Spektakulärer Fund
Älteste Schusswaffe Nordamerikas in Arizona ausgegraben
Die knapp über einen Meter lange Bronzekanone aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde von der berühmten Coronado-Expedition aus Mexiko mitgebracht
Älteste Schusswaffe Nordamerikas in Arizona ausgegraben
Älteste Schusswaffe Nordamerikas in Arizona ausgegraben
Die knapp über einen Meter lange Bronzekanone aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde von der berühmten Coronado-Expedition aus Mexiko mitgebracht
Als Europas goldhungrige Konquistadoren im 16. Jahrhundert die Neue Welt eroberten, waren sie gegenüber den Ureinwohnern Amerikas hoffnungslos in der Unterzahl. Dennoch hatten die rücksichtslosen Glücksritter am Ende leichtes Spiel, denn sie hatten Krankheiten, Pferde und modernste Waffen im Gepäck. Neben Hieb- und Stichwaffen aus Stahl zählten dazu auch Handfeuerwaffen und kleine Geschütze, die sich leicht durch die Wildnis transportieren ließen und im Kampf unter den Ureinwohnern fürchterlichen Schaden anrichten konnten.
Archäologinnen und Archäologen legten im Süden Arizonas eine bronzene Kanone frei, die mit hoher Wahrscheinlichkeit der Expedition von Francisco Vázquez de Coronado von 1540 zuzuordnen ist. Das Bild zeigt die Fundsituation unter einem Gebäude im Santa Cruz Valley.
Foto: Deni Seymour et al.
Auf in die Neue Welt
Auch die berühmte Expedition von Vázquez de Coronado, der 1540 als erster Europäer bis in den Mittleren Westen der heutigen USA vorgedrungen ist, war mit solchen Hightech-Waffen ausgerüstet. Eine davon haben nun Forschende in Arizona entdeckt. Es ist ein außergewöhnlicher Fund, denn die rund 200 Kilometer südöstlich von Phoenix ausgegrabene Bronzekanone ist die älteste Schusswaffe, die jemals auf dem amerikanischen Festland gefunden wurde.
Der 1510 im spanischen Salamanca geborene Francisco Vázquez de Coronado war von adeliger Abstammung, hatte in der Erbfolge gegenüber seinem älteren Bruder aber das Nachsehen. Wie viele andere hochwohlgeborene junge Spanier dieser Zeit ohne Aussicht auf Erbschaft des Titels machte sich der 25-jährige Coronado als Konquistador auf in die Neue Welt. Zunächst ließ er sich in Mexiko-Stadt nieder, das auf den Trümmern der 14 Jahre zuvor zerstörten Aztekenhauptstadt Tenochtitlan errichtet worden war.
Sagenhaft reiche Städte
1539 und damit kurz nach seiner Hochzeit mit Beatriz de Estrada machte ihn sein alter Freund und nunmehrige Vizekönig von Neuspanien, Antonio de Mendoza, zum Gouverneur von Neu-Galicien, einer Provinz im Norden des heutigen Mexiko. Doch Coronado wollte mehr als nur einen gut dotierten Posten, zu verlockend waren die Gerüchte vom immensen Goldreichtum angeblicher bisher unentdeckter Städte dieses rätselhaften Doppelkontinents.
Inspiriert von den Erzählungen des Franziskanermönchs Marcos de Niza über die Existenz der sagenhaften sieben reichen Städten von Cíbola, die der Kirchenmann nördlich von Mittelamerikas aus der Ferne erblickt haben will, organisierte der Vizekönig eine umfangreiche Expedition. Francisco Vázquez de Coronado sollte die Leitung übernehmen, für die Ausrüstung des Abenteuers verpfändete er den Besitz seiner Frau und nahm zudem hohe Kredite auf. Für Coronado stand außer Zweifel, dass er diese legendären Städten finden und mit Gold und Sklaven zurückkehren würde.
Die Archäologin Deni Seymour präsentiert ihren Fund.
Foto: Deni Seymour et al.
Bis Kansas
Der Tross aus 150 berittenen Soldaten, 200 Infanteristen und hunderten indigenen Sklaven verließ Mexiko im April 1540. Während einige Expeditionsmitglieder mit zwei Schiffen den Golf von Kalifornien befuhren und im Zuge dessen die Mündung des Colorado River entdeckten, überwand Coronado die Rocky Mountains und kam schließlich bis zum Fluss Kansas im gleichnamigen heutigen US-Bundesstaat.
Dass die Truppe waffentechnisch durchaus gut ausgerüstet war, beweist nun ein spektakulärer Fund der unabhängigen Archäologin Deni Seymour aus Tucson, Arizona: Die Forscherin und ihr Team entdeckten an der Ausgrabungsstätte San Geronimo III im Santa Cruz Valley in Arizona nahe der Grenze zu Mexiko unter dem Boden eines spanischen Stein- und Lehmhauses eine Bronzekanone in hervorragendem Zustand. Genaue Analysen zeigen, dass das Geschütz mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Coronado-Ära stammt.
Das belegen vor allem Datierungen nach der Radiokarbonmethode und der optisch stimulierten Lumineszenz. Aber auch andere Artefakte, die am selben Ort gefunden wurden, lassen sich mit der Coronado-Expedition in Verbindung bringen, darunter europäische Keramikwaren, Scherben von Olivenölgefäßen und Glaswaren sowie Waffenteile.
Warum das 106,7 Zentimeter lange und 18 Kilogramm schwere, vergleichsweise schmucklose Geschütz zurückgelassen wurde, ist unklar.
Foto: Deni Seymour et al.
Verteidigung und Angriff
Die freigelegte Kanone ist 106,68 Zentimeter lang und wiegt etwa 18 Kilogramm. Der Durchmesser der Bohrung beträgt 24,7 Millimeter. Das Geschütz war in erster Linie für den Einsatz entlang von Befestigungsmauern konzipiert, konnte aber auch auf einer Lafette montiert als Angriffswaffe dienen, etwa um Verteidigungsanlagen der Indigenen sturmreif zu schießen. Ihren Geschossen hatten die Lehmwände der Ureinwohner praktisch nichts entgegenzusetzen.
Die Waffe war im Sandgussverfahren hergestellt worden, das ergibt sich aus mehreren Angussmarkierungen. Das schlichte und schmucklose Design deutet darauf hin, dass die Kanone möglicherweise in Mexiko oder der Karibik und nicht in Spanien gegossen wurde, wo man auf eine dekorativere Gestaltung Wert legte. Die Kanone wurde ungeladen aufgefunden und weist keine Anzeichen auf, dass sie in einem Gefecht zum Einsatz gekommen war, wie die Forschenden im International Journal of Historical Archaeology berichten. Das wirft die Frage auf, warum sie zurückgelassen wurde, immerhin stellte sie damals einen beträchtlichen Wert dar.
Video: The Coronado Expedition
Coronado NPS
Hinweise auf Gefechte
Möglicherweise waren die Spanier zu einem hastigen Rückzug gezwungen und konnten die Kanone dabei nicht mitnehmen. Historische Berichte lassen jedenfalls darauf schließen, dass die lokale indigene Gruppe der Sobaipuri O'odham die von den Spaniern besetzte Siedlung angriff. An der Fundstätte wurden überdies Bleischrotkugeln und charakteristische Sobaipuri-Pfeilspitzen gefunden, was diese Darstellung einer gewaltsamen Konfrontation bestätigen würde. Um mehr über die Herkunft der Waffe zu erfahren, sind weitere metallurgische Analysen geplant.
Aus Sicht von Francisco Vázquez de Coronado und seinen Banditen erwies sich die Unternehmung insgesamt weitgehend als Fehlschlag. Anstatt Reichtümer, große Städte und bevölkerungsreiche Ländereien entdeckte man nur vergleichsweise kleine Siedlungen ohne nenneswerte Schätze. Letztlich plünderten Coronados Truppen hauptsächlich Decken und Töpferwaren aus Pueblo-Gemeinden. Nachdem Coronado verletzt im Frühling 1542 mit rund 100 Leuten nach Mexiko-Stadt zurückgekehrt war, fiel er in Ungnade. Zehn Jahre später starb er weitgehend mittellos an einer Infektion.
(Thomas Bergmayr, 8.12.2024)
Archäologinnen und Archäologen legten im Süden Arizonas eine bronzene Kanone frei, die mit hoher Wahrscheinlichkeit der Expedition von Francisco Vázquez de Coronado von 1540 zuzuordnen ist. Das Bild zeigt die Fundsituation unter einem Gebäude im Santa Cruz Valley.
Foto: Deni Seymour et al.
Auf in die Neue Welt
Auch die berühmte Expedition von Vázquez de Coronado, der 1540 als erster Europäer bis in den Mittleren Westen der heutigen USA vorgedrungen ist, war mit solchen Hightech-Waffen ausgerüstet. Eine davon haben nun Forschende in Arizona entdeckt. Es ist ein außergewöhnlicher Fund, denn die rund 200 Kilometer südöstlich von Phoenix ausgegrabene Bronzekanone ist die älteste Schusswaffe, die jemals auf dem amerikanischen Festland gefunden wurde.
Der 1510 im spanischen Salamanca geborene Francisco Vázquez de Coronado war von adeliger Abstammung, hatte in der Erbfolge gegenüber seinem älteren Bruder aber das Nachsehen. Wie viele andere hochwohlgeborene junge Spanier dieser Zeit ohne Aussicht auf Erbschaft des Titels machte sich der 25-jährige Coronado als Konquistador auf in die Neue Welt. Zunächst ließ er sich in Mexiko-Stadt nieder, das auf den Trümmern der 14 Jahre zuvor zerstörten Aztekenhauptstadt Tenochtitlan errichtet worden war.
Sagenhaft reiche Städte
1539 und damit kurz nach seiner Hochzeit mit Beatriz de Estrada machte ihn sein alter Freund und nunmehrige Vizekönig von Neuspanien, Antonio de Mendoza, zum Gouverneur von Neu-Galicien, einer Provinz im Norden des heutigen Mexiko. Doch Coronado wollte mehr als nur einen gut dotierten Posten, zu verlockend waren die Gerüchte vom immensen Goldreichtum angeblicher bisher unentdeckter Städte dieses rätselhaften Doppelkontinents.
Inspiriert von den Erzählungen des Franziskanermönchs Marcos de Niza über die Existenz der sagenhaften sieben reichen Städten von Cíbola, die der Kirchenmann nördlich von Mittelamerikas aus der Ferne erblickt haben will, organisierte der Vizekönig eine umfangreiche Expedition. Francisco Vázquez de Coronado sollte die Leitung übernehmen, für die Ausrüstung des Abenteuers verpfändete er den Besitz seiner Frau und nahm zudem hohe Kredite auf. Für Coronado stand außer Zweifel, dass er diese legendären Städten finden und mit Gold und Sklaven zurückkehren würde.
Die Archäologin Deni Seymour präsentiert ihren Fund.
Foto: Deni Seymour et al.
Bis Kansas
Der Tross aus 150 berittenen Soldaten, 200 Infanteristen und hunderten indigenen Sklaven verließ Mexiko im April 1540. Während einige Expeditionsmitglieder mit zwei Schiffen den Golf von Kalifornien befuhren und im Zuge dessen die Mündung des Colorado River entdeckten, überwand Coronado die Rocky Mountains und kam schließlich bis zum Fluss Kansas im gleichnamigen heutigen US-Bundesstaat.
Dass die Truppe waffentechnisch durchaus gut ausgerüstet war, beweist nun ein spektakulärer Fund der unabhängigen Archäologin Deni Seymour aus Tucson, Arizona: Die Forscherin und ihr Team entdeckten an der Ausgrabungsstätte San Geronimo III im Santa Cruz Valley in Arizona nahe der Grenze zu Mexiko unter dem Boden eines spanischen Stein- und Lehmhauses eine Bronzekanone in hervorragendem Zustand. Genaue Analysen zeigen, dass das Geschütz mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Coronado-Ära stammt.
Das belegen vor allem Datierungen nach der Radiokarbonmethode und der optisch stimulierten Lumineszenz. Aber auch andere Artefakte, die am selben Ort gefunden wurden, lassen sich mit der Coronado-Expedition in Verbindung bringen, darunter europäische Keramikwaren, Scherben von Olivenölgefäßen und Glaswaren sowie Waffenteile.
Warum das 106,7 Zentimeter lange und 18 Kilogramm schwere, vergleichsweise schmucklose Geschütz zurückgelassen wurde, ist unklar.
Foto: Deni Seymour et al.
Verteidigung und Angriff
Die freigelegte Kanone ist 106,68 Zentimeter lang und wiegt etwa 18 Kilogramm. Der Durchmesser der Bohrung beträgt 24,7 Millimeter. Das Geschütz war in erster Linie für den Einsatz entlang von Befestigungsmauern konzipiert, konnte aber auch auf einer Lafette montiert als Angriffswaffe dienen, etwa um Verteidigungsanlagen der Indigenen sturmreif zu schießen. Ihren Geschossen hatten die Lehmwände der Ureinwohner praktisch nichts entgegenzusetzen.
Die Waffe war im Sandgussverfahren hergestellt worden, das ergibt sich aus mehreren Angussmarkierungen. Das schlichte und schmucklose Design deutet darauf hin, dass die Kanone möglicherweise in Mexiko oder der Karibik und nicht in Spanien gegossen wurde, wo man auf eine dekorativere Gestaltung Wert legte. Die Kanone wurde ungeladen aufgefunden und weist keine Anzeichen auf, dass sie in einem Gefecht zum Einsatz gekommen war, wie die Forschenden im International Journal of Historical Archaeology berichten. Das wirft die Frage auf, warum sie zurückgelassen wurde, immerhin stellte sie damals einen beträchtlichen Wert dar.
Coronado NPS
Hinweise auf Gefechte
Möglicherweise waren die Spanier zu einem hastigen Rückzug gezwungen und konnten die Kanone dabei nicht mitnehmen. Historische Berichte lassen jedenfalls darauf schließen, dass die lokale indigene Gruppe der Sobaipuri O'odham die von den Spaniern besetzte Siedlung angriff. An der Fundstätte wurden überdies Bleischrotkugeln und charakteristische Sobaipuri-Pfeilspitzen gefunden, was diese Darstellung einer gewaltsamen Konfrontation bestätigen würde. Um mehr über die Herkunft der Waffe zu erfahren, sind weitere metallurgische Analysen geplant.
Aus Sicht von Francisco Vázquez de Coronado und seinen Banditen erwies sich die Unternehmung insgesamt weitgehend als Fehlschlag. Anstatt Reichtümer, große Städte und bevölkerungsreiche Ländereien entdeckte man nur vergleichsweise kleine Siedlungen ohne nenneswerte Schätze. Letztlich plünderten Coronados Truppen hauptsächlich Decken und Töpferwaren aus Pueblo-Gemeinden. Nachdem Coronado verletzt im Frühling 1542 mit rund 100 Leuten nach Mexiko-Stadt zurückgekehrt war, fiel er in Ungnade. Zehn Jahre später starb er weitgehend mittellos an einer Infektion.
(Thomas Bergmayr, 8.12.2024)