Auf den Spuren jüdisch-ungarischer Zwangsarbeit in Wien

josef

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Auf den Spuren jüdisch-ungarischer Zwangsarbeit
Im Frühjahr 1944 hat Nazi-Deutschland Ungarn besetzt - das Todesurteil für die meisten ungarischen Jüdinnen und Juden. Viele kamen zur Zwangsarbeit nach Wien. Eine digitalen Landkarte macht die Spuren nun sichtbar.

Die Schlosserei Otto Kiesler am Ruprechtsplatz 1, die Teppich- und Möbelstoffwerke Aktiengesellschaft am Rudolfsplatz 13a, die Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft in der Herrengasse 16, die Länderbank Am Hof 2 und die Alte Feldapotheke am Stephansplatz 8 - das sind nur einige Adressen in der Wiener Innenstadt, die symbolisch für die ungarisch-jüdische Zwangsarbeit in Wien stehen. An der Adresse Ruprechtsplatz 1 befindet sich heute das Restaurant Salzamt. 1944 war das anderes, sagt der Historiker Bela Rasky. „Früher befand sich hier eine Schlosserei. Die Schlosserei Otto Kisler.“


Tanja Malle/ORF
An der Adresse Ruprechtsplatz 1 befand sich die Schlosserei Kisler. Hier arbeiteten jüdische Zwangsarbeiter aus dem Südosten Ungarns. Sie überlebten. Bereits im April 1945 ermöglichte ihnen die Rote Armee die Heimreise.

Bela Rasky, Geschäftsführer des Wiener Wiesenthal Instituts, führt durch die Wiener Innenstadt. An Orte der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeit. Mehr als 80 davon wurden von ihm sowie von deutschen und ungarischen Kollegen in den vergangenen Jahren identifiziert.

„Die Schlossere Kisler zeigt: Es sind nicht nur Großbetriebe, sondern auch Kleinbetriebe, die von der Zwangsarbeit profitieren.“ Dennoch ist die Schlosserei Kisler ein Spezialfall: Die hier zur Zwangsarbeit eingesetzten ungarischen Juden und Jüdinnen überleben – nach der Befreiung im Mai 1945 hält man jahrelang Kontakt. Denn Otto Kisler soll seine Arbeiter verhältnismäßig gut behandelt haben.


Tanja Malle/ORF
Rudolfsplatz 13a: Hier befand sich die Firmenzentrale des Textilbetriebes „Teppich- und Möbelstoffwerke AG“. Das Unternehmen wurde 1938 von seinen jüdischen Besitzern geraubt. Produziert wurde nicht in der Wiener Innenstadt, sondern in Groß-Sieghart im Bezirk Waidhofen an der Thaya i Niederösterreich. U.a. wurden Decken für die Wehrmacht hergestellt.

Der Großteil der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen wird ab dem Frühjahr 1944 in den Außenbezirken Wiens und im Großraum der Stadt eingesetzt – etwa in Maschinenfabriken, in Betonwerken, in Ölraffinerien. Das sind Industrien und Betriebe, auf denen die österreichische Nachkriegswirtschaft aufbaut.

„Auch die Stadt Wien profitiert von der Zwangsarbeit“, sagt Bela Rasky: „Sie hat Unterkünfte bereitgestellt und hat dafür von den Zwangsarbeitgebern Geld kassiert. Und sie hat selbst Zwangsarbeiter angestellt, in Essling, in den landwirtschaftlichen Betrieben. Auch in den städtischen Spitälern arbeiten Zwangsarbeiter für die Stadt."


Tanja Malle/ORF
Tiefer Graben 16, die Wohnung von Wilhelm Danneberg und Franzi Löw. Hier wurden Kleidung und Lebensmittel gehortet, mit denen die ungarische-jüdischen Zwangsarbeiter versorgt wurden.

Aufgrund des Kriegszustandes herrscht in Wien ein eklatanter Arbeitskräftemangel. Den Einsatz der insgesamt rund 55.000 ungarischen Zwangsarbeiter in Ostösterreich koordiniert das SS-Sonderkommando Eichmann. An diese Stelle geht auch der Lohn der Zwangsarbeiter. Kinder ab zwölf Jahren werden herangezogen. „Kinder wurden etwa am Wiener Zentralfriedhof eingesetzt, der war auch Profiteur der Zwangsarbeit, für Gartenarbeiten. Und sie wurden zum Beispiel auf Dächer geschickt, um nach Bombenangriffen den Schutt wegzuräumen, beispielsweise lose Dachziegel.“


Tanja Malle/ORF
Am Hof 2 lautete die Adresse der Länderbank. Hier ging das Geld für die prekäre Verpflegung und mangelhafte Krankenversorgung der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen ein. Recherchen im Archiv der Bank Austria, diese hat die Länderbank übernommen, blieben ergebnislos. Die Auszüge gelten als verschollen.

Mehr als 26.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter überleben aufgrund von Hunger, Erschöpfung, Misshandlung und mangelnder medizinischer Betreuung und aufgrund von sogenannten Todesmärschen in den Tagen vor Kriegsende nicht.


Tanja Malle/ORF
Die Alte Feldapotheke am Stephansplatz 8 gibt es noch heute. Sie belieferte unter anderem das Luftgaukommando XVII in Wien-Hietzing, wo ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.

In Wien wird derzeit an einigen wenigen Orten an die ungarisch-jüdische Zwangsarbeit erinnert. Im Internet hat das Wiener Wiesenthal Institut nun die Geschichte von mehr als 80 dieser Orte auf einer digitalen Landkarte sichtbar gemacht. Auf der Seite Ungarische Zwangsarbeit in Wien finden sich zahlreiche weiterführende Informationen und Auszüge aus Originalquellen. Darunter Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Sowie Vorschläge zu Gedenktouren: Sei es durch den Großraum Wien oder den Arbeiter- und Arbeiterinnenbezirk Favoriten.

Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft

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Publiziert am 26.09.2018
Auf den Spuren jüdisch-ungarischer Zwangsarbeit - science.ORF.at
 
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