Kartografie
Warum viele Karten Russland größer wirken und andere Staaten scheinbar schrumpfen lassen
Karten prägen unser Bild von der Welt, zugleich verzerren sie es. DER STANDARD hat Länder so verschoben, dass unsere Weltsicht infrage gestellt wird
Russlands Machthaber Wladmir Putin (rechts) mit Waleri Sorkin, dem Präsidenten des Verfassungsgerichts, beim Studium einer historischen Karte.
IMAGO/ZUMA Wire
Donald Trump hat Appetit auf Grönland und Kanada. Wladimir Putin hat immer bessere Chancen, sich noch größere Teile der Ukraine einzuverleiben. Und auch im Gazastreifen tobt Krieg. Wer die weltpolitischen Geschehnisse und Katastrophen verfolgt, hat in den vergangenen drei Jahren vielleicht öfter auf die Weltkarte geblickt als zuvor. Aber was sieht man da eigentlich?
Die Macht der Kartografie
Auf vielen Weltkarten wirken beispielsweise Russland, Kanada, Grönland und Skandinavien viel größer, als sie tatsächlich sind. Diese Darstellung der Welt in vielen Atlanten und Apps beruht auf der sogenannten Mercator-Projektion. In der Kartografie ist mit "Projektion" gemeint, dass die gekrümmte Oberfläche der Erde auf eine flache Karte übertragen wird. Gerhard Mercator war im 16. Jahrhundert ein bedeutender Kartograf.
Die Mercator-Projektion wurde deshalb so ein großer und nachhaltiger Erfolg in der Geschichte der Kartenherstellung, weil sie winkeltreu ist. Seefahrer und Eroberer konnten sich darauf verlassen, einen Winkel zu messen und zu ihrem Zielhafen zu kommen. Der Preis für Mercators Winkeltreue ist eine starke Verzerrung der Flächen. Die Verzerrung wird immer frappanter, je weiter man nach Norden oder Süden blickt.
Das ohnehin große Russland wächst in der Mercator-Projektion (links unten) durch immer stärkere Verzerrungen in Richtung Norden auf noch kolossalere Größe. Tatsächlich passt die Fläche Russlands fast zweimal in Afrika hinein.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Verzerrungen
Ein paar Beispiele: Russland erscheint in einer Mercator-Projektion viel größer als Afrika. Tatsächlich ist der Kontinent 30 Millionen Quadratkilometer groß. Russland ist zwar der größte Staat der Welt, hat aber nur rund 17 Millionen Quadratkilometer Fläche.
Grönland wirkt auf einer Mercator-Karte riesenhaft wie ein Kontinent. Die Insel ist mit 2,2 Millionen Quadratkilometern zwar tatsächlich sehr groß, aber von Süden nach Norden ist es nicht viel weiter als von Süditalien bis nach Norddeutschland. Staaten, die näher am Äquator liegen, schrumpfen im Verhältnis hingegen, etwa Indien und Mexiko.
Geht der Blick ganz weit nach Süden, nimmt die Verzerrung wieder zu. Neuseeland wirkt ein gutes Stück größer, als es ist. Umso mehr gilt dies für die Landmasse rund um den Südpol, die Antarktis.
China hat knapp zehn Millionen Quadratkilometer, Russland 17 Millionen. In der Mercator-Projektion wirkt Russland aber noch größer. Auf thetruesize.com können Userinnen und User übrigens beliebig Staaten verschieben und deren wahre Größe prüfen.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Das Google-Weltbild
Neben der Mercator-Projektion gibt es dutzende andere Methoden zur Darstellung der Welt, etwa solche, die flächentreu, dafür aber nicht winkeltreu sind. Der Kartendienst Google Maps verwendete bis 2018 die Mercator-Projektion, wechselte damals aber auf eine andere Darstellung beim Hinauszoomen: Statt einer Mercator-Karte gab es nun einen Globus zu sehen, also den dreidimensionalen Planeten, der die Proportionen zwischen den Staaten wahrte.
Nutzt man Google Maps, Stand 2025, in einem Webbrowser in Österreich, dehnen sich Russland, Grönland und Kanada aber nach wie vor unverhältnismäßig aus. Google Maps verwende "im Prinzip eine Mercator-Projektion", bestätigt Georg Gartner, Professor für Kartografie an der TU Wien.
Indien wirkt auf einer Mercator-Karte wegen seiner Nähe zum Äquator im Verhältnis zu nördlich gelegenen Staaten kleiner. Tatsächlich würde der Staat von Sizilien bis Norwegen und von London bis Moskau reichen.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Gewohnheitssache
Warum die Mercator-Projektion in Atlanten und Apps bis heute populär geblieben ist? "Sie ist irgendwann bekannt und damit vertraut geworden. Die Popularität hat auch etwas damit zu tun, dass die Längenkreise und Breitenkreise rechtwinkelig zueinander stehen, das ist vielen sympathisch. Mit der Mercator-Projektion kann man ein rechtwinkeliges Blatt Papier füllen. Und dass die Darstellung für Europa günstig ausfällt, hat bei europäischen Kartenmachern wahrscheinlich auch eine Rolle gespielt", sagt Gartner dem STANDARD.
Land- und Seekarten spiegeln eben nicht nur Politik wider – mit Karten wird immer auch Politik gemacht. "Karten haben eine enorme Wirkung darauf, wie wir die Welt für uns abspeichern und verstehen", sagt Gartner. Jede Karte sei in einem politischen, sozialen und kulturellen Kontext zu verstehen.
Grönland wirkt auf einer Mercator-Karte so groß wie ein Kontinent. In Wirklichkeit ist Europa aber rund fünfmal so groß wie die Insel, die Trump laut eigener Aussage den Dänen entreißen will.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Trumps Irrtum
Ein Blick auf eine Karte löst etwas aus, nicht nur bei Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch bei Politikerinnen und Politikern. So droht US-Präsident Donald Trump, Grönland (einen selbstverwalteten Teil Dänemarks) zu erobern, um den Vereinigten Staaten dessen Bodenschätze zu sichern.
Kartograf Gartner sagt: "Meine Vermutung ist bei Trump und Grönland wirklich, dass er einfach eine Karte mit einer Mercator-Projektion vor sich hatte, die Größe sah und sich dachte: Das will er haben." Tatsächlich erzählte Trump den US-Autoren Peter Baker und Susan Glasser für ein Buch über seine erste Amtszeit: "Ich liebe Landkarten. Und ich habe immer gesagt: Schaut euch die Größe (von Grönland, Anm.) an. Es ist riesig. Das sollte ein Teil der Vereinigten Staaten sein."
Russlands vermeintliche Maße
Auch dass die in Westeuropa verbreiteten Ängste vor Putins Russland durch die alte Mercator-Projektion bis heute verstärkt werden, will Gartner nicht ausschließen. Auf Mercator-Karten wird Russlands Fläche stark ausgedehnt. "Die Größe Russlands spielt eine Rolle für unsere Wahrnehmung des Landes. Wenn ich dazu neige, etwas als bedrohlich wahrzunehmen, dann verstärkt die Größe dieses Gefühl der Bedrohlichkeit", sagt der Kartograf.
Bei der Mollweide-Projektion aus dem frühen 19. Jahrhundert wird die Erdoberfläche als Ellipse dargestellt.
IMAGO/Depositphotos
Alternativen
Seit Mercator gab es unzählige Versuche, die Weltkugel besser auf eine Fläche zu bringen. Als Erfolg gilt die amerikanische Robinson-Projektion aus den 1960er-Jahren. Sie beruht nicht auf einer geschlossenen mathematischen Formel, sondern auf einer Tabelle von Referenzpunkten. Das Ziel: eine möglichst verzerrungsfreie Weltkarte.
Berühmt ist auch die Winkel-Tripel-Projektion – ein Kompromiss zwischen Flächen- und Winkeltreue. Die in Schulbüchern beliebte Mollweide-Projektion wiederum stellt die Erde als Ellipse dar. Sie ist flächentreu (nicht winkeltreu) und wird gerne für Karten zu Vegetation und Klima verwendet.
2021 verkündeten US-Wissenschafter, die zweidimensionale Darstellung der Erde noch einmal verbessert zu haben. Sie stellten die Erde – sehr verzerrungsarm – als runde Scheibe mit zwei Seiten dar, ähnlich einer Schallplatte. Eine Seite zeigt die nördliche Halbkugel, die andere die südliche. Die Scheiben kann man nebeneinanderlegen oder zusammenkleben. In dieser Darstellung ist die Erde also weder Kugel noch Scheibe, sondern eine Doppelscheibe.
(Lukas Kapeller, 2.3.2025)
Warum viele Karten Russland größer wirken und andere Staaten scheinbar schrumpfen lassen
Warum viele Karten Russland größer wirken und andere Staaten scheinbar schrumpfen lassen
Karten prägen unser Bild von der Welt, zugleich verzerren sie es. DER STANDARD hat Länder so verschoben, dass unsere Weltsicht infrage gestellt wird

Russlands Machthaber Wladmir Putin (rechts) mit Waleri Sorkin, dem Präsidenten des Verfassungsgerichts, beim Studium einer historischen Karte.
IMAGO/ZUMA Wire
Donald Trump hat Appetit auf Grönland und Kanada. Wladimir Putin hat immer bessere Chancen, sich noch größere Teile der Ukraine einzuverleiben. Und auch im Gazastreifen tobt Krieg. Wer die weltpolitischen Geschehnisse und Katastrophen verfolgt, hat in den vergangenen drei Jahren vielleicht öfter auf die Weltkarte geblickt als zuvor. Aber was sieht man da eigentlich?
Die Macht der Kartografie
Auf vielen Weltkarten wirken beispielsweise Russland, Kanada, Grönland und Skandinavien viel größer, als sie tatsächlich sind. Diese Darstellung der Welt in vielen Atlanten und Apps beruht auf der sogenannten Mercator-Projektion. In der Kartografie ist mit "Projektion" gemeint, dass die gekrümmte Oberfläche der Erde auf eine flache Karte übertragen wird. Gerhard Mercator war im 16. Jahrhundert ein bedeutender Kartograf.
Die Mercator-Projektion wurde deshalb so ein großer und nachhaltiger Erfolg in der Geschichte der Kartenherstellung, weil sie winkeltreu ist. Seefahrer und Eroberer konnten sich darauf verlassen, einen Winkel zu messen und zu ihrem Zielhafen zu kommen. Der Preis für Mercators Winkeltreue ist eine starke Verzerrung der Flächen. Die Verzerrung wird immer frappanter, je weiter man nach Norden oder Süden blickt.
"Meine Vermutung ist bei Trump und Grönland wirklich, dass er einfach eine Karte mit einer Mercator-Projektion vor sich hatte, die Größe sah und sich dachte: Das will er haben."
Georg Gartner, Professor für Kartografie an der TU Wien

Das ohnehin große Russland wächst in der Mercator-Projektion (links unten) durch immer stärkere Verzerrungen in Richtung Norden auf noch kolossalere Größe. Tatsächlich passt die Fläche Russlands fast zweimal in Afrika hinein.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Verzerrungen
Ein paar Beispiele: Russland erscheint in einer Mercator-Projektion viel größer als Afrika. Tatsächlich ist der Kontinent 30 Millionen Quadratkilometer groß. Russland ist zwar der größte Staat der Welt, hat aber nur rund 17 Millionen Quadratkilometer Fläche.
Grönland wirkt auf einer Mercator-Karte riesenhaft wie ein Kontinent. Die Insel ist mit 2,2 Millionen Quadratkilometern zwar tatsächlich sehr groß, aber von Süden nach Norden ist es nicht viel weiter als von Süditalien bis nach Norddeutschland. Staaten, die näher am Äquator liegen, schrumpfen im Verhältnis hingegen, etwa Indien und Mexiko.
Geht der Blick ganz weit nach Süden, nimmt die Verzerrung wieder zu. Neuseeland wirkt ein gutes Stück größer, als es ist. Umso mehr gilt dies für die Landmasse rund um den Südpol, die Antarktis.

China hat knapp zehn Millionen Quadratkilometer, Russland 17 Millionen. In der Mercator-Projektion wirkt Russland aber noch größer. Auf thetruesize.com können Userinnen und User übrigens beliebig Staaten verschieben und deren wahre Größe prüfen.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Das Google-Weltbild
Neben der Mercator-Projektion gibt es dutzende andere Methoden zur Darstellung der Welt, etwa solche, die flächentreu, dafür aber nicht winkeltreu sind. Der Kartendienst Google Maps verwendete bis 2018 die Mercator-Projektion, wechselte damals aber auf eine andere Darstellung beim Hinauszoomen: Statt einer Mercator-Karte gab es nun einen Globus zu sehen, also den dreidimensionalen Planeten, der die Proportionen zwischen den Staaten wahrte.
Nutzt man Google Maps, Stand 2025, in einem Webbrowser in Österreich, dehnen sich Russland, Grönland und Kanada aber nach wie vor unverhältnismäßig aus. Google Maps verwende "im Prinzip eine Mercator-Projektion", bestätigt Georg Gartner, Professor für Kartografie an der TU Wien.

Indien wirkt auf einer Mercator-Karte wegen seiner Nähe zum Äquator im Verhältnis zu nördlich gelegenen Staaten kleiner. Tatsächlich würde der Staat von Sizilien bis Norwegen und von London bis Moskau reichen.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Gewohnheitssache
Warum die Mercator-Projektion in Atlanten und Apps bis heute populär geblieben ist? "Sie ist irgendwann bekannt und damit vertraut geworden. Die Popularität hat auch etwas damit zu tun, dass die Längenkreise und Breitenkreise rechtwinkelig zueinander stehen, das ist vielen sympathisch. Mit der Mercator-Projektion kann man ein rechtwinkeliges Blatt Papier füllen. Und dass die Darstellung für Europa günstig ausfällt, hat bei europäischen Kartenmachern wahrscheinlich auch eine Rolle gespielt", sagt Gartner dem STANDARD.
Land- und Seekarten spiegeln eben nicht nur Politik wider – mit Karten wird immer auch Politik gemacht. "Karten haben eine enorme Wirkung darauf, wie wir die Welt für uns abspeichern und verstehen", sagt Gartner. Jede Karte sei in einem politischen, sozialen und kulturellen Kontext zu verstehen.

Grönland wirkt auf einer Mercator-Karte so groß wie ein Kontinent. In Wirklichkeit ist Europa aber rund fünfmal so groß wie die Insel, die Trump laut eigener Aussage den Dänen entreißen will.
DER STANDARD/Fatih Aydogdu
Trumps Irrtum
Ein Blick auf eine Karte löst etwas aus, nicht nur bei Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch bei Politikerinnen und Politikern. So droht US-Präsident Donald Trump, Grönland (einen selbstverwalteten Teil Dänemarks) zu erobern, um den Vereinigten Staaten dessen Bodenschätze zu sichern.
Kartograf Gartner sagt: "Meine Vermutung ist bei Trump und Grönland wirklich, dass er einfach eine Karte mit einer Mercator-Projektion vor sich hatte, die Größe sah und sich dachte: Das will er haben." Tatsächlich erzählte Trump den US-Autoren Peter Baker und Susan Glasser für ein Buch über seine erste Amtszeit: "Ich liebe Landkarten. Und ich habe immer gesagt: Schaut euch die Größe (von Grönland, Anm.) an. Es ist riesig. Das sollte ein Teil der Vereinigten Staaten sein."
Russlands vermeintliche Maße
Auch dass die in Westeuropa verbreiteten Ängste vor Putins Russland durch die alte Mercator-Projektion bis heute verstärkt werden, will Gartner nicht ausschließen. Auf Mercator-Karten wird Russlands Fläche stark ausgedehnt. "Die Größe Russlands spielt eine Rolle für unsere Wahrnehmung des Landes. Wenn ich dazu neige, etwas als bedrohlich wahrzunehmen, dann verstärkt die Größe dieses Gefühl der Bedrohlichkeit", sagt der Kartograf.

Bei der Mollweide-Projektion aus dem frühen 19. Jahrhundert wird die Erdoberfläche als Ellipse dargestellt.
IMAGO/Depositphotos
Alternativen
Seit Mercator gab es unzählige Versuche, die Weltkugel besser auf eine Fläche zu bringen. Als Erfolg gilt die amerikanische Robinson-Projektion aus den 1960er-Jahren. Sie beruht nicht auf einer geschlossenen mathematischen Formel, sondern auf einer Tabelle von Referenzpunkten. Das Ziel: eine möglichst verzerrungsfreie Weltkarte.
Berühmt ist auch die Winkel-Tripel-Projektion – ein Kompromiss zwischen Flächen- und Winkeltreue. Die in Schulbüchern beliebte Mollweide-Projektion wiederum stellt die Erde als Ellipse dar. Sie ist flächentreu (nicht winkeltreu) und wird gerne für Karten zu Vegetation und Klima verwendet.
2021 verkündeten US-Wissenschafter, die zweidimensionale Darstellung der Erde noch einmal verbessert zu haben. Sie stellten die Erde – sehr verzerrungsarm – als runde Scheibe mit zwei Seiten dar, ähnlich einer Schallplatte. Eine Seite zeigt die nördliche Halbkugel, die andere die südliche. Die Scheiben kann man nebeneinanderlegen oder zusammenkleben. In dieser Darstellung ist die Erde also weder Kugel noch Scheibe, sondern eine Doppelscheibe.
(Lukas Kapeller, 2.3.2025)