1933/1939 – Hitler und der Herrgott

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
So manche Worte im Dunkel findet man nicht erst im tiefen Keller oder in der untersten Sohle eines Bergwerks. Die schriftlichen Spuren der finsteren 1930er-Jahre begegnen uns manchmal auch bei Sonnenlicht mitten in der Stadt Wien. So wie etwa an der Fassade des Thury-Hofs, wo die Künstlerin Maria Theresia Litschauer 2010 im Rahmen des Projekts [transkription] die Kontextualisierung einer 1939 angebrachten Terrakotta-Figur vorgenommen hat. Diese Statue in Gestalt eines schwerttragenden Kriegers „irritiert als nationalsozialistisches Implantat im Baukörper sozialdemokratischer Identität“*, denn der Thury-Hof ist ein Bauwerk des „Roten Wien“, errichtet 1925/1926.

Der für diese Statue verantwortliche Künstler ist Alfred Crepaz, der sich hauptsächlich „traditionsgebundener christlicher Kunst“* widmete. Wie Crepaz an den Auftrag gekommen ist, diese Statue zu erschaffen, ist nicht bekannt. Manche Künstler dieser Zeit waren überzeugte Nationalsozialisten und schufen derartige Werke mit Eifer, für andere wiederum waren solche Aufträge nur das täglich Brot, das das Überleben sichern sollte.


Terrakotta-Figur in Gestalt eines schwerttragenden Kriegers an der Fassade des Thuryhofs – darunter ein Spruch von Adolf Hitler.

Am 4. März 1933 hielt Adolf Hitler eine Rede in Königsberg (heute Kaliningrad/Russland). Der Spruch, der unter der Statue zu lesen ist, stammt aus dieser Rede. Er lautet:
„Wir bitten Dich Herrgott, laß uns niemals wankend werden und feige sein, laß uns niemals die Pflicht vergessen, die wir übernommen haben.“

Die Realität des Nationalsozialismus war jedoch weder 1933 noch zu anderer Zeit dem lieben Herrgott zugetan. 1932 und 1933 erreichte der NS-Terror in Österreich seinen Höhepunkt mit dem Bombenanschlag auf den Juwelier Futterweit in Wien und dem Granatenanschlag auf christliche Turner in Krems, die insgesamt drei Todesopfer forderten und das Verbot der NSDAP im Juni 1933 nach sich zogen.

Im Dezember desselben Jahres verfassten die österreichischen Bischöfe einen Hirtenbrief, in dem sie sich gegen die aggressive und gewalttätige NS-Ideologie aussprachen. Mit vier Argumenten bezogen sie eine klare Stellung gegen den Nationalsozialismus. Der erste Punkt des Briefes lautete:
„Die Menschheit ist eine einheitliche Familie, aufgebaut auf Gerechtigkeit und Liebe. Darum verurteilen wir den nationalsozialistischen Rassenwahn, der zum Rassenhaß und zu Völkerkonflikten führt, ja führen muß.“**


Ausschnitt einer Rede Adolf Hitlers vom 4. März 1933. Sein Name wurde nach dem Krieg „entfernt“.

Nachdem die katholische Kirche 1933 sowohl mit Deutschland als auch mit Österreich Konkordate geschlossen hatte, die die Beziehungen zwischen Staat und Kirche regeln sollten, dauerte es nicht lange, bis die Nationalsozialisten in Deutschland die Kirche massiv bedrängten und versuchten ihre Rechte einzuschränken. Dies führte 1937 dazu, dass die österreichische Kirche mittels Hirtenbriefes ihre Sympathie für die deutsche Kirche bekundete, um selbiger den Rücken zu stärken.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland am 13. März 1938 war die katholische Kirche bemüht, die Beziehungen zum NS-Regime möglichst friedlich zu gestalten, weshalb es am 15. März zum Treffen zwischen Kardinal Theodor Innitzer und Adolf Hitler im Hotel Imperial kam. Innitzer versicherte Hitler, dass die Katholiken hinter der nationalsozialistischen Führung stehen würden. Dieser versprach ihm daraufhin einen „religiösen Frühling“ für Österreich, der allerdings tatsächlich kaum über den Frühling 1938 hinauskam.

Bevor sich die neue Staatsführung offen antiklerikal betätigte, unterzeichnete Innitzer am 18. März 1938 die sogenannte „Feierliche Erklärung der Bischöfe“ handschriftlich mit „Heil Hitler!“. In dieser Erklärung richteten die österreichischen Bischöfe die Empfehlung an die Bevölkerung, am 10. April bei der Volksabstimmung zur „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ pro Anschluss abzustimmen. Diese Erklärung wurde von Papst Pius XI. mit den Worten beschrieben, „es gebe in der Geschichte der Kirche keine beschämendere Episode“.

Kurz darauf zeigte sich bereits das nationalsozialistische Verständnis für gegebene Versprechen: Die katholische Kirche wurde in Österreich restlos entfernt. Über 200 Stifte und Klöster wurden aufgelassen, das Vermögen der Kirche beschlagnahmt, sämtliche katholische Vereine aufgelöst, ebenso katholische Schulen, Heime, Werke, Stiftungen und Bildungseinrichtungen.

In der Folge wurden viele katholische Priester verhaftet, weil sie staatsgefährdende Predigten hielten, den Hitler-Gruß verweigerten, Juden und Flüchtlinge beherbergten, ausländische Radiosendungen hörten oder staatliche Verordnungen zu kirchlichen Befugnissen überschritten.
Teilweise warteten diese Priester jahrelang ohne Anklage in ihren Zellen auf den Prozess und dachten sich eventuell dabei: „Wir bitten Dich Herrgott, laß uns niemals wankend werden …“

* Schrifttafel mit dem Text von Maria Theresia Litschauer vor der Statue am Thury-Hof.
** Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934 (Wien 1935), S. 204.

Mehr zu den Jahren von 1918 bis zum „Anschluss“:
1918 bis zum „Anschluss“ – Worte im Dunkel
Mehr zu 1938 nach dem „Anschluss“:
1938 nach dem „Anschluss“ – Worte im Dunkel
Mehr zum NS-Terror 1932 und 1933:
1918 bis zum „Anschluss“ – Worte im Dunkel
Mehr zur Kirche im Nationalsozialismus:
1938 nach dem „Anschluss“ – Worte im Dunkel

Quellen:

Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934 (Wien 1935)

Erika Weinzierl, Kirche und Nationalsozialismus, online unter:
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, DÖW - Erkennen - Ausstellung - 1938 - Kirche und Nationalsozialismus (7. Februar 2020)

Website von Maria Theresia Litschauer, Konzept zu [transkription], online unter:
maria theresia litschauer / [transkription] / thury-hof (7. Februar 2020)

DasRoteWien.at, Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, Thury-Hof, online unter:
dasrotewien.at (7. Februar 2020)

Link zum Originalbeitrag: 1933/1939 – Hitler und der Herrgott – Worte im Dunkel
 
Oben