"Bettlerlager Schlögen" des autoritären Ständestaates in Waldkirchen am Wesen, OÖ. 1935-38

josef

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Buch über historisches Bettlerlager

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85 Jahre nach der Errichtung eines „Bettlerlagers“ in der Gemeinde Waldkirchen am Wesen (Bezirk Schärding) ist die Geschichte dieser Zwangseinrichtung jetzt in einem Buch dokumentiert worden.

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Die geschichtliche Aufarbeitung des Bettlerlagers in Waldkirchen am Wesen ist vorerst abgeschlossen: Der Verein „Tourismus und Kultur im Donautal“ hat nun ein Buch über das europaweit einzigartige Lager veröffentlicht, das von 1935 und 1938 zur Zeit des autoritären Ständestaates in Österreich existierte und in Vergessenheit geraten war.

Eingesperrte Männer mussten beim Straßenbau helfen
Im Sommer 1935 ist das Barackenlager in der Ortschaft Vornberg im Gemeindegebiet von Waldkirchen am Wesen errichtet worden. Bis zu 204 männliche Bettler waren hier gleichzeitig eingesperrt. Sie mussten beim Bau der Nibelungenstraße mithelfen, haben rund ein Zehntel des üblichen Lohns erhalten und sind verpflegt worden, sagt der Historiker und Heimatforscher Thomas Scheuringer. Es sei natürlich nicht mit einem Konzentrationslager zu vergleichen gewesen, aber durchaus eine Zwangsmaßnahme gegen Arbeitslose und Bettler, sagt Scheuringer: „Natürlich Maßnahmen, die aus heutiger Sicht undenkbar sind, aber damals als ein probates Mittel galten.“

Nur über alte Fotos und Skizzen zu erahnen
Von dem Lager findet man heute keine Spuren mehr. Es existieren allerdings noch alte Fotografien und Skizzen, auf denen man erkennen kann, wie das bettlerlager ausgesehen hat.

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Teil der örtlichen Geschichte
Der Gemeinde und dem Verein „Tourismus und Kultur im Donautal“ sei es ein Anliegen gewesen, die Geschichte des Lagers, über das in den vergangenen Jahrzehnten kaum gesprochen worden sei, aufzuarbeiten, sagt der Waldkirchner Altbürgermeister und Vereinsobmann Herbert Strasser: „Das Bettlerlager ist so wie alles andere ein Teil der Geschichte der Gemeinde und das sollte man für die Öffentlichkeit jetzt und für die Nachwelt sichtbar machen.“

Der Historiker Thomas Scheuringer und der Theatermacher Jürgen Heib haben gemeinsam mit dem pensionierten Vermessungstechniker Karl Andexlinger die Geschichte des Haftlagers für Bettler erforscht und ein Buch darüber geschrieben. Im Frühling sollen Schulprojekte in der Umgebung folgen.
02.12.2020, red, ooe.ORF.at
Buch über historisches Bettlerlager
 

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Weitere Infos:

Textauszug aus Anhaltelager – Wikipedia
Bettleranhaltelager in Schlögen
Eine Besonderheit des Ständestaates war die Errichtung eines Bettleranhaltelagers in Oberösterreich.[7] Durch die drückende wirtschaftliche Not der 30er Jahre waren viele Arbeitslose gezwungen, sich ihr Überleben durch Bettelei zu verdienen. Eigentlich waren die Heimatgemeinden für die Armenfürsorge zuständig, waren aber selbst finanziell nicht liquide. Die Heimatgemeinden konnten aber sog. Unterstützungsausweise ausstellen, in die dann Leistungen anderer Gemeinden eingetragen werden konnten; eine Rückforderung dieser Leistungen war zwar möglich, aber aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes nicht durchzusetzen. Personen ohne einen Unterstützungsausweis konnten aufgegriffen und zu Arrest (3 Tage bis 6 Wochen) verurteilt werden. Den Bundesländern stand es aufgrund der Heimatgesetznovelle von 1935 frei, Anstalten zu schaffen, in denen die aufgegriffenen Bettler ihre Haftzeit abarbeiten konnten. Von dieser Möglichkeit hat nur Oberösterreich Gebrauch gemacht und 1935 ein Haftlagergesetz beschlossen. Landesrat und Sicherheitsdirektor Peter Revertera gab dies am 5. Juli 1935 der Öffentlichkeit bekannt. Gebaut wurde das Haftlager auf der rechten Donauseite in Schlögen, was mit der den Häftlingen zugedachten Arbeit – den Ausbau der Straße Passau-Linz – zusammenhing. Auf dem Areal des Lagers wurden vier Baracken, in denen die Häftlinge untergebracht werden konnten, und weitere Baulichkeiten zur Unterbringung des Wachpersonals errichtet.[8] Umgeben war das Lager mit einem übermannshohen Stacheldraht, dann wurden noch ein 20 Meter hoher Wachturm und Scheinwerferbeleuchtung errichtet. Die Bewachung wurde anfänglich von 35 Schutzkorpsmännern vorgenommen, ab 1. Mai 1936 wurde dafür eine eigene Gendarmerie-Expositur mit drei Gendarmen und sieben Mann Zivilwache eingerichtet.

Am 30. August 1935 fand die erste „Bettlerrazzia“ in Oberösterreich statt, weitere folgten; von den aufgegriffenen 915 Personen wurden 134 nach Schlögen überstellt, die anderen an ihre Heimatgemeinden verwiesen. Der Sinn des Lagers war ein edukativer (Gewöhnung an Arbeit, der Strafaspekt sei sekundär). Nach der Haft sollten die Personen in ein Arbeitsverhältnis kommen oder in den „Freiwilligen Arbeitsdienst“ eintreten. Entweichungen waren selten, allerdings gelang die Überführung in ein Arbeitsverhältnis auch nur unzureichend. Die Insassen bekamen pro Tag einen Sold von 50 Groschen und fünf Zigaretten; der Sold wurde aber nach der Haft nicht ausbezahlt, sondern in Form von Sachleistungen (Kleidung, Schuhe) ausgefolgt. In der späteren Zeit wurde die Überwachung der Häftlinge auf den Baustellen eingestellt und die Inhaftierten konnten unter dem Kommando eines Gruppenführers zu ihrer Arbeit ausrücken. Neben dem Ausbau der Straße Passau-Linz waren die Inhaftierten auch an Ausgrabungen eines römischen Kastells[9] und an der Bergung eines Donaudampfers beteiligt. In der Presse wurden den Inhaftierten ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt („großer Arbeitseifer und Ausdauer, hohe Disziplin“). Nach dem Anschluss, vermutlich im August 1938, wurde das Bettlerlager aufgelöst und die „Insassen freiwillig in den Arbeitsprozeß eingeführt“.

Die Resonanz auf die Einrichtung war gespalten. Andere Bundesländer konnten sich aus vorwiegend finanziellen Gründen nicht dazu entschließen, solche Lager einzurichten, und kritisierten, dass dadurch die Bettelei nur in andere Bundesländer ausgelagert werde. Tschechische Diplomaten, welche das Lager besichtigten, äußerten sich sehr positiv. Auch in der damaligen Presse war das Echo gespalten: Während die offizielle Presse des Ständestaates das Lager als „wegweisende Tat“ rühmte und die Kirchenblätter dazu nicht Stellung nahmen, bewertete die sozialistische Untergrundpresse dieses Lager als öffentliche Schande („Die Not bleibt also in Österreich anhaltend lagernd.“).

7. Siegwald Ganglmair: Die hohe Schule von Schlögen. Zur Geschichte und Rezeption eines Bettlerlagers im Ständestaat. In: Medien & Zeit, 5, S. 19–29.
8. Gernot Haupt: Armut zwischen Ideologie und Ökonomie. Über die (Un-)Wirksamkeit wirtschaftlicher Argumentationen gegenüber Verelendung am Beispiel der Diskussion über Bettlerlager 1935/36.
9.
Römisches Donaukastell Schlögen
Siegwald Ganglmair: „Die hohe Schule von Schlögen“ | medien & zeit

http://othes.univie.ac.at/39331/1/2015-10-15_0801795.pdf (Kapitel 7.4 - Seite 151 ff.)
 
#3
Sehr interessant.
Danke für den Bericht!

Ich habe hier eine detaillierte Beschreibung wie die Regeln um 1902 waren, in Where the clouds can go , Chapter 1, Seite 2, erstellt von einem späteren berühmten Kletterer Konrad Kain - das sieht man den langjährigen Faden in der Behandlung von Bettlern und wie dramtisch schlecht die damalige Zeiten waren.

Auszug:
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weiter zu lesen im o.a. link
 
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