Alte und neue sowjetische Landkarten

josef

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#1
Zehn Fakten zu hochgeheimen sowjetischen Landkarten

Das sowjetische Militär verfügte über die detailliertesten Landkarten der Welt – auch von österreichischen Städten

Heute ist die Welt – mit Einschränkungen – ein offenes Buch: Google Maps liefert detaillierte Satellitenbilder zu allen erdenklichen Orten der Welt, auf Wikipedia wird das geballte Wissen der Welt gesammelt – und Wikileaks legt auch noch hochgeheime Dokumente drauf. Vor der Erfindung des Internets war es noch ungemein schwieriger, die Welt zu vermessen und das vorhandene Wissen zu visualisieren. Einen faszinierenden Einblick in Versuche, Macht durch Wissen zu schaffen, liefern nun sowjetische Landkarten, die langsam ihren Weg ins Netz finden.

Verantwortlich dafür sind Menschen wie Russel Guy von Omnimap, der sich etwa 1989 ins estnische Tallinn aufmachte, um dort für 250.000 Dollar tausende hochgeheime Landkarten zu erwerben. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien zu den Karten, auch die Netzgemeinde versucht deren letzte Rätsel zu lösen. Faszinierend sind die Karten allemal, wie zehn Fakten dazu zeigen:

•Die Landkarten wiesen weit mehr Details als ihre westlichen Pendants auf. Wer die hochgeheimen Sowjet-Karten mit britischen Landkarten vergleicht, sieht, dass bei Ersteren beispielsweise Änderungen im Straßenverlauf sofort markiert wurden.

•Das geschah durch eine Vielzahl an Spionen vor Ort, die oft verkleidet geografische Gegebenheiten ausspähten oder die Länge von Gebäuden vermessen haben. So kann man in sowjetischen Karten sogar Details über Hochsicherheitszonen erfahren, die in europäischen oder US-Karten einfach weiß gelassen wurden.

•Die Sowjets mussten so detaillierte Karten anfertigen, da sie in der Luft den US-Amerikanern unterlegen waren, analysiert Wired. Ein sowjetischer Vorstoß wäre primär über Panzer und Truppen erfolgt, weniger über Luft und See – deshalb waren die geografischen Gegebenheiten so wichtig.

•Wer als Sowjet-Militär eine solche Karte verlor (überhaupt hatten nur obere Führungskräfte Zugang), musste mit schlimmsten Strafen rechnen. Noch 2012 wurde ein Geographe verurteilt, weil er Landkarten an die USA verkauft hatte.

•Für manche europäischen Städte wurden sogar Karten im Maß 1:10.000 angefertigt. Diese verfügen über drei Dimensionen, beispielsweise sind Strom- und Gasleitungen eingezeichnet.

Dreizehn österreichische Städte wurden im höchsten Detailgrad abgemessen, um gegebenenfalls bei einer Invasion mit perfekten Plänen angegriffen zu werden: Baden, Bregenz, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Kufstein, Linz, Mödling, Salzburg, St. Pölten, Steyr, Wels und natürlich Wien. Manche Karten stammen noch aus den späten 1980ern, sind aber leider noch nicht online.

•Sowjetische Einwohner hatten hingegen selbst nur sehr schlechte Karten – auch das diente militärischen Zwecken. Offiziell verkaufte Karten basierten auf der riesigen Weltkarte im Maßstab 1: 250.000.000, die einfach vergrößert wurde – was natürlich relativ sinnfrei ist. Außerdem wurden landschaftliche Gegebenheiten weiter verzerrt, um die Gegner zu verwirren. Währenddessen fertigte das Militär mehr als 1,1 Millionen Landkarten an.

•Sowjetische Militärs berechneten etwa, wie laut Schuhe im Schnee knacksen oder aus welcher Entfernung man bei Nacht eine glimmende Zigarette sieht. Das wurde dann in einigen Karten eingetragen.

•Teilweise weisen die Karten aber auch absurde Fehler auf, wie Wired berichtet. So wurden US-Bundesstaaten verwechselt, in London wurde eine U-Bahn-Linie "erfunden".

•Die Landkarten wurden in den 1990ern von großen Telekomkonzernen gekauft, da sie die detailliertesten Infos zu infrastrukturell noch unerschlossenen Gebieten in Afrika oder Asien aufwiesen. Glasfaser und Festnetz-Routen basieren in diesen zwei Kontinenten also oft auf früher hochgeheimen Sowjet-Landkarten.

•Noch kurioser: Die US-Regierung gilt selbst als einer der größten Käufer von Sowjet-Karten, die beispielsweise noch 2001 beim Krieg in Afghanistan genutzt wurden.

Mittlerweile regiert der Satellit
Mit der National Geospatial Agency (NGA) verfügen die USA allerdings selbst über eine hochpotente Agentur für geheime Landkarten – die übrigens in den kommenden Jahren innerhalb der Geheimdienst-Community an Bedeutung gewinnen soll. Interessierte können sich die Landkarten der Sowjets an einer Vielzahl von Orten besorgen oder ansehen: Im Netz bietet etwa "SovietMaps.com" eine gute Übersicht, auf Mapstor kann man digitalisierte Karten gegen ein geringes Entgelt herunterladen – und so selbst einen Einblick in das laut Wired "Google Maps und Wikipedia" der Sowjets erhalten. (fsc, 23.7.2015)
Text und Kartenausschnitte: derStandard.at

Links:

Wired: Inside the Secret World of Russia’s Cold War Mapmakers

Sovietmaps.com: Soviet Military Topographic Maps of Britain and the World | Soviet Military Topographic Mapping

Kartenausschnitte von Sowjet-Karten:
 

Anhänge

#3
Sowjetische Karte 1:100.000 Donauraum zwischen Aschach und Zwentendorf mit Eintragungen v. 11.05.1945

Hallo! Weiß nicht, ob das direkt hilft, aber immerhin etwas: auf dieser Karte
https://pamyat-naroda.ru/documents/...ani:plani_operaciy:karti:shemi:spravki:drugie
ist die Verteilung aller zur 4. Gardearmee gehörigen Einheiten in der Gegend am 11.05.1945, 6 Uhr früh, abgebildet. Je ober- und unterhalb von Amstetten die 5. und 7. Garde-Luftlandedivision, ein Panzerkorps (18. tk) ist auch in der Gegend, und östlich das 20. Garde-Schützenkorps. Wer jetzt wirklich in Amstetten das Sagen hatte, ist natürlich eine ganz andere Frage. Aber von da ausgehend ist es vielleicht immerhin ein bisl leichter zum Weiterrecherchieren (hoffentlich). Viel Glück!

 
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#5
Stimmt. Entgegen der verbreiteten Vorurteile über den Organisationsgrad der Roten Armee bringt mich der Stand der damaligen sowjetischen Militärgeographie auch immer wieder zum Staunen. Das beginnt beim Kartengrundmaterial und setzt sich fort bei der häufig zu beobachtenden zeichnerischen Vor- und Nachbereitung selbst kleinerer Gefechte in Form von kleinen, treffsicheren Freihandkartenskizzen, die zwar oft nur auf irgendwelche alten Butterbrotfetzen gezeichnet, dabei aber immer so ästhetisch gestaltet sind, daß sie auf mich fast wie eine eigene kleine Kunstgattung wirken. Vielleicht ist das ja nur eine Wissenslücke meinerseits, aber solch eine hochstehende (und anscheinend als selbstverständlich angesehene) zeichnerische Kommunikationskultur kenne ich ansonsten von keiner anderen Armee.
 

josef

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#7
Ein kleiner Vergleich eines Kartenausschnittes zwischen der Letztausgabe "Deutsche Heereskarte 1:100.000" IV/1945, Blatt 431 Tulln, mit überarbeiteten Daten v. 28 08.1944 mit einem in etwa gleichen Ausschnitt der von @der iwan verlinkten sowjetischen Karte:
(Ein exakt gleicher Ausschnitt ist leider nicht möglich...)

Bereich Zwentendorf - Moosbierbaum:

1574686797970.png
1574687374620.png
 
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#8
Auffallend, wie allgemein gehalten die Beschriftung der Anlage ist - "khim. fabr.", also "Chemische Fabrik" - da scheinen sie sich wohl noch nicht ganz sicher gewesen zu sein, was dort wirklich gemacht wird. Und Isabella dürfte zum Redaktionszeitpunkt der Karte wohl noch nicht existiert haben... werde mal schauen, ob sich der herausfinden oder eingrenzen läßt. Vielleicht steht´s ja eh irgendwo am Rand.
 

josef

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#9
ob sich der herausfinden oder eingrenzen läßt. Vielleicht steht´s ja eh irgendwo am Rand.
Habe nochmals nachgesehen:
Rechter Rand oben

1574717475680.png
Also eine alte Basiskarte in der anscheinend nur die Projekte der RAB nachgetragen wurden! Es fehlen auch z.B. die Industriekomplexe in und um Linz, St.Valentin, Fliegerhorste Hörsching und Markersdorf, Hafenanlagen in Linz und Krems usw. ...
Auch andere militärische Anlagen (Kasernen, Lager usw.) sind nicht ergänzt...
 
#10
Stimmt. In Parndorf zB (die Gegend, mit der ich mich hauptsächlich beschäftige) ist der Flugplatz in der Grundkarte auch nicht nachgetragen. Aus den schriftlichen Gefechts- und Marschunterlagen geht aber recht klar hervor, daß die Russen auf ihrem Vormarsch schon ziemlich genau im Bild waren, was es alles so gab und wo. Allerdings eher indirekt aufgrund der Art der Erwähnung im Anlaßfall. Irgendwelche im Vorfeld erstellten Zusammenstellungen potentiell "interessanter" oder "gefährlicher" Objekte sind mir noch nicht untergekommen, obwohl es diese Informationen gegeben haben muß. Liegt vielleicht daran, daß so etwas schon eher in den Bereich des NKWD fiel und deshalb dann nicht gemeinsam mit den anderen Unterlagen archiviert werden durfte, sondern zurück in die Lubjanka wanderte - das ist aber nur eine Vermutung von mir.
 
#11
Die fehlenden Nachträge in den Karten (trotz wohl vorhandener Informationen) dürften auch mit der prinzipiellen Wichtigkeit zusammenhängen, die die Russen dem Informationskrieg zuwiesen. Schließlich hätten solche Karten dem Feind in die Hände fallen können und sind es sicher auch gelegentlich. Nach der russischen Strategie der "maskirovka", also "Irreführung", sollte der Gegner nicht nur irrig über die eigenen Dispositionen informiert sein, sondern auch bezüglich des über ihn selbst vorhandenen Wissens - man stellt sich also quasi blind... Das machte die Arbeit der deutschen Aufklärung extrem schwierig. Das beste Beispiel für dieses "Informationstheater" ist der Beginn der Operation Bagration, als der Abteilung Fremde Heere Ost mit Hilfe von detaillierten und aufwendigen Inszenierungen erfolgreich eine völlig andere Hauptstoßrichtung als die eigentlich geplante vorgegaukelt wurde, mit desaströsem Ergebnis für die deutsche Verteidigung.
 
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