Radiumforschungsinstitut Oberschlema

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Im Auftrag der Wehrmacht: In dieser Anlage wurden im Radiumforschungsinstitut Mäuse starker Thorium-Strahlung ausgesetzt, um Krebs auszulösen.

Foto: OliverTtitzmannBild 1 / 2


Ein Kurgast atmet radonhaltige Luft. So martialisch das Bild anmutet: Es handelt sich um eine Kur-Anwendung im Jahr 1934 in Oberschlema, eine sogenannte Schwach-Emanation, wie es sie auch heute (ohne die Maske) noch gibt. Geplant waren später aber auch Menschenversuche, bei denen die Strahlendosis signifikant erhöht werden sollte.

Foto: Fotos (2): Bildarchiv Oliver Titzmann Bild 2 / 2

Strahlenwaffen für den Führer: Ein Arzt flieht an die Front

Bad Schlema feiert 100 Jahre Radonkuren. Diese Geschichte hat auch ein dunkles Kapitel: Die Heeresversuche im Zweiten Weltkrieg. Wie weit sind die Forscher damals gegangen? Ortschronist Oliver Titzmann hat neue Erkenntnisse.

Von Mario Ulbrich
erschienen am 15.05.2018

Bad Schlema. Es gibt zwei Fotografien, die den Badearzt Herbert Wanke zeigen und deren Vergleich bestürzend ausfällt. "Auf dem ersten Foto von 1942 erfreut er sich bester Gesundheit", sagt Oliver Titzmann, Ortschronist in Bad Schlema und Autor eines neuen Buches über den Kurbetrieb. "Das zweite Bild wurde 1945 aufgenommen. Auf ihm ist Wanke ein verfallener alter Mann."

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sich der ehemalige Kurarzt aus dem Radiumbad Oberschlema in Norddeutschland einen Namen als Rheumatologe. Mit der eigenen Gesundheit aber stand es nie wieder zum Besten. "Die Haut an seinen Händen schälte sich, er musste im Alltag Handschuhe tragen. Familienmitglieder berichteten mir, dass sie stets die Türklinken abwischen sollten", sagt Titzmann. Wanke, Jahrgang 1900, starb 1966. Die Todesursache sei in der Familie wie ein Geheimnis behandelt worden.

Titzmann vermutet, dass der Arzt unter Strahlenschäden litt, die er sich bei seiner Arbeit zugezogen hatte. Die Überwachung schmerzlindernder Radonbäder dürfte kaum die Ursache gewesen sein. In den Kriegsjahren hatte der Badearzt Wanke aber noch einen zweiten Job: Den eines Wissenschaftlers am Radiumforschungsinstitut Oberschlema. Dort wurde im Auftrag des Heeres die Wirkung radioaktiver Strahlung auf den Organismus untersucht. Die Forscher sollten ergründen, wie sich Radioaktivität als Waffe einsetzen lässt - und wie man die eigenen Soldaten schützt.

Dafür setzten sie weiße Mäuse und Kaninchen radonhaltiger Luft, Kaulquappen Radon im Wasser aus. Ihr Blut wurde unter dem Mikroskop betrachtet, jede Veränderung akribisch registriert. Letzten Endes ging es darum, den Punkt zu finden, an dem Krebs entsteht. "Als mit dem vorhandenen Radonwasser die gewünschten Reaktionen nicht erzielt wurden, reicherten sie die Atemluft mit Radiumbromid an", sagt Titzmann. "Als auch das nicht reichte, erhielt das Institut ein Thoriumpräparat." Auf diese Weise stiegen die Strahlendosen immer weiter.

Bis vor wenigen Jahren galt das Radiumforschungsinstitut Oberschlema als rein zivile Einrichtung, die bessere Kuranwendungen kreieren sollte. Dass die Forscher ab Sommer 1942 auch für das Oberkommando des Heeres tätig wurden, brachte erst der Schneeberger Kulturwissenschaftler Günter Eckardt ans Licht, nachdem er bis dato unbeackerte Akten studiert hatte: Schriftverkehr zwischen dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Biophysik in Frankfurt/Main und seiner Außenstelle, dem Institut in Oberschlema.

Aus den Briefen geht hervor, dass es die Forscher bei Kaulquappen und Mäusen nicht belassen sollten. Geplant waren auch Menschenversuche. Umstritten ist, ob diese stattfanden und wie weit sie gingen. Eckardt ist überzeugt, dass damals Menschen verstrahlt wurden. Belege dafür ist er schuldig geblieben.

Dass nach wie vor Schwierigkeiten bei der Datierung einer Erschießung von KZ-Häftlingen im April 1945 am Kohlweg in Schlema bestehen, interpretiert er aber in seinem Sinne. "Es gab zwei Erschießungen", bekräftigt er. Zwei Tage vor der bekannten Ermordung der Häftlinge aus dem Lager Mülsen sei eine bislang unbekannte Gruppe hingerichtet worden. Eckardt glaubt, dass diese in Zusammenhang mit den Versuchen im Radiuminstitut stand.

Oliver Titzmann widerspricht solchen Spekulationen. In seinem am Donnerstag erscheinenden Buch über die 100-jährige Geschichte des Schlemaer Kurbetriebs nimmt das Radiumforschungsinstitut ein eigenes Kapitel ein. Der Autor unterstreicht darin, dass der Heeresauftrag akquiriert wurde, um das Institut finanziell über den Krieg zu retten. Herbert Wanke sei der entscheidende Mann für die praktische Forschung gewesen. Und in der Tat habe er mehr als 130 Patienten für die Menschenversuche gewonnen.

Sein Chef, Boris Rajewsky, dem das Oberkommando des Heeres im Nacken saß, habe auf Versuche mit hohen Strahlendosen gedrungen. "Wanke schrieb ihm jedoch, dass er die Verantwortung dafür nicht übernimmt", sagt Titzmann. Er hält es für möglich, dass der Arzt die geforderten Dosierungen an sich selbst erprobt hat. Als der Druck der übergeordneten Stellen auf das Institut immer größer wurde, tat Wanke das Unerwartete: Er floh an die Front.

"1942 war er zur Wehrmacht eingezogen worden", sagt Titzmann. "Für seine Forschung hatte man ihm den Status Unabkömmlich zuerkannt. Im Dezember 1944 verzichtete er und zog in einen verlorenen Krieg. Warum wohl gibt jemand solch eine Überlebensgarantie her?"

Das Buch zu 100 Jahre Kurbetrieb in Bad Schlema wird am Donnerstag im Kurhotel der Öffentlichkeit vorgestellt. Wegen der großen Nachfrage präsentiert Autor Oliver Titzmann es gleich zweimal: 18.30 und 20 Uhr. Der Titel des Buches wird erst zur Veranstaltung bekanntgegeben. Der Band hat 220 Seiten und enthält 650 zum großen Teil noch nie veröffentlichte Fotos und Dokumente. Es kostet 24,50 Euro. ISBN 978-3-9819298-1-2.

https://www.freiepresse.de/LOKALES/ERZGE....php#kommentare


Habe ich doch gestern glatt überlesen und wurde vorhin von Hr. Günter Eckardt (einer der hiesigen Heimatforscher), einer der wenigen welche die Rajewsky Akten lesen durften, darauf hingewiesen. Heute sind die Rajewsky Akten/Ordner Klassifiziert!

VG
Rusmuher
 
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Kracher

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#2
Habe ich doch gestern glatt überlesen und wurde vorhin von Hr. Günter Eckardt (einer der hiesigen Heimatforscher), einer der wenigen welche die Rajewsky Akten lesen durften, darauf hingewiesen. Heute sind die Rajewsky Akten/Ordner Klassifiziert!

VG
Rusmuher
Was sind bitte die Rajewsky-Akten ? Die Unterlagen seines KWI und sein Nachlass sind in Berlin einsehbar. Darunter befinden sich seine Forschungsaufträge die man in Gegenüberlieferung im Bundesarchiv findet.
 
#7
..kann mir jemand erklären wieso vorher öffentlich zugängliche Akten "klassifiziert" werden?? Was ist über 70 Jahre nach der Arbeit dieser Institution so wichtig, um diese vor der Öffentlichkeit zu verbergen...Der Grund Erschließt sich mir nicht..
 

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#8
..kann mir jemand erklären wieso vorher öffentlich zugängliche Akten "klassifiziert" werden?? Was ist über 70 Jahre nach der Arbeit dieser Institution so wichtig, um diese vor der Öffentlichkeit zu verbergen...Der Grund Erschließt sich mir nicht..
Hast du dich dessen vergewissert, dass sie klassifiziert sind? Nur weil Rusmuher es sagt, muss es noch lange nicht so sein. Außerdem scheinen diese Akten selbst unter Forschern wie dem User Kracher nicht bekannt zu sein. Rusmuher sollte also erst mal sagen, was er mit Rajewsky-Akten meint und wo er glaubt, dass sie liegen.
 
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