An der Kathedrale mussten vor allem Dach und Vierungsturm erneuert werden, viele andere Teile blieben jedoch weitgehend unbeschadet.
Fatih Aydogdu, NYT
Die alte Dame von Paris lädt zum Besuch: Ab Sonntag ist die Kathedrale Notre-Dame wieder offen für Touristinnen und Gläubige, erstmals seit dem Brand am 15. April 2019. Mit neuen und alten Technologien wurde das Bauwerk im gotischen Stil erneuert. Wir fassen die wichtigsten Baustellen zusammen – und was die Forschung dabei lernen konnte.
Rund 2000 Fachleute arbeiteten in einer koordinatorischen Meisterleistung am Wiederaufbau, oft mit traditionellen Werkzeugen und Techniken, die es schon beim Errichten des Gotteshauses vor 900 Jahren gab. Als besonders nützlich entpuppten sich aber auch moderne 3D-Laser-Aufnahmen, die vor dem Brand vom unversehrten Bauwerk aufgenommen wurden.
Der hölzerne Dachstuhl musste neu gebaut werden.
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Das Feuer war am
Dach ausgebrochen und hatte dort von der immensen Holzkonstruktion gezehrt, die auch als "Wald" bezeichnet wurde. Sie stammte teils noch aus dem 13. Jahrhundert. Das geschmolzene Blei sorgte für giftige Dämpfe. Aus 1300 Eichen und neuer Bleiabdeckung wurde das verwüstete Dach nachgebaut.
Notre-Dame am 16. April 2019 von innen. Das Dach war stellenweise nicht mehr vorhanden.
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Wo sich Quer- und Längsschiff kreuzen, bei der sogenannten Vierung, konnte man nach dem Feuer vom Innenraum aus gar den Himmel sehen. Dort musste das Steingewölbe unter dem Dach neu gebaut werden. Auch an anderen Stellen nahm der Kalkstein durch Hitze und Löschwasser Schaden und musste erneuert werden.
Der Spitzturm wurde wieder aufgebaut.
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Hähne und Fabelwesen
Damit kein Brand mehr entstehen kann, ist nun im Gebälk ein Sprinklersystem installiert. Quasi ein Wasserspeier für drinnen, der aber vielmehr Sprühnebel verteilt, sollte es ein weiteres Mal zu brennen beginnen. So wird die Temperatur rasch gesenkt und den Flammen der Sauerstoff entzogen.
Der Spitzturm fällt, 2019. Dieser sogenannte Vierungsturm bildet den höchsten Punkt von Notre-Dame und wurde mittlerweile neu gebaut.
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Das deutlichste Zeichen der Brandkatastrophe war der spitze
Vierungsturm, der völlig einstürzte. Der Turm wurde in seiner jüngsten Form im 19. Jahrhundert errichtet, ebenfalls aus Holz und Blei. Nach diesem Vorbild, das auf den Architekten Eugène Viollet-le-Duc zurückgeht, rekonstruierte man ihn auch – mit einem neuen, vergoldeten Hahn an der Spitze des Kreuzes.
Auf der Spitze des Vierungsturms löst ein goldener Hahn den bronzenen Vorgänger ab.
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Die 16
Kupferstatuen der Apostel auf dem Dach im Vierungsbereich haben den Brand in Abwesenheit überstanden: Sie waren wenige Tage vorher zur Restaurierung entfernt worden.
Die Statuen der Apostel sind auf diesem Foto von 2013 in Hellgrün zu sehen. Im Vordergrund erkennt man einige der Tier- und Fabelwesen der Chimärengalerie.
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Steinerne Fabelwesen zieren die Fassade an der "Galerie des Chimères" der vorderen Türme seit dem 19. Jahrhundert. Die "chimères" oder Mischwesen werden im Deutschen auch Grotesken genannt und sind nicht zu verwechseln mit den Wasserspeiern aus dem Mittelalter, den "gargouilles" oder englisch "gargoyles".
Als Notre-Dame brannte, floss flüssiges Blei durch manche Wasserspeier. Einige der mittelalterlichen Skulpturen wurden nun restauriert.
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Letztere sorgen bei Regen dafür, dass das Wasser nicht die Kathedralenwände entlangrinnt, schon Victor Hugo zollte den nützlichen Figuren in seinem berühmten Roman
Der Glöckner von Notre-Dame Tribut. Insgesamt mussten etwa 2000 Statuen und Verzierungen restauriert oder neu gemeißelt werden, darunter fünf von 54 Mischwesen, weil die Steine und Fugen am Südturm zu heiß geworden waren.
Die Kathedrale in schematischer Seitenansicht.
Fatih Aydogdu / NYT
Erhellend restauriert
Zudem ist die Kathedrale für die großen
Rosettenfenster bekannt. Sie blieben heil, aber die Glasbausteine wurden von Bleistaub gereinigt und andere teils beschädigte Fenster erneuert. In den kommenden Jahren werden hier weitere Arbeiten durchgeführt.
Eines der Rosettenfenster drei Monate nach dem Feuer. Die riesigen Buntglasfenster wurden nicht zerstört, mussten aber gesäubert werden. Zu sehen ist auch ein abgedecktes Loch im Dach.
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Gerüste am Bauwerk werden ebenfalls noch nicht ganz verschwinden: Am Längsschiff verlaufen außen die
Strebebögen, die weiter renoviert werden.
Der Kalkstein erscheint nach den Renovierungsarbeiten viel heller als zuvor.
Julio Piatti
Im Südturm befindet sich die größte
Glocke mit dem Namen Emmanuel, die 300 Jahre alt und 13 Tonnen schwer ist. Sie überstand den Brand schadenfrei; kleine Glocken im Vierungsturm und im Dachgeschoss wurden hingegen im Feuer vernichtet. Acht der 20
Kirchenglocken wurden zur Restaurierung entfernt und sind zurück an ihrem Platz.
Der angeschnittene Innenraum der Kathedrale.
Fatih Aydogdu / NYT
Im Inneren mussten
Wände und Säulen von Ruß und Schlieren des Löschwassers befreit und teils durch neuen Kalkstein ersetzt werden. Über Jahrhunderte wurden die Mauern durch Kerzenqualm verdüstert, die Steine sind nun wesentlich aufgehellt.
Viele, die an der Restauration mitgewirkt haben und Notre-Dame vor der Eröffnung sehen konnten, zeigten sich erstaunt angesichts des hellen Innenlebens.
Julio Piatti
Inneneinrichtung und Reliquien blieben beim Brand erstaunlich gut erhalten oder konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, die Gemälde erlitten keinen Schaden. Im Gegensatz zur Hauptorgel wurde die
Chororgel stark durch Löschwasser beschädigt und muss großteils neu gebaut werden. Zudem wurde ein neuer Altar aus Bronze errichtet.
Die Hauptorgel, die auf diesem aktuellen Bild zu sehen ist, wurde nach dem Brand gründlich gereinigt. Bei der Chororgel waren umfangreiche Arbeiten nötig.
EPA/CHRISTOPHE PETIT TESSON
Erste eiserne Lady?
Etwa 50 Forschungsteams waren im Einsatz, um einerseits die Restauration mit Fachwissen zu unterstützen und andererseits die Katastrophe zu nutzen, um an unzugängliche Orte zu gelangen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Sie untersuchten die Baumaterialien der Kathedrale und die Struktur, aber auch die Akustik. Dafür war Mylène Pardoën vom Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung CNRS zuständig, deren Arbeit
von der New York Times in einem beeindruckenden Beitrag vorgestellt wurde. Sie ist überzeugt davon, dass sich Kulturerbe stets verändert und lebendig ist, durch Klang könne man etwas von der Lebendigkeit zurückbringen. Da Notre-Dame sich quasi immer im Bau befand und umgewandelt wurde, könne die Kathedrale nach dem Brand ebenfalls "nicht mehr in demselben Zustand sein wie davor" sein.
Neu sind auf jeden Fall die Ergebnisse, zu denen das Team um den Mittelalterforscher Maxime L'Héritier von der Universität Paris VIII gelangte. Es belegte, wie innovativ Notre-Dame im zwölften Jahrhundert konstruiert wurde: Sie war die erste gotische Kathedrale, bei der
Eisen genutzt wurde, um
Steinblöcke von innen zusammenzuhalten. Das fanden die Fachleute beim Datieren von Eisenklemmen an unterschiedlichen Stellen im Bauwerk heraus und hielten die Resultate
im Fachjournal Plos One unter dem Titel "Notre-Dame de Paris: The first iron lady?" fest.
Die Erbauer von Notre-Dame nutzten schon im zwölften Jahrhundert Eisenkonstruktionen, um die Steine zu verbinden, wie eine Forschungsgruppe erstmals feststellte.
L'Héritier et al. 2023, Plos One
Tote unter der Kirche
Selbst unterirdisch stieß man auf Überraschungen. Um Gerüste zu errichten, wurde unter der Vierung gegraben. Dabei fanden Archäologinnen und Archäologen bis dahin unbekannte
Särge, darunter zwei menschenförmige Sarkophage aus Blei. Einer war mit dem Namen des hochrangigen Kirchenmannes Antoine de la Porte versehen, der 1710 mit 83 Jahren verstarb. Der zweite Tote wurde erst nach eingehenden Analysen identifiziert. Es handelt sich wahrscheinlich um den mit nur 37 Jahren verstorbenen Joachim du Bellay, einen der bekanntesten französischen Lyriker der Renaissance.
Die Geheimnisse zweier mysteriöser Bleisärge unter dem Boden von Notre-Dame wurden gelüftet.
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Andere Untergrundfunde halfen, die Baugeschichte besser zu verstehen. Man stieß auf Reste einer früheren Abtrennung im Kirchenschiff, einem sogenannten
Lettner, der im 18. Jahrhundert zerstört wurde, aber offenbar nicht vollständig verschwand. Bestückt war er offenbar mit
Skulpturen. Weil diese bunt bemalt waren, dachte man erst an eine relativ junge Dekoration.
Archäologinnen und Archäologen entdeckten bei Grabungen in der Kathedrale bemalte Figuren, die im 18. Jahrhundert abgebaut und verborgen wurden.
JULIEN DE ROSA / AFP / picturedesk
Die Fachleute stellten allerdings fest, dass sie wesentlich älter waren und aus dem 13. Jahrhundert stammten. Farbenfrohe Figuren, eisenverstärkte Strukturen und prominente Pariser: Die wiederhergestellte Kathedrale, die in neuem Glanz erstrahlt, verbirgt womöglich noch weitere Geheimnisse. (Text: Julia Sica, Grafik: Fatih Aydogdu, 7.12.2024)