder trug Wasser. Wir waren so hungrig, dass wir Gras aßen“, so die bereits verstorbene Zwangsarbeiterin Eve Suranyi in einem hinterlassenen Schriftstück.

Viele Zwangsarbeiter mit Anne Frank in Bergen-Belsen ermordet
Die Zwangsarbeiter im Eisengraberamt glaubten, dass ihnen durch ihre Tätigkeit die Deportation in ein Konzentrationslager (KZ) erspart bliebe. Viele wurden im Winter 1944/45 aber dennoch ins KZ Bergen-Belsen im heutigen Niedersachsen, rund 30 Kilometer nördlich von Hannover, gebracht. Dort wurde auch Anne Frank, die sich in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckte und mit ihrem Tagebuch Geschichte schrieb, im Jahr 1945 ermordet.

Hinweise für „menschlichen“ Aufseher gesucht
Die Großmutter von Eran, Edit und Roi hatte überlebt. Sie berichtete immer wieder von einem Aufseher, der sie sehr menschlich behandelt habe - welcher aber von den Nazis erschossen worden sei. Die drei Nachkommen haben die Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch jemand an das Lager oder den Aufseher erinnern kann. Für Hinweise sind die Famlie Shternberg-Harel und der Historiker Robert Streibel sehr dankbar: 0664/5235277.
Nazi-Zwangsarbeit im Eisengraberamt

Anmerkung:
Eisengraberamt ist eine Katastralgemeinde von Jaidhof (bei Gföhl) im Bezirk Krems.

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josef

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#45
Der Verein "Steine der Erinnerung in Liesing" legt eine ausführliche Dokumentation nationalsozialistischer Zwangsarbeit in Wien-Liesing 1938 - 1945 vor

Der Verein "Steine der Erinnerung in Liesing für die Opfer des Holocaust und des nationalsozialistischen Terrors" wurde in Zusammenarbeit mit der Lokalen Aganda 21 Plus in Liesing im September 2013 gegründet. Ziel des Vereins ist es, der Opfer des Holocaust und des nationalsozialistischen Terrors zu gedenken. Diese Erinnerung soll an jenen Orten sichtbar werden, an denen Menschen gelebt haben, die während des Nationalsozialismus vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Vor den Häusern, in denen diese Menschen gewohnt haben, werden Steine der Erinnerung verlegt.

Nun haben vier AktivistInnen des Vereins - Robert Patocka, Alexandra Kropf, Waltraut Kovacic und Gabriele Bagehr - eine Broschüre vorgelegt, die insgesamt 26 Lager und Orte der Zwangsarbeit in Liesing dokumentieren:

"Im Bereich des heutigen 23. Bezirks gab es einige große Lager mit mehreren hunderten bis zu tausenden Zwangsarbeiter*innen, wie etwa die beiden INHA-Lager 13 und 16, Gräf & Stift sowie die Kunserolwerke/Schichtwerke AG. (...) Bei einigen Standorten handelte es sich um reine Schlafunterkünfte, die zum Teil auch in Wohnhäusern und Gasthöfen eingerichtet wurden. Dies wird durch ein Telefongespräch mit Herrn Robert Kremlicka, aufgewachsen in Atzgersdorf, aus dem Jahr 2012 bestätigt. Er erinnert sich, dass bei Gräf & Stift in der Brunner Straße und bei einer Holzfabrik in der Brunner Straße / Reklewskigasse Menschen aus Frankreich eingesetzt wurden und er erzählt: 'Es gab kaum einen Betrieb, der nicht 'Fremdarbeiter', 'Zwangsarbeiter' ect. einsetzte.'"
Broschüre: Zwangs- und Fremdarbeitslager in Liesing 1938-1945

Link zur
Broschüre Zwangs- und Fremdarbeitslager in Wien-Liesing 1938-1945
 
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