Alt-Madlitz

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Der Tagessoiegel, 12.10.2003

Wo RAF-Terroristen DDR lernten
Rund ums einstige Waldversteck der Stasi in Alt-Madlitz entsteht ein Freizeitdorf

Von Claus-Dieter Steyer

Abgelegen, verborgen und möglichst unzugänglich – solche Orte suchte die Stasi für geheime Aktionen. In Brandenburg gab es genug davon. Die dünne Besiedlung des Landstrichs und viel unberührte Natur boten sich dafür geradezu an.

Wo es besonders einsam war, geschahen die brisantesten Dinge. In Alt Madlitz, fast auf halber Strecke zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) gelegen, nutzte der Geheimdienst im Wald versteckte Baracken unter anderem für in der DDR untergetauchte RAF-Terroristen. Hier erhielten sie wochenlang Unterricht in sozialistischer Alltagskunde, um als brave Bürger unauffällig ein zweites Leben beginnen zu können. Erst nach der Wende wurde das alles ruchbar.

Einst Offiziersheim, heute Hotel

Die Gegend ist noch so einsam wie damals, aber sonst hat sich am Ort viel getan. Bald soll hier gar ein Natur- und Freizeitdorf zur Erholung einladen und der Anfang ist schon gemacht. Im früheren Offiziersheim ist ein Hotel mit 16 Zimmern entstanden. Es gibt bereits einige Ferienwohnungen und auch eine Reithalle ist bereits entstanden.

„Wir mussten uns vor acht Jahren sputen“, erzählt der aus Düsseldorf stammende Architekt Walter Brune. „Denn der Reiz dieses herrlichen Fleckens hatte sich erstaunlich schnell herumgesprochen. Bei der Treuhand standen wir als Kaufinteressent vor allem in Konkurrenz mit zweifelhaften Sekten und Wehrsportgruppen.“ Heute sei er froh, um „diese Wälder und den Madlitzer See“ so vehement gekämpft zu haben.

Für die Zukunft ist er sehr optimistisch. Gerade weil die noch bis 2005 fertigzustellende Anlage so abseits der bekannten Touristenziele liegt, hofft Brune auf eine gute Nachfrage von Ausflüglern, Urlaubern und Tagungsveranstaltern.

Der 75-jährige Architekt stieß durch die Freundschaft mit Karl Wilhelm Graf Finckenstein auf den längst nicht auf allen Straßenkarten verzeichneten Ort Alt Madlitz. Die Finkensteins herrschten hier seit 1751. Neben dem Schloss und diversen Gebäuden in der Nachbarschaft gehörten der ursprünglich aus Ostpreußen stammenden Familie auch eine anderthalb Kilometer vom Dorf entfernte Mühle, ein Forsthaus und ein Fischerhaus. 1945 flohen die letzten Schlossbewohner vor der heranrückenden russischen Armee nach Westen. Die Enteignung ließ nicht lange auf sich warten. In das Haus zogen zuerst Flüchtlingsfamilien aus dem Osten und dann der Kindergarten ein, während später die Stasi die Anwesen am See requirierte und das Gelände absperrte.

Nach der Wende kaufte der Graf das Schloss zurück und beauftragte den Düsseldorfer Architekten mit der Restaurierung. Das Schloss ist Besuchern heute nicht zugänglich, dafür aber der sehr schöne Park.

Ein Wanderlehrpfad führt durch das um 1800 fertiggestellte Gartenreich mit so manchen Überraschungen. Denn wer vermutet hier schon künstlich aufgeschüttete Berge und tiefe Schluchten? Es gibt sogar eine dorische Säulenhalle, einen Rundtempel und einen sogenannten Eiskeller in einem immergrünen Parkteil. Die an die Parks in Potsdam-Sanssouci und Rheinsberg erinnernden Sichtachsen verblüffen da schon weniger. Sie gehören einfach zu solchen großen Anlagen. Von dem einst 110 Hektar großen Areal sind heute noch 35 Hektar zugänglich.

Vom Park führt ein Wanderweg zum Madlitzer See. Ruderboote können für eine Rundfahrt über das von einem Schilfgürtel umgebene Gewässer ausgeliehen werden. Wer einen Angelschein besitzt, kann hier auf reiche Beute von Karpfen, Hechten, Zander und Schleien hoffen. Außerdem stehen Tretboote und geländegängige Fahrräder bereit.

Natürlich fehlt es in solch einsamer Gegend nicht an Gespenstergeschichten. So soll am See manchmal eine weiße Frau auftauchen, erzählen Dorfbewohner. Sie sei vor fast 200 Jahren eine schöne Tochter des Försters gewesen und habe sich in den damaligen Sohn des Grafen verliebt. Doch die herrschaftliche Familie untersagte eine Bindung zwischen den jungen Leuten aus unterschiedlichen Ständen. Eines Abends fuhr das Mädchen in einem Boot auf den See – und blieb verschwunden. Nur das leere Boot habe man am nächsten Morgen gefunden.

Zur gleichen Zeit, so erzählt man sich, begann der junge Graf ein Studium in England und fand dort eine neue Liebe. Oder auch nicht? Manche glauben, dass er die Förstertochter in Wahrheit entführte, andere meinen, sie sei im See ertrunken. Einsamkeit beflügelt eben die Fantasie.

Beim Wandern durch das Gebiet bleibt auch die jüngere Geschichte nicht völlig ausgeblendet. Stasi-Chef Mielke besaß hier eines seiner Jagdhäuser, und mitten im Wald steht ein zehn Meter tiefer Bunker mit den Resten einer Funkabhörstation und einem Schlafplatz für mehrere Soldaten. Vielleicht, so überlegt Investor Brune, könnte auch das mal zu einer Touristenattraktion werden. Doch im Vordergrund des Feriendorfes, so betont er, stehen Reiten, Angeln, Wandern, Radfahren, Tennis, Fitness sowie Schwimmen.

An die Stasi-Baracken und ihren einstigen Zweck wird bald kaum noch etwas erinnern.
 
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