Die letzten Nachtwächter

josef

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#1


Nachtwächter marschieren durch Ottakring
In Ottakring findet von Freitag bis Sonntag die Jahreshauptversammlung der Nachtwächter statt. Mit traditionellen Gewändern, Fahnen, Trachten und einer Parade wird das Mittelalter zum Leben erweckt.
Die „Deutsche Gilde der Nachtwächter, Türmer und Figuren e.V.“ wahrt seit vielen Jahren das Andenken des verantwortungsvollen Berufes aus dem Mittelalter. Anlässlich ihrer Jahreshauptversammlung in Wien haben sie ein reichhaltiges Programm geplant. Mit Hilfe von traditionellen Gewändern, Fahnen und Trachten wird ein Eindruck der damaligen Zeit vermittelt.

Eine gemeinsame Nachtwächterparade inklusive musikalische Begleitung durch die Gardemusikkapelle bildet das Highlight der Versammlung. „Wir sind da jetzt 80 Nachtwächter, die in der Originalkleidung und mit Hellebarde und Laterne marschieren“, freut sich Gerhard Spitz, Nachtwächter von Wien. Er hat die Jahreshauptversammlung organisiert.

Historische Wurzeln
Der Freitag, der 15. März, steht im Zeichen der Parade der Gildenmitglieder mit anschließender Vorstellungsrunde der Gildengesichter. Der Marsch findet ab 17.00 Uhr vor dem Bezirksamt Ottakring über die Thaliastraße statt. Am Samstag, den 16. März, wird die Messe im Stephansdom ausgeklungen. Bei einem Spaziergang um 16.30 Uhr zum Heldenplatz geben einzelne Nachtwächter lustige Anekdoten und Geschichten ihrer Stadt zum Besten. „Es ist für uns auch ein Ereignis, einfach dass wir gesehen werden, dass wir wahrgenommen werden“, betont Spitz.

Die heutigen Mitglieder der Nachtwächter haben es sich zur Aufgabe gemacht, das historische Wirken der Nachtwächter weiter zu vermitteln. Dazu werden Führungen angeboten. Denn der Beruf des Nachtwächters hat einen geschichtsträchtigen Hintergrund: Im Mittelalter war der Nachtwächter „nachts in den Gassen unterwegs, hat für Ruhe, Recht und Ordnung gesorgt, war auch bewaffnet mit einer Hellebarde, einer mittelalterlichen Hieb- und Stichwaffe“, so Gildenmeister Heinz Wellmann. Aus diesem Grund war der Beruf des Nachtwächters mit einigen Anstrengungen verbunden.

Wenig Achtung in der Gesellschaft
Nachtwächter kontrollierten nicht nur, ob Stadttore und Haustüren verschlossen waren, sondern achteten auch auf das Einhalten der Sperrstunden. „Dann hat er nach Feuer Ausschau gehalten, denn Feuer war im Mittelalter schon eine allgegenwärtige Gefahr“, sagt Wellmann. Durch die einfache Bauweise waren die Häuser leicht entzündbar und stellten dadurch eine ernstzunehmende Gefahr dar. Daher hat der Nachtwächter auch auf die Brunnen der Stadt aufgepasst, in denen sich das notwendige Wasser zum Löschen befand. „Also der Nachtwächter hatte viel zu tun.“

Veranstaltungshinweis
Jahreshauptversammlung der Nachtwächter, 15. bis 17. März in Ottakring
Freitag, 15. März, ab 17.00 Nachtwächterparade
Samstag, 16. März, ab 16.30 Fußmarsch zum Heldenplatz

Ihr Beruf galt in den Augen der Bevölkerung als unehrenhaft. „Der Nachtwächter gehörte zur untersten Schicht, das war angesiedelt beim Henker, beim Schächter, beim Abdecker, beim Totengräber“, so Wellmann. Auch waren sie der Bevölkerung wegen ihrer nächtlichen Kontrollgänge nicht geheuer. „Viele glaubten, der Nachtwächter steckt mit dem Teufel im Bund.“

Nachtwächterei als Weltkulturerbe
Trotz dieser Verantwortung seien Nachtwächter gesellschaftlich wenig angesehen gewesen, so der Linzer Wolfgang Niegl. Er ist einer von ungefähr 40 Nachtwächtern in Österreich. Im deutschsprachigen Raum gibt es insgesamt über 200 Gildenmitglieder.

„Wir sind es unserem Brauchtum verpflichtet und wollen die Tradition der Nachtwächterei eigentlich aufrecht erhalten, denn es ist ja eine jahrhundertealte Tradition von der wir sprechen“, betont Wellmann. Aus diesem Grund versuchen sie, „die Nachtwächterei als immaterielles Weltkulturerbe eintragen zu lassen.“

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Publiziert am 14.03.2019
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#2
AUSSTERBENDE BERUFE
Der letzte Nachtwächter Österreichs
Im Mittelalter wurde der Beruf des Nachtwächters geschaffen, um vor Dieben und Feuer zu warnen. Mit dem 20. Jahrhundert verschwand er weitgehend. In Obertilliach ist der Letzte in Österreich unterwegs

Josef "Jolly" Lugger dreht üblicherweise nächtens seine Runden als Nachtwächter.
Foto: TVB Osttirol/Elias Bachmann

Im hintersten Tiroler Lesachtal, zwischen schroffen Kalkfelsen und bewaldeten Bergrücken, dreht Josef Lugger nachts seine Runden, um eine Tradition hochzuhalten, die im Rest des Landes längst begraben wurde. Lugger ist Nachtwächter in Obertilliach und damit der letzte amtliche seiner Art in ganz Österreich. Früher warnten die Nachtwächter vor Dieben und Feuer, heute hält die Osttiroler Gemeinde für touristische Zwecke und aus Liebe zum alten Brauchtum an der Funktion fest.

Josef Lugger selbst erklärt es so: "Wenn man diese alte Tradition nicht mehr weiterlebt, dann stirbt sie endgültig. Wenn der Bauer mal den Stall zugesperrt hat, dann sperrt er den nicht mehr auf." Deshalb führt er an drei Abenden die Woche, nahezu rund ums Jahr, Touristinnen und Touristen durch die Straßen des alten Zentrums seiner Heimat, erzählt vom Dorf und seiner Geschichte.

FIlzhut, Lodenmantel und Hellebarde
Dann trägt der rüstige 62-Jährige mit dem starken Osttiroler Zungenschlag eine Laterne in einer Hand, in der anderen eine Hellebarde, weiters trägt er einen schwarzen Filzhut und einen fast bodenlangen dunklen Lodenmantel. Die Art der Ausrüstung und das Lied, das der Nachtwächter mit sonorer Stimme singt, wenn die volle Stunde geschlagen hat, sind aus der Zeit, aus der die Funktion ursprünglich stammt: Im Mittelalter, im Zuge der Entstehung von Städten, kam der Beruf des Nachtwächters auf.

Er sollte die Bewohnerinnen und Bewohner vor Feuer und Dieben schützen, er kontrollierte, ob Haustüren und Stadttore verschlossen waren, sagte die Uhrzeit an und hatte das Recht, Personen aufzuhalten und notfalls festzunehmen.

In Obertilliach wurde die Funktion 1446 erstmals urkundlich erwähnt. Nahezu 600 Jahre später trat sie Lugger an. Im Februar des Vorjahres übernahm er sie von seinem Vorgänger, der aus Altersgründen aufgehört hatte. Beruf ist der Nachtwächter heute keiner mehr. Von der Gemeinde erhält Lugger aber eine kleine Aufwandsentschädigung. Hinzu kommen freiwillige Spenden. In dieser Februarwoche zog Lugger noch öfter als gewöhnlich durch Obertilliach, seine Stimme ist heiser vom vielen Reden. Sind Kinder dabei, dann ist die Runde nach einer halben Stunde vorbei, mit den Erwachsenen dauert es doppelt so lange und endet zumeist im Wirtshaus.


In der Osttiroler Gemeinde Obertilliach ist auf knapp 1.500 Meter Seehöhe der letzte offizielle Nachtwächter des Landes unterwegs.
Foto: TVB Osttirol / Elias Bachmann

Zeitreise 600 Jahre zurück
Obertilliach ist eine Gemeinde, zu der mehrere Siedlungen zwischen den Lienzer Dolomiten und den Karnischen Alpen zählen. 670 Einwohnerinnen und Einwohner leben hier. Josef Lugger stammt aus Rals, einer Ansammlung von einem Dutzend Häuser einen halben Kilometer entfernt vom Hauptort Obertilliach. Josef Lugger, den man "Jolly" nennt, weil außer ihm noch eine Handvoll weiterer Josef Luggers hier lebt, ging vor zwei Jahren in Pension.

Davor führte er ein Schlägerungsunternehmen, das nun seine Söhne übernommen haben. Im Winter arbeitete er als Liftwart. In seiner Freizeit verarbeitet Lugger immer noch das Holz aus den 30 Hektar Wald, die seiner Familie gehören, zu Brennholz weiter. "Ich wurde hier geboren, habe mein ganzes Leben hier verbracht und werde hoffentlich hier im Familiengrab begraben", sagt er. "Ich war immer stolz und glücklich, ein Obertilliacher zu sein." Deshalb liege ihm auch etwas daran, als Nachtwächter "diese Zeitreise" zu unternehmen.

Haufendorf mit Zacken-Gassen
Obertilliach liegt auf fast 1.500 Meter Seehöhe, was dazu führt, dass es hier schneesicher ist. Diesen Winter kam der Schnee spät, dafür aber in großen Mengen. Der Großteil der Häuser im Ortskern steht unter Denkmalschutz: Sie sind aus dunklem, im Laufe der Jahre verwittertem Holz von aus der Gegend gefällten Lärchen und Fichten und aus meterdicken Steinmauern, die Schutz vor heftigem Schneefall bieten. Obertilliach war zu seinen Anfängen eine Pferdealm. Die ersten Siedlerinnen und Siedler zogen im 11. Jahrhundert hierher, ab dem 13. Jahrhundert kamen zahlreiche schlesische Auswanderer aus dem heutigen Polen hinzu. Sie bauten ihre Häuser nicht einen Straßenzug entlang, sondern immer dicht an das jeweils nächste Haus heran.


Bis zum Jahr 1512 wurde Obertilliach regelmäßig von Räubern überfallen. Nachtwächter alarmierten bei Überfällen die Dorfbewohner.
Foto: TVB Osttirol / Elias Bachmann

Obertilliach ist also ein sogenanntes Haufendorf, in dem die Dächer alle in dieselbe Richtung zeigen und die Straßen und Gassen in Zacken verlaufen.Die Nähe der Häuser bot stets Schutz vor der Gefahr, die von außen drohte: Aus dem nur wenige Kilometer entfernten Italien fielen regelmäßig Räuberbanden ein. Vom Hunger getrieben nahmen sie "alles mit, was nicht niet- und nagelfest war", erzählt Lugger: "Damals gab es keine Polizei und keine Feuerwehr, sondern es war immer der Nachtwächter, der Alarm geschlagen hat."

Der letzte große Überfall datiert auf das Jahr 1512: Damals, so Lugger, seien 26 Räuber erschlagen und sechs festgenommen worden. Im Laufe der Geschichte verschob sich die italienische Grenze weiter in Richtung Süden, was Überfälle seltener machte. Die Etablierung von Polizei, Feuerwehr und flächendeckender Straßenbeleuchtung machte den Beruf zusehends obsolet, ehe er an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert abgeschafft wurde.

Mit Tourismus wiederentdeckt
Wie ganz Tirol lebte auch Obertilliach lange von der Landwirtschaft, einige Häuser im Ortszentrum sind über den "Soldo" mit dem Stall nebenan verbunden: ein in den oberen Stockwerken angebrachter Übergang, durch den die Bauern in dringenden Fällen direkt aus ihrem Bett, und ohne das Haus verlassen und durch den Schnee stapfen zu müssen, zu ihren Kühen und Ziegen gelangten.

Die alten Höfe wurden im Laufe der Zeit aufgeteilt, sie werden heute nur mehr nebengewerblich betrieben. Wie im Rest Tirols auch hängt ein Gutteil der Jobs hier am Tourismus. Nahezu jedes Haus bietet zumindest ein Zimmer für Übernachtungen an. Der Mai und November sind die einzigen Monate, in denen hier kaum Betten belegt sind – und der Nachtwächter nicht auf Streifzug ist. Mit dem Tourismusboom entdeckte man auch diese alte Tradition wieder für sich.

Im Mai wird Lugger offiziell in die europäische Zunft der Nachtwächter und Türmer aufgenommen. Nach drei Jahren pandemiebedingter Ausfälle treffen sich ihre rund 200 Mitglieder in der sächsischen Bergstadt Zwönitz, darunter wird nur ein Österreicher sein: der Obertilliacher Josef "Jolly" Lugger.
(Anna Giulia Fink, 21.2.2023)
Der letzte Nachtwächter Österreichs
 
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