Architekturstudenten der TU Graz gestalteten eine Ausstellung über den Widerstand gegen das NS-Regime

josef

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SPURENSUCHE
Steirischer Widerstand gegen das NS-Regime
Angehende Architekten der TU Graz gestalteten eine Ausstellung über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Rekonstruktionsmodell KZ-Außenlager Eisenerz: Die Studierenden ermittelten die genaue Lage anhand von Berichten und Skizzen.
Foto: Waltraud Indrist

"Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass man viel mehr hätte machen können, als gemacht wurde im Kampf gegen den Faschismus": Diesen Satz schrieb Mathilde Auferbauer in den 1950er-Jahren in einem Bericht über den Widerstand von Frauen in der Obersteiermark.

Ihr selbst war dieser Vorwurf sicher nicht zu machen – setzte sie doch mit ihrer Unterstützung der Partisanengruppe "Österreichische Freiheitsfront" in Leoben-Donawitz jahrelang ihr Leben aufs Spiel. So organisierte sie etwa im September 1943 eine Gruppe von über 100 Frauen, die Quartiere in der Umgebung von Leoben bereitstellten, Lebensmittel, Kleidung und Waffen sammelten, Flugblätter verteilten und einen Nachrichtendienst aufbauten.

Ihr Kampf gegen das NS-Regime brachte die junge Kindergärtnerin und Kommunistin schließlich ins KZ Ravensbrück, aus dem sie 1945 befreit werden konnte. Wie Mathilde Auferbauer gab es damals viele, die Widerstand leisteten: In Gruppen organisiert oder als Einzelpersonen führten sie Sabotageakte durch, verteilten Flugblätter, kämpften gegen das Regime oder praktizierten die unterschiedlichsten Formen von zivilem Ungehorsam.

Jeder Einzelne riskierte damit sein Leben, und viele verloren es. Besonders hohe Verluste hatten die Partisanen der "Kampfgruppe Steiermark", die im slowenisch-steirischen Grenzgebiet rund um Deutschlandsberg agierten.

Rekonstruktionen
Die Erinnerungen an Akteure des Widerstands sind in der lokalen Bevölkerung kaum dokumentiert. Um auch diese Seite der österreichischen NS-Vergangenheit im Bewusstsein der Menschen zu verankern, haben Lehrende des Instituts für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften an der TU Graz ein besonderes Projekt initiiert.

Unter Anleitung eines interdisziplinären Teams aus Zeithistorikern, Architekten und Kulturwissenschaftern sollten die Studierenden anhand von vier exemplarisch ausgewählten Orten in der Steiermark verschiedene Aspekte von Widerstandshandlungen dokumentieren. Die Basis dafür lieferte vor allem die Publikation Widerstand und Verfolgung in der Steiermark sowie Archivrecherchen.

Forensische Architektur
Verschiedene Orte des Geschehens wurden mit den Mitteln der forensischen Architektur rekonstruiert und eine "Topographie des Widerstands" erstellt. Den Methoden der forensischen Architektur folgend gelang es den Studierenden, erstmals die genaue Lage des KZ-Außenlagers Eisenerz zu ermitteln und die Ausmaße einzelner Gebäude zu rekonstruieren.

Die Basis dafür lieferten unter anderem Berichte und Skizzen des ehemaligen KZ-Häftlings und Überlebenden Jan Otrebski sowie historische Luftbildaufnahmen und Konstruktionszeichnungen von Baracken. Überdies recherchierten sie einzelne Biografien der im KZ Eisenerz inhaftierten Menschen, die wegen ihrer Religion, Waffenschmuggels, Spionage oder der Rettung von Gefangenen aus der Résistance, aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei oder diverser Widerstandshandlungen dort interniert worden waren.

Beseitigung der Spuren
Ähnlich gingen die angehenden Architekten in einer anderen Fallstudie vor. In der SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf wurden im April 1945 über 200 Menschen erschossen, was die Verantwortlichen durch die Beseitigung der Spuren vertuschen wollten.

Konkret haben die Studierenden anhand eines 3D-Modells der Siedlung rund um die Kaserne eine schalltechnische Simulation erstellt, welche die Hörweite der Massenerschießungen bis weit in das benachbarte Wohngebiet zeigt. Auch hier erwies sich bei den Recherchen über die Opfer, dass ein Teil von ihnen dem NS-Widerstand angehörte.

Während die Mehrheit der Bevölkerung in den Industriestädten entlang der steirischen Eisenstraße nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen den "Anschluss" Österreichs an das Dritte Reich befürwortete, formierte sich in dieser Region auch starker Widerstand. In Leoben-Donawitz etwa in Gestalt der kommunistisch dominierten Österreichischen Freiheitsfront (ÖFF).

Netz des städtischen Widerstandes
Die ÖFF führte Sabotageaktionen gegen die kriegswirtschaftliche Infrastruktur der Nationalsozialisten durch, vor allem Sprengungen von Gleisanlagen. Um die Partisanen mit allem Nötigen zu versorgen, riskierten auch im Stadtgebiet von Leoben viele Menschen ihr Leben. Für die Ausstellung wurde dieses städtische Widerstandsnetz anhand einer Stadtkarte rekonstruiert.

Die Textblöcke geben einen Überblick über die damaligen Ereignisse und vermitteln auch einen Eindruck von der Gefahr, in der die Widerstandskämpfer permanent schwebten. Zum Beispiel wird von einer groß angelegten Verhaftungswelle im Sommer 1944 berichtet, bei der rund 500 Verdächtige festgenommen, gefoltert, in Konzentrationslager verschleppt oder hingerichtet wurden.

In Worten und Bildern erzählt wird auch die unglaubliche Geschichte des Uhrmachers Ferdinand Andrejowitsch, der über die eingestellte Zeit auf den Uhren im Schaufenster seines Leobener Geschäfts die Partisanen mit Informationen versorgte. Auf diese Weise wurde ihnen mitgeteilt, wann ein Treffen stattfindet, ob unmittelbare Gefahr droht oder Flugblätter abzuholen sind.

Mobiles Tafelsystem
Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Widerstand sollten die Studierenden auch ein Konzept für die Präsentation ihrer Recherchen und Analysen an den vier untersuchten Orten – Graz, Deutschlandsberg, Leoben und Eisenerz – erarbeiten. Die Wahl fiel letztlich auf ein mobiles Tafelsystem. "Diese ringförmig aufstellbaren Displays erzeugen einen Außen- und einen Innenraum, wobei Letzterer an den jeweiligen Ausstellungsort angepasste Inhalte zeigen wird", erklärt die Architektin Waltraud Indrist, die das Projekt mit dem Zeithistoriker Heimo Halbrainer, dem Kulturwissenschafter Daniel Gethmann und der Grafikerin Marie Fegerl betreut hat.

Der "Außenraum", also die von außen sichtbare Seite der Displays, bleibt mit seinen allgemeinen Infos zum Widerstand in der Steiermark zwischen 1938 und 1945 an allen vier Ausstellungsorten gleich. Auf beiden Seiten sind neben Faksimiles von Originaldokumenten, Fotos und kurzen Info-Texten auch Grafiken zu sehen.
(Doris Griesser, 19.5.2020)

Eigentlich hätte die Ausstellung "Topographie des Widerstands in der Steiermark. 1938–1945" bereits ihre Wanderung aufnehmen sollen. Wegen der Corona-Krise werden die wetterfesten Displays nun ab Ende Mai zu sehen sein, die Termine werden auf der Homepage des TU-Instituts angekündigt.
Steirischer Widerstand gegen das NS-Regime - derStandard.at
 
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