Römische Kultstätte in den Berner-Alpen gefunden

josef

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ZUFALLSFUND
Römische Kultstätte in den Alpen überrascht Fachleute
Zahlreiche Münzen, Kristalle und Schuhnägel auf einem Plateau in den Berner Alpen weisen auf einen heiligen Ort hin. Ein archäologisches Abenteuer auf 2.600 Metern

Die Fundstelle auf dem Ammertenhorn liegt ungewöhnlich hoch für eine Pilgerstätte.
Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Regula Glatz

Die Gebirgsroute eines Läufers in den Schweizer Alpen hielt ein archäologisches Geschenk bereit. Auf dem Ammertenhorn im Kanton Bern stieß der Mann 2020 im Gelände auf eine alte römische Münze. Ein ungewöhnlicher Fund: Was trieben die Menschen vor etwa 2.000 Jahren auf etwa 2.600 Metern Höhe, abseits der Bergpässe, die damals bekanntermaßen genutzt wurden?

Dass sich jemand dorthin verirrt und eine Münze verloren hat, schien möglich. Doch zwei Jahre später stellte das benachrichtigte archäologische Team fest, dass sich ein kleiner Schatz auf dem Berg verbarg. An der Fundstelle stießen die Fachleute vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern bisher auf hundert Münzen, 27 kleine Bergkristalle und ein Votivblech aus Bronze, wie in einer Aussendung bekanntgegeben wurde.


Römische Münzen aus mehreren Jahrhunderten wurden entdeckt, manche versteckten sich mehrere Zentimeter unter der Oberfläche.
Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Regula Glatz

Daraus schließen die Archäologinnen und Archäologen, dass sich auf dem Hochplateau eine Art Schrein befand. "Vergleichbare Fundensembles werden oftmals als Weihegaben gedeutet", sagt Kantonsarchäologe Adriano Boschetti. Das Gelände könne zur Römerzeit ein heiliger Ort gewesen sein.

Alpengöttinnen
Für die Region wäre die Verehrung von Alpengottheiten nicht ungewöhnlich. In Allmendingen am Thunersee, knapp 50 Kilometer von der Fundstätte entfernt, gibt es ein entsprechendes Heiligtum. Im Jahr 1926 wurde dort ein Sockel für eine nicht erhaltene Statue entdeckt. Die lateinische Inschrift verrät, dass die Bevölkerung den Sockel den Alpengöttinnen stiftete.


Etliche Bergkristalle, die dort auch natürlich vorkommen, wurden entdeckt.
Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Regula Glatz

"In der römischen Religion konnten auch Orte heilig sein, zum Beispiel Berge, Quellen oder Bäume", teilt die leitende Archäologin Regula Gubler auf Nachfrage des STANDARD mit. "Solche heiligen Orte wurden aufgesucht, um mit den Gottheiten in Kontakt zu treten, um etwas zu erbitten oder ein Versprechen einzulösen."

Kleingeld aus rund 400 Jahren
Neu ist, dass als heilige Orte auch hochalpine Gipfel besucht wurden und man dort – wohl ähnlich wie auf einer Pilgerreise – zahlreiche Gaben zurückließ. Somit wurden die Berge nicht nur aus der Ferne verehrt, sondern auch mit Votivgaben im Gepäck bestiegen. "Die Funde konzentrieren sich um einige größere Felsblöcke, aber wir haben keine klaren Hinweise auf eine gebaute Struktur gefunden", sagt Gubler. Womöglich gab es eine Holzkonstruktion, denn auch vier passende Eisennägel wurden entdeckt.

Die gefundenen Münzen stammen aus der Zeit vom ersten bis zum beginnenden fünften Jahrhundert nach Christus. Sie ergaben wohl keinen hohen Geldbetrag, sondern nur Kleingeld: Die Bandbreite der Münzsammlung spreche "nicht für eine verlorene Brieftasche oder einen Geldschatz, sie passt viel besser zu Münzen, die über einen längeren Zeitraum in Tempeln deponiert wurden", sagt Gubler.

Mit gutem Schuhwerk zum heiligen Ort
Von Gläubigen, die sich auf den beschwerlichen Weg auf das Ammertenhorn machten, zeugen auch die 59 römischen Schuhnägel, die an der Fundstätte entdeckt wurden. Eine einzelne genagelte Schuhsohle enthielt damals mitunter 80 bis 100 Nägel. Der eine oder andere ging beim Besuch der Stätte offenbar verloren, doch insgesamt zeigen sie, "dass die Römerinnen und Römer in gutem Schuhwerk zur Fundstelle kamen", wie Gubler berichtet.


Das Forschungsteam musste die nötige Ausrüstung auf den Berg fliegen lassen und campierte dort mehrere Tage und Nächte
.Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Regula Glatz

Außerdem fanden die Fachleute eine Fibel, mit der Gewänder ähnlich einer großen Sicherheitsnadel zusammengehalten wurden. Sie könnte darauf hindeuten, dass schon im ersten Jahrhundert vor Christus Menschen das Hochplateau aufsuchten. Ob nur Menschen aus dem Tal heraufkamen oder Pilgerinnen und Pilger aus Thun oder weiterer Entfernung anreisten, ist noch nicht klar.

Der schnellste Weg
Neben den zahlreichen Münzen fiel insbesondere das Fragment eines Votivblechs auf, das in Form eines pflanzlichen Blattes gestaltet wurde. Dabei handelt es sich um einen relativ seltenen Fund. Derartige Bleche sind typisch für die römischen Provinzen, die sich nördlich der Alpen befinden. Meist sind sie aus Silberblech gefertigt und manchmal mit Weiheinschriften versehen. Das Blech vom Ammertenhorn besteht hingegen aus Bronze, ein ähnliches, aufwendiger gestaltetes Artefakt in Allmendingen aus Gold.


Das Votivblech in Blattform.
Foto: Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Markus Detmer

Daneben sind die Bergkristalle bemerkenswert, die in dieser Region natürlicherweise vorkommen und über das ganze Plateau verteilt waren, wie Gubler erklärt. Sie können ein Grund dafür sein, dass der Ort als bedeutsam angesehen wurde.

Welchen Weg die römischen Pilgerinnen und Pilger wählten, ist noch nicht bekannt. Die Fundstätte sei heute weit entfernt von Wanderwegen, erzählt Gubler. Damals wie heute dürfte der schnellste Weg auf den Berg zu Fuß etwa vier bis fünf Stunden in Anspruch genommen haben. Dazwischen liegen 1.500 Höhenmeter und das Überqueren eines Gletschers.

Intensive Tage, kalte Nächte
Das war auch für Gubler und ihr Team ein "kleines Abenteuer und eine logistische Herausforderung". Grabungsmaterial, aber auch Zelte, Campingausrüstung und Proviant mussten hinaufgeflogen werden. Wasser gibt es oben keines. "Es waren lange, intensive Tage und kalte Nächte in einer wunderschönen Landschaft", erinnert sich die Archäologin.

Das Forschungsteam wird die Arbeit an der ungewöhnlichen Fundstelle fortsetzen. Derweil lassen sich die bereits geborgenen Funde bereits im Bernischen Historischen Museum in einem Ausgrabungszelt besichtigen. Dort werden aktuelle Funde "frisch aus dem Boden" gezeigt und erklärt. Kürzer ist der Weg zum virtuellen Schaufenster, das zusätzliche Informationen zum Fund vom Ammertenhorn bereitstellt.
(Julia Sica, 26.3.2023)
Römische Kultstätte in den Alpen überrascht Fachleute
 
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